von Tanja Lindauer
Mit seinem Theaterstück "Die Weber" sollte er zu einem der bekanntesten deutschen Schriftsteller aller Zeiten werden. Doch nicht immer schätzte man dieses "aufrührerische" Werk, das nach der ersten Aufführung sogar verboten werden sollte. Gerhart Hauptmann, ein wichtiger Vertreter des "Naturalismus", wollte in seinen Texten die Zustände möglichst wirklichkeitsgetreu darstellen und auch Elend und Armut der Menschen nicht ausblenden. Am 15. November 2012 wäre der große Schriftsteller 150 Jahre alt geworden. Wer war dieser Mann, der es schaffte, das Publikum ebenso zu begeistern wie zu empören und sogar den deutschen Kaiser zu erzürnen?
Am 15. November 1862 wurde Gerhart Hauptmann als viertes Kind der Eheleute Robert und Marie Hauptmann in Obersalzbrunn in Schlesien geboren. Die Eltern betrieben ein Hotel im Ort und hier besuchte der junge Gerhart auch zunächst von 1868 an die Dorfschule, bevor er 1874 nach Breslau an die Realschule wechselte. Es fiel ihm nicht leicht, sich in dieser neuen Stadt einzuleben, da er mit der preußischen Erziehung und der ungleichen Behandlung von Adeligen und einfachen Bürgern nicht zurechtkam.
Nach seinem Abschluss begann er 1878 eine Lehre als Landwirt, die er aber schon ein Jahr später aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste. Er hatte seitdem zeitlebens mit einem Lungenleiden zu kämpfen. So wandte er sich der Kunst zu und studierte von 1880 bis 1882 Bildhauerei in Breslau. Ein Musterschüler war aber keineswegs - zwischenzeitlich musste er sogar die Kunstschule aufgrund schlechten Betragens verlassen.
Hauptmann wuchs in einer Zeit auf, in der Europa geprägt war von Umbrüchen und Kriegen. Als Frankreich 1871 aus dem Deutsch-Französischen Krieg als Verlierer hervorging, musste der Staat an Deutschland als Entschädigung so genannte "Reparationszahlungen" leisten. Dies nutzte der deutsche Kaiser, um sein Land in Europa weiter voranzubringen. Als junger Mann konnte Gerhart beobachten, wie sich aus dem Deutschen Kaiserreich nach und nach ein moderner Industriestaat entwickelte, in dem die Landwirtschaft immer mehr an Bedeutung verlor. Für die zahlreichen Bauern war das sehr schlimm, denn sie verdienten kaum noch Geld und der Anteil armer Menschen in der Bevölkerung wuchs. Es gab nur wenige, die aus der Industrialisierung Gewinn erzielen konnten und sehr viele, die auf der Verliererseite standen.
Kritik an der "Literatur der Lüge"
In der Literatur wurden diese gesellschaftlichen Missstände zunächst wenig thematisiert. Hauptmann wollte das ändern und verneinte die "Literatur der Lüge", wie er sie nannte. Im Alter von 19 Jahren verlobte er sich heimlich mit Marie Thienemann, die er bei der Hochzeit seines Bruders mit Adele Thienemann kennenlernte, und mit der er später drei gemeinsame Kinder haben sollte. Da Marie eine Tochter wohlhabender Kaufleute war, konnte Hauptmann so 1882 ein Studium der Literaturgeschichte und der Philosophie in Jena aufnehmen, das er aber bereits kurz darauf abbrach. Er setzte sich nun in den Kopf, in Rom Bildhauer zu werden, doch auch dieser Plan scheiterte und er kehrte nach Deutschland zurück.
Hauptmann war ein umtriebiger Geist und seinen Platz in der Gesellschaft wollte er einfach nicht so recht finden. Es folgten ein Zeichenstudium in Dresden und ein Geschichtsstudium in Berlin, die er ebenfalls ohne einen Abschluss vorzeitig beendete. Er und Marie heirateten am 5. Mai 1885 und lebten fortan aufgrund seines Lungenleidens in Erkner auf dem Land. Gerhart Hauptmann interessierte sich immer mehr für zeitgenössische Literatur und das Theater und so trat er bald dem Literatenverein "Durch" bei, welchen er bei seinem Umzug nach Charlottenburg bei Berlin im Jahr 1889 kennenlernte. In diesem Verein gab es vornehmlich Vertreter der literarischen Richtung des "Naturalismus", die dazu aufriefen, dass die Literatur die Wirklichkeit darstellen und dabei auch das menschliche Elend nicht ausblenden sollte. Hauptmann fühlte sich hier verstanden und er verfasste seine ersten Stücke.
