von Ines Schulz-Hanke
"Musst du deine Nase in alles stecken?" - nein, zumindest nicht, um etwas zu riechen, denn der Geruchssinn ist ein "Fernsinn": Die Pizza im Ofen können wir schon im Treppenhaus erschnuppern und auch, ob der Bäcker Brötchen gebacken hat, lässt sich so bereits auf der Straße feststellen. Aber wie können wir einzelne Gerüche erkennen und auseinanderhalten, wie funktioniert unser Geruchssinn und was genau passiert in unserem Körper, wenn wir bestimmte Düfte und Gerüche wahrnehmen?
Wir können bis zu 10.000 Duftstoffe unterscheiden und in unserem Gedächtnis speichern. Gerüche auseinanderzuhalten ist nicht nur wichtig, um Gefahren zu erkennen und beispielsweise Essbares von Verdorbenem zu unterscheiden, sondern unser Geruchssinn ist auch eng mit unserem Gefühlsleben verknüpft - so verbinden wir ganz unterschiedliche Situationen und Stimmungen mit verschiedenen Duftstoffen. Damit wir Dinge riechen können, reichen winzige Duftmoleküle (Moleküle sind kleinste Teilchen aus zwei oder mehr Atomen), die mit der Luft beim Einatmen auf die Riechschleimhaut im oberen Bereich der Nasenhöhle gelangen.
Die Geruchs- oder Aromastoffe, die sich beispielsweise von duftenden Blumen, leckerer Pizza und unangenehmem Schweiß lösen, binden an spezielle "Rezeptoren" der Riechzellen. Es gibt im Körper viele verschiedene Rezeptoren (aus dem Lateinischen von "recipere", das aufnehmen oder empfangen heißt), bei denen es sich um Empfangsstellen für bestimmte Reize handelt. In diesem Fall wandeln die speziellen Geruchsrezeptoren die Information in die "Sprache" des Nervensystems um - also in elektrische Impulse, die über die Riechnerven an das Gehirn weitergeleitet werden. Und das speichert Gerüche über viele Jahre, gekoppelt mit Bildern von dem, was da riecht, und häufig verbunden mit Gefühlen, die ein Geruch auslöst: So erinnert uns vielleicht ein besonderes Parfüm an einen bestimmten Menschen oder in unserem Kulturkreis verknüpfen viele Zimt- und Tannennadelgeruch mit Weihnachten und Glück.
Biologischer Sinn: "Das riecht nach Gefahr…"
Für den Menschen hat der Geruchssinn in erster Linie eine Schutzfunktion: Er warnt vor Gefahren wie Feuer, also Brandgeruch, und davor, verdorbene Lebensmittel wie faule Eier oder saure Milch zu sich zu nehmen sowie schädliche Stoffe einzuatmen. Der Körper reagiert im Notfall mit nicht zu unterdrückenden Schutzreflexen wie Niesen, Husten und Würgen. Das funktioniert allerdings nur, wenn unsere Riechschleimhaut mit Rezeptoren für die entsprechenden Warnsignale ausgestattet ist.
Der Geruchssinn unterstützt die Körperhygiene - und lässt uns zum Beispiel nach dem Sport mindestens die Füße waschen. Außerdem vermuten Forscher, dass der Geruchssinn auch bei der Partnerwahl eine Rolle spielt und dass wir einen Menschen mögen, wenn wir seinen körpereigenen Geruch "gut riechen können". Dass viele von uns eine Fahne aus Knoblauch- und Zwiebelgeruch als abstoßend empfinden, Parfümduft aber angenehm, ist kein angeborener Instinkt, sondern erlernt. Trotzdem begünstigt wohl eher ein zarter Duft als eine Knoblauchfahne den ersten Kuss - wobei ein sehr aufdringliches Parfüm auch als unangenehm empfunden werden kann. Unser Geruchssinn beeinflusst also unser soziales Leben, auch wenn er nicht so fein ist wie der der Hunde oder einiger anderer Tiere.
Wenn wir schnuppern, also gezielt versuchen, einen Geruch wahrzunehmen, verändert sich übrigens der Luftstrom in der Nase so, dass besonders viel Luft an der Riechschleimhaut im oberen Nasenbereich vorbeiströmt. Das kann man im Selbstversuch auch spüren!
