"Pussy Riot": Eine Frauenpunkband aus Russland rüttelt die Welt auf

08.09.2012

Drei Mitglieder von "Pussy Riot", einer russischen Frauenpunkband, müssen zwei Jahre in Haft, weil sie eine Kirche in Moskau besetzt und dort einen Protestsong gesungen haben. Dieser sorgte in Russland für einen Skandal und führte zu weltweiten Schlagzeilen. Vor allem wenden sich die drei Frauen darin gegen Wladimir Putin, der seit Mai erneut Präsident Russlands ist. Sie werfen Putin vor, eine "Zwangsherrschaft" anzustreben, bei der Menschenrechte wie die Meinungsfreiheit stark eingeschränkt werden. Was sind die Hintergründe für ihren Protest und ihre Verhaftung? Warum erregte die Aktion von drei jungen Frauen weltweit Aufsehen?

Die Protestaktion der regierungskritischen Punkband "Pussy Riot" in einer russisch-orthodoxen Kirche in Moskau sorgte in Russland für einen Skandal und erregte weltweit Aufsehen.
Èãîðü Ìóõèí / ru.wikipedia, CC-BY-SA-3.0

Kurz vor den Präsidentschaftswahlen in Russland, am 21. Februar 2012, startete die Band "Pussy Riot" eine entscheidende Protestaktion in Moskau, und das an keinem geringeren Ort als in der wichtigsten russisch-orthodoxen Kirche, der "Christ-Erlöser-Kathedrale". Drei der Musikerinnen betraten für Privatpersonen verbotenen Boden und sangen vor dem Altar ihr "Punk-Gebet", in dem sie sich gegen die Vertreter der Kirche und gegen den damaligen Ministerpräsidenten Wladimir Putin richten, der seit Mai erneut Präsident Russlands ist: "Mutter Gottes, Jungfrau, verjage Putin", singen sie gleich zu Beginn. Und weiter: "Der KGB-Chef, ihr oberster Heiliger, wirft die Demonstranten in Scharen ins Gefängnis. Um den Höchsten nicht zu beleidigen, müssen Frauen gebären und lieben (...) Scheiße, Scheiße des Herrn".

Die Musikerinnen entschuldigten sich nach der Protestaktion bei den Gläubigen. Sie erklärten, dass sie die Kirche aus verschiedenen Gründen als Protestort ausgewählt hatten: So soll das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche zur Wahl von Putin aufgerufen haben. Und laut Nadeschda Tolokonnikowa, eine der Musikerinnen von "Pussy Riot", stehe das Christentum für "die Suche nach Wahrheit" ein. Ihr Skandal-Auftritt dauerte eine Minute. Sie wurden währenddessen abgeführt und verhaftet. Von März bis August warteten die drei Frauen im Gefängnis und die restliche Welt vor den Kanälen auf das Urteil.

Die Bedingungen in Haft sollen von Beginn an katastrophal gewesen sein - die Frauen hatten kaum Schlaf und erhielten nicht viel zu essen, heißt es. Anfangs drohten den Aktivistinnen sieben Jahre Haft. Verschiedene Menschenrechtsorganisationen setzten sich für die Bandmitglieder ein und das Urteil vom 17. August 2012 lautete schließlich: zwei Jahre Straflager wegen "Rowdytums aus religiösem Hass". Unter "Rowdytum" versteht man zerstörungswütiges Verhalten. Einige Anhänger der Kirche sehen die Aktion der Punkband auch als "Gotteslästerung" an. Den Musikerinnen steht eine schwere Zeit bevor: Getrennt von ihren Familien müssen sie ganze zwei Jahre unter harten Bedingungen im Straflager verbringen. Zwei der drei Musikerinnen sind Mütter von kleinen Kindern.

Wer steht hinter "Pussy Riot"?

