31.05.2007
Kurz nach dem Geburtstag des Grundgesetzes kommt ein außergewöhnlicher Film in die Kinos: "GG19" - der Filmtitel ist die Abkürzung für die 19 Grundrechtsartikel. Das Grundgesetz im Kino - das hört sich zunächst nach ergrauter Theorie und Belehrung an. Der originelle Film, der heute startet, verfolgt aber ganz andere Ziele. Er stellt die Fragen: Wie sieht es in der Realität mit der Wahrung der Grundrechte aus? Werden sie uns tatsächlich gewährleistet, und nutzen wir sie überhaupt? Die Episoden erstaunen, erheitern, empören - und stimmen nachdenklich...
Am 23. Mai ist das deutsche Grundgesetz 58 Jahre alt geworden. "Grundrechte" - das klingt zunächst sehr trocken und theoretisch. Der originelle Film behandelt aber ein Thema, das uns alle angeht, gerade auch junge Leute. Wir erleben die Episoden aus persönlicher Sicht der Menschen, sie amüsieren, bewegen und erschüttern den Zuschauer.
Jeder der 19 Kurzfilme setzt sich dabei mit einem Grundrecht auseinander - nicht in der Theorie, sondern im wirklichen Leben. Die Beiträge erklären mit Witz abstrakte Begriffe wie "Petitionsrecht" oder "Verwirkung". Und sie fragen: Wie sieht es mit der Einhaltung der Menschenrechte in der Realität eigentlich aus? Und wie sehr engagieren wir uns überhaupt für unsere Rechte und die anderer?
So lauten einige unserer Rechte: "Die Würde des Menschen ist unantastbar" (Art. 1), "Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet" (Art. 4), "Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln" (Art. 8). "Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen" (Art. 12). "Jedermann hat das Recht, sich (…) mit Bitten oder Beschwerden an die Volksvertretung zu wenden (Art. 17)" - das alles steht seit 1949 schwarz auf weiß in der deutschen Verfassung.
Verfassung und Wirklichkeit
Nach der Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten, die Grundrechte mit Füßen getreten und außer Kraft gesetzt haben, sollte die Demokratie in Deutschland gesichert werden. Aber wie steht es nun, über ein halbes Jahrhundert später, um die so hochtrabend formulierten Rechte im Alltag?
Teils überspitzt, teils witzig, teils schockierend - 19 Regisseure haben die Inhalte der Grundrechte in Bild und Aktion umgesetzt. Schnell wird klar, dass sich zwischen den hehren Zielen der Gesetzestexte und der Wirklichkeit leicht große Lücken auftun. Wie bewusst sind uns eigentlich die grundlegenden Rechte unserer Verfassung? Nehmen wir sie wahr? Treten wir für sie ein?
Eine alte Frau zum Beispiel demonstriert einsam vor dem Reichstag, dem Regierungssitz in Berlin, während die Touristen gelangweilt in der Schlange stehen und darauf warten, das Parlamentsgebäude zu besichtigen. Eine andere Episode erzählt von den Konflikten einer deutsch-muslimischen Lehrerin, deren Eltern aus dem Iran stammen und die ein Kopftuch tragen möchte.
Grundrechte durchleuchten
Wie selbstverständlich werden uns die garantierten Grundrechte zugestanden? Ein Kind, das überzeugt seinen christlichen Glauben leben will, sieht, dass es nicht weit her ist mit der Religionsfreiheit in Deutschland. Wann können, dürfen oder müssen Grundrechte eingeschränkt werden? Wie steht es um den Schutz der Familie (Art. 6), wenn eine drogensüchtige Mutter ihr Kind vernachlässigt?
Das Recht des einen hört auch da auf, wo das Recht eines anderen verletzt oder ihm Schaden zugefügt wird. Das ist allerdings nicht immer eindeutig, sondern oft eine Gradwanderung. Privatsphäre und persönliche Freiheit können oder müssen eingeschränkt werden, wenn es der Sicherheit anderer dient - oder ein Verbrechen damit aufgeklärt werden könnte. Schwierig ist dabei immer die Frage: Wo sollte die Grenze gezogen werden?
In einer Episode zum Beispiel zeigt eine neugierige Nachbarin einen Vater an, der angeblich seine Tochter sexuell belästigt. Sie beschuldigt ihn allerdings zu Unrecht. Ist jemand, der sich auf diese Weise in das Privatleben anderer einmischt, jedoch generell zu aufdringlich oder zu sehr von Vorurteilen geprägt? Was wäre, wenn mit einem solchen Einmischen tatsächlich ein Kindesmissbrauch aufgedeckt werden könnte? Produzent Harald Siebler findet das Thema Grundrechte gerade für Jugendliche interessant. Sie haben zwar schon oft vom Grundgesetz gehört, aber es bleibt nach Einschätzung Sieblers viel zu abstrakt.
Das richtige Bewusstsein: an der Gesellschaft mitwirken
Wichtige Grundrechte sind vielen überhaupt nicht bewusst. Wie war das nochmal mit dem Postgeheimnis? Im Film weiß der Postbote über sämtliche Beziehungen, Sorgen und Nöte seines Dorfes Bescheid. Hat jemand etwas dagegen?
