21.01.2015
Seit einigen Wochen sorgt eine Bewegung mit dem Namen "Pegida" für viele Debatten. Diese Bewegung entstand Ende des Jahres 2014 in der sächsischen Landeshauptstadt Dresden. Seither treffen sich jeden Montag anfangs hunderte und nun mittlerweile tausende Menschen zu Protestdemos, die sie selbst "Spaziergänge" nennen. Die Pegida-Anhänger haben es zu ihrem Ziel erklärt, die westliche, "abendländische" Kultur zu schützen und fühlen sich von "zu vielen Muslimen" in Deutschland bedroht. Gleichzeitig gibt es immer mehr Proteste gegen Pegida und in ganz Deutschland finden Gegen-Demonstrationen statt. Nun trat "Pegida-Chef" Lutz Bachmann von seinen Ämtern zurück, weil ausländerfeindliche Aussagen in seinem Facebook-Profil an die Öffentlichkeit gelangten. Was sind die Hintergründe?
"Pegida" ist die Abkürzung für "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes". Diesen Namen haben die Organisatoren der Bewegung gegeben, weil sie befürchten, dass in Deutschland in einigen Jahren die Menschen muslimischen Glaubens einen Großteil der Bevölkerung stellen könnten. Als Grund für diese Befürchtung geben die Demonstranten an, dass Deutschland angeblich zu vielen Menschen aus islamischen Ländern die Einreise gestatten oder Asyl gewähren würde. Viele der Demonstranten glauben, dass dadurch eines Tages der Islam sogar zur stärksten Religion in Deutschland und ganz Europa werden könnte. Dadurch sehen die Demonstranten ihre eigene, christlich geprägte Kultur in Gefahr.
Tatsächlich leben allerdings nach Schätzungen zwischen drei und vier Millionen Muslime in Deutschland - das sind knapp fünf Prozent der Gesamtbevölkerung (von 100 Menschen in Deutschland sind also höchstens fünf Muslime). In Sachsen, wo die Bewegung "Pegida" entstand und die meisten Anhänger hat, sind es sogar nur 0,1 Prozent! Insgesamt leben in Sachsen sehr wenige Ausländer und Menschen mit Migrationshintergrund. Auch die "Massenflüchtlingsströme", vor denen Pegida warnt, lassen sich mit Zahlen keinesfalls belegen. Die Zahl der Menschen, denen Asyl in Deutschland gewährt wird, ist in den vergangenen Jahrzehnten sogar deutlich gesunken. Kritiker wenden ein, dass es für Menschen in Not immer schwieriger geworden ist, in einem sicheren europäischen Land Zuflucht zu finden und sprechen von der "Festung Europa". Warum findet Pegida dennoch so viel Zustimmung und was steckt hinter der Befürchtung der Menschen?
Die erste Demonstration von Pegida fand Mitte Oktober 2014 statt. Damals fanden sich nur einige hundert Menschen in der Dresdner Innenstadt ein, um gegen eine ihrer Meinung nach drohende "Islamisierung" Deutschlands zu protestieren. Damit ist gemeint, dass die Kultur in unserem Land immer stärker vom Islam geprägt werden könnte. Die Demonstration stand unter dem Motto "Gewaltfrei und vereint gegen Glaubens- und Stellvertreterkriege auf deutschem Boden". Mit diesem Slogan sprachen sich die Veranstalter dafür aus, dass Konflikte zwischen verschiedenen religiösen Richtungen oder politischen Strömungen nicht in Deutschland ausgetragen werden sollten. Schon bald erreichten die Kundgebungen immer mehr Menschen und es schlossen sich tausende Bürger den Aufrufen der Organisatoren an. Viele von ihnen kamen nicht nur aus Dresden und Umgebung, sondern reisten aus ganz Deutschland an. An der Demonstration am 12. Januar 2015 nahmen nach Polizeiangaben etwa 25.000 Menschen teil.
