01.05.2010
In den vergangenen Wochen ist die katholische Kirche vermehrt in die öffentliche Kritik geraten. Nach und nach wurden immer mehr Fälle von Kindesmissbrauch in katholischen Einrichtungen bekannt, die seitens der Kirche nicht ausreichend aufgeklärt wurden. Für Aufsehen haben auch die Schlagzeilen um Bischof Mixa und seinen Rücktritt gesorgt: Mixa wird vorgeworfen, während seiner Amtszeit Heimkinder geschlagen zu haben. Weiterhin wird wieder verstärkt über die Haltung der katholischen Kirche zur Sexualität, Verhütung und Abtreibung sowie zur Stellung der Frau diskutiert.
Der aktuelle Skandal, in den die katholische Kirche verwickelt ist, nahm im Januar 2010 seinen Anfang: Es wurden Fälle von Kindesmissbrauch bekannt, die in den 1970er und 1980er Jahren an einer vom Jesuitenorden geführten Privatschule in Berlin stattgefunden haben. Der heutige Rektor des Kollegs richtete daraufhin einen Brief an alle ehemaligen Schüler der betroffenen Jahrgänge. Darin forderte er sie auf, nicht länger zu schweigen und sich zu melden, falls sie auch Opfer von Missbräuchen geworden sind.
Dieser Brief gelangte an die Öffentlichkeit, wodurch nach kurzer Zeit weitere Missbrauchsfälle an anderen Jesuitenschulen im Schwarzwald und in der Stadt Bonn bekannt wurden. Im Zuge dieser Entdeckungen wurden in den folgenden Monaten immer mehr Fälle von Missbrauch an katholischen Privatschulen und Einrichtungen bekanntgegeben und genauer beleuchtet - mittlerweile wurden bereits aus 20 von 27 deutschen Bistümern ähnliche Vorwürfe gemeldet. Für viel Aufsehen sorgte die Enthüllung, dass auch gegen leitende Geistliche des berühmten Knabenchors "Regensburger Domspatzen" in der Vergangenheit Maßnahmen ergriffen werden mussten.
Die Reaktionen der katholischen Kirche
Zahlreiche Kirchenvertreter äußerten sich in der Öffentlichkeit bestürzt über die schlimmen Missbrauchsfälle und versprachen, alles daran zu setzen, für eine schnelle Aufklärung zu sorgen. Der Bischof des Bistums Hildesheim versprach zum Beispiel, den Opfern von Missbrauchstaten eine umfassende Hilfe zukommen zu lassen, und der ehemalige Bischof des gleichen Bistums gab zu, dass Gefahren zu spät erkannt und Missbrauchsvorwürfe in manchen Fällen nicht ernst genommen worden seien. Bei einer Vollversammlung aller deutschen katholischen Bischöfe wurde der Versuch unternommen, Leitlinien dafür zu finden, wie Missbrauchsfällen am besten vorgebeugt werden kann. Außerdem wurde mittlerweile eine Hotline eingerichtet, bei der Betroffene Hilfe finden können.
Allerdings gab es auch viel Kritik an den Reaktionen zahlreicher Vertreter der katholischen Kirche - denn nicht nur eine lückenlose Aufklärung sei wichtig, sondern auch eine gezielte Auseinandersetzung, warum es an katholischen Schulen und Einrichtungen gehäuft zu derartigen Fällen gekommen sei und welche konkreten Maßnahmen die Kirche treffen müsse. Gerade hier wird der katholischen Kirche vielfach vorgeworfen, sich zu wenig mit den tieferen Ursachen für die tragischen Fälle auseinanderzusetzen und nicht bereit zu sein, grundsätzliche Praktiken, Haltungen und Traditionen zu überdenken. Einige Kirchenvertreter haben hingegen öffentlich geäußert, dass sie die Berichterstattung der Medien als eine Art Hetzjagd gegen die katholische Kirche empfinden, bei der von tragischen Einzelfällen auf einen ganzen Berufsstand geschlossen und die gesamte katholische Kirche in Verruf gebracht werde.
Bei der scharfen Kritik an der katholischen Kirche geht es in erster Linie um die Art und Weise, wie sie in der Vergangenheit mit ihr bekannten sexuellen Übergriffen umgegangen ist. Die meisten Missbrauchsfälle, die innerhalb der Kirche bekannt waren, wurden nie zur Anzeige gebracht. In vielen Fällen wurden die betreffenden Geistlichen nur an einen anderen Einsatzort versetzt, blieben aber von weiteren Konsequenzen verschont. Manchmal wurden Geistliche, die sich zuvor bereits an Kindern und Jugendlichen vergriffen hatten, sogar wieder in der Jugendarbeit eingesetzt - eine Tatsache, die besonders großes Unverständnis hervorruft. Die Hauptvorwürfe gegen die katholische Kirche im Zusammenhang mit Fällen des Kindesmissbrauchs betreffen also das Vertuschen der Taten, ihre mangelnde Aufklärung und der in einigen Fällen unverantwortliche Umgang mit Geistlichen, die Missbrauch an Kindern begangen haben oder unter Verdacht standen.
