Eingliederung von Migranten und zunehmende Fremdenfeindlichkeit

Migration - Teil 2

Teil 2 von 3

von Sebastian Zender

Die größte Zuwanderungswelle erlebte Deutschland von 1988 bis 1993. In dieser Zeit kamen 7,3 Millionen Aussiedler, Asylbewerber, neue "Gastarbeiter" und nachziehende Familienangehörige ins Land, während nur 3,6 Millionen Personen Deutschland verließen. Es kam zu einer steigenden Fremdenfeindlichkeit, was nicht zuletzt daran lag, dass Politiker das schwierige Thema für Wahlkämpfe missbrauchten und - von Medien unterstützt - gegen angeblichen "Asylmissbrauch" Stimmung machten. Durch strengere Gesetze wurde es immer schwieriger für Flüchtende, Asyl in Deutschland zu bekommen. Zunehmend wurde über das Problem der mangelnden Eingliederung diskutiert. Noch immer sind viele Migranten kaum in die Gesellschaft integriert.

Gewaltbereite Rechtsextreme stellen in Deutschland immer noch ein großes Problem dar: Neonazis auf einer Demonstration.
Wikipedia
In den Jahren zwischen 1988 und 1993 wuchs die deutsche Bevölkerung durch Zuwanderung um 3,7 Millionen Menschen, was vermehrt zu sozialen Ängsten innerhalb der Bevölkerung führte. Viele Menschen befürchteten, durch Asylbewerber Konkurrenz auf dem ohnehin schwierigen Arbeitsmarkt zu bekommen.

Dies war jedoch unbegründet: Seit 1987 durften Asylbewerber für fünf Jahre - also meist die gesamte Zeit, in der ihr Antrag bearbeitet wurde - keine Arbeit annehmen. Auch nachdem diese Regelung 1991 aufgehoben wurde, war gesetzlich vorgeschrieben, dass Inländer gegenüber Arbeit suchenden Asylbewerbern grundsätzlich Vorrang hatten. Doch kam es in ganz Deutschland vermehrt zu gewalttätigen und teils tödlichen Übergriffen gegen Migranten oder deutsche Staatsbürger mit dunkler Hautfarbe.

Gewalt gegen Migranten

Dieses Rostocker Haus, in dem Asylbewerber wohnten, wurde 1992 von Rechtsextremen angegriffen.
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Ihren traurigen Höhepunkt erreichte die fremdenfeindliche Stimmung 1992 mit den Ausschreitungen im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen. Mehrere Hundert Rechtsextreme attackierten ein Haus, in dem Asylbewerber untergebracht waren. Nachdem dieses evakuiert wurde (also die Menschen an einen anderen Ort gebracht wurden), steckten sie ein Nachbarhaus, in dem sich 150 vietnamesische Flüchtlinge und ein Reporterteam des ZDF befanden, in Brand. Dabei wurden sie zeitweise von mehr als 3.000 Schaulustigen, die ausländerfeindliche Parolen grölten, angespornt.

Die Vietnamesen und das ZDF-Team konnten sich nur dadurch retten, dass sie aufs Dach des Hauses stiegen, da die deutschen Nachbarn die Notausgänge zu den Nachbarhäusern mit Ketten zugesperrt hatten. Erst nach vier Tagen gelang es der vollkommen überforderten Polizei, die Krawalle in den Griff zu bekommen. 204 Polizeibeamte wurden teils schwer verletzt.

Strengere Gesetze und weniger Zuwanderer

Inländer: Der afro-deutsche Nationalspieler Gerald Asamoah
Horst Ettensberger
Bereits 1991 wurde der Zuzug von Aussiedlern begrenzt. 1993 trat dann auch ein wesentlich strengeres Asylrecht in Kraft, seit welchem die historische Botschaft des Artikels 16 des Grundgesetzes kaum noch trägt. Zum einen haben seitdem alle Flüchtlinge, die aus so genannten "verfolgungsfreien" Ländern kommen, kein Recht mehr auf Asyl. Auf der Liste dieser Länder stehen allerdings auch Staaten, die nicht gerade für die vorbildliche Achtung der Menschenrechte bekannt sind. Zum anderen darf niemand mehr einen Asylantrag stellen, der über einen so genannten "sicheren Drittstaat" nach Deutschland eingereist ist und daher, so der Gedanke dahinter, auch dort eine Aufnahme hätte beantragen können.

