von Felicia Chacón Díaz und Björn Pawlak
Die Piñatas sind ein Brauch mit sehr alten und teils religiösen Wurzeln, die bis nach China zurückreichen. Es sind vor allem die lateinamerikanischen Länder und Spanien, die diesen Brauch am Leben erhalten, aber auch in vielen anderen Ländern hat man sich das Spiel mit der Piñata abgeschaut. Das Osterfest, Weihnachten oder auch Kindergeburtstage sind beliebte Anlässe, um die Piñatas zu basteln und aufzuhängen.
Piñatas sind bunte Figuren, meist aus "Pappmaché" gemacht - man füllt sie mit Süßigkeiten oder Früchten und hängt sie auf, um den Kindern eine Freude zu machen. Der Begriff "Piñata" geht auf den italienischen Ausdruck "pignatta" zurück, der soviel wie "zerbrechlicher Topf" bedeutet. Im spanischen Ausdruck "Piñata" steckt aber auch das ebenfalls spanische Wort "piña" ("Ananas") - man wählte die Wortneuschöpfung aufgrund der Form der Piñatas, die an eine Ananas erinnert.
Die Piñatas werden an einem Seil so aufgehängt, dass sie über den Köpfen der Kinder schweben. Die Idee ist, die Piñata mit einem Stock durch Schläge aufzureißen, so dass es Süßigkeiten, Früchte oder auch andere Überraschungen "regnet".
Ähnlich wie beim "Topfschlagen" werden dem Kind (und manchmal auch einem Erwachsenen) die Augen verbunden, so dass es nicht genau sehen kann, wo es hinschlägt - vorher hat es sich allerdings schon gemerkt, wo die Piñata hängt. Die anderen Kinder und die Erwachsenen können das blind mit dem Stock in die Luft schlagende Kind unterstützen, indem sie ein Lied singen.
Oft braucht es viele Stockhiebe, bis die Piñata endlich aufplatzt und Geschenke "regnen" lässt - nach drei Schlägen mit dem Stock ist das nächste Kind dran. Man schafft es also nur gemeinsam, zum Ziel zu kommen. Nachdem die Piñata sich öffnet, dürfen alle Kinder so viel aufsammeln, wie sie schaffen.
Woraus sind die Piñatas gemacht?
Form und Beschaffenheit der Piñatas hat sich im Laufe der Jahrhunderte stark verändert. Heute werden die Piñatas fast ausschließlich aus Pappmaché (ein Gemisch aus Papier und Kleister) hergestellt, das man leicht in die verschiedensten Formen bringen kann. Nach dem Trocknen bemalt man die Figur nach Lust und Laune. Viele Piñatas haben die Form von bei Kindern beliebten Figuren - zum Beispiel aus Comics oder aus dem Fernsehen.
Früher waren die Piñatas nicht aus Pappmaché, sondern aus Tongefäßen, die mit buntem Papier eingewickelt wurden. Obwohl es schon im alten China eine Piñata-Tradition gab, gilt Mexiko als das Land, in dem die Piñatas zum ersten Mal richtig "populär" (das bedeutet "beim Volk beliebt") wurden. Von hier aus ahmte man die Tradition zunächst in Lateinamerika und in den USA und in den letzten Jahren langsam auch in Europa nach.
Die fertige Piñata füllt man mit Bonbons, Schokolade, Plätzchen, Konfekt, Nüssen und getrockneten oder auch frischen Früchten sowie mit allen möglichen kleinen Geschenken. Von der "Beute" darf später jeder etwas abhaben. In den lateinamerikanischen Ländern ist es üblich, die Piñatas zum Geburtstag aufzuhängen, in Mexiko feiert man mit ihnen das Osterfest und in Spanien sind sie eher ein Brauch zur Weihnachtszeit.
Wie zerschlägt man eine Piñata?