Nadeschda "Nadja" Tolokonnikowa (Foto) und die zwei anderen Musikerinnen von "Pussy Riot" wurden verhaftet, vor Gericht gestellt und zu zwei Jahren Straflager verurteilt. Das harte Urteil löste weltweite Proteste aus.
Äåíèñ Áî÷êàðåâ / Denis Bochkarev

Der Name "Pussy Riot" kommt aus dem Englischen - "pussy" ist sowohl ein Wort für "Katze" oder "Mieze" als auch ein umgangssprachlicher Begriff für "Vagina" (etwa "Muschi"), "riot" bedeutet "Krawall". Die Band steht in der Tradition feministischer Punkbands, die provozierende und auch schockierende Mittel einsetzen, um auf politische und gesellschaftliche Missstände hinzuweisen. Unter "Feminismus" versteht man verschiedene Richtungen im Kampf gegen die Benachteiligung und Unterordnung von Frauen in der Gesellschaft. Feministinnen sind also Frauenrechtlerinnen. Feministische Künstlergruppen wie etwa Musikbands kämpfen auch gegen die Dominanz von Männern in der Künstlerszene und setzen deshalb ihren Schwerpunkt bewusst auf frauenbezogene Themen, Texte und Begriffe, die oft auch als herausfordernd und umstritten gelten.

Der Band "Pussy Riot" gehören etwa zehn Frauen an, deren äußerliches Markenzeichen leichte Kleider und Strumpfmasken in grell-bunten Farben sind. Vor dem großen Auftritt in der Kirche waren sie auf öffentlichen Plätzen wie Busdächern, Metro-Stationen oder dem Roten Platz in Moskau zu sehen - ihre Aktionen waren dabei immer spontan und ohne Vorankündigung. Keine der vorigen Aktionen hatte jedoch auch nur annähernd eine ähnliche Wirkung wie die letzte in der Kirche.

Dort waren nur drei der zehn Frauen beteiligt: Nadeschda Andrejewna ("Nadja") Tolokonnikowa, Jekaterina ("Katja") Samuzewitsch und Marija Aljochina. Die jungen Frauen sind zwischen Anfang und Mitte zwanzig. Nadja hat Philosophie studiert, war - gemeinsam mit ihrem Mann - Mitbegründerin einer provokativen Künstlergruppe mit dem Namen "Woina" ("Krieg") und hat eine vierjährige Tochter. Katja war zunächst als Programmiererin tätig, besuchte dann eine Fotoschule und gelangte ebenfalls zur selben Künstlergruppe. Marija hat Journalistik studiert. Daneben setzte sie sich für Umweltprojekte ein und engagierte sich in ihrer Freizeit für psychisch kranke Kinder. Sie hat einen fünfjährigen Sohn. Zwei der anderen acht Bandmitglieder setzten sich nach der Verhaftung ins Ausland ab.

Hintergrund: Kritik an Wladimir Putin

Gedenken an Anna Politkowskaja in Moskau: Die Journalistin veröffentlichte viele kritische Berichte über Putin und die russische Regierung und wurde 2006 ermordet.
John Martens

Um die Aktion und die heftige Reaktion zu verstehen, ist es wichtig, einige Hintergründe zu kennen. Die Aktion richtete sich insbesondere gegen die Politik Wladimir Putins, nicht in erster Linie - wie manchmal behauptet - gegen die Kirche. Nadja äußerte sich dazu aus dem Gefängnis: "Unsere Motive waren ausschließlich politisch." Es sei ihre Absicht gewesen, den Teil der Gesellschaft aufzurütteln, der politisch bisher teilnahmslos und desinteressiert war. Die Musikerinnen sehen sich als Opfer von Propaganda, also der absichtlichen Steuerung der öffentlichen Meinung über die Medien wie Zeitungen oder Fernsehen, bei der auch verzerrte Informationen und Unwahrheiten verbreitet werden.

Die Frauen von "Pussy Riot" beschreiben sich als "anti-kapitalistisch" und "feministisch", lieben nach eigenen Angaben Russland und hassen den russischen Präsidenten Putin. Sie finden, sein politisches System ist alles andere als demokratisch, sondern gleicht eher Stammesgesellschaften der Vergangenheit oder einer Diktatur. Wladimir Putin war von 2000 bis 2008 Präsident Russlands, von 2008 bis 2012 Ministerpräsident und Vorsitzender der Partei "Einiges Russland". Seit dem 7. Mai 2012 ist er erneut Präsident des Landes und steht damit wieder an der Spitze Russlands.

