von Felicia Chacón Díaz und Björn Pawlak - 16.10.2012
In Venezuela steht bereits seit dem Jahr 1999 mit Hugo Chávez Frías ein sozialistischer Politiker an der Spitze des Staates. Mit seinem Programm versucht der Staatspräsident seitdem, der Armut und der sozialen Ungerechtigkeit innerhalb der venezolanischen Bevölkerung entgegen zu wirken. Der Erfolg dieses Vorhabens wird sehr unterschiedlich bewertet. Beliebt ist Chávez vor allem bei den ärmeren Bürgern des Landes. Die wohlhabende Oberschicht hingegen steht ihm und seiner Bewegung ablehnend bis feindselig gegenüber. Nun wird Chávez für sechs weitere Jahre regieren. Welche Ziele verfolgt der mächtige Präsident, was hat sich unter seiner Regierung in Venezuela verändert und was sagen seine Befürworter und Kritiker?
Obwohl in den Medien in den Tagen vor den Wahlen am 7. Oktober 2012 davon die Rede war, dass Chávez diesmal gegen seinen Herausforderer Henrique Capriles Radonski die Niederlage drohe, setzte er sich letztlich mit einem Stimmenanteil von rund 55 Prozent souverän gegen seinen Herausforderer, der rund 44 Prozent der Stimmen erhielt, durch. Damit heißt der Präsident Venezuelas für die Jahre 2013 bis 2019 einmal mehr Hugo Chávez.
Chávez sieht sich und die von ihm vertretene politische Bewegung in der Tradition des südamerikanischen Unabhängigkeitskämpfers Simón Bolívar (1783-1830), der einst gegen die spanischen Kolonialherren kämpfte. Bolívars Anliegen war es, die Völker Lateinamerikas zu vereinen, um sich geschlossen von der Einflussnahme Europas und der Vereinigten Staaten von Amerika auf dem Kontinent zu befreien. Lateinamerika blickt nämlich auf eine lange Geschichte der Ausbeutung durch Europa und die USA zurück (siehe auch die Serie "Die Ureinwohner Amerikas"). Chávez versteht seine Bemühungen als Fortsetzung der "Bolivarischen Revolution" (auch "Bolivarianische Revolution" genannt).
Das spiegelt sich auch im Namen von politischen Einrichtungen wieder: "ALBA" etwa, die "Bolivarianische Allianz für die Völker unseres Amerikas" (auf Spanisch "Alianza Bolivariana para los Pueblos de Nuestra América"), ist ein wirtschaftliches und politisches Bündnis zwischen den lateinamerikanischen Staaten Antigua und Barbuda, Bolivien, Dominica, Ecuador, Kuba, Nicaragua, St. Vincent und die Grenadinen und Venezuela - ursprünglich wurde ALBA im Jahr 2004 als Abkommen zwischen Venezuela und K uba von Chávez und dem kubanischen Staatschef Fidel Castro ins Leben gerufen. Der "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" ist also eine Bewegung, die vor Staatsgrenzen nicht Halt macht - Chávez versucht mit seiner Politik auch in anderen Staaten Einfluss zu gewinnen.
Auch in anderen lateinamerikanischen Staaten wurden im letzten Jahrzehnt "linke" Kandidaten zu Präsidenten gewält - so zum Beispiel Evo Morales (seit 2006) in Bolivien, Néstor Kirchner (2003 bis 2007) und später seine Ehefrau Cristina Fernández de Kirchner (seit 2007) in Argentinien, Fernando Lugo (2008 bis 2012) in Paraguay oder Rafael Correa (seit 2007) in Ecuador. Die genannten Regierungen zeichnet oder zeichnete eine kritische Haltung gegenüber der kriegerischen US-amerikanischen Dominanz aus, ebenso die Ablehnung des von Weltbank, Welthandelsorganisation (englisch "World Trade Organization", kurz "WTO") und Internationalem Währungsfonds (englisch "International Monetary Fund", kurz "IMF") angepriesenen "Freihandels".
Vom Staatsfeind zum gewählten Präsidenten
Hugo Chavez wurde am 28. Juli 1954 in der kleinen Stadt Sabaneta im Westen Venezuelas geboren. Er stammt aus eher ärmlichen Verhältnissen und wollte anfangs Maler oder Baseballspieler werden - Baseball ist in vielen lateinamerikanischen und vor allem karibischen Ländern so beliebt wie hierzulande Fußball.
