von Christoph Hühnergarth - 17.11.2009
Am 4. November war es exakt ein Jahr her, dass das US-amerikanische Volk Barack Obama zum 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt hat. "Der Wandel ist in Amerika angekommen", rief der Hoffnungsträger unzähliger Menschen auf der ganzen Welt seinen mehr als 100.000 Anhängern in seiner Heimatstadt Chicago am Abend des Wahlsieges zu. Obamas mitreißender, wenn auch etwas beliebiger Wahlspruch "Yes We Can!" - "Ja, wir können!" oder "Ja, wir schaffen es!" - weckte weltweit große Erwartungen und Optimismus.
"Eine neue Zeitrechnung" solle mit ihm anbrechen, sagte der auf der US-amerikanischen Insel Hawaii und in Indonesien aufgewachsene Obama. Doch was hat der erste Präsident der USA mit afrikanischen Wurzeln ein Jahr nach seiner Wahl bisher tatsächlich verändern können? Welche seiner politischen Ziele konnte der Nachfolger von George W. Bush bereits erreichen? Und welche Hoffnungen konnte Obama bislang nicht erfüllen?
Noch bevor seine Amtszeit begann, wurde der Sohn einer weißen Amerikanerin und eines schwarzen Kenianers von vielen regelrecht zum Heilsbringer des amerikanischen Volkes und der ganzen Welt erhoben. Der Ruf der Vereinigten Staaten hatte weltweit unter der Präsidentschaft des auch bei seinen Landsleuten unbeliebten Republikaners George W. Bush gelitten. Der Demokrat Obama wusste um die gewaltigen Herausforderungen, die ihn erwarten würden: "Zwei Kriege (in Afghanistan und im Irak), ein Planet in höchster Gefahr (angesichts des Klimawandels) und die schwerste Finanzkrise des Jahrhunderts" - so benannte er kurz nach seiner Wahl die seiner Ansicht nach größten Probleme seiner bevorstehenden Amtszeit.
Außenpolitik: Kein Frieden in Afghanistan und im Irak in Sicht
Noch immer kämpft die US-Armee zusammen mit verbündeten Streitkräften (unter anderem mit der deutschen Bundeswehr) in Afghanistan gegen die radikal-islamischen Taliban. Anders als von Obama geplant, hat sich die Situation dort weiter verschärft: Die westlichen Soldaten geraten seit Monaten immer häufiger in Hinterhalte und sehen sich immer stärkerem Widerstand der Taliban gegenüber. In den kommenden Wochen will Obama daher die Truppenstärke der stationierten Soldaten in Afghanistan derart erhöhen, dass sich insgesamt etwa genauso viele US-Soldaten im Kriegseinsatz befinden werden, wie in den schlimmsten Monaten unter George W. Bush.
Auch im benachbarten Pakistan setzt die US-Armee gegen vermeintliche Terroristen immer wieder heimlich zu Militärschlägen an - so, wie die Bush-Regierung es auch schon tat. Die mutmaßliche Bedrohung durch den "internationalen Terrorismus" dient wie zuvor für Bush auch für Obama als Rechtfertigung für eine aggressive US-amerikanische Militärpräsenz weltweit. Noch immer halten die US-Streitkräfte - gegen internationales Völkerrecht verstoßend - im Irak und in Afghanistan fremdes Staatsgebiet besetzt. Und noch immer kommt es in diesen Gebieten im Namen der "Demokratie" zur Tötung von Zivilisten (zivil heißt nicht-militärisch). Das macht die Entscheidung des norwegischen Nobelpreiskomitees, Barack Obama den Friedensnobelpreis zu verleihen, für viele äußerst fragwürdig. Immerhin ist Obama als Präsident und "Commander in Chief" im Prinzip oberster Befehlshaber der US-Streitkräfte.
Obamas Versprechen, das völkerrechtswidrige US-Gefangenenlager Guantánamo auf der Insel Kuba zu schließen, hat er noch nicht in die Tat umgesetzt. Ohne richterliche Verurteilung werden dort Terrorverdächtige von den USA auf unbestimmte Zeit inhaftiert. George W. Bush, der begann, Kriegsgefangene nach Guantánamo verschleppen zu lassen, wurde weltweit scharf dafür kritisiert, weil er Menschenrechte verletzte und wichtige Grundsätze des Völkerrechts opferte, um vermeintliche Terroristen nur auf Verdacht jahrelang in Gewahrsam bringen zu können.
