von Katharina Hahn
Der Materialismus stellt eine Antwort auf die philosophische Frage dar: "Was existiert in der Welt?". Anhänger dieser philosophischen Denkrichtung, die Materialisten, entgegnen darauf, dass es nur Materie gibt. Danach sind alle Vorgänge und Phänomene der Welt auf die Gesetze und Wechselwirkungen von Materie zurückzuführen. Die Naturgesetze können nach dieser Vorstellung alles erklären, auch Gefühle und Gedanken und alles, was wir als "Seele" bezeichnen, wäre mit biologisch-chemischen Prozessen vollständig erklärbar.
Vereinfacht gesagt empfinden wir zum Beispiel ein Gefühl von Freude, weil bestimmte Vorgänge in unserem Körper stattfinden - es werden etwa spezielle Hormone ausgeschüttet. Oder auch die Empfindung des Verliebtseins ist auf biologische Prozesse zurückzuführen und ebenso der Grund, weshalb wir uns in jemanden verlieben, hat körperliche und materielle Ursachen. Das ist zumindest der Standpunkt des Materialismus.
Einer der ersten Materialisten war der antike griechische Philosoph Demokrit, der sich die Welt aus kleinsten, unteilbaren Materie-Klümpchen aufgebaut vorstellte - den Atomen. Diese "Atome", die unterschiedliche Formen haben können, bringen alle Körper und Stoffe hervor, die uns in der Welt begegnen. Mit der Entdeckung von immer mehr Naturgesetzen und dem Aufstieg der Naturwissenschaften begann in der Aufklärung auch der Materialismus wieder mehr Anhänger zu gewinnen. Vor allem "Atheisten" (also Menschen, die an eine Welt ohne Gott glauben) wie die Franzosen La Mettrie und Diderot vertraten ein materialistisches Weltbild. Sie gingen auch davon aus, dass alle Vorgänge in der Welt durch Naturgesetze vorbestimmt sind - diesen Standpunkt nennt man auch "mechanistisch".
Der Naturwissenschaftler und Philosoph Laplace veranschaulichte dieses Weltbild durch ein Gedankenexperiment. Er stellte sich einen "Dämon" als eine Intelligenz vor, die alle Naturgesetze kennt und über den gesamten Zustand jedes Teils des Universums zu einem bestimmten Zeitpunkt bescheid weiß. Dieser Dämon könne somit den Zustand der Welt und jedes ihrer Teile zu jedem beliebigen Zeitpunkt in der Zukunft oder Vergangenheit errechnen. Durch die moderne Quantenmechanik, die ältere physikalische Erklärungsmodelle abgelöst hat, führt der Materialismus heute nicht mehr zwangsläufig zu einem "deterministischen" Weltbild - gemeint ist die Überzeugung, dass alle Geschehnisse schon vorbestimmt sind und gar nicht anders ablaufen können. Weil das neuere Modell aber auch von einem "Zufall" ausgeht, sind demnach nicht alle Phänomene eindeutig zu berechnen.
Der Materialismus bietet auch eine Antwort auf das so genannte "Leib-Seele-Problem", ein klassisches Problem der Philosophie, das schon seit der Antike diskutiert wird. Die Frage in dieser Diskussion ist, wie unsere geistigen Vorgänge, unsere Ideen, Wünsche und unserer Wille mit der körperlichen Welt, unserem Körper und unserer Umwelt, zusammenhängen. Der philosophische "Idealismus" antwortet darauf, dass alles Materielle nur ein Abbild dessen ist, was in unseren Köpfen geschieht - eigentlich gibt es für uns nur eine geistige Welt, die die materielle Welt hervorbringt. So genannte "Dualisten" (vom lateinischen "dualis", das "zwei enthaltend" heißt) wie der französische Philosoph René Descartes meinen, dass es zwei Substanzen gibt, eine geistige und eine materielle, die aufeinander wirken können.
Die Materialisten hingegen sind der Meinung, dass es das Geistige gar nicht gibt - was wir als "Geist" oder "Seele" erleben, ist demnach nur eine Eigenschaft der Materie beziehungsweise körperlicher Vorgänge des Gehirns. In den letzten Jahrzehnten hat man viele neue Erkenntnisse in der Gehirnforschung und Neurobiologie - das ist die Wissenschaft, die sich mit dem Aufbau und der Entwicklung des menschlichen Nervensystems beschäftigt - gewonnen. Da somit auch neue biologische Erklärungsansätze für viele seelische Phänomene geschaffen wurden, ist die Frage des Leib-Seele-Problems erneut intensiv in der Philosophie diskutiert worden. Allerdings ist die Neurobiologie noch immer ein sehr unerforschtes Gebiet und viele Forschungsergebnisse sind sehr schwierig zu deuten oder können oft auch verschieden ausgelegt werden.
Einige Phänomene kann der Materialismus prinzipiell nicht vollständig beschreiben, meinen Kritiker der Theorie. Zum Beispiel das Selbstbewusstsein des Menschen und die Art, wie wir etwas wahrnehmen. Auch viele Begriffe wie "Wahrheit" oder "Erkenntnis", die sich auf Ideen und Vorstellungen gründen und keinen greifbaren Gegenstand beschreiben, könne der Materialismus nicht erklären. Darunter fällt auch der Begriff "Materialismus" selbst, der ja eine Theorie und nichts Materielles ist. Die Befürworter der Theorie antworten darauf, dass das hochentwickelte Gehirn, das reine Materie sei, solche "abstrakten Begriffe" erst hervorbringe und sie deshalb eben ein Produkt von Materie seinen - denn ohne ein Gehirn könnten sie nicht existieren. Andere Denker wiederum überzeugt das nicht, denn sie sind der Ansicht, dass mit rein körperlichen Vorgängen das menschliche Dasein und die Seele der verschiedenen Individuen noch lange nicht erklärt werden können.
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