Pegida-Chef tritt wegen ausländerfeindlicher Hetze zurück
Organisiert wurden die Proteste meist über das Internet. Der "Erfinder" von Pegida, Lutz Bachmann, gründete im Oktober 2014 eine Facebook-Gruppe. Diese Gruppe protestierte dagegen, dass Deutschland Waffen in ein Kriegsgebiet im Norden des Iraks liefert. Im Internet rief diese Gruppe zu Protesten gegen die Politik der Bundesregierung auf. Die Demonstrationen der Dresdner Facebook-Gruppe wurden auf den Montag gelegt, um damit an die Montagsdemonstrationen zu erinnern, die 1989 zum Sturz der DDR-Regierung führten. Aber nicht nur der gewählte Wochentag lehnt sich an die DDR-Bürgerbewegung an, sondern auch die Parole "Wir sind das Volk!", die auf den Demonstrationen gerufen wurde. Mit diesen Rufen gingen damals auch die DDR-Bürger im Herbst 1989 auf die Straße, um friedlich für ihre Freiheit zu kämpfen.
Der bisherige "Pegida-Chef" Lutz Bachmann behauptete immer wieder, dass Pegida keine ausländerfeindliche Bewegung sei und unter ihren Unterstützern auch Menschen muslimischen Glaubens seien. Am 21. Januar ist er allerdings auf starken Druck von seinen Ämtern zurückgetreten, weil ihm vorgeworfen wird, auf seinem privaten Facebook-Konto hetzerische und ausländerfeindliche Parolen verkündet zu haben. Außerdem ist ein Foto aufgetaucht, auf dem Bachmann mit einem Adolf-Hitler-Bart posiert. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun sogar wegen des Verdachts der "Volksverhetzung". Die übrigen Pegida-Organisatoren distanzierten sich ausdrücklich von den Äußerungen Bachmanns und gaben an, diese würden nicht die Haltung ihrer Bewegung wiedergeben.
Der Pegida-Gründer war von Anfang an ein umstrittener Mann und ist in der Vergangenheit schon oft mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Bachmann war 16 Mal in verschiedene Betriebe eingebrochen und dafür zu einer Haftstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Weil er aber nicht ins Gefängnis wollte, floh er nach Südafrika und lebte dort unter falschem Namen. Schließlich flog seine Tarnung auf und er wurde wieder nach Deutschland gebracht. Auch nach seiner Haftstrafe hat der "Pegida-Chef" gegen Gesetze verstoßen. So wurde Bachmann zweimal im Besitz von Drogen erwischt und bekam eine Bewährungsstrafe. Auch andere Organisatoren von Pegida haben eine teilweise bedenkliche Vorgeschichte. Wie verschiedene Zeitungen herausgefunden haben, sind unter ihnen auch ehemalige Politiker, die durch eine fremdenfeindliche Haltung aufgefallen sind. Einer musste wegen seiner ausländerfeindlichen Sprüche sogar von seinen CDU-Funktionen zurücktreten.
Gegen "Asyl-Missbrauch" und "Lügenpresse"
Die Organisatoren der Demonstrationen wollen nicht mit Reportern von Zeitungen und Fernsehsendern über ihre Ziele reden. Sie fordern auch die Demonstranten auf, nicht mit Vertretern der Presse zu sprechen. Die Pegida-Organisatoren erklären diese Haltung damit, dass die Presse ihre Aussagen so verdrehe, dass die Bewegung in ein falsches Licht gerückt würde. Dieses "Presseverbot" begründet Pegida damit, dass die meisten Zeitungen, Radio- und Fernsehsender in Deutschland nicht wahrheitsgetreu informieren würden. Als Beispiele nennen die Demonstranten die Berichterstattung über die Finanzkrise, den Krieg in Syrien, die Ereignisse in der Ukraine oder auf der Halbinsel Krim. Viele der Demonstranten glauben den Berichten der Presse nicht mehr und beschimpfen Journalisten oder Fernsehleute mit dem Wort "Lügenpresse".
Ausgangspunkt der Demonstrationen war die Angst vor dem so genannten Islamismus, der radikalen und gewaltbereiten Ausprägung des islamischen Glaubens. Mit der Zeit allerdings kamen noch weitere Forderungen und Kritikpunkte der Demonstranten hinzu. Die Organisatoren veröffentlichten ein Schreiben, auf dem insgesamt 16 Forderungen standen. Darin spricht sich Pegida dafür aus, nur Menschen aus Bürgerkriegsgebieten in Deutschland Asyl zu gewähren. So genannte "Wirtschaftsflüchtlinge", die aus Armut ihre Heimat verlassen, sollten kein Asyl bekommen.
