von Felicia Chacón Díaz und Björn Pawlak
Alle weiblichen Säugetiere besitzen Milchdrüsen, um damit ihre Neugeborenen zu säugen. Auch wir Menschen nehmen zuerst Milch zu uns, bevor wir in der Lage sind, auch Brei und später festere Nahrung zu verarbeiten. Milch und Milchprodukte bestimmter Tiere, hauptsächlich von Kühen, gehören darüber hinaus zu den menschlichen Grundnahrungsmitteln. Sie sind wertvolle Lieferanten für Eiweiße, Fette und Vitamine. Doch seit wann konsumiert der Mensch überhaupt Milch von Kühen und anderen Tieren?
Im Laufe der Zeit hat sich der Konsum von Milch und Milchprodukten stark verändert - es wird angenommen, dass der Mensch sich seit etwa 12.000 Jahren systematisch auch von Tiermilch ernährt. Für Babys ist es ein natürlicher Instinkt, an der Brust der Mutter zu saugen. Der Verzehr von tierischen Milchprodukten, die oft erst durch komplizierte Behandlung hergestellt werden können, kann hingegen als eine "kulturelle" Leistung des Menschen verstanden werden.
Es stellt sich also die Frage, wie es kam, dass das Säugetier Mensch auch die Muttermilch anderer Säugetiere trinkt. Von Natur aus war der Mensch nämlich kein geborener Milchtrinker, und noch heute reagiert ein Großteil der Menschen mit Unverträglichkeit auf den Verzehr von Milch. Ursprünglich konnte dieser Stoff wahrscheinlich nur von Säuglingen verdaut werden, die noch Muttermilch bekamen. Schuld daran ist der Milchzucker, "Laktose" genannt. Noch heute vertragen längst nicht alle Menschen die Milch, insbesondere in Südost- und Zentralasien.
In Ägypten und Vorderasien, später auch in Mittel- und Nordeuropa, passten die Menschen sich vor rund 8.000 Jahren körperlich einigermaßen daran an, Tiermilch als Nahrung zu verwerten. Man gewann die Milch von Kühen, aber auch von Ziegen, Schafen, Eseln, Pferden, Büffeln und Kamelen. Damals "entdeckte" man auch die Methoden, um andere uns bekannten Milchprodukte wie Käse, Joghurt, Quark, Butter oder Sahne herzustellen.
Der Mensch entdeckt die Milch
Die Menschen entdeckten die Milch für sich, als sie damit begannen, "sesshaft" zu werden und sich so genannte "Nutztiere" zu halten. Es gelang ihnen also, Tiere zu ihren Zwecken zu zähmen und zu züchten. Diese "Nutztiere" verrichteten zum einen Arbeit in der Landwirtschaft (zum Beispiel, um die Äcker umzupflügen), zum anderen nutzte man ihr Fleisch oder ihre Erzeugnisse als Nahrung oder auch zu anderen Zwecken (Wolle und Felle).
Bevor die Menschen sesshaft wurden, ernährten sie sich als "Jäger und Sammler" von erlegten Tieren und wild wachsenden Pflanzen - auf dem Speiseplan standen Knollen, Wurzeln, Gräser, Samen, Nüsse, Beeren, Käfer, Schnecken, Insekten, Muscheln, Eier und gelegentlich auch Fisch und Fleisch. Danach stiegen sie auf die Landwirtschaft um und kultivierten Getreide und Gemüse - das Fleisch und die Milch der Nutztiere war als Quelle für tierische Eiweiße eine wichtige Ergänzung zur überwiegend pflanzlichen Ernährung.