Auch das Thema Irak beschäftigt Barack Obama weiterhin. Ein rascher Truppenrückzug war eines seiner wichtigsten Wahlkampfversprechen. Bis 2011 sollten alle US-Soldaten wieder zu Hause sein. Dieser Plan scheint aber viel zu optimistisch gewesen zu sein, denn die irakischen Sicherheitskräfte sind noch lange nicht ausreichend ausgerüstet und ausgebildet, um selbst für Sicherheit zu sorgen - zumal es auch im Irak immer wieder zu Anschlägen von Aufständischen kommt.
Obamas Versuch, mit Worten zu beruhigen
Zumindest, was die Darstellung betrifft, hat Obama außenpolitische Prinzipien wieder eingeführt, die unter George W. Bush noch vermisst wurden. Verstummt sind Bushs vormundschaftliche "Predigten" über Freiheit und Demokratie, die im Notfall auch mit Waffengewalt erzwungen werden sollen - zum Beispiel im Irak. Vergangenheit ist zumindest nach Obamas Aussagen auch die Überzeugung, dass man rechtsstaatliche Grundsätze (zum Beispiel die Ablehnung von Folter, um Geständnisse von vermeintlichen Terroristen zu erpressen) aufweichen solle und dürfe, um Terroristen besser bekämpfen zu können.
Den Texaner George W. Bush, dem oftmals das Bildnis eines rüpelhaften, undiplomatischen und draufgängerischen "Cowboys" ohne Fingerspitzengefühl oder Bewusstsein für fremde Kulturen anhing, ersetzte der charmante, redegewandte und sich besonnen und maßvoll gebende Obama, den viele schon wegen seiner Herkunft und Hautfarbe als sehr viel sensibler gegenüber fremden Kulturen ansehen. Obama hat das Ansehen Amerikas weltweit also wieder deutlich verbessert. Dennoch hat sich an dem globalen Machtanspruch der USA auch unter Obama nichts Grundlegendes geändert.
Im Gegensatz zu Bush sucht Obama verstärkt Gespräche mit Verbündeten, um internationale Probleme gemeinsam zu lösen. Er geht aber auch einige Schritte auf Gegenspieler und "Feinde" der USA zu, indem er sich verhandlungsbereit zeigt: So ist er zum Beispiel zu Gesprächen mit Nordkorea bereit, das Obamas Vorgänger schlicht als einen "Schurkenstaat" bezeichnete. Auch gegenüber dem Iran, der von den westlichen Staaten verdächtigt wird, heimlich Atomwaffen zu entwickeln, schlägt Obama gemäßigtere Töne an. Andererseits gibt es auch Negativbeispiele: Pakistan zum Beispiel, wo die USA mit Luftangriffen einen weiteren gegen Völkerrecht verstoßenden kriegerischen Konflikt begonnen haben - diese Aktionen sind in Zusammenhang mit dem Afghanistan-Krieg zu sehen.
Große Beachtung erhielt Obama für eine Rede an die muslimische Welt: Am 4. Juni 2009 bedauerte er in Kairo (Ägypten), dass die Zeit "von Spannungen zwischen den USA und den Muslimen in aller Welt" geprägt sei. Er wolle diesen "Kreislauf von Misstrauen und Zwietracht" durchbrechen.
Friedensnobelpreis für "Hoffnung auf bessere Zukunft"
Am 9. Oktober 2009 verkündete das Osloer Komitee für die Nobelpreise völlig überraschend, dass es Barack Obama den Friedensnobelpreis verleihen würde. Diesen Preis erhalten jährlich Persönlichkeiten, die sich maßgeblich für Frieden und Völkerverständigung eingesetzt haben, so zum Beispiel Michail Gorbatschow im Jahr 1990, weil er für das Ende des Kalten Krieges auf Seiten der Sowjetunion mitverantwortlich war.
Das Nobel-Komitee (benannt nach dem ersten Stifter des Preises, dem schwedischen Erfinder und Industriellen Alfred Nobel) begründete seine Entscheidung damit, dass "der US-Präsident die Hoffnung auf eine bessere Zukunft vermittelt und das internationale Klima verbessert" habe. Unbestritten ist das so, aber angesichts der massiven Probleme im Irak und in Afghanistan kritisierten viele die Preisverleihung an Obama, denn der Hoffnung auf ein besseres internationales Miteinander und den Worten darüber sind bisher wenig zählbare Taten gefolgt.
