von Britta Pawlak - 21.06.2010
Der französische Philosoph und Schriftsteller Jean-Paul Sartre war einer der einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts. Seine Philosophie wurde in der Nachkriegszeit als "geistiger Aufbruch" empfunden. Die Schriften Sartres sorgten nicht nur für Diskussionen unter den Denkern, Autoren und Künstlern in den Pariser Cafés, sondern erlangten schließlich Weltberühmtheit. Bis zuletzt blieb Jean-Paul Sartre, vor allem wegen seiner politischen Aktivitäten, eine umstrittene Persönlichkeit.
Jean-Paul Sartre kam am 21. Juni 1905 in der französischen Hauptstadt Paris auf die Welt. Der Junge war kaum älter als ein Jahr, als sein Vater Jean-Baptiste an Gelbfieber starb. Kurz darauf zog seine Mutter Anne-Marie zurück zu ihren Eltern. Sein eigentlicher Erzieher wurde daher sein Großvater Charles Schweitzer, ein Onkel des berühmten deutschen Missionsarztes und Philosophen Albert Schweitzer. Jean-Pauls Großvater, ein Deutschlehrer an einem Gymnasium, war ein belesener Mann, der seinen Enkel schon früh literarische Werke und geistige Themen näher brachte.
Jean-Paul erkrankte als kleiner Junge an einer Linsentrübung am rechten Auge, die dazu führte, dass seine Sehkraft immer stärker beeinträchtigt war und das Auge nach außen wanderte. Er war ein schüchterner Junge, hatte wenig Kontakte zu anderen Kindern und schrieb im Alter von sieben Jahren bereits erste literarische Texte. Sartre beschrieb seine Kindheit als einsam - die Außenwelt erlebte er als eher abweisend, und auch in seiner eigenen Familie fühlte er sich nicht wirklich zugehörig.
Der junge Sartre: Schulzeit und Studium
Jean-Paul besuchte das angesehene Pariser Gymnasium Lycée Henri-IV, auf welchem er den späteren Schriftsteller Paul Nizan kennenlernte. Auch durch den Einfluss seines Freundes Paul begann Jean-Paul Sartre, sich mehr und mehr für die zeitgenössische Literatur zu interessieren. Die beiden Jungen bestanden die Aufnahmeprüfung für ein Lehramtstudium an der École Normale Supérieure, einer sehr angesehenen Hochschule. Der Student Jean-Paul belegte Kurse in Philosophie, Psychologie, Soziologie, Latein und weiteren Fächern. Der junge Sartre war, im Gegensatz zu seinem Freund Paul Nizan, kein Mitglied der Kommunistischen Partei, teilte aber seine politischen Einstellungen größtenteils.
Die abschließende Prüfung für das Amt als Gymnasialprofessor bestand Sartre erst im zweiten Anlauf. Bei den Vorbereitungen lernte er die damals 21-jährige Simone de Beauvoir kennen. Jean-Paul Sartre belegte bei der Prüfung nun den ersten Platz, Simone de Beauvoir den zweiten. Beauvoir und Sartre verband schon bald eine enge Freundschaft, die bis zum Ende ihres Lebens anhielt. Die beiden waren zunächst in verschiedenen Städten Frankreichs als Lehrer tätig, trafen sich aber regelmäßig in Paris. Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir interessierten sich für philosophische Themen und die Psychoanalyse Sigmund Freuds und tauschten ihre Ansichten und Ideen intensiv miteinander aus.
Erste literarische Erfolge
Sartre schrieb weiterhin literarische Texte, und auch Beauvoir begann, einen Roman zu verfassen. Als Jean-Paul Sartre in der Hafenstadt Le Havre unterrichtete und an seiner Doktorarbeit arbeitete, litt er zeitweise unter starken Depressionen. Ab 1933 verbrachte er ein Jahr am Institut Francais in Berlin und begann, sich intensiv mit deutschsprachigen Philosophen zu beschäftigen - neben dem deutschen Denker Georg Wilhelm Friedrich Hegel setzte er sich insbesondere mit den Schriften des gebürtigen Österreichers Edmund Husserl auseinander. Sartre und Beauvoir verfolgten mit Sorge, dass die faschistischen Kräfte in Europa erstarkten und engagierten sich zunehmend auch politisch. Im Jahr 1937 bekamen sie beide eine Stellung in Paris und zogen in den Pariser Vorort Neuilly.
