von Britta Pawlak - 23.11.2006
Die Lage im Irak spitzt sich immer weiter zu: Erneut erschütterte eine Serie von blutigen Anschlägen die irakische Hauptstadt Bagdad - mehr als 200 Menschen starben und über 250 wurden verletzt. In einem von Schiiten bewohnten Vorort explodierten mehrere Autobomben. Erst vor kurzem kamen bei Bombenanschlägen in Hilla und Bagdad viele Menschen ums Leben. Zuvor war der irakische Bildungsminister nach einer erneuten Massenentführung aus Protest zurückgetreten. In Bagdad wurde eine Ausgangssperre verhängt.
In dem überwiegend von Schiiten bewohnten Vorort Sadr-City sollen durch erneute Gewaltanschläge mindestens 200 Menschen getötet und über 250 verletzt worden sein. Laut Dschihad al-Dschabiri, Brigadegeneral des Innenministeriums, explodierten in kurzer Folge sechs Autobomben, eine davon auf einem öffentlichen Markt. Eine siebte Bombe sei rechtzeitig entdeckt und entschäft worden. Daraufhin wurde in der Hauptstadt vorübergehend eine Ausgangssperre verhängt.
Nach Angaben der Polizei soll das US-Militär vier irakische Zivilisten getötet haben, acht weitere seien verletzt worden, als amerikanische Soldaten bei einer Razzia einen Bus unter Beschuss nahmen. Die Insassen sollen sich auf dem Weg zur Arbeit befunden haben. Das US-Militär stellte den Vorfall allerdings anders da: "Ein Fahrzeug, das feindliche Absichten zeigte, wurde als akute Gefahr für die irakischen Truppen identifiziert. Irakische Soldaten feuerten auf das Fahrzeug, um die Gefahrenquelle auszuschalten."
Laut dem stellvertretenden Minister Hakim al Samilj, der erst vor wenigen Tagen einem Attentat entkam, wurde das Gesundheitsministerium erneut angegriffen. "Das ist eine Verschwörung unter den Terroristen, um den Osten und Westen der Stadt zu teilen", sagte er. Mehrere Menschen wurden dabei verletzt. Die Terroristen sollen das Gebäude umstellt und mit Granatwerfern und Schusswaffen angegriffen haben. Der Versuch, in das Ministerium zu gelangen, sei aber abgewehrt worden.
Erst kürzlich Gewaltanschläge im Irak
Erst wenige Tage zuvor kamen in der 95 Kilometer von Bagdad entfernten Stadt Hilla mindestens 23 Menschen ums Leben, viele wurden verletzt. Ein Selbstmordattentäter war mit einem Kleinbus auf eine Menschenmenge zugesteuert und hatte einen Sprengsatz gezündet. In der größtenteils von Schiiten bewohnten Stadt kam es schon einige Male zu Anschlägen. Man vermutet, dass es sich bei dem Terroristen um einen Sunniten handelte.
In Bagdad wurden an einem Busbahnhof mehrere Autobomben gezündet. Mindestens zehn Menschen starben bei den Explosionen, über 50 wurden verletzt. Im Bagdader Stadtteil Sajuna starben zwei Menschen durch Sprengstoffanschläge.
Der stellvertretende irakische Gesundheitsminister Ammar al-Saffar wurde am vergangenen Sonntag von bewaffneten Männern in Militäruniformen aus seiner Bagdader Wohnung entführt. Bisher gibt es keine Lebenszeichen von Saffar. Der Politiker gehört der schiitischen Dawa-Partei des Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki an.
Nach Massenentführung trat Bildungsminister aus Protest zurück
Der staatliche Fernsehsender Al-Irakija hatte vergangene Woche gemeldet, dass "kriminelle Terroristen" in Bagdad sechs Kleinbusse gestoppt und die Fahrgäste verschleppt hätten. Die Busse waren in einem Stadtteil von Bagdad, der vorwiegend von Schiiten bewohnt wird, abgefahren.
Der irakische Bildungsminister Abed Diab al Udschaili hatte daraufhin aus Protest seinen Rücktritt angekündigt. "Ich lege mein Amt nieder, bis aktiv etwas unternommen wird. Ich habe das Gefühl, dass es keine wirksame Regierung gibt", sagte er dem Rundfunksender BBC. Er wolle nicht mehr auf "bloßes Vertrauen" hoffen.