Und so entstand in dieser Zeit etwa sein Stück "Bahnwärter Thiel" (1888), das von einem hart schuftenden und unterdrückten Bahnwärter erzählt, der an der grausamen Realität zerbricht und nach dem Unfalltod seines geliebten Sohnes dem Wahnsinn verfällt. Kritische Werke zu verfassen, in denen der Autor seine Ansichten äußerte und auch soziale Ungerechtigkeit anprangerte, war zu damaligen Zeiten nicht einfach und man musste ständig fürchten, dass die Texte der "Zensur" zum Opfer fielen, also nicht veröffentlich werden durften. Hauptmann ließ sich jedoch nicht beirren, auch nicht davon, dass das Publikum nach der Aufführung von "Vor Sonnenaufgang" (1889) empört war. Dieses Werk sollte sogar sein Durchbruch als Schriftsteller werden. In vielen Stücken stellte er nun dar, wie der Mensch und seine Moral dem Untergang geweiht seien.
Vom Elend der "kleinen Leute"
Gemeinsam mit seinem Bruder Carl zog Hauptmann 1891 in das Riesengebirge, welches damals zu Schlesien gehörte. Hauptmann schrieb immer mehr gesellschaftskritische Texte, unter anderem etwa die Dramen "Einsame Menschen" (1891) und "Der Biberpelz". In "Der Biberpelz" schilderte Hauptmann das Leben der einfachen Menschen aus Berlin. Die Diebeskomödie, wie das Stück auch genannt wird, zeigt vor allem, wie eine Mutter versucht, durch kleine Gaunereien zu etwas mehr Wohlstand zu gelangen.
So stibitzt die Wäscherin einen Biberpelz und verkauft ihn an einen Schiffer. Damit hat sich für die Wäscherin alles erledigt, denn sie denkt, dass der Schiffer mit dem Pelz bald in See sticht. Doch dann wird der Verlust aufgedeckt und verschiedene Personen werden des Diebstahls bezichtigt. Hauptmann wollte damit zeigen, dass die Mutter es niemals schaffen würde, auf ehrliche Weise zu Wohlstand zu kommen, und daher keine andere Wahl hatte, als den Pelz zu stehlen.
Schon kurze Zeit später schrieb er das Stück, das ihm zu Weltruhm verhelfen sollte: "Die Weber" (1892). Mit diesem Stück sorgte der Naturalist für eine Menge Wirbel. Ganz unverblümt zeigte er das Elend der kleinen Leute und ihren erbitterten Kampf gegen Hunger, Krankheit und Armut. Bei der Uraufführung war sogar der deutsche Kaiser Wilhelm II. zugegen, der aber mitten im Stück aufsprang und empört das Theater verließ. Sogar seinen Logenplatz kündigte er und ließ die Aufführungen zunächst verbieten. Wie kam der Dramatiker auf die Idee zu diesem Stück und warum waren die Reaktionen darauf so heftig?
Berühmtestes Werk: "Die Weber"
1844 kam es zu einem Aufstand, bei welchem schlesische Weber eine der neuen Webfabriken stürmten und die mechanischen Webstühle zerstörten. Was war ihr Grund? Mit der Einführung der mechanischen Webstühle wurden viele Weber plötzlich sehr arm, denn sie bekamen jetzt nur noch einen Hungerlohn für ihre Arbeit, da die mechanischen Webstühle viel schneller arbeiten konnten. Die Weber standen vor dem Nichts. Viele Weber verarmten und konnten ihre Familie nicht mehr ernähren. Wütend und verzweifelt beschlossen sie, die Fabrik zu stürmen. Doch schon nach kurzer Zeit wurde der Aufstand von preußischen Truppen brutal zerschlagen und viele Weber mussten an diesem Tag ihr Leben lassen. Dieser Vorfall geriet nicht so schnell in Vergessenheit und überall sprach man über die Opfer der Weber und deren Gegenwehr.
So kam es, dass auch Gerhart Hauptmann von den Vorfällen erfuhr. Sein Großvater war ebenfalls ein Weber in Schlesien und erzählte ihm, was geschehen war. Der Schriftsteller war sehr schockiert über die Ereignisse und beschloss, sie in die Welt hinauszutragen. Die Geschichte seines Großvaters sollte auf die Bühne gebracht werden. Er versuchte, alles so genau wie möglich nieder zuschreiben und achtete auf jede Kleinigkeit. So wollte er möglichst vielen Menschen zeigen, was wirklich bei dem Aufstand geschehen war, daher schrieb er seine erste Fassung auch auf Schlesisch. Als das Stück aufgeführt wurde, musste es jedoch etwas umgeschrieben werden, damit das Publikum auch alles verstand.