Jean-Paul Sartre erlebte nun auch erste Erfolge als Schriftsteller. Im Jahr 1938 erschien sein Roman "Der Ekel" (französisch: "La Nausée"), in welchem der Ich-Erzähler Roquentin tiefe Sinnkrisen durchlebt, sich zunehmend entfremdet fühlt und sich dazu entschließt, seine Tätigkeit als Historiker aufzugeben und einen Roman zu schreiben. Ein Jahr später kam Sartres "Die Mauer" (französisch "Le Mur") heraus, ein Sammelband mit verschiedenen Erzählungen. Sartre war mit zahlreichen französischen Autoren bekannt und befreundet - unter ihnen der Schriftsteller und Philosoph Albert Camus, der ein wichtiger Vertreter der zeitgenössischen "rebellischen Literatur" war.
In deutscher Gefangenschaft
Der Zweite Weltkrieg brach aus und Frankreich erklärte Deutschland am 3. September 1939 den Krieg. Auch Sartre wurde eingezogen und fand im Elsass zunächst viel Zeit, an seinem Roman und an philosophischen Schriften zu arbeiten. Im Juni 1940 geriet seine Einheit in deutsche Gefangenschaft und wurde in ein Internierungslager nahe Trier gebracht. Seine Manuskripte wurden Jean-Paul Sartre abgenommen, ihm jedoch später wieder ausgehändigt.
Sartre standen in der Zeit der Gefangenschaft nur wenige, deutschsprachige Bücher zur Verfügung. Sein besonderes Interesse galt dem umfangreichen Werk "Sein und Zeit" des deutschen Philosophen Martin Heideggers, das auch die spätere Philosophie Sartres beeinflussen sollte. Weiterhin schrieb Jean-Paul Sartre an einem politischen Theaterstück und wurde - anders als andere Gefangene - nicht zur Zwangsarbeit in deutsche Fabriken geschickt. Aufgrund der Teilerblindung seines Auges wurde er im März 1941 freigelassen und kehrte nach Paris zurück.
Sartre entwickelt seine eigene Philosophie
Sartre begann mit der Arbeit an seinem eigenen philosophischen Werk "Das Sein und das Nichts" (französisch: "L'Être et le néant"). Insbesondere im Pariser Café de Flore schrieb Sartre, wann immer er Zeit hatte, an seiner Schrift. Er befasst sich darin mit dem "Sein" und der menschlichen Existenz. Für Sartre hatte der Mensch eine Sonderrolle, weil er sich als einziges Lebewesen über seine Existenz bewusst ist.
Im Mittelpunkt der Philosophie Sartres steht daher der Mensch - es geht um seine Freiheit und seine Möglichkeit der Selbstverwirklichung. Sartre meint, dass die Welt und die Existenz zunächst ohne Sinn sind - der Mensch ist in eine Welt "geworfen", in der er sich fremd fühlt. Dies kann zu Gefühlen der Angst, des Ekels oder der Langeweile führen. Der Mensch ist nach Sartre "zur Freiheit verurteilt" und muss selbst die Verantwortung für sich und sein Leben übernehmen. Das bedeutet aber auch, dass er Entscheidungen treffen und durch sein Handeln dem eigenen Leben einen Sinn verleihen kann.
Auch seine Freundin Simone de Beauvoir arbeitete an philosophischen Schriften. Berühmt wurde ihr Werk "Das andere Geschlecht", das zur bedeutenden Schrift für die Frauenbewegung wurde. Dort setzt sich die Philosophin mit der Rolle der Frau auseinander, die sich aus der lange währenden Unterdrückung und Fremdbestimmung befreien müsse. Frauen sollten nach Beauvoir ihre traditionelle Geschlechterrolle ablegen, auf welche die Gesellschaft sie über lange Zeit hinweg festgelegt hatte - denn das Wesen und die Aufgabe der beiden Geschlechter seien nicht angeboren, sondern von außen bestimmt. Gesellschaftliche Traditionen, Werte und Vorurteile könnten allerdings überwunden werden, wenn man sich darüber bewusst wird und die Verantwortung für sein Leben selbst übernimmt - die Haltung Beauvoirs ist der Sartres somit sehr ähnlich.