Bei lateinamerikanischen Kindergeburtstagen wird zunächst der Geburtstagskuchen angeschnitten und ein Geburtstagslied gesungen - anschließend versammeln sich alle Gäste rund um die Stelle, an der die Piñata aufgehängt wurde. Das Geburtstagskind darf die Stelle sehen, danach verbindet man ihm die Augen und gibt einen hölzernen Stock oder Stab zur Hand, mit dem die Piñata zerschlagen werden soll.
Um die Aufgabe für das Kind noch schwerer zu machen, ist es üblich, die an einem Seil befestigte Piñata bei den Schlagversuchen des Kindes so hochzuziehen, dass sie dem Stock ausweicht. Ein Erwachsener übernimmt diese Aufgabe - das Kind mit dem Stock muss also damit rechnen, dass es gar nicht so leicht ist, die Piñata zu treffen.
Jedes Kind bekommt schon vorher eine Tüte oder einen Beutel, so dass die herabfallenden Süßigkeiten sofort aufgesammelt werden können. Normalerweise schlägt das Geburtstagskind zuerst, wenn es ihm allerdings nicht gelingt, die Piñata sofort aufzureißen - und das passiert selten - wird Stock und Augenbinde an das nächste Kind weitergereicht.
Das Spiel geht solange weiter, bis die Piñata vollständig zerstört ist und all ihren Inhalt preisgegeben hat. Natürlich gibt es zwischen den Kindern am Boden einen kleinen Wettstreit um die verschiedenen Gaben - den kleineren Kindern helfen die Erwachsenen, so dass niemand leer ausgeht.
Die Geschichte der Piñatas: Wurzeln im alten China
Man glaubt, dass die Piñatas zum ersten Mal im alten China aufgetaucht sind, und zwar im Rahmen des Frühlingsfestes. Die Füllung für die aus Papier hergestellten Piñata-Figuren der alten Chinesen waren aber nicht Süßigkeit oder Ähnliches, sondern unterschiedliche Samen ("Saatgut"). Sowohl die Form der chinesischen Piñatas (beliebte Motive waren Kühe oder Büffel) als auch ihr Inhalt war Sinnbild für die Fruchtbarkeit - das "Piñata-Ritual" sollte sicherstellen, dass die kommenden Monate eine reiche Ernte bringen würden.
Wie zu späteren Zeiten wurden die chinesischen Piñatas mit Stöcken geschlagen, bis sie aufplatzten und die Samen freigaben. Die von den Samen befreiten Piñatas wurden verbrannt - am Frühlingsfest teilnehmende Menschen bewahrten von der Piñata-Asche ein wenig auf, denn diese Asche galt als Glückssymbol.
Marco Polo, der erste Europäer, der ins Innerste der chinesischen Kultur vordrang, beobachtete die chinesischen Piñata-Bräuche und überlieferte sie bei seiner Rückkehr nach Italien den Europäern. Das ist auch der Grund, warum das Wort "Piñata" der italienischen Sprache entlehnt ist - Marco Polo und seine Zeitgenossen sprachen von "pignatta" ("zerbrochener Topf").
Piñatas in Europa und Amerika: Religiöse Umdeutung
Im stark christlich geprägtem mittelalterlichen Europa wurde der aus China überlieferte Piñata-Brauch den eigenen Bedingungen angepasst und mit religiöser Bedeutung aufgeladen. In Italien führte man zur 40 Tage währenden Fastenzeit vor Ostern den so genannten "Piñata-Sonntag" ein - stets am ersten Sonntag der Fastenzeit ahmte man das von Marco Polo beschriebene Zerschlagen und Verbrennen der Piñata-Figuren nach.
Nach einiger Zeit übernahmen die Spanier diesen Brauch von den Italienern - in Spanien benutzte man typischerweise ein tönernes Gefäß ("olla" genannt), das mit buntem Papier eingewickelt und mit bunten Bändern geschmückt wurde.
