07.01.2008
Ein brutaler Überfall auf einen Rentner in der Münchner U-Bahn hat die Diskussion über den Umgang mit gewalttätigen Jugendlichen wieder in Gang gebracht. Besonders ausländische Straftäter sind ins Visier geraten. Härtere Strafen, "Warnarrest", Abschiebung ausländischer Straftäter und Erziehungscamps fordern Politiker der CDU und CSU. Lassen sich so Gewalttaten verhindern, oder liegen die Probleme ganz woanders? Wie kann Jugendkriminalität bekämpft werden?
Der 76-jährige Rentner wurde von einem 20-jährigen Türken und einem 17-jährigen Griechen lebensgefährlich verletzt. In einer Münchner U-Bahn soll er die jungen Männer gebeten haben, das Rauchverbot im Abteil zu beachten. Als der Mann an der Endhaltestelle ausstieg, folgten ihm die beiden. Sie griffen ihn von hinten an, schlugen und traten auf den am Boden liegenden 76-Jährigen ein, bevor sie mit seinem Rucksack flüchteten. Der Rentner erlitt Schädelbrüche mit Einblutungen ins Gehirn. Dauerhafte Folgeschäden sind nicht auszuschließen.
Eine Überwachungskamera in dem U-Bahnhof zeichnete den Überfall auf. Ein Handy, das einer der beiden Männer zuvor gestohlen hatte, führte die Polizei schließlich zu den Tätern. Dieser soll kurz nach dem Angriff einen Freund angerufen und mit der grausamen Tat noch geprahlt haben. Der bestohlene Handybesitzer konnte eine Täterbeschreibung abgeben. Die Männer waren der Münchner Polizei schon vor der Tat gut bekannt. Bereits in 60 Fällen hatten die Jugendlichen als Diebe, Schläger und Dealer Bekanntschaft mit der Polizei gemacht. Am Morgen nach der Tat nahm die Polizei die Jugendlichen fest. Gegen sie wurde Haftbefehl wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung erlassen. Die beiden haben die Tat gestanden.
Dem 17-jährigen Griechen - wahrscheinlich der Haupttäter - drohen nun zehn Jahre Haft. Das ist die Höchststrafe, zu der ein Täter nach dem Jugendstrafrecht verurteilt werden kann. Bei 18- bis 20-Jährigen führt ein Jugendrichter den Prozess gegen die so genannten "Heranwachsenden". Das Gericht entscheidet hier von Fall zu Fall, ob ein Angeklagter reif genug und so nach dem schärferen Strafrecht für Erwachsene verurteilt wird oder ob die Strafe nach dem Jugendstrafrecht bemessen wird. Viele Menschen waren empört darüber, dass die der Polizei bekannten Täter vor der Tat überhaupt auf freiem Fuß waren.
Vorwurf gegen Roland Koch: "Ausländerhetze als Wahlkampf-Strategie"
Allen voran hat Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) den Fall für seinen Wahlkampf aufgegriffen und setzt das Thema als Nummer 1 für die bevorstehenden Landtagswahlen. Hessen wählt am 27. Januar 2008. Die Debatte war entbrannt - und auch in den Medien wurde viel häufiger über jugendliche Straftaten berichtet als sonst. Die Bekämpfung der Jugendkriminalität ist unbestritten ein wichtiges Thema - und zwar nicht erst seit dem brutalen Übergriff in München. Viele werfen Koch vor, dieses vor allem aus taktischen Gründen für den Wahlkampf zu nutzen, um Stimmen zu fangen - und dabei das Problem falsch und einseitig darzustellen. Ihm wurde von einigen Politikern eine Hetze vorgeworfen, die inhaltlich rechten Parteien entspreche.
Am 5. Januar hat sich der Bundesvorstand der CDU hinter Roland Koch gestellt und eine "Wiesbadener Erklärung" verabschiedet, in der gefordert wird, für Jugendliche einen "Warnschussarrest" einzuführen. Dies würde bedeuten, dass straffällige Jugendliche statt einer Strafe, die zur Bewährung ausgesetzt wird, direkt für einige Tage ins Gefängnis kommen. "Auf Bewährung" heißt, dass eine Strafe zwar verhängt wurde, aber nicht vollzogen wird, wenn der Verurteilte sich in einer bestimmten Frist "bewährt", also keine neuen Straftaten begeht. Für Straftäter zwischen 18 und 20 Jahren will die CDU im Regelfall das Erwachsenenstrafrecht anwenden. Das Höchststrafmaß soll auf 15 Jahre angehoben werden. Für ausländische Straftäter soll gelten: Nach einem verhängten Strafmaß von einem Jahr - anstatt wie bisher drei Jahren - sollen ausländische Straftäter abgeschoben werden können.
Nach geltendem Recht ist eine Abschiebung nur möglich, wenn der Täter nicht EU-Bürger ist. Sonst ist eine Ausweisung nur in Extremfällen zulässig, wenn eine "gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit" droht. Eine Ausweisung, um Abschreckung zu erzielen, wird vom Europäischen Gerichtshof abgelehnt. Auch Führerschein- oder Fahrverbote sowie Handyverbot will die CDU ins Jugendstrafrecht aufnehmen. Für jugendliche Straftäter sollen statt Gefängnis ebenso Aufenthalte in Erziehungscamps möglich sein, in denen sie auch Therapien bekommen. Beschlossen hat die gemeinsame Regierung aus SPD und CDU bereits, dass nach schweren Straftaten künftig auch Heranwachsende zwischen 18 und 21 Jahren in Sicherungsverwahrung geschickt werden können. Das bedeutet, dass der Täter auch dann nicht auf freien Fuß gesetzt wird, wenn er seine Strafe verbüßt hat, weil er weiterhin als gefährlich eingestuft wird.