Aufstieg zum berühmten Denker und Autor
Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre wurden zum berühmtesten Philosophenpaar ihrer Zeit. Sie gründeten die politische Widerstandsgruppe "Sozialismus und Freiheit" ("Socialisme et liberté") und pflegten gemeinsame Kontakte mit verschiedenen linken Denkern, "Intellektuellen" und Autoren. Doch schon im Jahr 1942 lösten sie die Widerstandsgruppe auf und Jean-Paul Sartre widmete sich wieder stärker der Schriftstellerei. Im politischen Widerstand blieb Sartre aber weiterhin tätig und schloss sich kurz darauf dem Nationalkomitee der Schriftsteller ("Comité national des écrivains") an.
Im Jahr 1943 veröffentlichte er das Stück "Die Fliegen" ("Les Mouches") und sein umfangreiches philosophisches Hauptwerk "Das Sein und das Nichts". Zunächst fand dieses wenig Beachtung, doch in den Nachkriegsjahren stieß es auf immer mehr Aufmerksamkeit und erlangte schließlich Weltruhm. Sartre, der mittlerweile von seiner Arbeit als Autor gut leben konnte und den Lehrdienst aufgegeben hatte, zählte bald zu den wichtigsten Denkern der Nachkriegszeit. Er prägte die philosophische Richtung des so genannten "Existentialismus".
Nach der Unterdrückung und Fremdbestimmung zur Zeit der tyrannischen und kriegerischen Diktaturen des 20. Jahrhunderts wurde Sartres Aufruf zur Selbstbestimmung als befreiend empfunden. Auch von religiösen Weltanschauungen wie dem Christentum hatte sich die jüngere Generation zum großen Teil abgewendet. Sartres Denken wurde als "neuer Glaube" an die Freiheit des Menschen in einer Welt ohne Gott angesehen. Jean-Paul Sartre gründete die eigene Zeitschrift "Moderne Zeiten" ("Les Temps Modernes"), gab zahlreiche Interviews und begab sich auf Vortragsreisen in viele Länder.
Bis zuletzt eine umstrittene Persönlichkeit
Im Jahr 1948 gründete Sartre gemeinsam mit anderen politischen Mitstreitern eine neue linke Partei, wechselte aber schon bald auf die Seite der Kommunisten. Dies führte zum Bruch mit vielen seiner Bekannten, die eine politisch gemäßigtere Richtung vertraten. Auch die Freundschaft mit Albert Camus zerbrach, dessen Einstellung er als Verrat an den Zielen der politischen Linken ansah. Doch auch von der Kommunistischen Partei wandte sich Sartre schließlich ab. Insbesondere verurteilte er die gewaltsame Niederschlagung des Ungarn-Aufstands 1956 durch sowjetische Truppen.
1960 erschien seine philosophische Schrift "Kritik der dialektischen Vernunft" (französisch: "Critique de la raison dialectique"), die ebenfalls sehr bekannt wurde. Im Jahr 1964 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur zuerkannt, den er jedoch - wie angekündigt - ablehnte. Sartre unterstützte auch radikalere Studentenbewegungen der 1968er. Im Jahr 1970 schloss er sich für drei Jahre den französischen Maoisten an. (Der Maoismus ist eine politische Strömung, die sich auf die Lehren des chinesischen Revolutionärs Mao Zedong bezieht.) Immer wieder kritisierte Sartre weltweite Menschenrechtsverletzungen - zum Beispiel in Vietnam, aber auch in den kommunistischen Ländern des Ostblocks. Dennoch wurde ihm vorgeworfen, die Zustände in den sozialistisch regierten Ländern zu verharmlosen.
Vor allem wegen seiner politischen Aktivitäten hatte Sartre auf der einen Seite zahlreiche Anhänger, auf der anderen zog er den Hass vieler nationalistischer Landsleute auf sich. Einige Aktionen Sartres erregten großes Aufsehen - wie sein Besuch des in Stuttgart inhaftierten Andreas Baader, der Mitglied der Terrororganisation RAF war. So blieb der große Denker und Schriftsteller bis zuletzt eine umstrittene Persönlichkeit. Jean-Paul Sartre konnte im Alter zunehmend schlechter sehen und erblindete schließlich fast vollständig, sodass er nicht mehr in der Lage war zu schreiben. Am 15. April 1980 starb Jean-Paul Sartre im Alter von 74 Jahren in Paris.
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