Das Gesellschaftsdrama sorgte für Aufsehen und schockierte viele Zuschauer. So wird etwa beschrieben, wie die arme Familie Baumert einen zugelaufenen Hund tötet, um etwas zu essen zu bekommen. Der Hund ist für die Familie das erste Fleisch seit zwei Jahren. Genauso geht es vielen anderen verarmten Webern. Sie werden von Tag zu Tag wütender, bis sie eines Tages beschließen, sich zu wehren. Doch einer, der alte Hilse, sieht den beginnenden Aufstand kritisch und warnt seinen Sohn Gottlieb davor, sich anzuschließen. Ein Aufstand sei gottlos, das ist seine Meinung. Erbost ruft Gottliebs Frau Luise aus: "Euch is nicht zu helfen. Lappärsche seid ihr. Haderlumpe, aber keene Manne." Der Aufstand, so lehrt uns die Geschichte, wird gewaltsam unterdrückt und mit dem Eintreffen der Truppen und dem Tod von Hilse endet Hauptmanns Stück.
Wichtiger Vertreter des Naturalismus
Der Schriftsteller wollte mit seinem Stück zeigen, dass die armen und unterdrückten Weber, denen man die Lebensgrundlage einfach geraubt hatte, nicht anders handeln konnten. Hauptmann war ein bedeutender Anhänger des literarischen Naturalismus, deshalb ging es ihm um eine möglichst detaillierte und wirklichkeitsgetreue Darstellung der Natur, der gesellschaftlichen Vorgänge und vor allem auch der "hässlichen Seiten" des Alltags im Zeitalter der Industrialisierung, das von Massenarmut und Verelendung der Menschen gekennzeichnet war. Aus diesem Grund sollten auch die Schauspieler auf der Bühne nicht möglichst vornehm dargestellt werden, sondern so sprechen wie die "einfachen Leute" im wahren Leben - also umgangssprachlich und im Dialekt.
Gerhart Hauptmann lebte in einer Zeit, in der der berühmte Naturforscher Charles Darwin und Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, die bestehende Weltordnung auf den Kopf stellten. Darwin belegte mit seinen ebenso bahnbrechenden wie umstrittenen naturwissenschaftlichen Studien, dass der Mensch nicht von Gott erschaffen wurde, sondern wie die verschiedenen Tierarten in einem langwierigen Prozess der Evolution entstanden war. Der Evolutionstheorie Darwins zufolge haben die Urmenschen etwa gemeinsame Vorfahren mit den Affen. Freud behauptete kurz darauf, dass der Wille des Menschen nicht frei sei, wie es zuvor von vielen Vertretern der Aufklärung verkündet worden war. Dies meinte Freud mit der Existenz des "Unterbewussten" beweisen zu können, das das Seelenleben und die Verhaltensweisen der Menschen maßgeblich prägte. Der Mensch wird demnach von seinen Erlebnissen seit frühester Kindheit, von den verschiedenen Umständen seines Lebens und auch von anderen Menschen beeinflusst.
Zwang und Unfreiheit des Menschen
Dass der Mensch zu großen Teilen von seiner Außenwelt geprägt wurde und gezwungen war, auf eine bestimmte Art zu handeln, glaubte auch Gerhart Hauptmann: Die Weber mussten so handeln, weil sie von den ungerechten Zuständen in der Gesellschaft regelrecht dazu gezwungen wurden. Verursacht hätten den Aufstand vor allem diejenigen, welche die Weber überhaupt so weit getrieben hatten. Das bedeutete für Hauptmann, dass nicht der Aufstand selbst bezwungen werden musste, sondern dass die gesellschaftlichen Verhältnisse und Umstände hätten geändert werden müssen, die die Menschen in Elend und Armut trieben.
Doch auch wenn viele Kritiker seine realistischen Darstellungen verrissen und ihn als "literarischen Schmutzfinken" beschimpften, hielt Hauptmann an seinen Überzeugungen fest. Manche warfen ihm vor, er würde seine Themen aus der "Gosse" holen und sein Schaffen hätte nichts mit literarischer Kunst zu tun. Denn Ende des 19. Jahrhunderts galt es in der Gesellschaft mehrheitlich noch als verpönt, die einfachen Leute oder gar "gescheiterte Existenzen" wie etwa Prostituierte oder Alkoholiker in der Literatur zu beschreiben. Heute wird der naturalistische Schriftsteller für seine Texte hoch geschätzt und gilt als einer der Wegbereiter für die moderne Literatur. Doch auch schon seinerzeit waren natürlich viele Menschen von ihm begeistert. So beschrieb der berühmte deutsche Autor Thomas Mann ihn etwa im positiven Sinne als einen "Dichter der Armen".
