von Björn Pawlak
René Descartes lebte von 1596 bis 1650. Er war nicht nur Philosoph, sondern auch Mathematiker und Naturwissenschaftler. Er gilt als Begründer der modernen Philosophie. Er strebte danach, die Philosophie so exakt und logisch schlüssig wie die Mathematik zu betreiben. Man kann natürlich in Zweifel ziehen, ob ihm das geglückt ist oder ob dies für die Philosophie überhaupt sinnvoll ist. Mit dem Zweifel fängt bei Descartes übrigens alles an...
René Descartes entwickelt seine ganze Philosophie aus dem "methodischen" Zweifel heraus: Könnte nicht alles in der Welt und das eigene Bewusstsein eingeschlossen bloß ein Traum sein? Zunächst lautet seine Antwort "Ja!" - vielleicht träumen wir nur. Doch selbst wenn wir nur träumen bleibt etwas übrig, dass wir nicht mehr bestreiten können, nämlich dass wir träumen. Wenn wir denken können, dass wir träumen, dann denken wir - egal ob der Traum "wirklich" oder "unwirklich" ist.
Das meint Descartes mit seiner Formel "Ich denke, also bin ich!" (auf Lateinisch "cogito ergo sum") - dies ist sein philosophischer Ausgangspunkt, von dem aus er seine Erkenntnisse die Wirklichkeit betreffend entfaltet. Descartes denkt nämlich sehr wohl, dass man feststellen kann, ob man träumt oder wach ist. Oder anders: Wenn wir an allem zweifeln, können wir immer noch nicht daran zweifeln, dass wir zweifeln - sonst würden wir nicht zweifeln... Das zweifelnde "Ich" kann also scheinbar nicht an sich selbst zweifeln - beim "Ich-Bewusstsein" schlägt aller Zweifel um.
Letztlich entdeckt er in der Welt zwei unterschiedliche "Substanzen" - einerseits den Geist und andererseits die Materie. "Substanz" könnte man als "Selbständiges" oder "Wesentliches" beschreiben, das in der Welt ist. das lateinische Wort "substantia" bedeutet "das, woraus etwas besteht". Alles in der Welt ist laut Descartes entweder der unausgedehnte und unsichtbare Geist (das "Subjektive") oder die ausgedehnte und sichtbare Materie ("das Objektive"), etwas Drittes gibt es nicht - es sei denn Gott selbst.
Weiter benennt Descartes den Geist als "res cogitans" und die Materie als "res extensa". Die Begriffe entstammen dem Lateinischen: "res" bedeutet "Sache" oder "Gegenstand", "cogitans" bedeutet "denkend" und "extensa" bedeutet "ausgedehnt". Der Gegenüberstellung von Geist und Materie entspringt das noch heute aktuelle "Leib-Seele-Problem": Wie ist es möglich, dass der Geist Einfluss auf die Materie hat und umgekehrt? Descartes vermutete übrigens, dass die Zirbeldrüse (eine kleines Organ im Zwischenhirn) Kontaktstelle für die Einflussnahme des Geistes auf die Materie sei.
Man spricht bezüglich der Philosophie Descartes' wegen der Gegenüberstellung von Geist und Materie auch von einem "Dualismus" ("Substanzdualismus") - "duo" ist Lateinisch und bedeutet "zwei". Der Dualimus ist in der Philosophie die These von der Existenz zweier Substanzen. Descartes' Philosophie wird aber auch der Schule des "Rationalismus" zugerechnet - "ratio" ist Lateinisch und bedeutet "Vernunft". Bei Descartes wird die Vernunft besonders hoch gewichtet - denn nur mithilfe der Urteilskraft der Vernunft ist seinem Standpunkt nach Erkenntnis möglich.
Philosophie im 16. Jahrhundert: Eine Sache der Kirche
Im 16. Jahrhundert hatte die Katholische Kirche mit ihrem Sitz in Rom die Philosophie (ebenso wie die Naturwissenschaften) längst für sich vereinnahmt. Die griechischen Klassiker wie Platon und Aristoteles wurden so interpretiert, dass sie mit der Lehre des Katholizismus in Einklang standen. Besonders das Werk des Aristoteles war maßgebend für die katholische Philosophie des Mittelalters, auch "Scholastik" genannt. Trotz "Reformation" hatte es in der Philosophie kaum einen Neuanfang gegeben.
Selbständige Denker bewegten sich zu Descartes' Lebzeiten stets auf dünnem Eis, weil die Kirche streng darüber wachte, ob aufkeimende Lehren in Widerspruch zur eigenen Lehre standen. Die "Inquisition" - von der Kirche angeleitete Gerichtsverfahren - war mächtig genug Andersdenkende daran zu hindern, ihre Meinungen kund zu tun.
