von Björn Pawlak
Fast nichts ist uns Menschen so selbstverständlich, wie unsere Fähigkeit, Dinge und andere Lebewesen in der Welt sehen zu können. Das Universum ist voll von Lichtstrahlen, die - wenn wir sehen - in den Linsen unserer Augen gesammelt und von dort auf die lichtempfindliche Netzhaut geworfen werden. Von dort werden die Informationen in das Gehirn eingespeist.
Das eigentliche Sehorgan ist das Auge. Zu ihm zählen der Augapfel, der Sehnerv, die Augenlider, der Tränenapparat und die Augenmuskulatur. Zwei Augen sind besser als eines - durch das gleichzeitige Sehen von zwei unterschiedlichen Punkten aus wird es nämlich erst möglich, Objekte in der näheren Umgebung von solchen in der Ferne zu unterscheiden ("Räumliches Sehen").
Die Seherlebnisse selbst nennt man auch "visuelle Wahrnehmung" - das Wort "visuell" ist lateinischen Ursprungs, "visus" bedeutet "Sehen". Es ist faszinierend, sich vorzustellen, dass der menschliche Geist durch das Sehen in die Welt hinaus "greifen" und dadurch "begreifen" kann - gleiches gilt natürlich auch für das Hören, Schmecken oder Riechen.
Dank der Informationen, die vom Sehnerv zum Gehirn gelangen, kann im Geist ein Modell davon entstehen, wie die Welt da "draußen" eigentlich beschaffen ist. Das Auge liefert dem Gehirn das "Rohmaterial", welches anschließend weiter verarbeitet wird.
Menschen können nicht sofort sehen - zumindest nicht sehr gut. Neugeborenen ist es noch nicht möglich, Gegenstände mit den Augen bewusst zu fixieren. Das von Lichtreizen überflutete Auge braucht Übung - erst wenn viele Dinge bereits bekannt sind, stellt sich das Sehen ein, dass uns zu einer Alltäglichkeit geworden ist. Das Gehirn gleicht ständig ab, ob die empfangenen Lichtreize Ähnlichkeit mit Bekanntem haben. Optische Täuschungen zeigen uns, wie unsere Wahrnehmung in die Irre geführt werden kann.
Voraussetzung für das Sehen: Licht
In der Welt gibt es ganz unterschiedliche Lichtquellen - ihnen allen ist gemeinsam, dass sie Strahlen erzeugen, die sich in alle Richtungen ausbreiten. Lichtwellen gehören zusammen mit den "Radiowellen" zur Familie der "elektromagnetischen Wellen". Die Lichtgeschwindigkeit beträgt 300.000 Kilometer in der Sekunde.
Je nachdem wie hoch die "Frequenz" einer Lichtwelle ist, werden unterschiedliche Farben wahrgenommen - die Frequenz ist die Maßeinheit für die Häufigkeit, in der eine Welle innerhalb einer Zeiteinheit auf- und abschwingt.
Eine andere wichtige Maßeinheit ist die "Wellenlänge" - gemeint ist die Entfernung zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Punkt der Wellenbewegung. Je höher beim Licht die Frequenz, desto niedriger die Wellenlänge - man spricht von "umgekehrter Proportionalität".
Der für den Menschen sichtbare Bereich der elektromagnetischen Strahlung ist relativ eng begrenzt. Ultraviolett (hohe Frequenz und niedrige Wellenlänge) und Infrarot (niedrige Frequenz und hohe Wellenlänge) werden zwar von manchen Tieren, nicht aber vom Menschen wahrgenommen - dazwischen liegen die für uns sichtbaren Farbtöne Violett, Blau, Grün, Gelb, Orange und Rot.
Wenn Lichtstrahlen auf andere Gegenstände treffen, werden sie normalerweise zurückgeworfen - Licht fällt auf Gegenstände und macht sie sichtbar. Für unser Leben auf der Erde ist es natürlich vor allem die Sonne, die alles in Licht taucht. Im Universum gibt es unendlich viele Sonnen - weil sie so weit weg sind, sehen wir sie allerdings nur als Lichtpunkte. Aber auch ein Feuer in der Nacht oder mit Strom gespeiste Laternen sind Lichtquellen, die uns helfen, zu sehen.
Wenn Lichtstrahlen ins Auge eintreten, sehen wir entweder die Lichtquelle selbst, oder aber den Gegenstand, von dem sie abgelenkt werden. Das eintretende Licht fällt dabei mit unterschiedlichem Einfallswinkel in das Auge - bei späteren Verarbeitungen im Gehirn kann "berechnet" werden, wie groß Gegenstände sind, welche Farbe sie haben, wie stark sie leuchten und in welcher Ferne sie sich befinden.