Schließlich schlug Chávez aber eine militärische Laufbahn ein, indem er im Alter von 17 Jahren in die Militärakademie in der Hauptstadt Caracas aufgenommen wurde. Seine militärische Ausbildung schloss er im Rang eines Oberstleutnants ab. Später heiratete er zweimal und wurde fünfmal Vater. Von 1983 bis Anfang der 1990er Jahre, also während seiner Militärzeit, führte Chávez die Gruppierung "Revolutionäre Bolivarische Bewegung 200" an. Chávez und seine damaligen Mitstreiter waren überzeugt davon, dass die venezolanische Regierung nicht im Sinne der Bevölkerung handle und deshalb gestürzt werden müsse.
Im Jahr 1992 stand Chávez an der Spitze eines versuchten Staatsstreiches gegen den damals amtierenden Präsidenten Carlos Andrés Pérez - wenn das Militär die bestehende Regierung gewaltsam stürzen will, spricht man von einem "Militärputsch". Der Putsch scheiterte allerdings und Chávez musste für zwei Jahre ins Gefängnis. Da eine Mehrheit der Bevölkerung den damaligen Putschversuch unterstützt hatte, legte Chávez mit dieser Aktion den Grundstein für seinen späteren politischen Erfolg.
Bei den Wahlen Ende des Jahres 1998 gelang Chávez der Sprung an die Staatsspitze schließlich auf gesetzliche und demokratische Art und Weise, im Februar 1999 begann dann seine Präsidentschaft. Zugute kam ihm dabei vor allem sein rednerisches Geschick - Chávez gilt als ein "Mann des Wortes", was er während seiner Präsidentschaft in seinen oft sehr langen Reden und Ansprachen im venezolanischen Fernsehen unter Beweis stellte. Das Land erhielt nun eine neue "bolivarische" Verfassung. Die Bevölkerung stimmte der neuen Verfassung durch eine Volksabstimmung ("Referendum") zu.
2002: Putsch gegen Chávez
Im Jahr 2002 wurde Präsident Chávez selbst zum Opfer eines Putsches - durch seine Politik der Verstaatlichung hatte sich Chávez mächtige Feinde in der Wirtschaft gemacht. Auch die katholische Kirche versagte dem Präsidenten ihre Unterstützung. Zum Zeitpunkt des Putsches war ein Streik ausgebrochen. So standen sich zwischen dem 8. und 11. April 2002 auf den Straßen der Hauptstadt Caracas die unterschiedlichen demonstrierenden Lager gegenüber - die Unterstützer des Präsidenten auf der einen Seite, seine Gegner auf der anderen Seite.
Am 11. April fielen plötzlich Schüsse, Chaos und Massenpanik brachen aus. 19 Menschen kamen ums Leben, rund 300 wurden verletzt. Zunächst hieß es seitens der privaten Medien, dass die Chávez-Unterstützer das Feuer eröffnet hätten. Das machte sich die Opposition (die nicht regierenden politischen Kräfte) zunutze und rechtfertigte damit einen Putsch gegen den Präsidenten. Später stellte sich durch Augenzeugenberichte und weiteres Filmmaterial heraus, dass nicht Demonstranten das Feuer eröffneten, sondern versteckte Scharfschützen. Es handelte sich wahrscheinlich um eine gezielte Aktion politischer Gegner, um den Ausbruch von Gewalt und in der Folge den Sturz des Präsidenten zu bewirken. Im Fernsehen wurde durch die manipulierte Aneinanderreihung von Bildern der Eindruck erweckt, dass die Unterstützer von Chávez für den Ausbruch der Gewalt verantwortlich waren - in diesem Zusammenhang war später auch die Rede von einem "Medienputsch".
Nach dem Putsch kam es zu weiteren Feuergefechten und Straßenschlachten sowie zu Hausdurchsuchungen. Bis zu 70 weitere Menschen kamen ums Leben. Chávez wurde vom Militär in Gewahrsam genommen und später auf die Insel La Orchila gebracht. Übergangspräsident Pedro Carmona löste am 12. April das Parlament und das Oberste Gericht auf.
Aufgrund der Massenproteste, bei denen die Menschen lautstark die Rückkehr des Präsidenten Chávez aus der Militärhaft verlangten, setzte beim Militär abermals ein Umdenken ein. Die Anhänger von Chávez versammelten sich rund um den Präsidentenpalast Miraflores und weigerten sich, nach Hause zu gehen. Der kommandierende General Efraín Vázquez Velasco entzog daraufhin den Putschisten seine Unterstützung und verlangte, dass das Parlament und das Gericht wieder eingesetzt wurden. Am 13. April kehrte Chávez zurück, die politischen Gegenkräfte wurden verhaftet oder flohen.
