Anfänge der Philosophie in Griechenland

Die Geschichte der Philosophie - Teil 1

von Björn Pawlak

Kann man wirklich sagen, dass die Geschichte der Philosophie zu einem bestimmten Zeitpunkt und an einem bestimmten Ort ihren Anfang nahm? "Ja!", sagen manche, und sehen in den alten Griechen in der Zeit ab dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert die Erfinder zumindest der europäischen Philosophie. Berühmt sind heute vor allem drei griechische Philosophen der Antike, nämlich Sokrates, Platon und Aristoteles - die älteren Philosophen nennt man verallgemeinernd einfach "Vorsokratiker".

Die Eule der Göttin Athene symbolisierte im alten Griechenland die Weisheit - Philosophie verstand man als Streben nach Weisheit. (Quelle: Wikipedia)

Die älteren und oft nur mündlich überlieferten Weltbilder der Menschen wurden später auch als "Mythos" bezeichnet und dem "Logos" der Philosophie gegenübergestellt - beide Begriffe stammen aus dem Altgriechischen und eignen sich gut, um die "Geburt" der Philosophie nachzuzeichnen. "Mythos" bedeutet wörtlich übersetzt soviel wie "Erzählung", "Logos" hingegen benennt die geschriebene Rede und darüber hinaus allgemein die Vernunft. Auch das im Deutschen geläufige Wort "Logik" leitet sich von "Logos" ab.

Von den alten Mythen nimmt man an, dass sie die Wirklichkeit der Menschen zwar beschreiben konnten, ihr aber nicht mit "wissenschaftlicher Methode" auf den Grund gingen. Dem philosophischen Logos hingegen traut man zu, die menschliche Wahrnehmung der Wirklichkeit kritisch hinterfragt zu haben. Es geht also um eine ganz neue Einstellung des Menschen seiner Umwelt und sich selbst gegenüber. Durch diese neue Perspektive gewann der nach "Wahrheit" strebende Mensch neue Einsichten - "Philosophie" heißt wörtlich übersetzt nichts anderes als "Liebe zur Weisheit" ("philia" bedeutet "Liebe", "sophia" bedeutet "Weisheit"). Der Anspruch der Philosophie ist es, das eigene Selbst- und Weltbild einer kritischen Prüfung zu unterziehen.

Am Anfang war der Mythos

Prometheus (Gemälde von Gustave Moreau): Im Mythos ist er der Gott, der sich mit den Menschen verbündet. Zur Strafe lässt Zeus ihn anketten - jeden Tag kommt ein Adler und frisst von seiner Leber. (Quelle: Wikipedia)

Bevor die ersten griechischen Philosophen die Bühne der Weltgeschichte betraten, gab es zwei bedeutende und umfangreiche Schriftzeugnisse aus der Zeit um 800 vor Christus, in denen man den Ursprung der europäischen Geistesgeschichte schlechthin sieht: die "Ilias" (sie erzählt vom "Trojanischen Krieg", in dem die Griechen die Stadt Troja erobern und zerstören) und die "Odyssee" (sie erzählt von der abenteuerlichen Heimkehr des griechischen Helden Odysseus nach dem Trojanischen Krieg). Als ihr Urheber gilt der blinde Dichter Homer, deshalb spricht man auch von den "homerischen Epen". "Epen" ist die Mehrzahl von "Epos", dieser Begriff steht für eine dichterische Erzählung.

Ein weiterer bedeutender Text über die griechische Mythologie stammt von dem im achten vorchristlichen Jahrhundert geborenen Dichter Hesiod - lange Zeit hatte man den griechischen Mythos zuvor nur mündlich weitergegeben. Sein Werk, die so genannte "Theogonie", beschreibt die Entstehung der Welt und der Götter - wörtlich übersetzt bedeutet "Theogonie" soviel wie "Göttergeburt". Demnach ist die Welt aus dem Chaos entstanden - die Götter der "Hellenen" (so nannten sich die Griechen) mit ihrem höchsten Gott Zeus gingen schließlich siegreich aus dem Kampf mit dem alten Göttergeschlecht der "Titanen" hervor.

Die homerischen Epen verkörperten das mythische Weltbild der alten Griechen - die Geschicke der Menschen wurden hier von den übermächtigen Göttern gelenkt, die auf dem Berg Olymp wohnten. Die Vorsokratiker, also alle vor Sokrates lebenden und wirkenden griechischen Philosophen, setzten den homerischen Epen und Hesiods Götterwelt in der Zeit zwischen 600 und 400 vor Christus ihre "Naturphilosophie" entgegen - in der Geschichtsschreibung gilt diese Phase als Beginn der europäischen Philosophie.