Innenpolitik: Obamas Reformen stocken
In der Innenpolitik hat Obama seit seinem Amtsantritt große Probleme, seine Vorstellungen durchzusetzen. Die Republikaner - also die Partei, die in den USA zurzeit nicht regiert - blockieren Obamas Reformen (das bedeutet politische Umgestaltungen) beharrlich. Doch auch innerhalb seiner eignen Partei, den Demokraten, hat Obama etliche Widersacher. Sämtliche Reform-Projekte brauchen wesentlich mehr Zeit als gedacht. Gerade vor kurzem gab es einen kleinen ersten Erfolg in Sachen Gesundheitsreform, eines der Projekte, die Obama besonders am Herzen liegen.
In den USA nämlich haben bisher rund 47 Millionen Menschen überhaupt keinen Krankenversicherungsschutz - das sind fast ein Sechstel aller US-Amerikaner. Daher können es sich diese Menschen kaum leisten, einen Arzt aufzusuchen, wenn sie krank sind. Obama will dies unbedingt ändern - allerdings würde sein Vorhaben enorm hohe Kosten mit sich bringen, weshalb die Republikaner es ablehnen. Außerdem gibt es einflussreiche Interessengruppen, die zusätzliche Konkurrenz durch ein staatliches Gesundheitsprogramm verhindern wollen. Erst jetzt stimmte das US-Abgeordnetenhaus dem Gesetzesentwurf nach zähen Verhandlungen zu. Im Senat, dem zweiten Haus des Parlaments, muss Obamas Entwurf aber auch noch zugestimmt werden. Ob es sich auch dort bewährt, ist noch fraglich.
Ein hohes Risiko ist Obama mit dem im Februar 2009 verabschiedeten "Konjunkturprogramm" mit einem Umfang von 787 Milliarden US-Dollar eingegangen - damit ist ein Programm zur Belebung der Wirtschaftsleistung gemeint. Noch nie hat ein US-Präsident so viele neue Schulden gemacht. Im Zuge der weltweiten Wirtschaftskrise war Obama gezwungen, etwas zu unternehmen, damit die Wirtschaft des Landes angeregt wird. Er wollte den weltweiten wirtschaftlichen Absturz in den USA abfedern, indem er viele Aufträge erteilt: So lässt die US-Regierung zum Beispiel viele neue Straßen bauen und fördert erneuerbare Energien. Auch hier ist Obamas Erfolg noch fraglich: Wenn sein riesiges Konjunkturprogramm Wirkung zeigt, könnte er als Retter der amerikanischen Wirtschaft in Erinnerung bleiben. Verfehlt es die erhoffte Wirkung, würde er als "Schuldenkönig" Geschichte schreiben.
Klimaschutz entzweit die amerikanische Politik
Auf den größten Widerstand innerhalb der USA stößt Obama in Sachen Klimaschutz. Derzeit stecken die Verhandlungen über schärfere Klimaschutzgesetze im US-Parlament fest. Die Republikaner und auch einige Demokraten aus US-Bundesstaaten, die industriebedingt viele Schadstoffe produzieren, sträuben sich fortwährend gegen strengere Bestimmungen zum Klimaschutz. Obama hat erkannt, dass weltweite Regelungen extrem wichtig sind, um den globalen Klimawandel zu bremsen. Die Vereinigten Staaten produzieren weltweit den meisten Ausstoß von Schadstoffen. Jedoch fehlt Obama innerhalb seines Landes die nötige Unterstützung, um die amerikanischen Umweltgesetze entsprechen anzupassen.
Als die deutsche Kanzlerin Angela Merkel vor kurzem vor dem US-Parlament eine Rede halten durfte, wurde offensichtlich, wie zerrissen die US-Politik in Sachen Klimaschutz ist. Während fast alle Demokraten bei Merkels mahnenden Worten zum Thema Klimaschutz unterstützend aufsprangen, blieben die Republikaner aus Ablehnung und Protest sitzen. Dies verdeutlicht, wie schwer es Obama hat, seine Klimapolitik voranzubringen.
Zweifelsohne hat Barack Obama das Ansehen der USA durch seine Sprachwahl, seine Vorstellungen, seine Überzeugungen und seine Visionen nach acht Jahren Bush-Regierung verbessert. Doch die Liste der unerfüllten Versprechen ist noch immer lang. Das liegt auch daran, dass Obama wenig tat, um teils übersteigerte Erwartungen und Hoffnungen zu dämpfen. Umfragewerte für Obama drücken aus, dass mehr und mehr US-Amerikanern langsam gewiss wird, dass Obama keine Wunder vollbringen kann und seine Beliebtheit fällt. Vielen hoffnungsvollen Worten sind bisher zu wenige Taten gefolgt.
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