"Kein Ausländer-, sondern ein Chancenproblem"
Roland Koch hat in seinem Wahlkampf verkündet, dass sich "auch Ausländer an klare Regeln zu halten haben". Koch will ein deutlich härteres Vorgehen gegen Gewalttäter durchsetzen. Aus der relativ kleinen Gruppe der jungen Ausländer verüben unverhältnismäßig viele Gewalttaten. Als "Zuwandererproblem" ist die Gewalt durch Jugendliche aber nicht zu lösen. "Jugendkriminalität ist kein Ausländer- sondern ein Unterschichtproblem", schrieb das Wochenmagazin "Die Zeit" im Januar 2008.
Nach dem Bericht "Entwicklung der Gewaltkriminalität junger Menschen" der Innenministerkonferenz vom Dezember 2007 ist die Jugendkriminalität in Deutschland insgesamt sogar zurückgegangen. Die Zahl an brutalen Gewalttaten durch junge Menschen gibt allerdings keinen Anlass zur Entwarnung. Bei Jugendgewalt ist wohl kaum die nationale Herkunft ausschlaggebend, sondern vielmehr die Stellung in der Gesellschaft: Elternhaus, soziale Kontakte, wie sehr ein junger Mensch gefördert, respektiert und wahrgenommen wird, wie viel Halt er findet und welche Möglichkeiten er hat, eine Ausbildung anzufangen oder einen Beruf auszuüben - all das ist entscheidend für seine persönliche Entwicklung.
Das Einkommen der Eltern hat auf die Chancen ihrer Kinder dabei einen starken Einfluss. Schon Vernor Muñoz, Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen, hat im März 2007 die ungleichen Möglichkeiten im deutschen Bildungssystem kritisiert (siehe Artikel "Scharfe Kritik am deutschen Schulsystem", der unten verlinkt ist). Die Zahl der Straftaten durch Ausländer weist also auch auf die gesellschaftlichen Missstände und die Perspektivlosigkeit vieler junger Menschen aus Einwanderer-Familien hin. Oft werden diejenigen gewalttätig, die in rauen Verhältnissen aufgewachsen sind, eine schwere Kindheit hatten und selbst geschlagen und misshandelt wurden.
Härtere Strafen = weniger Gewalt?
Ungeachtet dieser Probleme und Hintergründe setzen manche Politiker allein auf Härte. Der Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD) sagte, mitverantwortlich für die Gewalt-Misere bei Zuwanderern seien "zu lasche Richter". Diesen "Alles-Verstehern und -Verzeihern" sei der Zustand des Opfers völlig egal. Der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Christoph Frank, hält die Formel "härtere Strafen gleich höhere Abschreckung gleich weniger Straftaten" dagegen für schlicht falsch. Vielmehr bestehe in den Städten und Kommunen durch die Sparmaßnahmen ein Mangel an Hilfestellungen für straffällig gewordene Jugendliche, in ein normales Leben zu finden.
Auch Erziehungscamps sind zum Thema der Diskussion geworden. Hier sollen schwer erziehbare und schwer straffällig gewordene Jugendliche wieder Perspektiven finden. Unter dem Namen "Jugendhilfeeinrichtung" gibt es in Deutschland zum Beispiel das Erziehungscamp "Durchboxen" von Lothar Kannenberg in Kassel. Einige jugendliche Straftäter können entscheiden, ob sie einen Platz im Erziehungscamp haben wollen. Das Camp setzt auf Disziplin und Regeln und will die Selbstwahrnehmung der Straftäter schulen. In den USA gibt es seit den 80er Jahren so genannte "Boot-Camps". Hier werden Jugendliche mit harter Hand gedrillt. Das Konzept der Camps ist angelehnt an die brutale Militärschule der US-Marines: Der Wille soll - nicht selten mit Demütigungen, seelischen und körperlichen Misshandlungen - gebrochen werden, um ihn dann "wieder aufzubauen".
Einige Jugendliche haben das Boot-Camp nicht überlebt - seit 1990 sind 10 Todesfälle dokumentiert. Die verantwortlichen Wächter wurden angeklagt und vor Gericht gestellt - trotzdem gibt es nach Berichten immer wieder Vergewaltigungen und gewalttätige Übergriffe auf die Jugendlichen. Ein solches "Erziehungscamp" verstößt gegen die Menschenrechte. Die meisten Menschen halten diese Camps absolut für den falschen Weg, jugendliche Straftäter zu erziehen und ins normale Leben zurück zu führen. Es ist sehr fraglich, ob Brutalität wiederum durch Brutalität bekämpft werden kann und eine Abkehr von der Gewalt bewirkt. Experten sind überzeugt, dass auf diese Weise eher das Gegenteil erreicht wird. Damit die Jugendlichen wieder eine Perspektive haben sowie ein Verständnis für Moral entwickeln, brauchen sie neben festen Regeln auch gute Vorbilder sowie Halt, Zuspruch und seelische Betreuung.
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