Vorwürfe gegen Bischof Mixa
Noch stärker ausgeweitet hat sich der Skandal um die katholische Kirche, als Vorwürfe gegen den Augsburger Bischof Walter Mixa laut wurden. Dieser war wegen seiner umstrittenen Äußerungen und Meinungen schon häufiger in die Schlagzeilen geraten. Im Zusammenhang mit den Fällen des Kindesmissbrauchs wies er den Vorwurf zurück, dass die katholische Kirche einen entscheidenden Teil der Verantwortung trage und nannte stattdessen die sexuelle Freizügigkeit und Unsittlichkeit in der Gesellschaft als mitverantwortlich, die unter anderem auf die 68er Jahre zurückgehe.
Ende März 2010 wurden schließlich Vorwürfe laut, er habe während seiner Zeit als Stadtpfarrer in dem Ort Strobenhausen in den 1970er und 1980er Jahren zahlreiche Heimkinder geschlagen und geprügelt. Walter Mixa selbst bestritt diese Vorwürfe zunächst entschieden. Nachdem der Druck auf ihn immer größer wurde und die Vorwürfe sich erhärteten, änderte Mixa seine Aussagen: Er könne nicht ausschließen, vor 20 oder 30 Jahren die eine oder andere Ohrfeige ausgeteilt zu haben. Mixa wehrt sich aber weiterhin gegen die Vorwürfe, Kinder verprügelt zu haben. Die Deutsche Bischofskonferenz rief Walter Mixa daraufhin zu einer Amtspause und viele Politiker forderten seinen Rücktritt. Ende April 2010 gab Mixa schließlich bekannt, dass er von seinem Amt als Bischof von Augsburg zurücktreten werde.
Kritik an Anspruch auf Wahrheit und Unfehlbarkeit
Durch die aktuelle Situation wird auch eine allgemeinere Kritik an der katholischen Kirche wieder lauter, die schon seit längerem diskutiert wird. Ein wichtiger Kritikpunkt ist die Tatsache, dass die katholische Kirche einen "Absolutheitsanspruch" erhebt. Das bedeutet, dass sie für sich in Anspruch nimmt, dass das Christentum und insbesondere der Katholizismus der einzig wahre Glaube sei.
Außerdem stellt sie die Kirche über Politik und Gesellschaft, nimmt sich also das Recht heraus, auch über Angelegenheiten zu urteilen, die nicht direkt Kirche und Glauben betreffen. Damit hängt wiederum ein weiterer Kritikpunkt zusammen, nämlich das Papsttum. Nach Ansicht der katholischen Kirche ist der Papst nämlich Vertreter Gottes auf Erden, der damit unfehlbar ist und keinen Gesetzen unterliegt, abgesehen von den Gesetzen Gottes. Kritiker finden diesen Anspruch der Unfehlbarkeit anmaßend und selbstherrlich.
Bedenklich ist dabei, dass die meisten Anhänger der katholischen Kirche sehr ernst nehmen, was der Papst als "Vertreter Gottes" für Aussagen macht und diese laut ihres Glaubens eigentlich nicht infrage stellen dürfen. Papst Benedikt XVI. stand wegen seiner Ansichten immer wieder in Kritik - zum Beispiel hatte er äußerst umstrittene Aussagen über den jüdischen und islamischen Glauben gemacht, aber auch über Homosexualität und die Rolle der Frau. Weiterhin sprach er sich entschieden gegen das Recht von Frauen auf Abtreibung aus, selbst im Falle einer Vergewaltigung. Obwohl in Afrika 67 Prozent aller HIV-infizierten Menschen leben und dort bereits 17 Millionen Menschen an AIDS gestorben sind, beharrte der Papst während seiner Afrika-Reise auch darauf, dass Kondome das Problem AIDS angeblich sogar "verschlimmern" würden.
Diskussion um Zölibat
Nicht zuletzt im Zusammenhang mit den Missbrauchsfällen gibt es immer wieder Kritik am Zölibat - also an der Regelung, dass katholische Geistliche nicht heiraten dürfen. Das bedeutet für die Geistlichen die völlige Enthaltsamkeit, denn sexuelle Liebesbeziehungen sind laut der katholischen Kirche nur Eheleuten gestattet. Falsch wäre es, die Fälle von Kindesmissbrauch schlicht auf den Zölibat zu schieben. Es handelt sich immer noch um einzelne Fälle - natürlich sind die meisten katholischen Geistlichen keine Sexualverbrecher, und zu Fällen von Kindesmissbrauch kam es nicht nur in kirchlichen Einrichtungen.