Es gibt Belege dafür, dass die US-Regierung unter Präsident George W. Bush in die Vorbereitung des Putsches verwickelt war. Seitens der USA und der US-amerikanischen Geheimdienste gibt es eine lange Tradition, sich in die innenpolitischen Angelegenheiten der lateinamerikanischen Staaten einzumischen, um nicht gewünschte politische Entwicklungen in diesen Ländern durch offene oder versteckte Gewalt zu verhindern. Ein demokratisches Selbstbestimmungsrecht der Völker Lateinamerikas wurde seitens der US-Regierungen nicht akzeptiert. Auch Spanien unter der Regierung von José María Aznar unterstützte den Putsch gegen Chávez aktiv, was später auch von offizieller Seite bestätigt wurde. Nach 2002 gab es weitere Versuche der politischen Gegner, die Regierung Chávez gewaltsam zu stürzen.
Wie erfolgreich ist seine Politik?
Die Einschätzungen zur Politik von Chávez gehen weit auseinander - nicht nur in Venezuela sind die Menschen sehr gespalten. Im System Chávez hat es sowohl Gewinner als auch Verlierer gegeben. Venezuela verfügt über gewaltige Erdölressourcen. Diese wurden vor der Präsidentschaft von Chávez privat ausgebeutet, die Mehrheit der Bevölkerung konnte am Gewinn in keiner Weise teilhaben.
Dies hat sich heute zwar geändert, Kritiker von Chávez klagen aber darüber, dass große Teile der Bevölkerung Venezuelas trotz des Öleinkommens noch immer sehr arm sind. Deutlich mehr Menschen haben heutzutage jedoch Zugang zu medizinischen Einrichtungen. Auch in der Bildung gibt es Fortschritte: Mehr Kinder gehen mittlerweile zur Schule und die Erfolge beim Kampf gegen den Analphabetismus - also das Unvermögen zu lesen und zu schreiben - sind beachtlich.
Positiv war außerdem die demokratische Verabschiedung einer Verfassung im Jahr 1999, die auch in der Gesellschaft diskutiert und schließlich durch eine Volksabstimmung bestätigt wurde. Anders als in manchen anderen Ländern kennen die Menschen die Inhalte ihrer Verfassung und damit auch ihre Rechte und Pflichten. In Venezuela werden einzelne Paragraphen der Verfassung sogar auf die Verpackungen von Lebensmitteln gedruckt, damit die Menschen im Alltag daran erinnert werden. Die Regierung hat außerdem durch Subventionen - das sind staatliche Förderungen - dafür gesorgt, dass für zahlreiche ärmere Arbeitnehmer feste Beschäftigungsverhältnisse geschaffen wurden. Noch immer ist Venezuela längst kein Land, in dem der Wohlstand gleichmäßig verteilt ist. Jedoch ist das Vermögen zumindest gerechter verteilt als in den Jahren vor der Chávez-Regierung.
Ein Problem bleibt die hohe Kriminalität in den Armenvierteln. Die Hauptstadt Caracas zählt noch immer oder sogar mehr als zuvor zu den gefährlichsten Städten der Welt. Mit dem Aufbau eines Polizeiapparates und dem Versuch, die Ursachen für die hohe Kriminalität zu bekämpfen, ist Chávez bislang gescheitert.
Teilweise fließt das venezolanische Öl auch zu "Freundschaftspreisen" in solche Länder, deren Regierungen sich politisch auf einer Wellenlänge mit Venezuela befinden - zum Beispiel nach Kuba, welches im Gegenzug gut ausgebildete Ärzte nach Venezuela schickt (Programm "Ärzte für Öl"). Der staatliche venezolanische Ölverband "Petrocaribe" verkauft das Öl, wenn es der Regierung sinnvoll erscheint, auch deutlich unter dem Weltmarktpreis.
Für die Gründung des Bündnisses ALBA spielte die Regierung Chávez eine bedeutende Rolle. ALBA ist eine Abkürzung und zugleich ein Wortspiel - im Deutschen bedeutet das spanische Wort "alba" so viel wie "Morgenröte". Daneben gibt es noch ein weiteres Bündnis namens "Unasur" ("Union Südamerikanischer Nationen"), zu dessen Zustandekommen Venezuela unter Chávez einen entscheidenden Beitrag geleistet hat. Zu den Mitgliedsstaaten gehören neben Venezuela auch Argentinien, Brasilien, Bolivien, Chile, Ecuador, Guyana, Kolumbien, Paraguay, Peru, Suriname und Uruguay ). Unasur entstand 2008 als internationale Organisation unter brasilianischer Führung - die USA sind in diesem Bündnis nicht vertreten. Durch Unasur sind die lateinamerikanischen Staaten ein Stück weit unabhängiger von den USA geworden.