Gerade kürzlich ist eine Debatte entbrannt, nachdem bekannt wurde, dass im Vorfeld zum G8-Gipfel auf unbestimmten Verdacht Briefe in Hamburg geöffnet wurden, um möglichen gewaltbereiten G8-Gegnern auf die Spur zu kommen.
Die 19 Artikel des Grundgesetzes bieten Orientierung und Wahrhaftigkeit, findet Siebler, gerade in der heutigen Zeit. Die Grundrechte kennenlernen, sich damit auseinandersetzen, die eigene Meinung darüber bilden und diese kundtun (Art. 5), dazu will der Film beitragen.
Wie viele Menschen sind bereit, sich für ihre Ideale, für ihre Rechte oder gar für die Rechte der anderen einzusetzen? Wie viele Menschen nutzen eigentlich ihr Recht auf Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung? Wer ist bereit, wirklich aktiv an der Gesellschaft mitzuwirken, anstatt für sich entscheiden zu lassen oder sich - oft aus Bequemlichkeit - anzupassen? Absicht der Filmemacher ist es aber nicht, zu belehren, sondern Fragen zu stellen und zum Nachdenken anzuregen.
Wie steht es um die Grundrechte?
Des Thema um die Grundrechte ist zeitlos. Gerade aktuell gibt es aber heftige Debatten über Sicherheit und Freiheit - zum einen wegen Maßnahmen zur Terrorbekämpfung und der geplanten Sicherheitsgesetze des Innenministers Schäuble. Viele sind empört über die Vorstellung, dass Computer ausspioniert und Telefonate abgehört werden sollen, dies sei ein erheblicher Eingriff in die Privatsphäre. Zum anderen wird kurz vor dem Gipfel in Heiligendamm über den Umgang des Staates mit G8-Gegnern diskutiert.
Zwei Wochen vor dem G8-Gipfel, dem Treffen der acht wirtschaftlich stärksten Staaten, wurde heftige Kritik laut. Es wurde über das Vorgehen gegen die Menschen diskutiert, die gegen die Politik der G8-Staaten demonstrieren wollen. Denn in Heiligendamm wurde ein Sicherheitszaun errichtet, und in einer weitläufigen Zone um das Gelände wird während des Gipfels ein Demonstrationsverbot herrschen. Auch im Umgang mit Demonstranten während der Proteste wurde einigen Polizisten immer wieder vorgeworfen, Menschenrechte zu missachten. Außerdem wurden vor wenigen Wochen große Razzien (Durchsuchungen) gegen verdächtige G8-Gegner durchgeführt. Auch die "Schnüffelproben", die man von Menschen auf Verdacht genommen hat, stießen auf heftige Kritik.
"Zuschauer-Demokratie ist zu wenig"
Demokratie bedeutet auf jeden Fall auch Mitbestimmung der Bürger, und nicht das Zuschauen dabei, wie andere die Demokratie umsetzen. Beispiel: Ein weiteres aktuelles Thema ist Gentechnik in Nahrung. Die Politiker planen, das entsprechende Gesetz zu verwässern und Auflagen zu lockern.
Obwohl die deutliche Mehrheit der Bevölkerung laut einer Umfrage entschieden dagegen ist, soll über ihren Kopf hinweg entschieden werden. Genmanipulierte Pflanzen dürften dann bis zu einem gewissen Prozentsatz andere Felder verunreinigen. Die Gefahr wäre, dass die Verbraucher sich zukünftig nicht mehr sicher sein könnten, ob Lebensmittel frei von Gentechnik sind - und das, obwohl heftig umstritten ist, welche möglicherweise weitreichenden Folgen gentechnisch behandelte Produkte für uns und die Umwelt haben.
Würden viel mehr Menschen hier und bei anderen Angelegenheiten, die wichtig sind und die sie unmittelbar betreffen, ihre Meinung kundtun und Protestaktionen starten - also ihr Recht auf Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit nutzen, könnte damit sehr viel erreicht und verändert werden.
Der Episodenfilm "GG 19" wurde von vielen Seiten gelobt. Manche Kritiker werfen ihm allerdings vor, einige der Beiträge seien zu wertend oder auch etwas klischeebehaftet. Originell umgesetzt ist der Film auf alle Fälle - und das behandelte Thema sowohl interessant als auch wichtig. Gerade für junge Menschen ist der Kinofilm deshalb auf alle Fälle sehenswert.
Titel: "GG 19, 19 gute Gründe für die Demokratie"
Start: 31. Mai 2007
Länge: ca. 149 Minuten
FSK: ab 12 Jahren
Darsteller: Adriana Altaras, Kurt Krömer, Stephan Grossmann, Max Riemelt, Wolfram Koch u. a.
Regie: Harald Siebler u. a.
Hinweis zum Copyright: Die private Nutzung unserer Webseite und Texte ist kostenlos. Schulen und Lehrkräfte benötigen eine Lizenz. Weitere Informationen zur SCHUL-LIZENZ finden Sie hier.
Wenn dir ein Fehler im Artikel auffällt, schreib' uns eine E-Mail an redaktion@helles-koepfchen.de. Hat dir der Artikel gefallen? Unten kannst du eine Bewertung abgeben.