Zuwanderung, Flucht und Illegalität: Migranten in Deutschland

Migration - Teil 1

Teil 1 von 3

von Sebastian Zender

Weltweit leben mehr als 150 Millionen Menschen als Migranten in einem Staat, der nicht ihre ursprüngliche Heimat ist. Das entspricht etwa der doppelten Bevölkerungszahl der Bundesrepublik Deutschland. Was sind die Gründe für diese Wanderungen über Staatsgrenzen hinweg und mit welchen Problemen haben Migranten zu kämpfen? Wie hat sich die Situation von Zuwanderern und Flüchtlingen in Deutschland und Europa in den vergangenen Jahrzehnten verändert?

In Deutschland leben 15,3 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund - dazu zählen auch Kinder von Zugewanderten, die in Deutschland geboren wurden.
Dieter Schütz | Pixelio
Seit Menschengedenken haben sich immer wieder kleinere oder größere Gruppen von Menschen auf den Weg begeben, um ihre Heimat zu verlassen. Dafür gab und gibt es die unterschiedlichsten Gründe. Manche Menschen haben keine andere Wahl, da sie aufgrund ihrer politischen oder religiösen Einstellung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe in ihren Heimatländern verfolgt werden. So mussten beispielsweise während der Zeit des Nationalsozialismus viele Juden und andere Menschen, die mit der Terrorherrschaft der Nazis nicht einverstanden waren, Deutschland aus Angst um ihr Leben verlassen.

Andere sehen dort, wo sie leben, für sich und ihre Kinder einfach keine Zukunft mehr und beschließen deshalb, ihr Glück an einem anderen Ort zu versuchen. In Deutschland und anderen europäischen Ländern zum Beispiel ziehen in letzter Zeit immer mehr Menschen vom Land in die Städte, weil sie hoffen, dort eher eine Arbeit zu finden. Der Oberbegriff für alle diese Wanderungen ist "Migration". Das Wort stammt vom lateinischen "migrare", das so viel wie "wandern" oder "sich bewegen" bedeutet. Man kann hier auch noch eine genauere Unterscheidung treffen: Mit "Immigration" ist Einwanderung gemeint, während "Emigration" Auswanderung bedeutet.

Deutschland - ein Einwanderungsland

Dieses Bild zeigt russische Flüchtlinge bei Stalingrad während des Zweiten Weltkriegs.
Friedrich Gehrmann (Bundesarchiv)
Seit 1954 kamen 31 Millionen Menschen nach Deutschland, allerdings zogen im gleichen Zeitraum auch 22 Millionen Menschen aus Deutschland weg. Dennoch liegt Deutschland damit an der Spitze der internationalen Zuwanderungsstatistik und ist daher ein "Einwanderungsland". So bezeichnet man ein Land, in dem Einwanderer einen wesentlichen Teil der Bevölkerung stellen. In Deutschland leben heute 7,3 Millionen Ausländer. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung beträgt 8,8 Prozent (ein Prozent bedeutet: einer von hundert).

Ausländer sind jedoch nur eine Teilgruppe der in Deutschland lebenden Menschen mit einem "Migrationshintergrund". Dazu zählen auch die so genannten (Spät-)Aussiedler, Menschen mit deutscher Herkunft, die in anderen Ländern - vor allem der ehemaligen Sowjetunion, aber auch in Rumänien, Polen, Ungarn und der ehemaligen Tschechoslowakei - lebten. Sie und ihre Familien hatten lange freies Zuzugsrecht nach Deutschland. Auch inzwischen eingebürgerte Ausländer sowie deren Kinder, die in Deutschland als Deutsche geboren wurden, zählen zu dieser Gruppe. Der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund an der Gesamtbevölkerung beträgt mit 15,3 Millionen Menschen 18,4 Prozent. Da auch in Deutschland geborene Kinder zu dieser Gruppe gerechnet werden, haben nur zwei Drittel der Menschen mit Migrationshintergrund auch eigene Migrationserfahrung - also selbst den Umzug in ein anderes Land erlebt.

Selbst gebastelte deutsch-türkische Flagge an einem Berliner Balkon während der Fußballweltmeisterschaft
Rainer Zenz
Anders als in den USA, dem "klassischen Einwanderungsland", in dem man stets eher stolz auf den hohen Bevölkerungsanteil von Einwanderern und deren Nachfahren war, taten sich deutsche Politiker lange Zeit schwer damit, diese Bezeichnung zu akzeptieren. 1982 schrieb die damalige Regierung aus CDU und FDP in ihren gemeinsamen Regierungsvertrag: "Die Bundesrepublik Deutschland ist kein Einwanderungsland. Es sind daher alle humanitär (also menschlich) vertretbaren Maßnahmen zu ergreifen, um den Zuzug von Ausländern zu unterbinden." Um zu verstehen, weshalb der Begriff lange Zeit so heftig umstritten war, müssen wir zunächst einen Blick auf die Geschichte der Zuwanderung nach Deutschland werfen. Welche Menschen sind überhaupt nach Deutschland gekommen und was waren die Gründe dafür?

Das "Wirtschaftswunder" und die "Gastarbeiter"

Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1949 erlebte die westdeutsche Wirtschaft einen unverhofften Aufschwung, der dazu führte, dass ein Mangel an Arbeitskräften herrschte. Deshalb wurden von 1955 bis 1973 Millionen von Arbeitern aus dem Ausland angeworben, die maßgeblich zum so genannten deutschen "Wirtschaftswunder" beigetragen haben. Die ersten dieser so genannten "Gastarbeiter" kamen aus Italien, später dann auch aus Spanien, der Türkei, Marokko, Portugal, Tunesien und Jugoslawien. Sie mussten häufig besonders schwere oder schmutzige Arbeit verrichten und wurden schlecht bezahlt.