Alle an Deutschland angrenzenden Länder gelten als solche "sicheren Drittstaaten". Flüchtlingen, die in Deutschland einen Asylantrag stellen möchten, bleibt also nur noch die Möglichkeit, mit dem Flugzeug anzureisen. Dies können sich die meisten aber überhaupt nicht leisten. Außerdem dürfen Flüchtlinge, die aus einem "verfolgungsfreien" Staat anreisen oder über keine gültigen Papiere verfügen, den Flughafen nicht verlassen. Über ihren Asylantrag wird in einem Schnellverfahren entschieden und im Falle der Ablehnung müssen sie sofort wieder zurück in ihre Herkunftsländer.

Diese höheren gesetzlichen Hürden haben - zusammen mit verschärften Kontrollen an den Grenzen - dazu geführt, dass sich die Einwandererzahlen drastisch reduziert haben. Während 1991 knapp 428.000 Menschen durch Immigration hinzukamen, waren es 1996 noch 149.000 und 2004 nur noch 55.000. Inzwischen gibt es sogar mehr Fort- als Zuzüge von Ausländern. Noch immer verbreiten rechte Politiker und ihre Anhänger gerne die Behauptung, Deutschland werde geradezu von Ausländern überschwemmt. In Wirklichkeit ist aber genau das Gegenteil der Fall: Heute lebt mehr als die Hälfte der 7,3 Millionen Ausländer schon zehn Jahre oder länger in Deutschland, darunter ein Drittel sogar länger als 20 Jahre. Und jeder fünfte "Ausländer" ist überhaupt kein Zuwanderer, sondern bereits in der Bundesrepublik geboren.

Rot-Grün sorgte für Veränderungen

Der hessische Ministerpräsident Roland Koch führte mit anderen CDU-Politikern eine Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, die ihm im Wahlkampf 1999 Stimmen brachte.
Kurz (Wikipedia)
Heute wird in Deutschland anders über Migration diskutiert als noch vor zehn Jahren. Das ist nicht zuletzt ein Verdienst der Regierung von SPD und Grünen, die 1998 an die Macht kam und bis zum Jahr 2005 regierte. Während der vorausgehenden 16-jährigen Kanzlerschaft von Helmut Kohl wurde von Regierungsseite an der Behauptung festgehalten, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Die rot-grüne Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder hingegen hat mit dem im Jahr 2000 in Kraft getretenen neuen Staatsangehörigkeitsrecht und dem Zuwanderungsgesetz von Anfang 2005 neue Akzente in der Migrationspolitik gesetzt. Sie erzielte insbesondere die allgemeine Anerkennung der Tatsache, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist.

Ursprünglich wollten SPD und Grüne mit dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht die so genannte "Doppelte Staatsbürgerschaft" einführen. Dadurch wäre es in Deutschland geborenen Kindern von Migranten, deren Eltern schon seit mehr als acht Jahren in Deutschland leben, möglich gewesen, sowohl die deutsche als auch die Staatsbürgerschaft ihrer Eltern zu übernehmen. Die CDU startete daraufhin eine Unterschriftenaktion gegen dieses Vorhaben, die häufig als politische Stimmungsmache auf Kosten von Migrantinnen und Migranten kritisiert wurde. Da die von der CDU regierten Länder damals eine Mehrheit im Bundesrat hatten, der dem Gesetzesvorhaben hätte zustimmen müssen, konnten SPD und Grüne sich letztlich nicht durchsetzen. Als Kompromiss einigten sich die Parteien schließlich auf das "Optionsrecht". Das bedeutet, dass hier geborene Kinder von Migranten sich mit Erreichen des 18. Lebensjahres für eine der beiden Staatsbürgerschaften entscheiden müssen.

Das neue Zuwanderungsgesetz von 2005 knüpfte, was Zuwanderung und die Aufnahme von Flüchtlingen angeht, zwar in großen Teilen die schon zuvor bestehenden gesetzlichen Strukturen an, doch es lag zum ersten Mal ein Gesetz vor, das alle Bereiche der Migrationspolitik umfassend regelte. Insbesondere rückte es ein bislang vernachlässigtes Thema in den Mittelpunkt: "Integration" wurde zum Zauberwort in der politischen und öffentlichen Diskussion über Zuwanderung in Deutschland.

