29.11.2015
Am 23. November 2015 zollten in der Hamburger Kirche St. Michaelis zahlreiche hochrangige politische Gäste wie Bundeskanzlerin Angela Merkel oder Bundespräsident Joachim Gauck einem Mann ihren Respekt, der die 1970er und 1980er Jahre in Deutschland wie kein zweiter geprägt hat. Alt-Kanzler Helmut Schmidt, der am 10. November im Alter von 96 Jahren gestorben war, wurde in einem Staatsbegräbnis in seiner Heimatstadt Hamburg beigesetzt. Ein solcher feierlicher Staatsakt dient in Deutschland als größtmögliche Würdigung für Menschen, die Herausragendes für den deutschen Staat geleistet haben. Und zu diesen Menschen zählt Helmut Schmidt zweifelsohne.
Geboren wurde der Sohn eines Lehrerehepaares am 23. Dezember 1918 im Hamburger Stadtteil Barmbek. Schmidt wuchs in einem wohlbehüteten, gutbürgerlichen Elternhaus auf, bis er im Jahre 1937 sein Abitur machte. Als Jugendlicher im Dritten Reich musste er danach den Wehrdienst und den Reichsarbeitsdienst ablegen. Bei diesem handelte es sich um verpflichtende Tätigkeiten für junge Männer zwischen 18 und 25 Jahren, bei denen Ackerland bearbeitetet, Straßen gebaut oder bei der Ernte geholfen werden musste. Seinen Wehrdienst leistete Schmidt bei der Flakartillerie, die der Abwehr von feindlichen Flugzeugen diente, in Bremen ab.
Im Jahre 1939 begann der Zweite Weltkrieg. Zunächst wurde Schmidt bei der Luftabwehr in Bremen eingesetzt, ehe er 1941 das erste Mal für vier Monate an der Ostfront dienen musste. Anschließend arbeitete er für das Reichsluftfahrtministerium in Berlin und Bernau. 1942 heiratete Schmidt im Alter von 23 Jahren Hannelore Glaser, die Tochter eines Werftmitarbeiters aus Hamburg. Loki, wie sie seit ihrer Kindheit genannt wurde, war bis zu ihrem Tod im Jahre 2010 eine stetige Begleiterin und enge Vertraute ihres Mannes. Ende 1944, als sich der Zweite Weltkrieg seinem Ende entgegen neigte und Deutschland kurz vor der Niederlage stand, schickte man Schmidt noch einmal an die Westfront. Im April des Jahres 1945 wurde er schließlich in der Lüneburger Heide von britischen Soldaten gefangengenommen und in die Kriegsgefangenschaft geführt, aus der er im August desselben Jahres entlassen wurde. Seine Erlebnisse während des Krieges haben Schmidt seiner eigenen Aussage nach sein ganzes Leben lang geprägt.
Im ersten Jahr nach dem Krieg begann Schmidt in Hamburg ein Studium der Fächer Volkswirtschaft und Staatswissenschaft. Im Alter von 28 Jahren trat er im Jahre 1946 der SPD bei, da er sich in der Partei Kameradschaft versprach, die er in den vorherigen Jahren an der Kriegsfront ebenfalls erlebt hatte. Er wählte die SPD als seine Partei aus, da sie seiner Meinung nach diejenige war, die im Dritten Reich am weitesten davon entfernt gewesen war, mit den Nationalsozialisten und Hitler zusammenzuarbeiten. Schnell arbeitete Schmidt sich in der SPD nach oben. 1947 wurde er Bundesvorsitzender des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes und kurz darauf ein hoher Mitarbeiter in der Wirtschafts- und Verkehrsbehörde der Stadt Hamburg. Schon 1953 zog Schmidt erstmals für die SPD in den Bundestag ein. Dort machte er sich schnell einen Namen als "Schmidt-Schnauze", da er ein großes Talent für überzeugende Reden hatte. Beispielsweise setzte er sich gegen die Bewaffnung Deutschlands mit Atomwaffen ein.