Weiterhin kamen in Bagdad am vergangenen Donnerstag bei Gewaltanschlägen zehn Iraker ums Leben. Sieben von ihnen wurden in einer Bäckerei in Sajuna erschossen. Bei der Explosion einer Autobombe und eines Mofas starben drei weitere Menschen. Laut US-Armee habe ihre Luftwaffe mehrere Gebäude südlich von Bagdad angegriffen und dabei neun "Terroristen" getötet. Die Soldaten nahmen mehrere verdächtige Personen fest.
Folterung und Tötung von Geiseln?
Vergangene Woche kam es in Bagdad zu einer Massenentführung. Von den verschleppten Menschen sollen noch einige Entführte festgehalten werden. Außerdem hieß es, dass mehrere Geiseln gefoltert und getötet worden seien.
Beobachter vermuteten, dass es sich bei den Entführern um Polizisten handelte. Der Polizeichef des Stadtteils, in dem die Geiselnahme stattfand, wurde aus dem Dienst entlassen. Mehrere Polizisten stehen im Verdacht, in die Massenentführung verwickelt zu sein. Über die Spezialeinheit des Innenministeriums sagen die Sunniten, sie wäre "ausführendes Organ" der schiitischen Partei-Milizen. Die Terroristen könnten aber auch gestohlene oder falsche Uniformen getragen haben. Es ist weiterhin unklar, wer die Entführung wirklich geplant und durchgeführt hat.
Udschaili hatte kritisiert, dass er das Verteidigungs- und das Innenministerium bislang vergeblich darum gebeten habe, die Hochschulen und Einrichtungen des Ministeriums zu schützen. Erst kürzlich waren ein Universitätsdekan und ein prominenter Geologe ermordet worden.Vorübergehend hatte man in Bagdad alle Ministerien geschlossen und eine Schließung aller Hochschulen angeordnet. Der Lehrbetrieb soll nun unter stärkerer Bewachung wieder aufgenommen werden.
Wer plant die Gewaltanschläge und Entführungen?Zahlreiche Geiselnahmen gehen auf das Konto religiöser Milizen, die entweder für die Sicherheitskräfte tätig sind oder von ihnen mit Ausrüstung unterstützt werden. Auch das schiitisch geführte Innenministerium steht schon lange unter dem Verdacht, selbst Entführungen zu organisieren und Menschen gezielt töten zu lassen. Beweise gibt es dafür jedoch nicht. Dennoch fragen sich nun viele, ob das Innenministerium hinter dem Überfall auf das Bildungsministerium steckt.
Im Irak kommt es immer wieder zu Geiselnahmen. Im Juli 2006 wurden 30 Sportler und Angehörige des Olympischen Komitees entführt, von denen einige später freigelassen wurden. Nur wenig später traf es 26 Mitarbeiter eines Fleischerei-Betriebes. Einige Entführungsopfer kommen gegen Lösegeld frei. Viele werden jedoch gefoltert und ermordet. In der irakischen Hauptstadt Bagdad werden täglich etwa 50 unbekannte Tote in Leichenhäusern abgeliefert.
Der Konflikt zwischen den Sunniten (die größte islamische Glaubensrichtung) und den Schiiten (die zweitgrößte religiöse Gruppierung des Islam) reicht weit in die Vergangenheit zurück. Die Sunniten stellen in der irakischen Bevölkerung zwar eine Minderheit dar, besaßen aber bis zum Sturz des damaligen Gewaltherrschers Saddam Husseins politisch und wirtschaftlich die Macht. Die Schiiten sahen nach dem Ende der Diktatur Saddams eine Möglichkeit, die Macht im Land umzuverteilen. Die Sunniten verteidigten aber mit aller Gewalt ihren Herrschaftsanspruch im Irak. Mittlerweile führen sowohl sie als auch die Schiiten diesen Krieg mit größter Brutalität.
Mehr über die Hintergründe und die Situation im Irak erfährst du in dem Artikel "Irak: weiterhin herrscht die Gewalt" und weiteren Beiträgen, die unten verlinkt sind.
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