Die Debatte um Integration

Kritisiert wird immer wieder, dass Einwanderer-Kinder zu wenig Unterstützung erhalten. Viele der Schüler sprechen nicht gut Deutsch und besuchen deshalb nach der Grundschulzeit die Hauptschule.
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Spätestens seit 2005 herrscht nicht nur Einigung darüber, dass Deutschland tatsächlich schon lange ein Einwanderungsland ist, sondern es setzte sich auch die Einsicht durch, dass die Bundesrepublik auch in Zukunft auf Einwanderung angewiesen sein wird. Weil in Deutschland immer weniger Menschen Kinder bekommen, schrumpft die Bevölkerung nämlich. Außerdem wird sie dadurch im Schnitt immer älter. Das könnte in absehbarer Zeit zu einem ernsthaften Problem für die sozialen Sicherungssysteme werden, weil immer weniger junge Menschen, die arbeiten, für immer mehr alte Menschen, die nicht mehr arbeiten, den Ruhestand finanzieren müssen.

Diese beiden Erkenntnisse führten dazu, dass man sich die Frage stellte, wie bereits in Deutschland lebende und zukünftig in unser Land kommende Zuwanderer besser in die Gesellschaft "integriert" werden können. "Integration" kommt vom lateinischen Wort "integer", das sich mit "ganz" übersetzen lässt. Es bedeutet also soviel wie "Herstellung eines Ganzen". In Bezug auf Migration ist damit all das gemeint, was dazu führen soll, dass Zuwanderer und die heimische Bevölkerung eine harmonische Einheit bilden.

Damit Integration gelingen kann, bedarf es Anstrengungen von beiden Seiten. Seit dem Zuwanderungsgesetz von 2005 ist die Förderung der Integration als Aufgabe des Staates gesetzlich verankert. Es wurden Integrationskurse eingeführt, in denen Zuwanderern die deutsche Sprache und Kenntnisse der deutschen Gesellschaft vermittelt werden sollen. Zuvor waren solche Angebote viel zu selten. Das ist sicherlich auch ein Grund dafür, dass manche Zuwanderer, obwohl sie schon viele Jahre in Deutschland lebten, nur schlecht Deutsch sprachen und deshalb zum Beispiel im Umgang mit Behörden Probleme hatten oder ihren Kindern nur schwer bei den Hausaufgaben helfen konnten.

Mehr Anforderungen an Migranten

Muslimische Frauen mit Kopftuch
The Weaver
Neben der Integrationsförderung wird aber auch immer mehr von Migranten gefordert. Immer wieder wird von ihnen verlangt, sich an die hiesigen Gepflogenheiten anzupassen. Seit 2008 müssen Zuwanderer, die die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen wollen, zum Beispiel einen so genannten "Einbürgerungstest" bestehen. Dabei müssen sie nicht nur nachweisen, dass sie Deutsch sprechen, sondern auch Fragen beantworten, in denen ihr Wissen über den deutschen Staat und ihre Einstellung zur Demokratie getestet werden sollen.

Zu bedenken ist, dass deutsche Staatsbürger hierzu auch keine Fragen beantworten müssen und vermutlich längst nicht alle Antworten auf die Wissensfragen wüssten. Maßnahmen wie diese, die an manchen Schulen eingeführte Pflicht, auf dem Schulhof Deutsch zu sprechen, oder das Gesetz, dass es Lehrerinnen verbietet, ein Kopftuch zu tragen, werden von vielen auch kritisch gesehen. Viele deutsche Urlauber scheren sich kaum um die Gebräuche anderer Länder und einige deutsche Auswanderer machen sich auch nicht die Mühe, die jeweilige Landessprache zu lernen. Insgesamt ist man sich weitestgehend einig, dass Integration nicht einfach nur in einer "Anpassung" der Zuwanderer bestehen kann, auch die eigene Gesellschaft muss offener werden.

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letzte Aktualisierung: 20.07.2012

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