Dass die russischen Wahlen korrekt verliefen, wird von vielen angezweifelt. Die politischen Gegner werfen Putin und seiner Partei Wahlbetrug vor. Die Regierung Putins wird außerdem beschuldigt, in Korruption (Bestechungsaffären) verstrickt zu sein, eine Vermischung von organisierten Verbrechen, Polizei und Justiz zuzulassen und Organisationen mit fremdenfeindlicher und faschistischer Gesinnung zu dulden. Auch die Verhältnisse in der russischen Armee sollen brutal und korrupt sein. Putins Hauptinteresse sei die Kontrolle aller Lebensbereiche und das Streben nach Weltmacht, so seine Gegner.

Die Presse- und Meinungsfreiheit ist in Russland stark eingeschränkt. Putin und seine Partei kontrollieren die russischen Medien und betreiben eine "Zensur", wenn bestimmte Inhalte unerwünscht sind. Das bedeutet, sie lassen kritische Informationen überhaupt nicht erst zu. Wenn jemand versucht, doch einen unerwünschten Bericht zu schreiben, droht der Person im besten Fall eine Entlassung. Oft werden kritische Journalisten brutal verfolgt und verhaftet. Der stellvertretende Chefredakteur der Wochenzeitung "Odinzowskaja Nedelja" wurde wegen angeblicher Verbreitung von Lügen sogar zu vier Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International kämpften für ihn und erreichten schließlich seine Freilassung. Seit Putin an der Macht ist, sollen 13 Journalisten ermordet worden sein, ohne dass einer der Täter verurteilt wurde. Erst als die regierungskritische Journalistin Anna Politkowskaja ein Jahr nach der Veröffentlichung ihres kritischen Buches "In Putins Russland" 2006 ermordet wurde, ging das Thema durch die weltweiten Medien. Viele deutsche Politiker schrieben offene Briefe und baten um vollständige Aufklärung, die es jedoch bis heute nicht gab.

Erdgas als Machtmittel Russlands

Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder gilt als "enger Freund" Putins und nahm 2005 ein Angebot vom russischen Erdgasförderunternehmen "Gazprom" an. Putin bezeichnete er als "lupenreinen Demokraten".
Presidential Press and Information Office, Russian Federation

Russland gilt als wirtschaftlich mächtiges Land, denn es verfügt über das weltweit größte Erdgasförderunternehmen mit dem Namen "Gazprom". Nicht zuletzt darin sehen viele Kritiker auch den Grund für die Untätigkeit oder eher verhaltene Kritik westlicher Industrieländer wie Deutschland gegenüber Russlands Politik. Gazprom ist im Besitz von etwa einem Viertel aller Gasreserven der Welt. Mehr als die Hälfte der deutschen Privathaushalte heizt mit Erdgas. Dem Großkonzern wird vorgeworfen, die Konkurrenz auf korrupte Weise zu beseitigen, die Gaspreise zu kontrollieren und in die Höhe zu treiben. Weiterhin ist Gazprom nicht nur im Energiebereich tätig, sondern betreibt auch Geschäfte in der Medienbranche und im Bankwesen. Somit hat das riesige Unternehmen viel Macht und Einfluss auf die Wirtschaft, die Politik und die Menschen im Land.

Vor mehr als vier Jahrzehnten wurde die Energiepartnerschaft zwischen Deutschland und Russland besiegelt. Mitten im Kalten Krieg, als die westlichen und östlichen Länder sich feindlich gegenüber standen, sagte die damalige Sowjetunion unter der Führung Russlands der Bundesrepublik Deutschland die Gaslieferung zu. Die deutsche Firma Mannesmann und die Deutsche Bank sorgten im Gegenzug für den Bau der Pipeline, die für den Transport des Erdgases nötig war. Zudem gilt Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder als "enger Freund" Putins und nahm nach der Abgabe seines Amtes als Bundeskanzler 2005 ein Angebot von Gazprom zur Mitarbeit im Aufsichtsrat an. Bei Fragen zu Putins Politik bezeichnete er ihn als "lupenreinen Demokraten". Momentan bezieht Deutschland ein Drittel seines Gases aus Russland und versucht, nicht in die völlige Abhängigkeit zu geraten. Die Kommission der Europäischen Union in Brüssel prüft zurzeit die Bestechungsfälle des Konzerns, dem deshalb hohe Geldstrafen drohen.