Da zunächst nur verhältnismäßig wenige Tiere nahe der Siedlungen der Menschen gehalten wurden, war ihr Fleisch und ihre Milch ein nur in begrenzten Mengen vorhandenes Gut. Man kann in dieser Zeit noch nicht wirklich von einer "Milchproduktion" sprechen - die Menschen wussten weder, wie man die Milch haltbar machen kann, noch wie man Tiere züchtet, die besonders viel Milch geben. Die Hochkulturen der Sumerer, Ägypter, Griechen, Römer und Germanen waren schon einen Schritt weiter und stellten bereits einige der uns heute bekannten Milchprodukte her.
Die ältesten Überlieferungen berichten von den "Nomadenvölkern" des Nahen Ostens, die Milch in den Mägen von Kühen transportierten - damals waren Tiermägen ein übliches Transportgefäß. ("Nomadenvölker" nennt man solche Völker, die keinen festen Wohnsitz haben und je nach äußeren Umständen ihren Standort wechseln.) In den Mägen von noch nicht ausgewachsenen Kühen befindet sich "Lab", ein Gemisch von "Enzymen", das dafür sorgt, dass Milch eindickt, ohne sauer zu werden. ("Enzyme" sind bestimmte Eiweißstoffe, die eine wichtige Funktion beim Stoffwechsel von Organismen haben.) Rückstände dieses Labs reagierten mit der Milch in den Mägen, welche von den Nomaden transportiert wurden - das Ergebnis war der Legende nach der erste Käse. Eine andere Überlieferung erklärt die Erfindung von Buttermilch und Kefir - deren Erfinder sollen asiatische Reitervölker gewesen sein. Durch die ständige Bewegung beim Reiten soll die Milch, die man als Proviant mit auf die Reise mitnahm, so kräftig und gleichmäßig durchgeschüttelt worden sein, dass sie zum noch heute beliebten Getränk gerann.
Frühe Milchproduktion
Die Massenproduktion von Milch begann frühestens gegen Ende des 16. Jahrhunderts in Nordeuropa, insbesondere in England. Dort stellte man die Landwirtschaft um und machte sie leistungsstärker, zur gleichen Zeit wuchsen langsam auch die Städte.
Die von England und dann von Europa ihren Ausgang nehmende "Industrialisierung" nahm allmählich erste Züge an und bahnte sich ihren Weg. (In der Geschichtsschreibung ist mit der Industrialisierung im engeren Sinne eigentlich von Ereignissen die Rede, die erst im 18. Jahrhundert beginnen.) Noch war die Produktion von Milch und Milchprodukten vor allem eine Leistung der Frauen - die traditionelle "Arbeitsteilung" zwischen Mann und Frau sah es so vor.
Mit den größer werdenden Städten wuchs dort auch die Nachfrage nach Lebensmitteln, die außerhalb der Städte produziert und dann dorthin gebracht und verkauft wurden. Das Geschäft mit der Milch begann sich zu verselbstständigen und bald wurde es nötig, die traditionelle Milchproduktion zu modernisieren. Dies geschah durch Arbeitsteilung: Die Milch und besonders der abgeschöpfte Milchrahm wurden nicht mehr an Ort und Stelle verbraucht, sondern von Zwischenhändlern aufgekauft und in Fabriken weiterverarbeitet, zum Beispiel zu Käse und Butter.
Industrialisierung: Haltbarmachung der Milch
Ohne besondere Vorkehrungen sind Milch und Milchprodukte eine leicht verderbliche Ware - bis zum Ende des 19. Jahrhunderts galt Milch als Gesundheitsrisiko, vor allem bei Kindern. Oft wurde der Tod von Kindern auf den Verzehr von verdorbener Milch zurückgeführt. Es war lange Zeit üblich, die Milch mit Wasser zu "strecken" - der Wasseranteil dieses Gemisches lag bei bis zu 50 Prozent. Diese Vorgehensweise stellte ein zusätzliches Gesundheitsrisiko dar, weil das Wasser oftmals aus verunreinigten Flüssen oder Brunnen stammte und deshalb giftig war. Nur durch das Abkochen von Flüssigkeiten konnte man sich sicher sein, es mit einigermaßen "sauberer" Ware zu tun zu haben.