Die mittelamerikanischen Azteken kannten einen Brauch, der große Ähnlichkeit mit der spanischen Piñata-Version hatte - zum Ende ihres Kalenderjahres brachten sie ihrem Gott Huitzilopochtli einige Kostbarkeiten als Opfergabe. Aufbewahrungsort für die Kostbarkeiten war ein mit Federn geschmücktes Tongefäß, das in einer bestimmten Ecke ihrer Tempelanlagen bereitgestellt wurde. Zur rechten Zeit wurde das Gefäß mit einem Stab zerschmettert, um dem Gott das Geschenk zu offenbaren.
Auch bei den Maya gab es Vergleichbares: Inhalt der im Rahmen von Ritualen zu zerschlagenden Tongefäße waren nicht Gold, Silber und Edelsteine wie bei den Azteken, sondern Kakaobohnen. Von den Maya stammt auch die Tradition, dass der Person, die das Tongefäß zu zerschlagen hat, vorher die Augen verbunden werden - auch dies geschah zu Ehren der Götter.
Als nach der Entdeckung und Eroberung Amerikas durch die Europäer ab 1492 die Zwangsbekehrung der altamerikanischen Bevölkerung begann, machten sich die christlichen Missionare die Piñata-Bräuche der Azteken und Maya zunutze. Sie sahen im Piñata-Spiel einen Schnittpunkt zwischen den Religionen und versuchten auf diesem Wege, den indianischen "Heiden" Jesus Christus näher zu bringen und ihnen die fremde Religion "schmackhaft" zu machen.
Piñatas als Symbol für die sieben "Todsünden"
Hochmut (lateinisch "Superbia"), Geiz ("Aravitia"), Wollust ("Luxuria"), Zorn ("Ira"), Völlerei ("Gula"), Neid ("Invidia") und Faulheit ("Acedia") galten in der christlichen Theologie des Mittelalters als die sieben "Todsünden". Die christlichen Missionare waren fantasievoll genug, um sich eine Piñata-Figur auszudenken, die diese Todsünden und ihren Urheber, den gefallenen Engel "Satan", repräsentieren sollte.
Wenn man also auf diese Figur (eine Kugel mit sieben Zapfen) einschlug, dann bekämpfte man nach Sicht der Missionare das Böse, oder trieb es aus. Das Tongefäß, welches die spanischen Missionare als Piñata benutzten, hieß "cantero" - es wurde mit Papier und Schnüren in ausdrucksstarken Farben geschmückt. Besonders wichtig war allerdings die Form - der Ball in der Mitte der Figur symbolisierte den Teufel, die sieben spitz zulaufenden Zapfen symbolisierten die Todsünden.
Die Symbolik ist einleuchtend: Die Sünden gehen aus dem Bösen hervor, sie sind Ausläufer Satans. Die schillernden Farben sollten symbolisieren, wie verlockend das Böse zuweilen auf die Menschen einwirken kann. Die Symbolik ging noch weiter: Die Piñata hängt über den Köpfen der Menschen - der Kampf gegen das Böse kann nur gewonnen werden, wenn man auf die Kräfte des Himmels ("Gott") baut. Der mit dem Stock nach der Piñata schlagenden Person werden die Augen verbunden - man muss "blind" seinem Glauben folgen, nur dann ist Rettung möglich.
Während man zuschlägt, kann man von den Stimmen der anderen in die Irre geführt werden, man darf nicht auf sie hören - nur mit dem Stab (ein Symbol für den "aufrechten" Glauben) kann das Böse zerstört werden. Und wenn die Piñata einmal zerschlagen ist, dann "regnet" es vom Himmel herab Geschenke in Form von Früchten, Süßigkeiten und anderem - Lohn für den, der sich der Ehre Gottes als würdig erwiesen hat.
Dass man anschließend den Piñata-Inhalt miteinander teilte, war ein Zeichen für die Barmherzigkeit Gottes. Heutzutage ist die Piñata-Tradition weitgehend frei von der eben beschriebenen religiösen Symbolik - die meisten Menschen wissen über die alten Bedeutungen überhaupt nicht Bescheid. Dennoch sind es auch heute vor allem die stark katholisch geprägten Länder in Lateinamerika, die diesen alten Brauch aufrechterhalten.
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