Reaktionen im Land und weltweit

Demonstranten in Frankfurt protestieren am Tag der Urteilsverkündung gegen die harte Strafe für die Frauen von "Pussy Riot".
Eigenes Archiv

Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International sehen die drei jungen Frauen von "Pussy Riot" als "politische Gefangene". Das heißt, sie wurden wegen ihrer Kritik an der russischen Regierung verurteilt und nicht wegen ihres eigentlichen Benehmens. Die Organisationen gehen davon aus, dass die Regierung ein "Exempel statuieren" will - damit ist eine Art "warnendes Beispiel" gemeint. Demnach geht es Russland also darum, öffentlich zu zeigen, wo für Regierungskritiker und -gegner die Grenzen liegen und dass eine Überschreitung hart bestraft wird. Viel öffentliche Unterstützung erhielten die Frauen von "Pussy Riot" von Seiten bekannter Künstler und Musiker. So sprachen sich etwa Sting, Madonna, Paul McCartney, Franz Ferdinand, Faith No More, Red Hot Chili Peppers und viele andere für ihre Freilassung aus.

Auch zahlreiche Politiker äußerten sich kritisch zu dem Urteil gegen "Pussy Riot". Bundeskanzlerin Angela Merkel bemerkte, dass "das unverhältnismäßig harte Urteil" nicht "im Einklang mit den europäischen Werten von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie" stehe. Die Politiker der deutschen Parteien, die sich zu dem Prozess geäußert haben - dazu gehören alle größeren Parteien des Bundestags - sind sich einig: Das Urteil sei viel zu hart und eine öffentliche "Bankrotterklärung" der russischen Justiz. Auch US-Präsident Barack Obama nannte das Vorgehen "enttäuschend". Gerhard Schröder allerdings hüllt sich, was die aktuellen Vorkommnisse betrifft, bislang in Schweigen und erntet dafür Kritik von der Presse.

Auch in Russland stieß der Prozess gegen die Punkmusikerinnen auf Protest. Zahlreiche russische Anwälte sprachen von einem "Justizskandal". Selbst die russisch-orthodoxe Kirche soll Milde und Gnade für "Pussy Riot" gefordert haben. Wie denkt die russische Bevölkerung darüber? Nach Angaben eines russischen Meinungsforschungsinstituts stehen 70 Prozent der Bevölkerung der Band negativ gegenüber, nur ein Prozent befürwortet ihre Aktionen. Nach dem, was wir über die Presse in Russland wissen, kann man das glauben oder auch nicht. Nicht zu vergessen ist, dass die Medien im Land gelenkt sind und gezielt versucht wird, die Meinung der Leute im Sinne der russischen Regierung zu beeinflussen.

Die Frauen von "Pussy Riot" stehen weiterhin zu ihrer Aktion. Nach ihren Aussagen wollen sie einen politischen Umsturz in Russland erreichen. Als die Zeitschrift "Der Spiegel" Nadja fragte, ob es nicht verantwortungslos sei, durch einen solchen Auftritt ihr Kind benachteiligt zu haben, antwortete sie: "Ich kämpfe dafür, dass meine Tochter in einem freien Land aufwächst." Ob man dieselbe Frage auch einem Mann gestellt hätte? Fest steht, dass die drei Frauen von "Pussy Riot" einiges erreicht haben: Aufgrund ihres kurzen "Protestsongs" diskutiert die Welt bereits seit vielen Wochen über Russlands Politik.

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letzte Aktualisierung: 31.05.2020

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