Einige Psychologen und Kritiker sind aber der Ansicht, dass der Umgang mit Sexualität im Katholizismus und der Zölibat vielfach zu einer gestörten Sexualität führen und sehen deshalb durchaus einen Zusammenhang zu den sexuellen Übergriffen auf Kinder in katholischen Institutionen. Dadurch dass die Geistlichen ihr natürliches Bedürfnis nach Liebe und Sexualität dauerhaft nicht ausleben können, würden manche von ihnen schließlich ein fehlgeleitetes, in wenigen Fällen sogar gewalttätiges Sexualverhalten entwickeln und sich an Schwächeren vergreifen, die ihnen untergeordnet sind und die sie einschüchtern können.
Die katholische Kirche macht immer wieder darauf aufmerksam, dass es sich um Einzelfälle handelt. Viele ihrer Vertreter versprachen nach den Missbrauchsfällen massive Konsequenzen und "null Toleranz" für die Straftäter. Einige Menschen fordern jedoch nicht einfach nur harte Strafen für die Täter, sondern sind der Ansicht, dass diese selbst massive seelische Probleme haben und Hilfe brauchen. Kritisiert wird an der Haltung vieler katholischer Geistlicher deshalb, dass die Verantwortung auf einzelne Täter abgewälzt werde, anstatt auch ein dahinter liegendes Problem zu erkennen und kritische Worte gegen das System der katholischen Kirche zuzulassen. Gefordert wird von einigen Seiten, dass die katholische Kirche ihre Haltung zu Themen wie "Zölibat" und "Sexualität" grundsätzlich überdenkt.
Zu öffentlichen Diskussionen um den Zölibat kommt es auch dann immer wieder, wenn ein Fall eines katholischen Priesters bekannt wird, der sich verliebt hat und deshalb trotz der Proteste seiner ehemaligen Gemeinde sein Amt nicht mehr ausüben darf. Laut Umfragen hält die Mehrheit der Bevölkerung den Zölibat für nicht sinnvoll und würde seine Abschaffung begrüßen. Auch Alois Glück, der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, hat sich dafür ausgesprochen, dass der Zölibat zumindest gelockert wird, doch bisher halten die Kirchenobersten noch an der Regelung fest. Eine Abschaffung des Zölibats ist also in näherer Zukunft nicht in Sicht.
Stellung der Frau und Haltung zur Sexualität
Ein weiterer entscheidender Kritikpunkt ist die Rolle der Frau in der katholischen Kirche: Es ist für Frauen noch immer nicht möglich, katholische Priesterinnen zu werden - für viele ist dies in der heutigen Zeit vollkommen unverständlich, denn es stellt eine Benachteiligung von Frauen dar und verstößt gegen das Gleichstellungsgesetz von Mann und Frau. Als Grund wird von Seiten der katholischen Kirche meist ein Satz des Paulus angeführt, der lautet: "Einer Frau gestatte ich nicht, dass sie lehre" - viele Menschen sehen darin jedoch einmal mehr ein starres Festhalten der katholischen Kirche an Traditionen, die nicht mehr zeitgemäß sind und gegen wichtige Menschenrechte verstoßen.
Überhaupt gilt die Frau bei einigen Vertretern des Katholizismus in erster Linie immer noch als fürsorgende "Gebärerin". Papst Benedikt der XVI. äußerte sich zum Beispiel in einem Brief an die katholischen Bischöfe gegen die Forderungen einiger Frauenbewegungen, mehr Rechte der Frauen für sich selbst einzufordern - denn "das Beste" im Leben einer Frau bestehe darin, "sich für das Wohl des anderen einzusetzen, für sein Wachstum, für seinen Schutz".
Auch die katholische Haltung zur Sexualität empfinden viele Menschen als unzeitgemäß sowie unmenschlich: Nach Sicht der katholischen Kirche gehört Sexualität ausschließlich in die Ehe. Weil sie aber gleichgeschlechtliche Eheschließungen nicht anerkennt, haben homosexuelle Paare keine Möglichkeit, den Segen der katholischen Kirche zu erlangen. Weiterhin vertritt die katholische Kirche die Meinung, Sexualität habe einzig und allein den Zweck der Fortpflanzung, weshalb sie den Einsatz von Verhütungsmitteln wie der Pille oder Kondomen verbietet.
Von vielen wird dies als abwegig empfunden, da das Bedürfnis nach Sexualität etwas Natürliches ist und auch mit Anziehung und Liebe zwischen zwei Menschen zu tun hat. Darüber hinaus sind Verhütungsmittel ein wichtiger Schutz vor ungewollten Schwangerschaften - und Kondome schützen zudem bekanntlich vor gefährlichen Krankheiten wie AIDS. Immer wieder wird allgemein kritisiert, dass der Katholizismus geradezu feindlich gegenüber dem menschlichen Körper und der Sexualität eingestellt sei. Die meisten Vertreter der katholischen Kirche halten am Ideal der "Jungfrauengeburt" fest: Zwar ist die Mutter des Heilands Jesus Christus laut christlichem Glauben die Jungfrau Maria, doch soll Maria nicht durch eine sexuelle Beziehung zu einem Mann schwanger geworden sein, sondern Jesus sei "empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria". Diese biblische Auslegung einer jungfräulichen Geburt wurde von Martin Luther übernommen, ist allerdings umstritten.
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