Ruhm durch Einsatz bei der Sturmflut in Hamburg
Kurz nachdem er in Hamburg Innensenator geworden war, verließ er 1962 den Bundestag wieder. Im selben Jahr musste Schmidt sein Handlungs- und Organisationsgeschick das erste Mal unter Beweis stellen. Bei einer schlimmen Hochwasserkatastrophe an der Elbe in Hamburg kamen 340 Menschen ums Leben. Nur Schmidts konsequentem Handeln, manchmal war er auch sehr rücksichtslos und unangepasst, war es zu verdanken, dass die Flut nicht noch mehr Menschenleben forderte. Zum Beispiel setzte er die Bundeswehr in der Krisenhilfe ein, deren Einsatz im eigenen Land laut der damaligen Verfassung eigentlich nicht erlaubt war. Die Menschen aber waren von Schmidt beeindruckend, so dass er sich einen Ruf als hervorragender Krisenmanager verdiente. Schmidt packte an und sorgte dafür, dass die Dinge erledigt werden.
Im Jahre 1965 wurde auch die Bundes-SPD auf Helmut Schmidt aufmerksam. Der damalige Berliner Bürgermeister Willy Brandt, der als Bundeskanzler kandidierte, holte Schmidt in sein Kabinett. Nachdem die SPD zusammen mit der CDU eine Große Koalition, also ein gemeinsames Bündnis, gebildet hatte, wurde Schmidt wieder Mitglied des Bundestags und übernahm gleichzeitig die Führung der Bundestagsfraktion der SPD. In dieser Funktion setzte er seine Interessen oftmals in einer sehr ruppigen, bestimmenden Art und Weise durch, so dass sein Führungsstil bei vielen anderen Menschen aneckte.
Aufstieg zum Bundeskanzler
Im Jahre 1969 wurde sein Parteigenosse Willy Brandt Bundeskanzler und Schmidt von diesem in seine Regierung aufgenommen. Die SPD musste mit der FDP ein Bündnis eingehen und Schmidt übernahm ab nun das Amt des Verteidigungsministers. Er setzte sich ausdrücklich dafür ein, dass Atomwaffen in Deutschland im Angesicht des Kalten Kriegs erhalten bleiben sollten, um das Gleichgewicht aller Armeen in Europa zu wahren. Dies stieß innerhalb der eigenen Reihen auf großen Widerstand.
Im Jahre 1972 übernahm Helmut Schmidt das Amt des kurz zuvor zurückgetretenen Finanzministers Karl Schiller. Nachdem im selben Jahr ein Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Brandt gestellt und die Vertrauensfrage nicht positiv beantwortet worden war, kam es zu Neuwahlen. Auch diese konnte die SPD für sich entscheiden. Brandt blieb Bundeskanzler. In seinem neuen Kabinett wurde Schmidt abermals Finanzminister und stieg gleichzeitig zum zweitwichtigsten Mann hinter Brandt in der Regierung auf. Als Finanzminister betonte Schmidt vor allem die große Bedeutung der Vollbeschäftigung für das Land, also der Zustand, dass es mehr offene Stellen als Bürger gibt, die Arbeit suchen.
Die Regierung Brandt geriet in eine schwere Krise. Es kam 1973 zu einer großen Ölkrise, worunter die Wirtschaft im Land stark litt. In die Geschichte ging auch die Affäre um den Spion Günter Guillaume ein. Es stellte sich heraus, dass Guillaume, der seit Jahren ein enger Mitarbeiter und Vertrauter von Willy Brandt war, in Wirklichkeit ein Spion im Dienste der DDR war. Im Zuge dieser Affäre trat Willy Brandt 1974 als Bundeskanzler zurück. Im darauffolgenden Jahr wurde Helmut Schmidt sein Nachfolger. Auch er hatte mit den Wirtschaftskrisen zu kämpfen. Doch Schmidt war der richtige Mann am richtigen Ort. Seine Fähigkeiten als Mensch, der schnell und wirkungsvoll handelt, sollten in dieser Zeit dem Land zugutekommen. In den Mittelpunkt seines Wirkens stellte er die Stabilität in Deutschland und Europa, die Verbesserung der Situation auf dem Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft sowie die Bedeutung zur Erhaltung und Erfüllung des Grundgesetzes. So stieg sein Ansehen auch weltweit immer weiter an.