Beginn der Philosophie in Griechenland

Thales von Milet: Er glaubte, dass der Grundbaustein der Welt das Wasser sei. Er hielt also etwas Stoffliches für das Wesentliche der Dinge, in der Philosophie nennt man diese Perspektive "Materialismus". (Quelle: Wikipedia)

Die ersten Vorsokratiker lebten an den griechisch besiedelten Küsten des Ägäischen Meeres - heute sind diese Gegenden teils griechisch und teils türkisch. (Damals war Griechenland in verschiedene Stadtstaaten aufgeteilt, die auch immer wieder miteinander in Konflikt gerieten.) Besonders die durch Handel reich gewordene Hafenstadt Milet gilt als eine Wiege der frühen griechischen Philosophie. Das Interesse der Vorsokratiker galt zunächst einmal der Natur, weshalb sie auch als "Naturphilosophen" oder "Kosmologen" bezeichnet wurden - "Kosmos" bedeutet "Ordnung der Welt".

Allgemein ging es darum, die Vorgänge in der Natur zu verstehen und zu erklären. In unterschiedlicher Weise wurden die Naturvorgänge auf "Urelemente" und "Prinzipien" zurückgeführt - ein Prinzip ist dasjenige, aus dem etwas anderes seinen Ursprung hat. So glaubte man zum Beispiel, dass ein einzelner Stoff wie das Wasser (bei Thales, 624 bis 546 vor Christus), das Feuer (bei Heraklit, 535 bis 475 vor Christus) oder die Luft (bei Anaximenes, 585 bis 524 vor Christus) der Kern für alles in der Natur sich Offenbarende sei. Auch Anaximander (611 bis 546 vor Christus) war ein bedeutender früher Philosoph - er stellte sich als Antriebskraft der Welt einen unsichtbaren und Bewusstsein besitzenden Stoff vor, den er "Apeiron" nannte.

Heraklit lehrte, dass die Natur und das Weltgeschehen - also das ganze "Sein" - sich in ständigem Wandel befindet. Man könnte bei Heraklit und seinen Anhängern vom Grundprinzip des "Werdens" sprechen. Die Gegenposition nahm der Philosoph Parmenides (520 bis 450 vor Christus) ein - bei ihm ist das eigentliche Sein unwandelbar, das Werden bloß eine Illusion. (Bei Platon werden diese beiden Positionen später kombiniert - er nahm einfach an, dass es zwei Welten gibt: die wandelbare Welt der "Erscheinungen" und die unwandelbare Welt der "Ideen".) Die für die frühen Vorsokratiker typische Vorstellung, dass sich alles in der Welt nur aus einem Element zusammensetzt oder aber nur einem Prinzip folgt, bezeichnet man auch als "Monismus" - "monos" ist ein Wort aus dem Griechischen und bedeutet "einzig".

Die Schule der Pythagoreer

Die Pythagoreer entdeckten die Ordnung der Mathematik in der Natur wieder, in der Philosophie ordnet man ihre Perspektive dem "Idealismus" zu. Abbildung: Die veränderte Größe von Glocken führt in gleichem Verhältnis zu veränderten Tonhöhen. (Quelle: Wikipedia)

Ein radikaler Neuansatz erfolgte im griechischen Siedlungsraum in Süditalien durch die "Pythagoreische Schule", benannt nach ihrem Begründer, dem Philosophen Pythagoras von Samos. Für die bestimmende Kraft innerhalb der Natur hielt man hier etwas, das selbst überhaupt nicht Teil der materiellen Welt ist, nämlich die Zahl. Pythagoras lebte von ungefähr 570 bis 510 vor Christus.

Die Zahl symbolisierte für die Pythagoreer so etwas wie ein geistiges Prinzip, das allen Naturerscheinungen zugrunde liegt. Die materielle Wirklichkeit folgt demnach einem kosmischen Ordnungsprinzip, und dieses wird sichtbar und nachvollziehbar in der Zahl und in der Mathematik. Die Pythagoreer verknüpften ihre philosophische Erkenntnis übrigens mit einer bestimmten Lebensform - sie lehnten den Verzehr von Fleisch ab, glaubten an die Wiedergeburt und sahen Männer und Frauen als gleichberechtigt an.

Bei den Pythagoreern zeigt sich die in der Philosophie sehr beliebte Unterscheidung zwischen "offensichtlicher" Wirklichkeit (auf Griechisch "phenomenon") und "wahrhaftiger" Wirklichkeit (auf Griechisch "noumenon"). Die verschiedenen philosophischen Schulen sahen in der "wahrhaftigen" Wirklichkeit entweder etwas Körperliches (dann spricht man von "Materialismus") oder etwas Geistiges (dann spricht man von "Idealismus"). Noch heute werden gegensätzliche philosophische Positionen oft entweder dem materialistischen oder dem idealistischen Lager zugerechnet.