In die Nase geschaut: die Riechschleimhaut
Hinter den Nasenlöchern strömt die eingeatmete Luft zunächst durch die Nasenvorhöfe, die mit kräftigen Haaren ausgestattet sind und die Atemluft von groben Schmutzpartikeln und gegebenenfalls eingedrungenen Fremdkörpern wie Insekten reinigt. Dahinter liegen, ebenfalls durch die Nasenscheidewand voneinander getrennt, die linke und die rechte Nasenhöhle. Jede wird von drei knöchrigen und mit Schleimhaut überzogenen Vorsprüngen, den Nasenmuscheln, in drei Nasengänge unterteilt.
Die Nasenmuscheln vergrößern die Schleimhautoberfläche so, dass die Atemluft an ihr aufgewärmt, angefeuchtet und von Staub und Krankheitserregern gereinigt werden kann. In der obersten der drei Nasenmuscheln schließlich sitzt die Riechschleimhaut, die auch "Riechepithel" genannt wird. Sie ist beim Menschen etwa so groß wie eine Ein-Euro-Münze (fünf Quadratzentimeter) und enthält ungefähr zehn bis 30 Millionen Riechzellen. Zum Vergleich: Bei Hunden, die eine wesentlich feinere Nase haben als wir, ist sie 15 bis 30 mal größer (75 bis 150 Quadratzentimeter), erreicht also etwa die Fläche eines DIN-A-6-Blattes.
Die Riechzellen bilden auf der Oberseite Ausstülpungen mit je sechs bis zehn Riechhaaren, die als verfilztes Geflecht unter einer Schleimschicht liegen. Hier binden Geruchsmoleküle an "ihre" Rezeptoren, zu denen sie passen wie ein Schlüssel ins Schloss. Riechzellen, an die sich ein Duftmolekül anlagert, "feuern": Sie erzeugen einen elektrischen Impuls, den sie über ihr so genanntes "Axon" am anderen Zellende weiterleiten - das ist ein röhrenförmiger Zellfortsatz (aus dem Altgriechischen übersetzt heißt Axon Achse). Die Axone der Riechzellen bilden die feinen Nervenfasern des Riechnervs, verlaufen durch eine siebförmig durchlöcherte Platte des Schädelknochens, das Siebbein, und münden in den Riechkolben ("Bulbus olfactorius"). Das ist nicht etwa die Nase, sondern ein schlanker Fortsatz des Stirnhirns oberhalb der Augenhöhlen.
Riechen kann glücklich oder ängstlich machen
Aus dem Riechkolben wird die Geruchsinformation an das Riechhirn weitergeleitet, wo Gerüche bewusst wahrgenommen und verarbeitet werden. In Bereichen der Großhirnrinde werden Gerüche mit Vorliebe oder Abneigung verknüpft. Das so genannte "limbische System" bewertet eine Situation gefühlsmäßig, in der ein bestimmter Geruch auftritt, und speichert diesen Gefühlseindruck zusammen mit dem Geruch. So kann es sein, dass uns bei dem Geruch nach Omas Geburtstagskuchen auch nach Jahren noch ein glückliches Gefühl beschleicht oder eine wilde Aufregung, wenn es unerwartet nach dem Geruch oder Parfum des Menschen duftet, in den wir uns verliebt haben. Und im ungünstigen Fall empfinden wir den Geruch von Pommes oder anderen Lebensmitteln auch nach Monaten noch abstoßend, wenn wir uns damit einmal den Magen verdorben haben.
Ein weiterer Hirnbereich, der so genannte Hippocampus, koordiniert Gerüche mit Eindrücken aus anderen Sinneszentren, zum Beispiel dem Sehen, Hören und Fühlen. Deshalb empfinden manche Menschen nicht nur Angst, wenn sie Desinfektionsmittel riechen, sondern sie sehen förmlich einen Arzt mit Spritze vor sich oder hören den Bohrer vom Zahnarzt sirren. Wenn diese Menschen dann auch noch blass werden, zu schwitzen beginnen und vielleicht die Zähne zusammenbeißen, dann liegt das daran, dass das Gehirn (genauer: der Hypothalamus) aufgrund von Gerüchen körperliche ("vegetative") und unwillkürliche ("affektive") Reaktionen auslösen kann. Dazu zählen auch Speichelfluss im Mund, die vermehrte Bildung von Magensäure und ein freudiges Lächeln im Gesicht des Hungrigen, der frische Pizza riecht. Wie wir auf Gerüche reagieren, hängt außerdem davon ab, in welchem Zustand wir uns gerade befinden: Bei jemandem, der gerade sehr viel gegessen hat, löst der Pizzaduft keinen Speichelfluss und eher Widerwillen oder sogar Ekel aus.