In Bezug auf die Milch sind es vor allem drei technische Neuerungen gewesen, die zu einer längeren Haltbarkeit und deswegen auch zur Möglichkeit der Massenproduktion führten: technische Möglichkeiten der Kühlung (die ersten Kühlschränke wurden Mitte des 19. Jahrhunderts gebaut) und die so genannten Verfahren der "Pasteurisierung" und "Homogenisierung".
Die industriell behandelte Milch eignete sich dazu, auf dem immer länger werdenden Weg vom Erzeuger zum Verbraucher "frisch" zu bleiben. Die Kühlhaltung erfolgte beim Transport meist durch entsprechend eingerichtete Eisenbahnwaggons - die Eisenbahn entwickelte sich im 19. Jahrhundert in Europa und Nordamerika zu einem dichten Verkehrsnetzwerk, ohne welches die Industrielle Revolution nicht möglich gewesen wäre.
Neue Methoden und Produkte
Das Pasteurisieren geht auf den französischen Chemiker Louis Pasteur (1822 bis 1895) zurück, daher auch der Name. Pasteur fand heraus, dass man durch ein kurzzeitiges Erhitzen der Milch viele der darin enthaltenen Mikroorganismen abtöten kann. Beim Pasteurisieren erhitzt man die Milch eine halbe Minute lang auf über 70 Grad Celsius, anschließend kühlt man sie sofort ab. H-Milch wird sogar auf über 130 Grad Celsius erhitzt ("Ultrahocherhitzung"). Pasteurisierte Milch ist weitgehend frei von krank machenden Keimen und hält sich deutlich länger.
Das Homogenisieren ist ein Verfahren, bei dem man die in der Milch enthaltenen Fettbausteine auf eine ähnliche Größe bringt - der Begriff "Homogenität" setzt sich zusammen aus den griechischen Wortelementen "homoios" (das bedeutet "gleich") und "gen" (das bedeutet "beschaffen"). Man erreicht das, indem man die Milch mit hohem Druck durch winzige Öffnungen ("Düsen") presst und anschließend auf eine metallene Oberfläche spritzt. Die Homogenisierung findet maschinell statt.
Bei der in den USA durch Gail Borden eingeführten Methode der "Kondensation" von Milch - physikalisch ist damit der Übergang vom dampfförmigen in den flüssigen Zustand gemeint - wird die Milch mittels eines industriellen Verfahrens für rund 20 Minuten auf bis zu 100 Grad Celsius erhitzt und anschließend homogenisiert. Kondensmilch ist dickflüssiger als Frischmilch und sehr viel länger haltbar, oft wird sie zusätzlich gesüßt. Im Amerikanischen Bürgerkrieg und später auch im Ersten Weltkrieg war Kondensmilch eine wichtige Lebensmittelration für die Soldaten.
Am jüngsten ist die Methode, der Milch jegliche Flüssigkeit zu entziehen, um so eine Milchtrockenmasse ("Milchpulver") zu gewinnen. Milchpulver wird für die Herstellung von Käse, Joghurt, Gebäck und Schokolade benutzt, außerdem ist es ein Hauptbestandteil von Instant-Babynahrung und Muttermilchersatz. Es dient - wie gewöhnliche Milch auch - ebenso als Zusatz von Kakao, Kaffee und Tee.
Gesundheitliche Bedenken und Massentierhaltung
Neben den technischen Neuerungen führte auch die menschliche Manipulation der Milch gebenden Tiere zu einem Anstieg der Gesamtproduktion von Milch und Milchprodukten - Kühe sind mittlerweile zu "Milchproduktionsmaschinen" reduziert worden. Die Massenproduktion und der dafür notwendigen Massentierhaltung haben aus den Nutztieren "Gegenstände" gemacht, deren Wert nur noch nach Leistung bemessen wird.