Demokrits Atomlehre

Der Materialist Demokrit mutet sehr modern an: Er stellte sich die Welt aufgebaut aus einzelnen Atomen vor. Wenn wir etwas empfinden, dann ist der Grund dafür laut ihm die gegenseitige Berührung von Atomen. (Quelle: Wikipedia)

Die Vorstellung von Atomen, aus denen die ganze Welt zusammengesetzt ist, stammte ursprünglich von einem Philosophen namens Leukippos - dieser glaubte sogar, dass auch die menschliche Seele aus "Seelenatomen" aufgebaut sei. Sein Schüler Demokrit von Abdera (460 bis 371 vor Christus) nahm sich den Atomgedanken zum Grundsatz und gründete auf ihm ein ganzes philosophisches System.

Demokrit stellte die Theorie auf, dass die menschlichen Empfindungen dadurch zustande kämen, dass Atome die Sinnesorgane berührten - ein für die damalige Zeit erstaunlicher Gedanke. Die späteren materialistischen Naturforscher behaupteten nichts anderes. Die Welt im Ganzen hielt Demokrit für unzerstörbar, weil sie ja höchstens in die einzelnen Atome zerlegt werden könne. Die verschiedenen Atome - rund, glatt, krumm oder wie auch immer geformt - und das jeweilige Mengenverhältnis waren für ihn dafür verantwortlich, welche Beschaffenheit ein Stoff jeweils besitzt.

Es gab für Demokrit auch keine Götter, welche die Welt erschaffen haben könnten - seiner Weltsicht nach gehen die Atome den Naturgesetzen gemäß für alle Ewigkeit Verbindungen miteinander ein, die dann eben auch immer wieder gelöst werden (müssen). Demokrit sah die Lebenseinstellung der Menschen ("Ethik") von seinen Erkenntnissen berührt - sein Ideal war die Gelassenheit ("Ataraxie"), zu der ein Mensch gelangt, der sich von allen "falschen" Hoffnungen, wie sie sich zum Beispiel in der Religion äußern, frei gemacht hat.

Philosophie als Beruf: Die Sophisten

Der Philosoph Platon, dargestellt vom mittelalterlichen Maler Raffael: Die Sophisten tauchen in den von Platon verfassten Dialogen immer wieder als Gesprächspartner des Sokrates auf. (Quelle: Wikipedia)

Die Sophisten waren eine Gruppe von Philosophen, die in der späteren Geschichtsschreibung oft eher negativ gesehen wurden. Das liegt daran, dass die ersten wirklich berühmten Philosophen Sokrates und Platon in ihnen ein Feindbild sahen. Das meiste, was von den Sophisten überliefert ist, stammt aber aus den Schriften Platons.

Im Wort "Sophist" steckt wie auch im Wort "Philosophie" das Wortelement "sophia", das soviel wie "Weisheit" bedeutet. Der Philosoph ist der Überbringer dieser Weisheit, also ein Lehrer. In der Tat waren die Sophisten ausgebildete Philosophen, die ihre Dienste gegen Geld anboten.

Gerade darin sah Platon später etwas Problematisches - er kritisierte, dass es bei den Sophisten nicht mehr um die Erkenntnis selbst ginge, sondern vielmehr um den Schein. Die Sophisten unterwiesen ihre Schüler in der Kunst der Rede ("Rhetorik"). Platon verstand das so: Derjenige, der besser argumentieren kann, hat Recht - egal ob seine Erkenntnis "wahrhaftig" ist oder nicht. Wer im alten Griechenland die Kunst der Rede beherrschte, konnte auf eine erfolgreiche Karriere hoffen. Deshalb waren die Sophisten beliebte Dienstleister auch bei denen, die vor allem an Macht und Ansehen interessiert waren.

Die Sophisten unterschieden sich von den älteren Vorsokratikern dadurch, dass sie vor allem das menschliche Wesen zu ihrem Untersuchungsgegenstand machten - "Der Mensch ist das Maß aller Dinge", soll der berühmte Sophist Protagoras gesagt haben. Die Lehren der Sophisten kreisten vor allem um Politik und Ethik, an der Naturphilosophie waren sie weniger interessiert als ihre philosophischen Vorgänger. Die Wahrheit war in ihren Augen etwas mit dem Standpunkt des Menschen sich Wandelndes, wohingegen die älteren Vorsokratiker und auch ihr späterer "Gegner" Platon darin etwas Absolutes sahen.

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letzte Aktualisierung: 24.03.2010

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