Obwohl wir also im Gegensatz zu Hunden keine "Nasentiere" sind, kann uns der Geruchssinn stark beeinflussen. Und weil die Verknüpfung zwischen Geruch und Gefühlslage erlernt und bei jedem Einzelnen anders ist, reagieren wir auch unterschiedlich auf Gerüche. Wenn allerdings die Nasenschleimhäute wegen einer Erkältung geschwollen und die Nasengänge durch Sekret verstopft sind, nutzt auch die Hirnleistung nichts mehr: Dann fällt der Geruchssinn ganz oder teilweise aus, weil keine Luft zum Riechepithel gelangt.
Verschiedene Duftstoffe und -klassen
Der Geruchssinn ist wie der Geschmacksinn ein "chemischer" Sinn, denn die Riechzellen reagieren auf chemische Reize in Form von Molekülen. Hingegen sind "physikalische" Reize für das Sehen (in Form von Licht), Hören (in Form von Schallwellen) und Tasten (in Form von Druck) notwendig. Die Rezeptoren in der Riechschleimhaut, die den Kontakt zwischen Außenwelt und der elektrischen Weiterleitung ins Gehirn vermitteln, heißen deshalb "Chemorezeptoren".
Duftstoffe sind sehr kleine Moleküle, die fettlöslich (man sagt auch "lipophil") und flüchtig sind, also aus ihrem flüssigen oder festen Zustand in die Luft übergehen. Trotzdem riechen wir nicht alle Stoffe, die diese Bedingungen erfüllen. So können wir weder das hochgefährliche Gas Kohlenmonoxid noch den lebensnotwendigen Sauerstoff riechen. Als Geruch nehmen wir nur solche Stoffe wahr, für die es in unserer Riechschleimhaut auch Rezeptoren gibt. Der Mensch besitzt rund 350 unterschiedliche Rezeptoren und kann bis zu 10.000 Gerüche unterscheiden. Das gilt allerdings nur für geübte "Riecher" wie beispielsweise Parfümeure oder Kaffeetester. Die Angaben darüber, wie viele Duftstoffe ein ungeschulter Mensch erkennen und korrekt benennen kann, reichen von mehreren 100 bis zu mehreren 1.000. Jedenfalls lässt sich diese Fähigkeit trainieren.
Im Gegensatz zu festgelegten Geschmacksqualitäten - süß, sauer, salzig, bitter und fleischig/ würzig ("umami") - lassen sich Geruchswahrnehmungen nicht eindeutig voneinander abgrenzen. Auch riechen Moleküle, die ähnlich aufgebaut sind, nicht unbedingt vergleichbar. Deshalb werden Gerüche in so genannten Duftklassen oder "Primärgerüche", also Hauptgerüche, zusammengefasst ("primarius" bedeutet aus dem Lateinischen übersetzt "an erster Stelle"): stechend (wie Essig), faul (wie verdorbene Eier), schweißig (Körperschweiß), kampherartig (etwa Eukalyptus oder Mottengift), mentholartig (Minze), blumig (Rosenöl) und ätherisch (Birnen). Viele Aromastoffe, die wir zu schmecken glauben, riechen wir genau genommen. Denn die Duftstoffe aus der Nahrung gelangen direkt durch die Nase und durch die Verbindung der Nase mit dem Rachenraum zum Riechepithel. Insofern ist der Geruchssinn nicht nur ein "Fern-", sondern auch ein "Nahsinn".
Spürnase: Wahrnehmen und Erkennen
Die Höhe der Konzentration eines Duftstoffes, bei der wir einen Geruch wahrnehmen können, nennt man "Wahrnehmungs- oder Entdeckungsschwelle". Aber erst bei einer zehn- bis 50-fachen Konzentration dieses Stoffes können wir ihn wirklich erkennen und benennen - deshalb spricht man von einer "Erkennungsschwelle". Sie ist von Stoff zu Stoff verschieden und für viele unangenehme Gerüche wie zum Beispiel den sehr giftigen Schwefelwasserstoff (der Geruch fauler Eier) oder Buttersäure (Schweiß) besonders niedrig.