Gastarbeiter von Volkswagen in Wolfsburg
Schaack, Lothar
Als die deutsche Wirtschaft 1973 im Zuge der Ölkrise schwächelte, wurde ein Anwerbestopp für ausländische Arbeitnehmer verhängt. Dennoch nahm die Zahl der Ausländer zu. Wie das beschönigende Wort "Gastarbeiter" schon verrät, hatte man es sich eigentlich so gedacht, dass diese Menschen nach Deutschland kommen, für die Wirtschaft schuften und dann, wenn sie nicht mehr gebraucht werden, wieder aus Deutschland weggehen. Stattdessen holten viele ausländische Arbeitskräfte ihre Familien nach, denn bei einer Rückkehr in ihre Heimatländer schien der Weg nach Deutschland für immer abgeschnitten.

Der Schriftsteller Max Frisch schrieb dazu: "Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen." Aus "Gastarbeitern" wurden Einwanderer. Sie und ihre Familien bilden noch immer die größte Gruppe der in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund. Das Migrationsgeschehen in der damaligen DDR war ebenfalls, wenn auch in geringerem Umfang als in der Bundesrepublik, von der Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte gekennzeichnet. Der dortige Arbeitskräftemangel war vor allem darauf zurückzuführen, dass von 1949 bis zum Mauerbau 1961 mehr als 2,7 Millionen Menschen von Ost- nach Westdeutschland abwanderten. Zwischen 1966 und 1989 warb die DDR rund 500.000 Arbeitskräfte aus Vietnam, Polen, Mosambik und anderen Staaten an. Sie arbeiteten unter schweren Bedingungen und lebten meist von der restlichen Bevölkerung getrennt in Gemeinschaftsunterkünften.

"Politisch Verfolgte genießen Asylrecht"

Eine kubanische Gastarbeiterin in der DDR
Kasper, Jan Peter
Während der Zeit des Nationalsozialismus nahmen viele Länder, wie beispielsweise die USA, deutsche Flüchtlinge auf und gewährten ihnen Schutz. Unter diesem Eindruck schrieben die Mütter und Väter des Grundgesetzes der Bundesrepublik folgende vier Worte in den Artikel 16: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." Das Wort "Asyl" stammt aus dem Griechischen, wo es so viel wie "sicher" bedeutet. Heute meint man damit zumeist Schutz vor Gefahr und Verfolgung. Deutschland, so die Botschaft des Artikels 16, sollte für alle Menschen, die in ihren Herkunftsländern aus politischen Gründen um ihre Gesundheit oder ihr Leben fürchten mussten, eine Zufluchtsstätte sein.

Das damals weltweit offenste Asylrecht gewährte allen, die glaubten, Anspruch darauf anmelden zu können, zumindest bis zur Entscheidung über ihren Antrag einen sicheren Aufenthalt. Auch in der DDR war das Asylrecht in der Verfassung verankert - vor allem Flüchtlinge aus Spanien, Chile und Griechenland wurden bis Mitte der siebziger Jahre aufgenommen. Wie bei den "Gastarbeitern" lagen aber auch hier die Zahlen deutlich unter denen von Westdeutschland. Beide Länder gehörten außerdem zu den mittlerweile 144 Unterzeichnerstaaten der "Genfer Flüchtlingskonvention", die vorschreibt, Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen zumindest vorübergehend Schutz zu gewähren.

"Grundrecht auf Asyl" wurde immer weiter eingeschränkt

Rumänische Asylbewerber in einer ehemaligen Kaserne in Berlin-Kaulsdorf, 1990
Deutsches Bundesarchiv
Anfangs nahmen nur wenige Menschen das Asylrecht der Bundesrepublik in Anspruch. Bis Anfang der siebziger Jahre stammten die meisten Asylanträge von Flüchtlingen aus den ehemals kommunistischen Staaten des "Ostblocks". Ihre Aufnahme galt nicht nur aus menschlichen Gründen als geboten, sondern war auch ein politischer Faktor im Wettstreit des kommunistischen Systems in Osteuropa und des demokratisch-kapitalistischen Systems in Westeuropa.

Gegen Ende der siebziger Jahre stiegen die Zahlen der Asylanträge deutlich an. Die Flüchtlinge stammten jetzt nicht mehr vorwiegend aus den "Ostblockstaaten", sondern meist aus den als "Dritte Welt" bezeichneten armen Ländern in Südamerika, Afrika und Asien. Als Reaktion auf die steigenden Antragszahlen wurde die Asylvergabe zunächst in der Praxis stark eingeschränkt. Schließlich wurde der Begriff der politischen Verfolgung auch gesetzlich immer enger gefasst und dadurch das Grundrecht auf Asyl nach und nach ausgehöhlt. So galt zum Beispiel selbst Folter, wenn sie in einem Verfolgerstaat als Bestrafung für die Inanspruchnahme verbotener demokratischer Grundrechte üblich war, nicht mehr als Asylgrund.

In den folgenden beiden Teilen unserer Reihe über Migration wirst du mehr erfahren über die Situation für Flüchtlinge und Migranten, das Thema Integration und das Problem der Fremdenfeindlichkeit sowie die Debatte um die "Festung Europa".

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letzte Aktualisierung: 20.07.2012

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