Die Augen: verlängerter Arm des Gehirns
Die Informationen bezüglich dessen, was wir jetzt gerade vor uns sehen, werden von den Augen aufgefangen und über den Sehnerv ins Gehirn weitergeleitet. Man spricht von der "Sehbahn", die beim Auge beginnt und sich im Gehirn verzweigt.
Wir können uns aber auch Bilder "vor unserem inneren Auge" vorstellen, die nicht gleichzeitig der Außenwelt entsprechen. Das Gehirn kann tatsächlich gesehene Eindrücke im Gedächtnis festhalten und bei passender Gelegenheit erneut aktivieren oder auch neu kombinieren. Im Grunde haben auch diese inneren Bilder etwas mit dem Sehen zu tun.
Was passiert mit den Lichtstrahlen, die auf das Auge treffen? Um dies zu verstehen, muss man sich zunächst einmal überlegen, wie das Auge eigentlich aufgebaut ist. Die empfindlichen kugelförmigen Augäpfel liegen geschützt durch umgebende Fettpolster in den knöchernen Augenhöhlen des Schädels. Nur ein kleiner Teil des Augapfels liegt frei, mit diesem Teil sehen wir. Dank der Augenlider können die Augen ganz geschlossen werden - durch den so genannten "Lidschlussreflex" schließen wir die Augen dauernd auch "unwillkürlich" (nicht willentlich gelenkt).
In den Augenhöhlen befinden sich die Tränendrüsen. Der die Tränenflüssigkeit produzierende Tränenapparat liegt in der Nähe der Nase - notfalls kann eingedrungener Schmutz aus dem Auge herausgespült werden. Es gibt allerdings auch noch andere Gründe, warum man weint.
Am in den Augenhöhlen liegenden Teil des Augapfels sind die Augenmuskeln befestigt - mit ihrer Hilfe ist der Augapfel beweglich. Man kann so auch ohne den Kopf zu bewegen in verschiedene Richtungen schauen.
Der Durchmesser des Augapfels liegt beim Menschen bei etwas über zwei Zentimetern. Die Umhüllung des teils mit Flüssigkeit ("Kammerwasser"), teils mit Gallert ("Glaskörper") gefüllten Augapfels besteht aus drei Schichten: der "äußeren Augenhaut", der "mittleren Augenhaut" und der "inneren Augenhaut".
An der Stelle, wo das Licht ins Auge eintritt, ist die äußere Augenhaut eine durchsichtige und ständig mit Tränenflüssigkeit befeuchtete Hornhaut - das häufige und uns kaum bewusste Blinzeln mit den Augenlidern (etwa 20 mal pro Minute) sorgt für das Befeuchten der Hornhaut. Weiter hinten geht die durchsichtige Hornhaut in die weiße "Lederhaut" über.
Licht wird auf die Netzhaut projiziert
Der sichtbare Teil unser Augen sind "Pupille" und "Iris" (auch "Regenbogenhaut" genannt) - beide sind in der mittleren Augenhaut eingelagert. Die Farbe der Iris ist zugleich auch die Farbe unserer Augen.
Die Pupille ist eine in der Mitte der Iris liegende Öffnung - ihre Aufgabe ist es, den Lichteinfall in das Innere des Auges zu kontrollieren. Bei starker Lichteinstrahlung wird sie kleiner, bei Dunkelheit größer. Dadurch ist gewährleistet, dass im ersten Fall weniger, im zweiten Fall mehr Licht einfallen kann. Die Pupille funktioniert ähnlich wie die Blende bei einem Fotoapparat. Das Vergrößern und Verkleinern der Pupille wird mithilfe von Muskeln in der Iris gesteuert.
Hinter Iris und Pupille liegt die Linse des Auges. Auch ihre Größe ist veränderbar - von der Linse verlaufen Muskelfasern zur äußeren Haut des Augapfels. Die Linse ist lichtdurchlässig - allerdings lenkt sie das einfallende Licht so um, dass das sich auf der Netzhaut zeigende Abbild der Außenwelt auf dem Kopf steht. Wenn ein Auge einen Menschen "erblickt", dann wird durch Pupille und Linse ein kleines Abbild dieses Menschen auf die Netzhaut geworfen ("projiziert"), das Kopf steht.
Die Linse "bündelt" dank ihrer Krümmung die durch die Pupillen eingefallenen Lichtstrahlen und wirft sie auf die Netzhaut an der Rückwand des Auges. Die Rückseite der Linse ist stärker gekrümmt als die Vorderseite. Durch die Veränderung der Form der Linse verändert sich auch das "Bild", das im hinteren Teil des Auges schließlich auf die Netzhaut geworfen wird. Das ist wichtig, damit man sowohl in der Ferne als auch in der Nähe "scharf" sehen kann.