Descartes, der bei den Jesuiten selbst katholisch erzogen worden war, kannte den berühmten Fall des Naturwissenschaftlers Galileo Galilei: Ihm wurde der Prozess gemacht, weil er behauptet hatte, dass sich die Erde um die Sonne dreht. Um sein Leben zu retten musste Galilei öffentlich widerrufen. Ein anderer, Giordano Bruno, musste für seine Theorie über die Beschaffenheit des Universums auf dem Scheiterhaufen sterben, weil er nicht widerrief. Es ist kein Wunder, dass René Descartes seine philosophischen Lehren in den Niederlanden ausarbeitete - denn hier war der Einfluss der Kirche geringer und die Toleranz neuen Ideen gegenüber größer.
Descartes versuchte hartnäckig, mit seiner Philosophie im Rahmen dessen zu bleiben, was für die Katholische Kirche akzeptabel war. Dennoch sagt man ihm nach, eine völlig neue Philosophie entfaltet zu haben - eine Philosophie der "Moderne". Seit Descartes ist das menschliche Bewusstsein in den Mittelpunkt gerückt - manche sehen ihn sogar als den ersten Vorläufer der heute sich rasant entwickelnden Gehirnforschung. Vor Descartes ging es in der Philosophie vor allem um die Beschaffenheit und Ordnung der Welt - ohne jedoch zu berücksichtigen, dass es immer ein "Subjekt" ist, welches all dies erkennen kann. Was also ist das Subjekt? Mit Descartes nähert man sich einer Antwort auf diese Frage.
Descartes' philosophische Methode
Die von Descartes gesuchte Methode sollte es möglich machen, alles Weltwissen systematisch zusammen zu fassen. Er suchte nach dieser Methode in seiner berühmten 1637 veröffentlichten Schrift "Discours de la méthode" (deutscher Titel: "Diskurs über die Methode"). Der Tradition gegenüber sollte die Haltung der "Skepsis" eingenommen werden - dieser Begriff bedeutet nichts anderes als "Zweifel". Gleichzeitig forderte Descartes jedoch dazu auf, an "Gesetzen und Sitten des Vaterlands" und an der "unterrichteten" Religion "beharrlich festzuhalten".
Seine Idee war also, dass zwar eine Revolution des Denkens in Philosophie und Wissenschaft nötig sei, gleichzeitig sollte die gesellschaftliche Ordnung jedoch nicht in Frage gestellt werden. Wörtlich spricht er von "Komödien, die sich in der Welt abspielen", und dass man dort "lieber Zuschauer als Mitspieler" sein sollte. Nur von den eigenen Gedanken sagt er, dass sie in der eigenen Macht stehen. Es ist möglich, dass diese Haltung Descartes' auch etwas mit seiner Angst vor der Inquisition zu tun hatte.
Für Descartes ist der Verstand grundsätzlich von Natur aus gleich bei allen Menschen - deswegen glaubt er auch, dass alle Menschen zu den gleichen Urteilen kommen müssten, wenn sie die gleichen Informationen zur Verfügung hätten und unvoreingenommen "urteilten". Vor diesem Hintergrund wird vorstellbar, dass die Philosophie von der Welt und alle Naturwissenschaft so exakt und eindeutig sein könnte, wie die Mathematik selbst es zu sein scheint.
Alles Wissen ist für Descartes zunächst einmal Vorurteil. Deswegen rät er, von allen eigenen Überzeugungen abzusehen, um sie dann entweder ganz zu verwerfen oder sie durch Überprüfung neu zu bestätigen. Das ist für ihn die "wahre Methode, die zur Erkenntnis aller Dinge führt" - sie findet ihre Anwendung "im Denken".
Denken als "Natur" des Bewusstseins
Seiner eigenen Methode folgend gelangt Descartes an den Punkt, wo er nur noch die Trugbilder seiner Träume als Wahrheit akzeptiert - alles in der Welt ist nun verschwunden, da man die Existenz von allem "weggezweifelt" hat. Übrig bleiben die Träume, und gerade darin die Gewissheit, dass man als träumendes und deswegen auch denkendes Wesen existiert. Das Selbstbewusstsein und die eigene Existenz als "Denkwesen" (der Geist oder die Seele) können nicht weiter angezweifelt werden.
Was wäre - so fragt Descartes in seiner berühmten Schrift "Meditationes de prima philosophia" (der komplette deutsche Titel lautet "Meditationen über die Erste Philosophie, in der die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele bewiesen wird") - wenn es einen bösen Geist gäbe (er nennt ihn "genius malignus"), der uns in allen unseren Sinneswahrnehmungen täuschen würde?
Einen Körper zu haben könnte laut Descartes eine bloße Einbildung sein, vom Denken kann man dies jedoch nicht so leicht sagen... Denn jede Täuschung wäre selbst schon wieder ein Gedanke, also Denken. Dieser "feste Boden" für den Philosophen ist das berühmte "Cogito" - auf Französisch schrieb Descartes "je pense, donc je suis", auf Lateinisch "cogito ergo sum". Beides heißt ein und dasselbe: "Ich denke, also bin ich!".