Für solche Fälle schlagen die Pegida-Anhänger die Schaffung eines Einwanderungsgesetzes vor, wie es in Kanada oder der Schweiz existiert. Außerdem fordern sie von Ausländern in Deutschland eine "Pflicht zur Integration", also dazu, sich den gesetzlichen und moralischen Normen in Deutschland anzupassen. Auch die Verfahren, in denen festgestellt wird, ob jemandem überhaupt Asyl gewährt wird, sollen nach Ansicht der Pegida-Organisatoren extrem verkürzt werden. Asylbewerber, die sich strafbar machen, oder "Islamisten und religiöse Fanatiker" sollen nach Wunsch von Pegida sofort aus Deutschland ausgewiesen werden.
Rechtsextreme und von der Politik Enttäuschte
Die Pegida-Demonstrationen haben von Anfang an Menschen angezogen, die Vorurteile gegenüber Ausländern oder Angst vor muslimischen Zuwanderern haben. Ihnen wäre es am liebsten, wenn nur sehr wenige Ausländer in Deutschland leben würden - und nur solche, die sich der "deutschen Kultur" so weit wie möglich anpassen. Sie behaupten, dass viele Ausländer, die nach Deutschland kommen, Straftaten begehen würden oder nur hierher kämen, um Geld vom deutschen Staat zu erhalten. Manche Deutschen fühlen sich sogar bereits vom Anblick vieler Ausländer in deutschen Städten gestört, da sie sich dann "nicht mehr wie in Deutschland" fühlen würden. Sie wollen nicht, dass Dresden "eines Tages so aussieht wie Frankfurt am Main", wie einer der Demonstranten sagte. Viele Demo-Teilnehmer haben auch Angst, dass in Deutschland islamistische Anschläge wie in Paris, Madrid oder London drohen könnten. Diese Befürchtung haben allerdings nicht nur politisch rechts eingestellte Menschen und Pegida-Anhänger.
Es finden sich auf den Demonstrationen auch Menschen, die offen rechtsradikale Einstellungen vertreten. Obwohl sich Pegida ausdrücklich von rechtsextremen Meinungen distanzierte und betonte, für einen friedlichen Protest zu stehen, demonstrierten auch Parteifunktionäre und Anhänger der rechtsextremen NPD mit. Auch gewaltbereite rechte Fußballfans, so genannte Hooligans, wurden auf den Demonstrationen gesehen. Auf einigen Demo-Plakaten waren Sprüche wie "Sachsen bleibt deutsch!" oder "Multikulti stoppen!" zu sehen. Offene rechtsextreme Propaganda-Plakate oder Fahnen von rechten Parteien haben die Pegida-Organisatoren verboten.
Zu den Demos kommen darüber hinaus viele Bürger, weil sie mit der allgemeinen Lage im Land unzufrieden sind. Einigen von ihnen geht es überhaupt nicht um Zuwanderung und Muslime in Deutschland. Sie empören sich zum Beispiel, dass Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben, nun als Arbeitslose nur noch "Hartz 4" bekommen. Auch die Bildungs- und Rentenpolitik der Bundesregierung kritisieren die Demonstranten. Viele von ihnen glauben, dass die Politiker sich nicht mehr um die Probleme des Volkes kümmern. Und letztlich wird auch die Außenpolitik der Bundesregierung kritisiert. Die Sanktionen (politische Strafmaßnahmen) gegen Russland und die Unterstützung der neuen westlichen Regierung in der Ukraine gefährden nach Ansicht vieler den Frieden in Europa.
Laut der Studie der TU Dresden besteht die Mehrheit der Pegida-Anhänger aus Arbeitern, Angestellten und Selbstständigen. Lediglich zwei Prozent gaben an, arbeitslos zu sein. Auch die Bildung der Demonstrationsteilnehmer ist besser, als von einigen Kritikern zunächst behauptet oder vermutet. 38 Prozent haben laut Studie die Realschule abgeschlossen, mehr als jeder Vierte (28 Prozent) ein Studium absolviert und 16 Prozent das Abitur. Lediglich fünf Prozent haben einen Hauptschulabschluss.