Schmidts Regierung in der Krise
Eine der größten innenpolitischen Krisen erlebte Deutschland im Herbst des Jahres 1977. Das Land wurde von mehreren terroristischen Anschlägen der Roten Armee Fraktion (RAF) erschüttert. Dazu zählten auch die Entführung und spätere Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer, die Entführung des Flugzeugs "Landshut" und der Selbstmord einiger RAF-Führungsmitglieder wie Andreas Baader in einem Gefängnis in Stuttgart-Stammheim. Die Regierung unter Helmut Schmidt schaffte es mit einem kühlen Kopf und entschlossenem Handeln, die Unruhen im eigenen Land abzubauen.
Zu einem weiteren Konflikt kam es, als Helmut Schmidt und zahlreiche andere Staatsoberhäupter im Dezember des Jahres 1979 den so genannten NATO-Doppelbeschluss verabschiedeten. Dieser forderte von der damaligen Sowjetunion eine Abrüstung ihrer Atomwaffen. Sollte sie dieser Forderung nicht nachkommen, würden die westlichen Staaten ihrerseits neue Nuklearwaffen bauen lassen. Die Situation im Kalten Krieg spitzte sich immer weiter zu. Diese Nachrüstung stieß in der deutschen Politik, aber vor allem auch in der Bevölkerung, auf großen Widerstand. Auch auf die Tatsache, dass Schmidt weiterhin auf die gefährliche Kernenergie vertraute, reagierte das Volk mit großem Unverständnis. Infolgedessen gründete sich eine große Friedens- und Anti-Atomkraft-Bewegung in Deutschland, aus der im Jahre 1980 schließlich die Bundestagspartei "Die Grünen" hervorgehen sollte.
Helmut Schmidt sah sich nun immer schwerwiegenderen Problemen und größerem Widerstand ausgesetzt. Schmidts Energie- und Rüstungspolitik sowie eine große Schulden- und Arbeitsmarktkrise sorgten dafür, dass das Bündnis mit der FDP brüchig wurde. 1982 schließlich zerbrach die Koalition und es wurde ein Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt gestellt. Dieses hatte zu Schmidts Leidwesen Erfolg: Er wurde abgewählt und der CDU-Politiker Helmut Kohl wurde neuer deutscher Bundeskanzler. Obwohl Schmidt noch bis zum Jahre 1987 Mitglied des Bundestags war, musste er im Jahr 1983 eine weitere Niederlage einstecken. Die SPD rückte nun von seinen so nachdrücklich geforderten Plänen des NATO-Doppelbeschlusses ab. Dennoch hielt die CDU-Regierung unter Kohl weiterhin an dem Beschluss fest.
Sein Wirken nach dem Ende der Kanzlerschaft
Schmidt verzichtete auf eine weitere Kandidatur als Bundeskanzler und wandte sich anderen Dingen zu. Ab dem Jahr 1985 war er Mitherausgeber der Zeitung "Die Zeit". Seit 1986 traf er sich mit dem ehemaligen französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d'Estaing und diskutierte mit ihm über die Europäische Währungsunion, die über ein Jahrzehnt später zum Euro führen sollte, und über die Gründung einer Europäischen Zentralbank.
Bis zu seinem Tode war Schmidt weiterhin unermüdlich als politischer Begleiter und Kommentator aktiv, der sich oft mit weisen Ratschlägen, aber auch genauso mit böser Kritik bemerkbar machte. Sowohl Politiker der späteren Regierungen unter Gerhard Schröder oder Angela Merkel als auch die Menschen in der Bevölkerung schätzten seine Meinung. Vor allem das Bild eines alternden Helmut Schmidt, der in einer Fernsehsendung Zigarette rauchend das Weltgeschehen und die politischen Entwicklungen in Deutschland kommentierte, werden den Menschen noch lange in Erinnerung bleiben. Auch wenn er selbst darauf bestand, sich nicht nur auf diese Fähigkeit beschränken zu lassen, so galt Helmut Schmidt als Politiker als eine Leitfigur, vor allem in Zeiten der Krise und der Not. Seine Art von Politik gilt auch noch heute bei vielen als vorbildhaft.
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