von Britta Pawlak
"Im Mittelalter glaubte man noch, die Erde sei eine Scheibe. Wissenschaftler, die etwas Gegenteiliges behaupteten, kamen mit der Kirche in Konflikt" - Diese Aussage hört man immer wieder, und selbst in Schulen wird mitunter noch gelehrt, dass sich der Astronom Kopernikus mit seiner Theorie, die Erde sei rund, gegen die Weltanschauung der Kirche auflehnte. Tatsächlich glaubten im Mittelalter aber nur noch die wenigsten Menschen an das Modell der Erde als Scheibe. Selbst die Kirche war überzeugt davon, dass die Erde kugelförmig sei. Wie kam es zu diesem Volksmythos, und was hat es mit den Forschungen Kopernikus' auf sich, die dem damaligen Weltbild völlig widersprachen?
Das Bild der Erde als Scheibe war in frühen Kulturen, zum Beispiel bei den alten Ägyptern vor Tausenden von Jahren, verbreitet. In ihrer Vorstellung bestand die Erde aus drei Ebenen: In der Unterwelt befanden sich die Verstorbenen, in der Mitte lebten die Menschen des "Diesseits" - darüber lag der himmlische "Ort der Götter". Die Menschen damals fürchteten, dass man vom "Ende der Welt" aus in die Unterwelt stürzen könnte. Durch Beobachtungen der Erde und des Alls glaubten aber mit der Zeit immer weniger Menschen an das scheibenförmige Modell der Erde.
Vor allem unter den alten Griechen gelangten viele Gelehrte zu der Erkenntnis, dass die Erde eine runde Form haben müsse. Aristoteles zum Beispiel, der im 4. Jahrhundert vor Christus lebte, leitete dies aus der Beobachtung ab, dass bei anfahrenden Schiffen am Horizont immer zuerst der Mast sichtbar war - unabhängig, aus welcher Himmelsrichtung sie kamen. Zudem stellte er fest, dass sich bei einer Mondfinsternis ein kreisförmiger Schatten auf dem Mond abzeichnete. Bei einer Mondfinsternis steht die Erde immer genau zwischen Mond und Sonne, die drei Himmelskörper befinden sich dabei auf einer Linie. Hätte die Erde die Gestalt einer Scheibe, könnte sie also keinen runden Schatten auf den Mond werfen. Aristoteles war überzeugt davon, dass die Erde kugelförmig sein müsse. Auch unter den Geistlichen des Mittelalters - wie dem Theologen Thomas von Aquin - war die Vorstellung einer Erdkugel bereits weit verbreitet.
Wie kam es zum Mythos des "rückständigen" Mittelalters?
Ebenfalls falsch ist die weit verbreitete Annahme, die Entdeckungsfahrt Christoph Kolumbus' nach Amerika im Jahre 1492 hätte entscheidend zur Aufklärung beigetragen, dass die Erde kugelförmig ist. Um auf diese Art einen sicheren Beweis zu liefern, hätte er die Welt vollständig umsegeln müssen. Zum ersten Mal gelang dies dem portugiesischen Seefahrer Fernando Magellan im 16. Jahrhundert. Dass die Erde eine Scheibe sei, glaubte aber schon zu Kolumbus' Zeiten kaum noch jemand - schon gar nicht die Gelehrten.
Dass die Vorstellung der scheibenförmigen Erde im Mittelalter noch vorherrschend gewesen wäre, wurde erst nachträglich verbreitet. Zur Entstehung dieses Volksmythos' gibt es verschiedene Ansatzpunkte. Man vermutet, dass die Behauptung etwa Mitte des 19. Jahrhunderts in die Welt gesetzt wurde, um das stark kirchlich beeinflusste Mittelalter als besonders "wissenschaftsfeindlich", "primitiv" und "abergläubisch" erscheinen zu lassen. Das naturwissenschaftlich ausgerichtete "aufgeklärte Zeitalter" wurde dagegen als "weit überlegen" und "hoch gebildet" dargestellt.
Die Kirche war damals zwar bereits überzeugt vom Modell der kugelförmigen Erde, lehnte aber tatsächlich viele wissenschaftliche Theorien und Erkenntnisse ab. Einige Forscher, die mit ihren Lehren der Auffassung der Kirche widersprachen, wurden verfolgt und bestraft.
Was war die bahnbrechende Theorie des Kopernikus?
Auch im späten Mittelalter glaubten die Menschen noch an das ungefähr 1.500 Jahre alte Weltbild des Griechen Ptolemäus, nach dem die Erde den Mittelpunkt des Universums darstellte - und alle anderen Planeten um sie kreisten. Der Astronom Nikolaus Kopernikus, der 1473 in der polnischen Stadt Thorn geboren wurde, suchte jedoch nach Beweisen für seine Vermutung, dass nicht die Erde, sondern die Sonne im Mittelpunkt des Planetensystems stünde.
Diese These stammte allerdings nicht von Kopernikus, sondern existierte bereits: Der griechische Mathematiker Aristarchos von Samos, mit dessen Aufzeichnungen sich Kopernikus beschäftigte, war schon mehr als 1000 Jahre zuvor zu der Annahme gelangt, dass die Sonne im Zentrum stehe und die Planeten um sie kreisten. Kopernikus sah in den Ergebnissen seiner eigenen Untersuchungen und Berechnungen bestätigt, dass sich die Planeten in Kreisbahnen um die Sonne bewegten. Der bedeutende Astronom fürchtete allerdings, dass seine Forschungen auf Hohn anderer Gelehrter und Ablehnung der Kirche stoßen würden, und weihte nur wenige Menschen in seine bahnbrechenden Studien zum Sonnensystem ein.
Von "Gotteslästerung" zur entscheidenden Erkenntis der aufgeklärten Welt
Der berühmte Wissenschaftler Galileo Galilei, der von 1564 bis 1642 lebte, knüpfte an die Forschungen von Kopernikus an und lieferte der Welt physikalische Beweise für die Bahnbewegungen der Erde. Er glaubte zunächst, auch die Kirche von seinen sensationellen Forschungen überzeugen zu können. Die Lehre der Erdbewegung wurde allerdings als "absurd" und "irrgläubig" bezeichnet und galt als "Gotteslästerung". Galilei wurde gezwungen, seiner Überzeugung abzuschwören und lebenslang unter Arrest gestellt.
Johannes Kepler fand im 17. Jahrhundert das korrekte mathematische Modell zu Kopernikus' "neuer Weltanschauung". Der britische Wissenschaftler Isaac Newton (1643-1727) lieferte mit dem Gravitationsgesetz den endgültigen Beweis für Kopernikus' Theorie.
Galilei wurde übrigens erst im Jahr 1992 durch den Vatikan rehabilitiert. Das bedeutet, dass die Kirche sein Ansehen offiziell wiederherstellte, das sie ihm vor mehr als 350 Jahren wegen seiner Lehren zum Sonnensystem aberkannt hatte.
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