Politik hat Glaubwürdigkeit verloren
Mit ihren Parolen gegen "Islamisten" treffen die Pegida-Demos auf fruchtbaren Boden - insbesondere nach den Terroranschlägen in Paris Anfang Januar. Wie eine Studie der Bertelsmann-Stiftung herausfand, empfindet mehr als die Hälfte (57 Prozent) der Deutschen den Islam als Bedrohung. Am stärksten ist laut Studie dieses Gefühl in Thüringen und Sachsen verbreitet. Dort haben sieben von zehn Menschen Vorbehalte gegen den Islam. Die Wissenschaftler fanden eine merkwürdige Tatsache heraus: "Die Angst ist am stärksten dort, wo die wenigsten Muslime leben". In der Studie ist weiter zu lesen, dass die Angst vor dem Islam offenbar auch vom Alter abhängt. Ältere Menschen haben mehr Vorbehalte gegen Muslime als junge Menschen.
Offenbar spielt die Angst vor dem Islam dennoch keine so große Rolle unter den Pegida-Anhängern, wie man vermuten könnte. Wie eine neue Studie der Technischen Universität Dresden zeigt, geht es der deutlichen Mehrheit - nämlich drei Vierteln der Demonstranten - nicht hauptsächlich darum, gegen die drohende "Islamisierung des Abendlandes" zu protestieren. Mehr als die Hälfte (54 Prozent) der Pegida-Anhänger sind allgemein mit der Politik unzufrieden. Fünf von zehn Demonstranten (20 Prozent) kritisieren Medien und Öffentlichkeit. Lediglich 15 Prozent zeigten laut der Studie Vorbehalte gegenüber Asylbewerbern und Zuwanderern.
Daher kommt bei den "Spaziergängen" längst nicht nur das Thema Islam zur Sprache. Die Demonstranten fordern auch die Möglichkeit, in Deutschland so genannte "Volksentscheide" abzuhalten, über Themen, die für die Menschen besonders wichtig sind. Als Vorbild nennen sie die Schweiz, wo es solche Volksentscheide gibt. Daneben fordert Pegida von den Politikern und Medien ein "Ende der Kriegstreiberei gegen Russland", ein Waffenexportverbot, weniger Macht für das Europaparlament in Brüssel und mehr Geld für die Polizei in Deutschland.
Kritik und Gegen-Demonstrationen
Die Demonstrationen in Dresden werden von den meisten Politikern kritisiert. Viele Politiker sehen in den Forderungen der Demonstranten rechtes Gedankengut. So griff der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Ralf Jäger (SPD), die Verantwortlichen von Pegida an und nannte sie "Neonazis in Nadelstreifen". Bundesinnenminister Thomas de Maizière von der CDU sagte: "Pegida ist eine Unverschämtheit". De Maizière, der selbst in Dresden wohnt, räumte aber ein, dass man die Sorgen der Bürger ernst nehmen müsse.
SPD-Chef Gabriel sagte, die Demonstranten müssten klar machen, dass sie mit Neonazis nichts zu tun hätten. "Man darf nicht alle, die da demonstrieren, einfach so als Neonazis abtun. Aber die, die demonstrieren und keine Neonazis sind - die müssen sich auch von den Neonazis distanzieren." Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht die Demonstrationen kritisch. "Folgen Sie denen nicht, die dazu aufrufen", warnte sie in ihrer Neujahrsansprache vor Pegida. Die Demonstranten riefen zwar "Wir sind das Volk", sagte Merkel, "aber tatsächlich meinen sie: Ihr gehört nicht dazu - wegen eurer Hautfarbe oder eurer Religion". Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich kritisierte die Demonstrationen, streckte aber auch die Hand zum Dialog aus. Man müsse mit den Menschen mehr ins Gespräch kommen, um ihnen die Unsicherheit zu nehmen, sagte der CDU-Politiker.
Zustimmung ernteten die Demonstranten bei der Partei Alternative für Deutschland (AfD). Vize-Chef Alexander Gauland sagte nach einem Besuch in Dresden: "Ich sehe keine Rechtsradikalen. Ich sehe Bürger, die auf die Straße gehen aus Sorge um Entwicklungen in Deutschland, die Angst haben. Aber ich habe bis jetzt keine Rechtsradikalen gesehen".
Nachdem die Demos der Pegida immer mehr Zulauf erhielten, organisierten viele Bürger, die diese Demonstrationen für falsch und gefährlich halten, Proteste dagegen. In mehreren Großstädten Deutschlands gingen Tausende auf die Straßen, um gegen Fremdenhass und für Toleranz zu demonstrieren. Auch in Dresden versammelten sich nach einem Aufruf von verschiedenen Parteien und Organisationen etwa 35.000 Menschen vor der Frauenkirche, um sich gegen Pegida zu stellen.
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