Kritik am venezolanischen Präsidenten
Chávez wird oft vorgeworfen, als Politiker einen "populistischen" (also möglichst "publikumswirksamen") Stil zu verfolgen, die Menschen aufzuwiegeln und leere Versprechungen zu machen. Man muss dabei allerdings beachten, dass die politische Kultur in lateinamerikanischen Ländern eine andere ist und der Wahlkampf bisweilen sehr gefühlsbetont und aggressiv ausgefochten wird. Zudem sind Politiker Personen, die bis zu einem gewissen Grad immer "populistisch" auftreten (müssen), um Unterstützung bei der Bevölkerung zu finden. In den Massenmedien wird dies oft nur bestimmten Politikern zum Vorwurf gemacht.
Ein Vorwurf lautet, dass die Pressefreiheit in Venezuela stark eingeschränkt sei. Dagegen gehalten wird, dass die privaten Medien im Land nach wie vor einflussreich sind - so wird die Regierung Chávez in Fernsehsendungen und in Zeitungen regelmäßig angegriffen oder auch verunglimpft, was bei gelenkten Medien ausschließlich im Sinne der Regierung nicht der Fall ist. Auf der anderen Seite setzt sich der Präsident sehr häufig in den Medien in Szene. In seiner Fernsehshow "Aló Presidente" wendete sich Chávez jeden Sonntag teils über mehrere Stunden hinweg an seine Zuschauer, um seine Politik zu erklären und die Menschen zu überzeugen. Während seine Kritiker das als "Propaganda" (also gezielte Beeinflussung der Menschen über die Medien) ansehen, finden andere es positiv, dass der Präsident sich erklärt und gesellschaftliche Diskussionen anstößt oder die von den Medien produzierten "Wahrheiten" kommentiert. Teilweise mussten alle Radio- und Fernsehkanäle regelmäßig Sendezeit zur Verfügung stellen, um ihm für seine politischen Botschaften eine Plattform zu gewähren.
Kritiker - vor allem in westlichen Ländern - werfen Chávez außerdem seine engen Verbindungen zur iranischen Regierung vor. Die beiden Öl exportierenden Länder arbeiten wirtschaftlich zusammen und streben an, den Ölpreis gegen den Einfluss der USA zu schützen. Auch verteidigte Chávez das Atomprogramm des Irans und bezeichnete den iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad als "Kämpfer für eine gerechte Sache". Diesem wird jedoch in westlichen Medien vorgeworfen, einen demokratiefeindlichen Unrechtsstaat anzuführen, der von Unterdrückung gekennzeichnet ist und gegen wichtige Menschenrechte verstößt.
Kritik erntet Chávez unter anderem dafür, dass ein Großteil der Exporte (ins Ausland gelieferte Waren) noch immer aus Rohstoffen besteht - allen voran natürlich aus Erdöl. Gleichzeitig muss Venezuela den Großteil seiner benötigten Nahrungsmittel aus dem Ausland einkaufen, wodurch es auf gefährliche Weise vom internationalen Rohstoffmarkt abhängig bleibt. Chavéz' Politik geht hier einigen Kritikern, die mit seinen Überzeugungen zum großen Teil übereinstimmen, noch nicht weit genug. Sie fordern einen wirtschaftlichen Umbau, der das Land zur Selbstversorgung auch mit Lebensmitteln befähigen könnte.
Außerdem wird Chávez vorgeworfen, die von ihm geforderten Strukturen einer "direkten Demokratie" kaum umgesetzt zu haben - damit ist gemeint, dass die Bevölkerung unmittelbar an politischen Entscheidungen beteiligt wird. Stattdessen sprechen manche Beobachter von einem "ausufernden", wenig leistungsstarken und zunehmend auch korrupten (bestechlichen) Staatsgefüge.
Letztlich ist häufig die Rede von einer zu großen Machtfülle des Präsidenten, die an "Personenkult" (übermäßige Verehrung einer mächtigen Person) grenze. Wie stabil wären die politischen Errungenschaften ohne eine solche Führungspersönlichkeit wie Chávez? Diese Frage wurde zuletzt laut, als im Jahr 2011 die Krebserkrankung des Präsidenten bekannt wurde. Nachdem er sich auf Kuba einer Therapie unterzogen hatte, versicherte Chávez rechtzeitig zum Wahlkampf 2012 seine vollständige Genesung. Er kündigte bereits an, dass er dem Land noch bis zum Jahr 2030 als Präsident dienen möchte. Zunächst einmal müsste er allerdings die nächste Präsidentschaftswahl im Jahr 2019 für sich entscheiden.
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