03.02.2014
Seit Wochen gehen in der Hauptstadt und vielen Teilen der Ukraine Menschen auf die Straße und protestieren gegen die Regierung des Landes. Viele Menschen sind wütend, weil Präsident Viktor Janukowitsch sich für eine engere Zusammenarbeit mit Russland entschieden hat und ein Abkommen mit der Europäischen Union ablehnte. Sie fordern den Rücktritt des Präsidenten. Was sind die Hintergründe der Krise?
Am Anfang waren es nur wenige hundert Demonstranten in Kiew, der Hauptstadt der Ukraine. Doch schon bald gingen tausende Menschen auf die Straße, um gegen ihren Präsidenten zu protestieren. Ein zentraler Ort der Protestaktionen wurde der "Majdan Nesaleschnosti" - der Platz der Unabhängigkeit - im Zentrum der Millionenstadt. Dort halten die Demonstranten Kundgebungen ab und Politiker der gegnerischen Parteien sprechen zu den versammelten Leuten.
In Anlehnung an den Platz der Unabhängigkeit verbreitete sich auch der Name "Euromaidan" für die aktuellen Proteste in der Ukraine. "Euro", weil es in dem Konflikt vor allem um die Beziehungen der Ukraine zu Europa geht. Die Proteste hatten im November begonnen, nachdem sich die ukrainische Regierung entschieden hatte, ein lange vorbereitetes Abkommen mit der Europäischen Union (EU) nicht zu unterzeichnen. Einige Tage später schloss Präsident Janukowitsch dafür mit Russland wichtige Handelsverträge ab. Das sorgte bei den gegnerischen Parteien ("Opposition") im ukrainischen Parlament, in dem die Volksvertreter des Landes sitzen, für sehr viel Zorn. Die drei Oppositionsparteien, also die Parteien, die nicht in der Regierung sind, kündigten daraufhin Widerstand gegen die Regierung an.
Noch am Abend der Entscheidung gegen das EU-Abkommen versammelten sich einige hundert Menschen, vor allem junge Leute und Studenten, auf dem Unabhängigkeitsplatz im Zentrum von Kiew. Als einer der ersten gegnerischen Politiker sprach der ehemalige Boxweltmeister Witali Klitschko, der der Chef der Partei UDAR (Faust) ist, zu den Demonstranten. Auch in anderen Städten der Ukraine trafen sich in den nächsten Tagen Menschen, um gegen die Regierung zu protestieren. Diese Demonstrationen wurden daraufhin von Gerichten verboten. Trotzdem gingen die Leute weiter auf die Straße. Dabei kam es zu ersten Auseinandersetzungen zwischen gewalttätigen Demonstranten und Polizisten. Wütende Protestler bauten Barrikaden, zündeten Autos an und bewarfen die Sicherheitskräfte mit Steinen. Die Polizei ging mit Knüppeln, Blendgranaten und Wasserwerfern gegen die Demonstranten vor.
Worum geht es den Demonstranten?
Auslöser der Proteste war das so genannte "Assoziierungsabkommen" (assoziieren bedeutet verbinden/ zusammenschließen) mit der Europäischen Union. Das Abkommen sollte zu einer stärkeren Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und der EU führen. Dort war vereinbart worden, dass der Verkauf von Waren zwischen der EU und der Ukraine erleichtert werden soll. Außerdem sollte sich die Ukraine verpflichten, ihre Gesetze und Vorschriften an die Regeln der EU anzupassen.
Die Ukraine kritisierte, dass durch das Abkommen die Handelsbeziehungen zu Russland erschwert würden. Für die Verluste im Handel mit Russland und die Kosten der Angleichung an EU-Vorgaben forderte die Ukraine eine Entschädigung von der EU. Diese wollte aber kein Geld zahlen. Als Begründung sagte EU-Präsident José Manuel Barroso, die Summen seien stark übertrieben. Auf der anderen Seite wollte die EU den Vertrag nur unterzeichnen, wenn die Ukraine die wegen Korruption (Bestechlichkeit) verurteilte ehemalige Regierungschefin Julia Timoschenko freilässt.