Je gewölbter die Linse ist, desto stärker wird das Licht gebrochen - bei Nahsicht ist sie schlaff und stark gewölbt, bei Fernsicht hingegen gespannt und flach. Die Änderung der Linsenform nennt man "Akkomodation". Bei vielen Menschen gibt es Probleme mit der Linse, so dass sie sich entweder nur in der Ferne ("Weitsichtigkeit") oder nur in der Nähe ("Kurzsichtigkeit") ein scharfes Bild von ihrer Umwelt machen können.
Die Netzhaut (auch "Retina" genannt) besteht aus einer Schicht lichtempfindlicher "Rezeptoren" - "recipere" ist Lateinisch und bedeutet "aufnehmen". Die Rezeptoren haben Kontakt mit dünnen Nervenfasern, die von der Rückwand des Auges richtung Gehirn führen. Wird ein Rezeptor von Licht getroffen, dann werden Signale die dünnen Nervenfasern entlang bis zum Sehnerv im Gehirn gesendet. Aus all diesen Signalen setzt das Gehirn dann das zusammenhängende "Bild" zusammen, das wir uns von der Welt machen.
Stäbchen und Zapfen: Fenster zum Gehirn
Insgesamt sind Millionen von Sinneszellen in der Netzhaut eingelagert, die von Blutgefäßen auf der Rückseite der Netzhaut mit Nährstoffen versorgt werden. Man unterscheidet zwei Arten von Rezeptoren: Stäbchen und Zapfen.
Die Stäbchen sind empfindlich für die unterschiedliche Stärke des Lichts (hell/dunkel), die Zapfen hingegen schlüsseln die einzelnen Farben auf. Stäbchen und Zapfen sind die Orte, an denen Lichtstrahlen in "Informationen" übersetzt werden, mit denen unser Gehirn arbeiten kann - in elektrische Impulse.
Auch wenn unsere Sprache aus praktischen Gründen nicht besonders viele Namen für die Farbe kennt, kann unser Gehirn im Verbund mit dem Auge eine unglaublich große Menge verschiedener Farbtöne unterscheiden, genauer gesagt mehrere Millionen. Besonders an einem bestimmten Ort auf der Netzhaut, "gelber Fleck" genannt, sitzen sehr viele Zapfen. Hier projizierte Bilder werden besonders scharf gesehen. Nach außen hin nimmt die Anzahl der Zapfen immer weiter ab.
Die elektrischen Impulse wandern die Sehnerven entlang, wobei sich ihre Bahnen teilweise kreuzen. Aus dem linken Auge stammenden Signale werden also teilweise in der rechten, aus dem rechten Auge stammende Signale in der linken Gehirnhälfte verarbeitet. Der mit dem Sehen beschäftigte Gehirnbereich heißt "Visueller Cortex" oder "Sehrinde" - er befindet sich an der Rückseite des Großhirns. Im Grunde wiederholt sich hier, was schon auf der Netzhaut passiert ist: Bestimmte Muster in der Außenwelt, die durch die Augen in den Körper eingedrungen sind, spiegeln sich Im Inneren. Wenn ein Auge einen Menschen sieht, dann gibt es also nicht bloß ein Abbild auf der Netzhaut, sondern auch ein typisches Muster im Gehirn.
Hinter der Netzhaut beginnt der große und noch immer unverstandene Raum des Denkens. Zwar weiß man, welche Hirnregionen besonders aktiv sind, wenn die Augen etwas wahrnehmen - man weiß aber nicht wirklich, wie es möglich ist, dass daraus ein aus der Ich-Perspektive heraus als sehend erlebtes Bild von der Welt entsteht. An der Schwelle zwischen Sehapparat und Gehirn beginnt das Forschungsgebiet des Bewusstseins. Die Nervenbahnen des Sehzentrums vernetzen sich mit anderen Bereichen des Gehirns - Sehen wird so eingegliedert in unsere Gesamtschau der Welt.
Hinweis zum Copyright: Die private Nutzung unserer Webseite und Texte ist kostenlos. Schulen und Lehrkräfte benötigen eine Lizenz. Weitere Informationen zur SCHUL-LIZENZ finden Sie hier.
Wenn dir ein Fehler im Artikel auffällt, schreib' uns eine E-Mail an redaktion@helles-koepfchen.de. Hat dir der Artikel gefallen? Unten kannst du eine Bewertung abgeben.