von Johannes Schäfer - 22.05.2006
Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus sind auf dem Vormarsch. Laut dem aktuellen Verfassungsschutzbericht sind die Zahl rechtsextremistischer Verbrechen in Deutschland im vergangenen Jahr sehr stark (um 27,5 Prozent) gestiegen. Auch in der Schweiz und besonders in Österreich ist rechtsradikales Gedankengut verbreitet. Wie sind Neonazis politisch organisiert? Was treibt sie dazu, brutale Gewalttaten zu verüben? Und warum wird es immer schwieriger, einen Rechtsextremisten zu erkennen?
In den vergangenen Wochen und Monaten haben einige schwere fremdenfeindliche Straftaten für Aufsehen gesorgt. Im Januar haben vier Jugendliche aus der rechtsextremistischen Szene in dem 700-Einwohner-Ort Pömmelte (Sachsen-Anhalt) einen zwölfjährigen Junge wegen seiner dunkleren Haut brutal misshandelt und 75 Minuten lang gequält. Und in der belgischen Stadt Antwerpen hat am 11. Mai ein 18-jähriger Rassist eine junge schwarz-afrikanische Frau und ein zweijähriges Kleinkind, mit dem sie unterwegs war, auf offener Straße erschossen. Zuvor hatte der Täter eine türkische Frau lebensgefährlich verletzt.
Normale Menschen können nicht verstehen, weshalb Rechtsextremisten zu solch abscheulichen und sinnlosen Verbrechen fähig sind. Dabei sind diese Taten nur die Spitze des Eisbergs. In vielen Ländern ist Rassismus so alltäglich geworden, dass die Medien gar nicht mehr über die täglichen Beleidigungen und Angriffe berichten, denen schwarze oder zum Beispiel türkischstämmige Mitbürger ausgeliefert sind. So hat es erst an Christi Himmelfahrt wieder eine ganze Serie fremdenfeindlicher Gewalttaten gegeben, bei dem mehrere dunkelhäutige Menschen zum Teil schwer verletzt wurden.
Was geht im Kopf von jemandem vor, der einen anderen Menschen nur deshalb angreift, weil dieser eine andere Hautfarbe hat? Fest steht, dass Rassisten und Rechtsextremisten ein völlig verzerrtes Weltbild haben. Sie würden die Menschenrechte am liebsten abschaffen. Anstelle eines demokratischen Staates, der jedem Bürger die gleichen Rechte zuerkennt, treten sie dafür ein, dass ein Teil der Bevölkerung mehr darf und mehr Wert ist als die übrigen Teile.
Unterteilung der Menschheit in wertvolle und minderwertige Rassen
Wer eine andere Hautfarbe hat, aus einem anderen Land kommt oder eine andere Religion ausübt, ist in den Augen solcher Menschen minderwertig. Rechtsradikale leiten daraus das Recht ab, zum Beispiel Schwarze oder Juden zu beleidigen, anzugreifen und im Extremfall sogar zu ermorden. Rechtsradikale sind gleichzeitig immer auch Rassisten (die Menschen mit einer anderen Hautfarbe verabscheuen) und Antisemiten (Juden-Hasser).
Oft sehen sie dabei Adolf Hitler als Vorbild und streben eine Staatsform an, die dem Nationalsozialismus im "Dritten Reich" ähnelt. Die Nazis, die Deutschland zwischen 1933 und 1945 regierten und im Jahr 1939 den Zweiten Weltkrieg anzettelten, glaubten an die Überlegenheit einer bestimmten "Rasse". Als "Herrenrasse" bezeichneten sie die "Arier": Menschen, die im Idealfall blond und blauäugig waren und in deren Adern nur "deutsches" - auf gar keinen Fall jedoch jüdisches Blut - floss.
Menschen mit einer anderen politischen Einstellung oder einem anderen Glauben, einer anderen Herkunft oder einem anderen Aussehen, wurden von der deutschen "Volksgemeinschaft" ausgeschlossen und verfolgt. Juden durften zum Beispiel selbst dann keine "Volksdeutschen" mehr sein, wenn ihre Familien schon seit Jahrhunderten in Deutschland gelebt hatten. Zwischen 1940 und 1945 haben die Nazis über sechs Millionen Menschen ermordet. Die meisten waren Juden, doch auch Behinderte, Homosexuelle, politisch Andersdenkende, Kriegsgefangene sowie Sinti und Roma waren betroffen.
Nichts aus der Geschichte gelernt
Obwohl man in Nazi-Deutschland sehen konnte, wohin Fremdenfeindlichkeit und Rassismus führen können, gibt es auch heute noch in vielen Ländern rechtsextreme Gruppen und Parteien. In Österreich hat es - anders als in Deutschland - nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kein Entnazifizierungs-Programm gegeben. Die Siegermächte sind davon ausgegangen, dass Adolf Hitler die Österreicher dazu gezwungen hat, dem Deutschen Reich beizutreten. Sie haben dabei übersehen, dass es auch in Österreich viele überzeugte Nazis gab.
So kam es, dass das nationalsozialistische Gedankengut in Österreich nicht nur überleben konnte, sondern sogar offen ausgesprochen werden durfte. Viele Nazis traten in die zunächst eher unbedeutende Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) ein. Mit Jörg Haider gewann die FPÖ in den 1990er Jahren immer mehr an Bedeutung. Seine ausländerfeindlichen und anti-jüdischen Parolen kamen beim Wahlvolk so gut an, dass die FPÖ im Jahr 2000 zur österreichischen Regierungspartei wurde. Im Jahr 2005 wurde Haider nach internen Streitigkeiten aus der FPÖ ausgeschlossen. Doch auch seine neue Partei "Bündnis Zukunft Österreich" (BZÖ) ist derzeit an der Regierung beteiligt. Haider selbst ist Landeshauptmann im österreichischen Bundesland Kärnten.