Auch bezweifelt Descartes die Annahmen der Philosophen, die man "Empiristen" (oder auch "Empiriker") nennt. Der Empirismus ist in der Philosophie eine erkenntnistheoretische Richtung, die all unser Wissen von der Erfahrung herleitet. Die Gegenposition zum Empirismus - es gibt noch andere Spielarten als Descartes - ist der Rationalismus. Der Rationalist Descartes glaubt, dass es erfahrungsunabhängige Vorstellungen gibt: Gott und die Seele. Die Seele ist eigentlich nichts anderes als das von Descartes entdeckte Cogito. Für die Existenz Gottes sprechen laut Descartes zwei Beweise - man spricht von den "Gottesbeweisen".
Descartes' Gottesbeweise
Erstes Argument Descartes' ist, dass es im Bewusstsein eine Idee Gottes als "vollkommenstes Wesens" gibt. Zur Vollkommenheit gehört laut Descartes zwangsläufig auch die Existenz - etwas nicht existentes sei auch nicht vollkommen. Die zweifelhafte Schlussfolgerung: Gott existiert!
Zweitens kann laut Descartes die Vorstellung Gottes, der ein "unendliches Wesen" ist, nicht von unserem "endlichen" (also begrenzten) Verstand hervorgebracht werden. Wir können die Idee Gottes demnach nur in uns tragen, weil Gott selbst sie uns eingegeben hat. Die wiederum zweifelhafte Schlussfolgerung: Gott existiert!
Die Gottesbeweise Descartes' sind zwar berühmt, aber nicht unbedingt überzeugend. Für das Verständnis seines Werkes sind sie vielleicht auch gar nicht so wichtig. Es kann auch sein, dass Descartes sie in sein Werk mit eingebaut hat, um sich der Kirche gegenüber nicht allzu verdächtig zu machen. Trotzdem wurde Descartes von vielen Seiten verdächtigt, dem "Atheismus" (der Grundauffassung, dass es keinen Gott gibt) Tür und Tor zu öffnen. Als den Naturwissenschaften "dienender" Philosoph denkt Descartes nämlich vor allem über die Naturgesetze nach. Diese kommen zwar von Gott, können aber vom Menschen - dem für Descartes einzigen "vernunftbegabten" Wesen - kraft seiner "Begriffe" (die ebenfalls von Gott kommen) sichtbar gemacht werden.
Descartes hält die belebte Natur einschließlich der Körper für etwas, dass einer Maschine oder einem Automaten gleich funktioniert. Allein der Mensch fällt Descartes nach aus diesem Rahmen heraus, weil er die Fähigkeit zur Sprache besitzt und situationsabhängig "aus Einsicht" handeln kann. Deswegen sieht Descartes beim Menschen die Befähigung, "Herr und Eigentümer der Natur" zu sein. Die menschliche Vernunft sieht er dabei nicht einfach als gegeben an - vielmehr ist es eine Entscheidung des Menschen, auf "richtige" Weise von ihr Gebrauch zu machen. Der französische Philosoph Jean-Paul Sartre knüpfte Jahrhunderte später beim Nachdenken über die menschliche Freiheit an diesem Punkt an.
Descartes im Rückblick
Weil Descartes vor allem darüber nachdachte, von welchem Punkt all unser Wissen über die Welt ausgeht - nämlich vom Subjekt aus - hat er die Philosophie revolutioniert. Es war zuvor nämlich eher üblich, ohne eine solche Selbstreflexion auf alles Seiende zu blicken. Die Analyse des menschlichen (Selbst-)Bewusstseins nennt man auch "Erkenntnistheorie" oder "Subjektphilosophie". Viele spätere philosophische Einfälle gehen auf das Werk Descartes' zurück.
Seit Descartes ist die Erkenntnistheorie wesentliche Grundlage allen Philosophierens. Zwar nahm auch Descartes wie die Philosophen vor ihm an, dass es Gott gibt. Der Unterschied ist aber, dass er dies kraft der menschlichen Vernunft zu beweisen versuchte, während man vor ihm schon von vornherein angenommen hatte, dass Gott existiert. Nachfolger Descartes' wählten einen ähnlichen Ausgangspunkt wie dieser, ohne mit den Schlussfolgerungen übereinzustimmen. Ihnen war es deshalb möglich, Gott aus der Philosophie auszuklammern.
In gewisser Weise ist Descartes sogar hoch aktuell... Die heute sehr einflussreichen "Kognitionswissenschaften" ("Kognition" heißt "Erkenntnis" und geht auf das lateinische Wort "cognoscere" zurück) stellen nämlich noch immer exakt dieselben Fragen, wie einst Descartes: Wie ist Denken möglich? Wie kann es sein, dass irgendwo in der materiellen Welt plötzlich Denken auftritt (nämlich bei uns selbst)? Wie funktioniert das Gehirn? Descartes stand seinerzeit mit Ärzten in Kontakt und erkundigte sich nach den Funktionsweisen des menschlichen Körpers. Heute glaubt die Hirnforschung, dass der Geist durch elektrische und chemische Vorgänge im menschlichen Gehirn "erzeugt" wird. Es ist aber äußerst schwierig, den Dualismus zwischen Geist und Materie ganz aufzulösen.
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