Mit Hunden kann der Mensch trotzdem nicht mithalten: Wir riechen Schweiß, wenn ein bis zehn Milliarden Buttersäuremoleküle in einem Milliliter Luft (das entspricht einem Kubikzentimeter, also einem Würfel mit einer Kantenlänge von einem Zentimeter) vorhanden sind. Einem Hund dagegen genügen schon 10.000 Moleküle, um den Geruch von Schweiß auszumachen.
Übrigens riechen wir bei geringer Luftfeuchtigkeit und Temperatur schlechter als bei hoher und nehmen verschiedene Gerüche weniger gut wahr, wenn wir satt sind. Dass es uns schwerfällt, Gerüche zu benennen, liegt möglicherweise daran, dass die Verknüpfung zwischen Sprachzentrum und den Hirnbereichen für die Geruchsverarbeitung nicht sehr ausgeprägt ist.
"Ich riech' nix!": Anpassung, Gewöhnung und Maskierung
Sind wir einem Geruch in gleichbleibender Stärke länger ausgesetzt, dann erfolgt eine Anpassung oder Abstumpfung - man nennt das auch "Adaption": Wir nehmen den Geruch immer schwächer und nach einiger Zeit auch überhaupt nicht mehr wahr. Das kann je nach Geruch bereits nach einigen Sekunden bis Minuten geschehen. Erst, wenn wir der Nase eine Pause gönnen, riechen wir den Geruch wieder. Das merkst du etwa, wenn du ein Klassenzimmer mit vielen heftig denkenden Schülern verlässt und es ein paar Minuten später wieder betrittst - oft stellst du dann fest, dass es zum Beispiel stickig, muffig oder nach Schweiß riecht. Für diese Adaptation sind die Riechzellen verantwortlich. Sie werden gehemmt und feuern keine Nervenimpulse mehr an das Gehirn, wenn sich der Geruch nicht verändert. Weil nur die für den "Dauergeruch" verantwortlichen Riechzellen davon betroffen sind, können wir andere Gerüche trotzdem wahrnehmen, zum Beispiel Kaffeegeruch in einem verrauchten Raum.
Die Gewöhnung (man spricht auch von "Habituation") hingegen ist eine Form des Lernens und findet nicht auf der Ebene der Riechzellen statt, sondern im Gehirn. Ein Geruch wird nicht mehr wahrgenommen, weil er keine wichtigen Informationen mehr liefert, und wir können ihn auch dann nicht riechen, wenn wir versuchen, uns auf ihn zu konzentrieren. Das zeigt sich, wenn wir von einer längeren Reise in die eigene Wohnung zurückkehren: Nur dann nämlich nehmen wir den Geruch des eigenen "Nests" wieder wahr, während wir beim Betreten fremder Wohnungen den dort typischen Geruch immer riechen.
Trifft eine Mischung aus Duftstoffen auf die Rezeptoren in der Riechschleimhaut, dann kann ein neuer Geruchseindruck aus dieser Mischung entstehen. Kaffeeduft besteht zum Beispiel aus über 20 einzelnen Duftstoffen. Es kann aber auch passieren, dass sich ein Duftstoff im Gemisch durchsetzt und wir die anderen Duftbestandteile nicht mehr riechen. Ein solcher Geruchsstoff wird "maskierender Duftstoff" genannt, weil er andere Gerüche maskiert, also versteckt. In Waschmitteln, aber auch Raum- und Textilerfrischern, Duftkerzen und Toilettensprays, werden maskierende Duftstoffe verwendet.
Der Einsatz solcher Duftstoffe ist durchaus bedenklich: Sie verhindern unter Umständen, dass uns schlechte Gerüche vor Gefahren oder mangelnder Sauberkeit warnen, können bei empfindlichen Menschen Allergien auslösen und sollten keinesfalls Hygienemaßnahmen ersetzen. Menschen, die solche starken künstlichen Duftstoffe nicht gewöhnt sind, empfinden diese auch oft als unangenehm. Bei dicker Luft in Innenräumen ist es deshalb besser, die Geruchsquelle zu beseitigen - den Mülleimer auszuleeren, regelmäßig zu putzen, die Toilette zu reinigen - und zu lüften. Natürliche Duftstoffe, die man etwa aus Auszügen von Blumen, Kräutern und Früchten gewinnt, können hingegen zusätzlich und in Maßen ohne Bedenken eingesetzt werden.
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