von Katharina Hahn
"Recht und Gerechtigkeit ist nicht immer dasselbe" - diese Worte hört man manchmal, wenn Richter Urteile sprechen, mit denen man nicht unbedingt einverstanden ist, weil sie ungerecht erscheinen. Wir Menschen haben eine Vorstellung davon, was richtig und was falsch ist und wir geben uns Gesetze, die diesen Rechtsvorstellungen möglichst nahe kommen sollen. Die Gesetze, die ein Staat festsetzt, nennt man "positives Recht".
Doch da diese Gesetze nicht in allen Fällen mit unserem Gespür für Recht übereinstimmen, gingen Philosophen schon sehr früh davon aus, dass es ein "Naturrecht" gibt, das nirgendwo aufgeschrieben ist, aber unseren Gesetzen, dem positiven Recht, als Quelle dient und wir unsere Gesetze daraus ableiten sollen. Vor allem in der späteren philosophischen Richtung der Ethik wird immer wieder darüber diskutiert. Ziel soll es sein, dass das positive Recht dem Naturrecht möglichst nahe kommt und es als Maßstab nimmt. Deshalb wird das Naturrecht in der Rechtsphilosophie auch "überpositives Recht" genannt. Andere Rechtsphilosophen lehnen diese Idee ab, da nur die Gesetze gelten können, die als positives Recht festgeschrieben sind. Denn nur auf diese Gesetze können wir uns konkret beziehen, weil wir nur über diese Gesetze eine gesellschaftliche Übereinkunft getroffen haben, dass sie gelten sollen. Nimmt man ein Naturrecht an, dass "irgendwo" herkommt und über die Gesetze bestimmen soll, könnte das zu Willkür führen.
Das Naturrecht ist Recht, das "von Natur aus" gegeben ist. Es soll unveränderlich, also zu allen Zeiten gleich sein und für jeden gelten, egal welches Geschlecht oder Alter man hat, egal wo man lebt oder herkommt. Man nimmt eine "ewige Ordnung" an, die in der Welt gegeben ist und auf der die Natur des Menschen und der Welt beruht. Damit ist es der Idee des Menschenrechts und des Völkerrechts sehr ähnlich. Doch woher kommt dieses Naturrecht? Je nachdem, wie diese Frage beantwortet wird, können theoretisch andere Rechte aus dem Naturrecht abgeleitet werden. Auch deshalb finden manche Rechtsphilosophen die Idee des Naturrechts problematisch und kritisieren diese Idee seit der Aufklärung immer wieder. Schon in der Philosophie der griechischen Antike hat man den "Logos" (das geschriebenen Wort und die Vernunft) - eine göttliche Gesetzmäßigkeit, die in der Welt wirkt - als Quelle des Naturrechts angesehen. Im Mittelalter haben Philosophen wie Thomas von Aquin den christlichen Gott an die Stelle des Logos gesetzt. Danach wäre das, was Recht ist, vom Schöpfergott mitgeschaffen worden. Modernere Philosophien versuchen, das Naturrecht ohne einen göttlichen Ursprung zu erklären. Danach liegt die Quelle im Menschen selbst - in der Vernunft, in unserer Fähigkeit zur kritischen Überlegung und Erkenntnis oder auch schlicht in unserem Gewissen. Manche sprechen auch von einem "menschlichen Naturgesetz".
In Deutschland wurde die Idee eines Naturrechts nach der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs und des Nazi-Regimes bewusst im Grundgesetz verankert, da man in dieser Diktatur die Möglichkeit des Missbrauchs des positiven Rechts erkannt hatte. Um zu verhindern, dass dies wieder geschieht, hat man sich in der Gesetzgebung an die Ideen des Naturrechts gehalten. So ist zum Beispiel die im 1. Artikel des Grundgesetzes festgeschriebene "Unantastbarkeit" der Würde des Menschen darauf zurückzuführen, dass in ihr ein solches Naturrecht gesehen wird, die in keinem Fall aufgegeben werden darf. Auch den Bezug auf Gott, der im Grundgesetz festgeschrieben ist, ist auf die Vorstellung eines Naturrechts zurückzuführen. In Deutschland können Gerichte deshalb auch gegen positives Recht urteilen, wenn es im Widerspruch zum Natur- beziehungsweise Menschenrecht steht.
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