Neonazis in der Schweiz erregen Aufmerksamkeit
Auch in der Schweiz gibt es Rechtsradikalismus, allerdings war er dort lange verborgen und tritt erst seit kurzer Zeit wieder offen an die Oberfläche. Die 1933 gegründete "Nationale Front" (NF) war die erste Schweizer Partei, die gezielt gegen Ausländer und Juden gehetzt hat. Die Vorbilder der NF-Politiker waren der Faschisten-Führer Benito Mussolini in Italien und der Nationalsozialist Adolf Hitler in Deutschland. Diese Bewegung hatte aber keine großen Wahlerfolge und löste sich 1940 selbst auf. Genau 60 Jahre später hat sich im Jahr 2000 die Partei National Orientierter Schweizer (PNOS) gegründet, deren Programm stark an das der Nationalen Front angelehnt ist. Parallelen zur Weltanschauung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), der Verbrecherorganisation Adolf Hitlers, sind deutlich zu erkennen.
Erstmals für größeres Aufsehen haben Schweizer Neonazis am 1. August, dem Nationalfeiertag gesorgt, als sie die traditionelle Rütli-Feier störten und den damaligen Staatspräsidenten, Samuel Schmid, durch Zwischenrufe und Beleidigungen daran hinderten, seine Rede zu halten. Trotz solcher Vorfälle lässt sich aber sagen, dass die rechtsextremistische Szene in der Schweiz viel schwächer und unbedeutender ist als die in Österreich und in Deutschland.
Nazis organisieren sich in der Bundesrepublik Deutschland
In Deutschland gibt es laut Verfassungsschutzbericht derzeit etwa 39.000 Rechtsextremisten. Rassismus und Antsemitismus hat hier eine lange Tradition. Ihren Höhepunkt erlebte er in der Zeit zwischen 1933 und 1945. Nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg und dem Untergang Nazi-Deutschlands haben sich ehemalige NSDAP-Mitglieder, die nichts dazugelernt hatten, in der gerde erst gegründeten Bundesrepublik Deutschland erneut politisch organisiert. Sie gründeten 1949 die Sozialistische Reichspartei (SRP), deren rechtsradikales Parteiprogramm sehr stark an das der NSDAP angelehnt war. Erschreckend war, dass die Nazi-Partei in Bremen und in Niedersachsen auf Anhieb den Sprung in die Landesparlamente schaffte.
Nur drei Jahre nach ihrer Gründung hat das Bundesverfassungsgericht die SRP verboten, da ihr rechtsradikales Programm mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht zu vereinbaren war. Anschließend spielten rechtsextremistische Organisationen über zehn Jahre lang keine Rolle mehr, ehe im November 1964 die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) gegründet wurde. Diese Partei besteht bis heute.
In der NPD bündelte sich das aus der Nazizeit überlieferte Gedankengut. Zwischen 1966 und 1968 zogen Abgeordnete der NPD in die Landesparlamente von Bayern, Bremen, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg ein. 1969 hätte die rechtsextreme Partei sogar fast den Sprung in den Deutschen Bundestag geschafft. Doch dann verlor die NPD in den folgenden Jahrzehnten wieder stark an Bedeutung.
Wahlerfolge durch rassistische und ausländerfeindliche Parolen
Später machten mit der Deutschen Volksunion (DVU) und den Republikanern (Rep) zwei weitere rechtsextremistische Parteien in Deutschland auf sich aufmerksam: 1983 gründeten sich "Die Republikaner", die unter dem Vorsitz von Franz Schönhuber Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre mit ausländerfeindlichen Parolen wie "das Boot ist voll" spektakuläre Wahlerfolge feiern konnten. Die "Reps" zogen im Jahr 1989 mit 7,5 Prozent der Stimmen ins Berliner Abgeordnetenhaus sowie drei Jahre später mit knapp elf Prozent der Stimmen in den Landtag Baden-Württembergs ein. Inzwischen sind die Republikaner jedoch bedeutungslos geworden. Seit 2001 sind sie in keinem Länderparlament mehr vertreten.
Die Deutsche Volksunion ist eine 1987 gegründete Partei, in der nur ein Mann das Sagen hat: der Münchner Verleger Gerhard Frey, der die rechtsextreme "National-Zeitung" und die "Deutsche Wochenzeitung" herausgibt. Frey ist seit Jahrzehnten darum bemüht, die Gräueltaten der Nazis zu verharmlosen und hetzt zum Beispiel gegen das Holocaust Mahnmal in Berlin. Seine DVU schaffte 1991 den Sprung in den Bremer Senat. 1992 zog sie in den Landtag von Schleswig-Holstein, 1998 von Sachsen-Anhalt und 1999 von Brandenburg ein. Heute ist sie nur noch im Brandenburger Landesparlament vertreten.
Anfang der 1990er Jahre fühlten sich gewaltbereite Neonazis durch die Wahlerfolge der Reps und der DVU offenbar in ihren menschenverachtenden Ansichten bestätigt. Die rechtsradikale Szene zeigte ihr brutales Gesicht: Nach der deutschen Wiedervereinigung nahmen rassistisch motivierte Anschlägen zu. Asylbewerberheime gingen in Flammen auf, Ausländer wurden auf offener Straße angegriffen. Mehrere Menschen starben.
Erfahre im zweiten Teil, mit welchen Tricks es die NPD geschafft hat, aus der völligen Bedeutungslosigkeit wieder zur wichtigsten rechtsextremen Partei aufzusteigen. Und warum es heute viel schwieriger ist als noch vor einigen Jahren, einen Neonazi zu erkennen (auf "Weiter" klicken).
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