Eine neue Zeit bricht an
Später wandte sich Gerhart Hauptmann von den typischen Themen des Naturalismus ein Stück weit ab und schrieb Traumdichtungen, Märchen und Sagen wie etwa "Der arme Heinrich" (1902). 1893 hatte er eine Affäre mit Margarete Marschalk begonnen, die später dazu führte, dass er sich von seiner Frau scheiden ließ.
Ab 1901 wohnte er mit ihr in einem neu erbauten Anwesen in Agnetendorf im schlesischen Riesengebirge, im "Haus Wiesenstein", welches bis zu seinem Tod sein vertrautes Heim bleiben würde. Er heiratete Margarete 1904, das Paar hatte zu diesem Zeitpunkt schon einen gemeinsamen Sohn von vier Jahren. Seine zweite Ehe gefährdete er erneut, als er 1905 eine Affäre mit der erst 16-jährigen Schauspielerin Ida Orloff hatte. Hatte sich Hauptmann bisher vor allem dem Theater verschrieben, begann er nun, Romane zu verfassen. Dennoch schrieb er auch weiterhin Dramen, wie etwa "Die Ratten" (1911).
Für sein literarisches Schaffen wurde er 1912 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Zu dieser Zeit war er bereits ein gestandener Schriftsteller und sechs Jahre später feierte er mit dem Roman "Der Ketzer von Soana" (1918) großen Erfolg. Anfang des 20. Jahrhunderts erfreute sich zudem das Medium Film immer größerer Beliebtheit und Hauptmanns Stück "Atlantik" fand so auch den Weg auf die Leinwand. Hauptmann war von dem neuen Medium begeistert und weitere literarische Werke wurden verfilmt. Mittlerweile war er nicht nur ein akzeptierter Schriftsteller, sondern er wurde von vielen bewundert. So wurde Hauptmann in der Weimarer Republik sogar gebeten, zur Wahl zum Reichskanzler anzutreten. Dies lehnte er jedoch ab. Auch im Ausland genoss er mittlerweile einen Ruf als bekannter deutscher Schriftsteller. Als er 1932 in die USA reiste, wurde ihm die Ehren-Doktorwürde von der Columbia Universität verliehen und er wurde sogar vom US-amerikanischen Präsidenten im Weißen Haus empfangen.
Zeit des Dritten Reichs und Tod des Autors
Während der Zeit des Nationalsozialismus ab 1933 hatte es Hauptmann im Vergleich zu vielen seiner Schriftstellerkollegen in Deutschland nicht sonderlich schwer. Er war zwar kein überzeugter Anhänger Hitlers und der Nazi-Ideologie, aber er lehnte sich nicht öffentlich gegen die Diktatur auf und beantragte nach der Machtergreifung Adolf Hitlers sogar eine Mitgliedschaft bei der nationalsozialistischen Partei NSDAP, die jedoch abgelehnt wurde. Auch hatte er nichts dagegen, von den Nationalsozialisten als großer deutscher Autor gefeiert zu werden.
Hauptmann war einer der wenigen Vertreter der deutschen Literatur, die nicht ins Exil gegangen - also ins Ausland geflüchtet - waren. Die Nationalsozialisten versuchten, ihn für ihre Zwecke einzusetzen, begutachteten seine Werke dabei genauestens und behielten ihn im Auge. Einige seiner Texte wurden vom NS-Regime auch zensiert, eine (weitere) Veröffentlichung wurde also verboten.
1937 erschien schließlich seine Autobiografie - also seine selbst verfasste Lebensgeschichte - mit dem Titel "Abenteuer meiner Jugend". Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 gehörte Schlesien zu Polen und ein Jahr darauf verlangte die Sowjetunion, unter deren Herrschaft Polen stand, dass er als Deutscher aus dem Land aussiedeln müsse. Doch dazu kam es nicht mehr, denn Gerhart Hauptmann erkrankte schwer und starb am 6. Juni 1947 in seinem Haus in Agnetendorf. Bestattet wurde er auf der Insel Hiddensee, wo er sich mit seiner Familie zwischen 1926 und 1943 regelmäßig im Sommer in ein Kloster zurückgezogen hatte.
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letzte Aktualisierung: 15.11.2012
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