Auch Russland bot der Ukraine eine engere Zusammenarbeit an. Russlands Präsident Wladimir Putin versprach der Ukraine Handelserleichterungen, einen niedrigeren Gaspreis und einen Kredit über 15 Milliarden US-Dollar, wenn das Land nicht den EU-Vertrag abschließen würde. Da die Ukraine praktisch pleite, also zahlungsunfähig, und wirtschaftlich enger mit Russland als der EU verbunden ist, entschied sich die Regierung für den Vertrag mit Russland. Zur Begründung verwies Präsident Janukowitsch darauf, dass die Ukraine bedeutende wirtschaftliche Probleme habe. Man wollte nach eigenen Aussagen aber weiter mit der EU zusammenarbeiten. Die ukrainischen Ministerien wurden beauftragt, gemeinsame Gespräche mit Russland und der EU aufzunehmen.
Doch die Menschen gingen auch noch aus anderen Gründen auf die Straße. Viele Leute haben die Nase voll von Beamten, die nur gegen Bestechung arbeiten und den zum Teil elenden sozialen Verhältnissen. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist das Land von unehrlichen und auf ihren eigenen Vorteil bedachten Politikern geführt worden. Einige wenige Ukrainer wurden Millionäre doch die meisten Menschen müssen jeden Tag ums Überleben kämpfen. Die Menschen auf den Straßen von Kiew und anderen ukrainischen Städten kämpfen daher vor allem um eine Ukraine, in der es mehr Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Sicherheit gibt.
Ein gespaltenes Land
Die Gegner der Regierung haben besonders im Westen des Landes viele Anhänger. Diese Region der Ukraine hat stärkere Verbindungen zu Europa, da ein großer Teil dieses Gebietes vor dem Ersten Weltkrieg zum Kaiserreich Österreich-Ungarn gehörte. Der Osten dagegen gehörte Jahrhunderte zu Russland. Erst seit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 ist die Ukraine ein selbständiger Staat. Aber die Menschen im Westen fühlen sich immer noch stärker Europa, die Ostukrainer immer noch Russland zugehörig. Das hat auch Auswirkungen auf die gegenwärtige Krise. Die Ostukrainer unterstützen mehrheitlich die Annäherung an Russland, die meisten Westukrainer würden lieber mit der EU zusammenarbeiten. Diese Spaltung kann man auch an den Wahlergebnissen ablesen. Präsident Janukowitsch hat im Osten die meisten Stimmen bekommen, die Nationalisten der Freiheitspartei und die EU-freundliche Vaterlandspartei haben in der Westukraine die meisten Anhänger.
In diesen Tagen verabredeten die drei im Parlament vertretenen Oppositionsparteien ein gemeinsames Vorgehen bei den Protesten. Die Opposition besteht aus der Vaterlandspartei der ehemaligen Regierungschefin Julia Timoschenko, der UDAR-Partei von Witali Klitschko und der rechtsextremen Freiheitspartei. Den ersten großen Massenprotest organisierte die Opposition am 24. November. An diesem Tag bevölkerten über 100.000 Menschen die Straßen von Kiew, um den Rücktritt der Regierung zu fordern. Das Motto der Demonstranten lautete: "Für eine europäische Ukraine".
Auch in anderen Städten, vor allem in der Westukraine, demonstrierten Menschen gegen die Regierung. Auf dem Unabhängigkeitsplatz errichteten Demonstranten ein Zeltlager und übernachteten im Freien. Dieses Protestcamp wurde in den frühen Morgenstunden des 30. November von Spezialeinheiten der Polizei gewaltsam geräumt. Doch schon wenige Tage später besetzten erneut hunderttausende Menschen den Platz. Unterstützung bekamen die Demonstranten auch aus dem Ausland. So besuchten die US-Senatoren John McCain und Chris Murphy die Protestaktionen. Auch der deutsche Außenminister Guido Westerwelle und der ehemalige polnische Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski besuchten die Demonstranten und unterstützten ihre Forderungen.
Die Proteste weiten sich aus
Bei den Demonstrationen in den vergangenen Wochen wurden die Töne der politischen Gegner immer schärfer. Vor allem die rechtsextreme Freiheitspartei hält wenig von friedlichen Protesten. So rief der Partei-Chef Oleg Tjagnibok die Demonstranten auf, staatliche Behörden zu stürmen. Auch Klitschko verschärfte seinen Ton. Er setzte dem Präsidenten eine Frist zum Rücktritt und drohte an, "zum Angriff überzugehen". Einige der Demonstranten hatten sich zu diesem Zeitpunkt schon mit Gasmasken, Helmen und Knüppeln bewaffnet. Sie bauten Straßensperren, brannten Fahrzeuge nieder und entfachten Feuer aus Autoreifen. Polizeieinheiten wurden mit Pflastersteinen und brennenden Benzinflaschen, so genannten "Molotow-Cocktails", beworfen. Auch die Sicherheitsbeamten griffen zu immer härteren Mitteln. Sie prügelten mit Gummiknüppeln auf Menschen ein und feuerten mit Gummigeschossen in die Menge. Bei den Auseinandersetzungen gab es hunderte Schwerverletzte auf beiden Seiten. Nach Angaben der Opposition sind bei den Kämpfen sogar fünf Demonstranten getötet worden.