"Hochleistungskühe" bekommen ein mit Eiweißstoffen angereichertes Spezialfutter und leben nicht mehr länger auf der Weide, sondern in geschlossenen und teilweise nicht dem Tageslicht zugänglichen Ställen ("Stallwirtschaft"). Das Futter der Milchkühe wird größtenteils aus in Nord- und Südamerika angebauten Sojabeständen hergestellt, die Kühe werden damit künstlich überfüttert. Die Tiere produzieren zwar mehr Milch, sind dafür aber auch krankheitsanfälliger. Sie benötigen in großem Umfang Medikamente - zum Beispiel "Antibiotika". Rückstände von Medikamenten und auch von den zur Leistungssteigerung verabreichten Hormonen finden sich auch in der Milch, landen also letztlich beim Menschen. Die US-amerikanische Firma "Monsanto" sorgte mit gentechnisch hergestellten Rinderwachstumshormonen für Skandale und beschwor Widerstand seitens der Verbraucher herauf. In Deutschland ist der Einsatz von Wachstumshormonen verboten.
Kühe aus Massentierhaltung liefern qualitativ schlechtere Milch und leben in keiner Weise "artgerecht" - Omega-3-Fettsäuren und Vitamin-D zum Beispiel fehlen in der Milch aus Massentierhaltung. Von einer "Symbiose" zwischen Tier und Mensch - so nennt man ein Zusammenleben von Organismen verschiedener Arten, das für beide Seiten vorteilhaft ist - kann man bei der modernen Nutztierhaltung keinesfalls mehr sprechen. Vielmehr handelt es sich um eine einseitige Ausbeutung der Tiere seitens der Menschen. Die Alternative dazu ist die "Weidewirtschaft" - diese wäre möglich, wenn die in Überfluss lebenden Menschen in den Industrieländern ihr Konsumverhalten bezüglich der Milchprodukte einschränken würden.
Überproduktion und Schädigung der "Dritte-Welt-Länder"
In Europa ist der Markt mit Milch "überschwemmt", gleichzeitig wird diese Massenproduktion in Form von "Subventionen" (das sind finanzielle Hilfen) aufrecht erhalten - die EU manipuliert den Markt, indem sie Subventionen an die europäischen Milchproduzenten vergibt. Das Argument ist wie so oft, dass dadurch Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft erhalten werden.
In den Ländern der Europäischen Union und in den USA gibt es heutzutage eine Überproduktion von Milch - diese wird auch in den ärmeren "Dritte-Welt-Ländern" abgesetzt, wo auf diese Weise die dortige Land- und Milchwirtschaft zerstört wird. Auch in Europa und Nordamerika sind die Milch produzierenden Kleinbetriebe mehr und mehr zugunsten von Großbetrieben verschwunden. Die Massenproduktion der EU-Länder ist schuld daran, dass in den so genannten "Entwicklungsländern" keine eigenständigen nationalen Milchwirtschaften entstehen. Ganz abgesehen ist der übermäßige Genuss von Milch nicht gesund. 80 Prozent der Menschen sind sogar "laktoseintolerant", so dass der Verzehr von Milch für sie allgemein schädlich ist.
Zu einem Skandal kam es in Afrika, wo die weltweit Handel treibende Schweizer Firma "Nestlé" in den 1970er- und 1980er-Jahren ihren Muttermilchersatz auf den Markt brachte und sich später dem Vorwurf ausgesetzt sah, für den Tod von Tausenden von Babys verantwortlich zu sein. Für das Kind ist es nämlich sehr gefährlich, wenn das Milchpulver mit verseuchtem Wasser zubereitet wird - und genau dies geschah massenhaft. Außerdem ist Muttermilch für das Baby viel wertvoller und gesünder als dieser Milchersatz. Die weibliche Brust hört allerdings auf Milch zu bilden, wenn man das Stillen durch den Einsatz von Milchpulver-Babynahrung unterbricht.
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