Auch in anderen Städten des Landes spitzte sich die Lage zu. Wütende Regierungsgegner stürmten in mehreren Städten im Westen und der Zentralukraine Verwaltungsgebäude. Die Gebietsverwaltung der Stadt Lwiw an der Grenze zu Polen wurde besetzt. Der Gouverneur des Gebiets trat zurück. Auch in Tscherkassy kam es zu schweren Kämpfen zwischen Demonstranten und Polizei. Zwar kritisierten die Chefs der gegnerischen Parteien die gewaltsamen Krawalle und riefen zu friedlichen Protesten auf, aber es wurde immer deutlicher, dass sie die Lage nicht mehr im Griff haben und sich die meisten Demonstranten nicht um die Aufrufe kümmern.
Infolge der Proteste verschärfte das Parlament einige Strafgesetze: Bürger, die ohne Genehmigung Bühnen und Zelte auf öffentlichen Plätzen aufbauen, sollten nun mit 15 Tagen Haft bestraft werden können. Wer öffentliche Gebäude blockiert, dem drohten bis zu fünf Jahre Gefängnis. Außerdem sollten sich Demonstranten nicht mehr maskieren oder vermummen dürfen. Journalisten drohten Gefängnisstrafen, wenn sie Fotos prügelnder Polizisten veröffentlichten. Weiterhin wurde in einer hitzigen Parlamentssitzung beschlossen, dass in Zukunft Abgeordnete leichter angeklagt werden können.
Auf der anderen Seite bot die Regierung den Regierungsgegnern Verhandlungen an. Präsident Janukowitsch schlug den Rücktritt von Ministern der Regierung vor. Am 28. Januar erklärte Ministerpräsident Mykola Asarow seinen Rücktritt. Die sehr umstrittenen Gesetzesverschärfungen wurden durch Beschluss des Parlaments wieder rückgängig gemacht. Festgenommene Demonstranten sollen unter der Bedingung wieder freigelassen werden, dass von Protestlern besetzte Straßen und Gebäude geräumt werden. Die meisten Menschen sind damit nicht einverstanden und demonstrieren weiter. Die Opposition fordert eine bedingungslose Freilassung der festgenommenen Regierungsgegner. Klitschko bezeichnete den Rücktritt Asarows als "Schritt zum Sieg" und kündigte an, weiter für einen politischen Wechsel in der Ukraine zu kämpfen.
Kritik aus dem Ausland
Die Verschärfung einiger Gesetze sorgte für heftige Kritik aus dem Westen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte gefordert, die Gesetze zurückzunehmen, die die Versammlungs- und Pressefreiheit einschränkten. Die Regierung wies die Kritik aus dem Ausland zurück. Justizministerin Jelena Lukasch sagte, die Gesetze seien so wie in anderen europäischen Staaten. Auch in Deutschland werden nicht genehmigte Demonstrationen von der Polizei aufgelöst. Außerdem dürfen sich Demonstranten nicht vermummen, so dass sie nicht erkannt werden können.
Russland kritisierte die Politik der westlichen Staaten. "Wir können nicht begreifen, dass Botschafter anderer Länder in Kiew der ukrainischen Regierung sagen, was sie zu tun und zu lassen hat", sagte ein Sprecher der russischen Regierung. Der ehemalige Präsident der früheren Sowjetunion und Friedensnobelpreisträger Gorbatschow bat die Präsidenten Russlands und der USA, Wladimir Putin und Barack Obama, einzugreifen und zwischen der Regierung und der Opposition zu vermitteln. Gorbatschow schrieb in einem offenen Brief: "Ich bitte Sie, Möglichkeiten zu finden und einen entschlossenen Schritt zu unternehmen, um der Ukraine zu helfen, auf den Weg der friedlichen Entwicklung zurückzukommen. Ich hoffe sehr auf Sie."
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