10.05.2007
Telefongespräche abhören, E-Mails durchchecken, Computer übers Internet ausspionieren - darf der Staat so etwas? Ja - vorausgesetzt, es dient der Aufklärung von Verbrechen oder der Terrorabwehr und es wurde von einem Richter angeordnet oder durch ein entsprechendes Gesetz beschlossen. Diese wichtigen Voraussetzungen wurden jetzt allerdings ignoriert. Zudem plant Innenminister Schäuble weitgehende Eingriffe in die Privatsphäre der Bürger. Wie weit darf Sicherheit und Vorbeugung auf Kosten von Freiheit des Einzelnen gehen?
Durchsuchung ohne Rechtsgrundlage? Die Angelegenheit ist sehr heikel, weil dabei schließlich viele Unschuldige überprüft werden und der Staat so von ihren Privatangelegenheiten erfährt. Und diese sind im Grundgesetz ausdrücklich geschützt. Die Bundesregierung hat zugegeben, dass sie seit 2005 Computer von Verdächtigen ausspioniert.
Und das, obwohl der Bundesgerichtshof schon im Februar erklärt hat, dass solche Durchsuchungen nicht rechtmäßig sind. Es gab lediglich eine Dienstvorschrift, also eine Anordnung, des ehemaligen Bundesinnenministers Otto Schily.
Totale Kontrolle?
Rund um die Uhr beobachtet sein, keinen Schritt tun, ohne dass es jemand sieht: Darauf haben sich zum Beispiel die Bewohner der RTL-Serie "Big Brother" freiwillig eingelassen. Und sie wissen auch, dass alles, was sie machen, in jedem Winkel der Wohnung von Kameras aufgenommen wird. Sie haben keine Privatsphäre, keinen Schutzraum, in dem sie tun und lassen können, was sie wollen, ohne dass jemand dabei zusieht.
Eine solche Welt hatte der Schriftsteller George Orwell in seinem Roman "1984" als Horrorszenario beschrieben. Das Staatsoberhaupt "Big Brother" beobachtet und kontrolliert alle Menschen im Staat und zwingt sie so, nach seinem Willen zu handeln. Daher stammt auch das bekannte Zitat "Big brother is watching you" (wörtlich: "Der große Bruder beobachtet dich").
Private Freiheit
Einen Bereich zu haben, in dem man frei und ungezwungen sein kann, ohne befürchten zu müssen, dass man beobachtet wird, ist deshalb ein wichtiges Grundrecht in Deutschland. Man braucht Raum, um Ansichten auszutauschen, zu diskutieren und um sich selbst eine Meinung zu bilden.
Diesen demokratischen Grundsatz haben die Gründungsväter der Bundesrepublik im Jahr 1949 als so wichtig erachtet, dass sie den Schutz der Privatsphäre ins Grundgesetz aufgenommen haben. Jeder Mensch hat nach Artikel 2 persönliche Freiheitsrechte. Konkret steht in Artikel 13, dass die Unverletzlichkeit der Wohnung garantiert ist. Das heißt, dass niemand ohne Zustimmung die private Wohnung betreten darf.
In Artikel 10 ist festgehalten, dass Briefe - ob sie nun per Post verschickt oder als "verschlossenes Schriftstück" weitergegeben werden - nicht von jemandem geöffnet werden dürfen, für den sie nicht bestimmt sind. Das gilt auch für Briefchen, die du in der Klasse verschickst: Sie müssen nur richtig verschlossen sein. Dein Lehrer darf sie zwar aus dem Verkehr ziehen, aber lesen oder gar vorlesen ist tabu!
Eltern haben Sonderrechte
Allerdings gilt für deine Eltern etwas anderes. Als Erziehungsberechtigte dürfen sie Schriftstücke, die eigentlich nur dich etwas angehen, also dein Tagebuch oder Briefe, rechtlich gesehen lesen - es könnte ja etwas drinstehen, das sie als Eltern unbedingt wissen müssen, um dich verantwortungsvoll zu erziehen.
Besteht allerdings kein dringender Verdacht oder Grund dafür, ist es nicht in Ordnung, wenn sie deine persönlichen Dinge durchstöbern und Briefe oder Aufzeichnungen lesen. Du solltest also auf das Briefgeheimnis bestehen, schließlich öffnest du ja auch nicht die Post deiner Eltern.
Telefongespräche und E-Mails sind geschützt
Auch Gesprächsinhalte oder überhaupt die Tatsache, dass und mit wem du telefoniert hast, sind Privatangelegenheit und gehen keinen etwas an. Ebenso Informationen, Meinungen und Mitteilungen, die du per E-Mail an jemanden versendest, sind geheim. Es gibt aber technische Möglichkeiten, Telefongespräche abzuhören, den Inhalt von E-Mails in Erfahrung zu bringen oder sogar per Internet den Computer auszuspionieren....
Deine Eltern haben ein besonderes Interesse an deinen Briefen oder Gesprächen, wenn sie den Verdacht haben, dass du mit einem Freund etwas Unerlaubtes planst, zum Beispiel einen Ladendiebstahl. Ein anderer Grund könnte sein, dass sie fürchten, dass du Kontakt zu jemandem hast, der dir schaden könnte. Es wäre auch möglich, dass ihr euch in euren Briefen darüber austauscht, wann ihr die geklauten CDs untereinander verteilt oder verkauft. In der Annahme, dass es sich um so etwas handelt, würden deine Eltern sicherlich deine Briefe lesen oder Telefongespräche verfolgen.
Sicherheit vor Privatsphäre?
Auch Innenminister Wolfgang Schäuble und sein Vorgänger Otto Schily argumentieren damit, dass es für die Aufklärung oder Verhinderung von Verbrechen notwendig sei, das Private einzuschränken. Sie planen "Sicherheitsgesetze", die beispielsweise das Ausspionieren von Computern ermöglichen sollen. Natürlich möchte jeder, dass geplante Terroranschläge verhindert und Verbrechen aufgeklärt werden. Sollte deshalb allerdings auch ohne einen dringenden Verdacht spioniert werden? Leicht kann der Zugriff auf die privaten Daten auch missbraucht werden.
Die Pläne Wolfgang Schäubles spalten die Öffentlichkeit und haben nun heftige Debatten ausgelöst. Kann man im Namen der Sicherheit und der "Terrorbekämpfung" tatsächlich so weit gehen, dass man private Telefongespräche abhört, bei unbestimmtem Verdacht Computer anderer Menschen ausspioniert, auf geheime und private Daten oder Informationen zugreift? Wie weit dürfte der Staat in Zukunft gehen? Wo sollte die Grenze gezogen werden? Wie sollte eine solche Überwachung überhaupt ablaufen und in welchem Ausmaß? Welche Gefahren birgt ein solcher Eingriff in die Privatsphäre der Bürger? - all das sind Fragen, die in diesem Zusammenhang gestellt werden.
Alle Bürger unter "Generalverdacht"?
Auch die Frage um digitale Fingerabdrücke sorgte für Debatten. Schäuble sieht vor, Fingerabdrücke aus den neuen Reisepässen in den Daten der Behörden zu speichern. Würden diese massenhaft erfasst werden und abrufbar sein, könnte es schwierig werden, die Kontrolle zu bewahren. Das könnte zur Folge haben, dass es immer häufiger zu Fälschungen käme. So könnten Straftäter ihre Identität unter falschen Fingerabdrücken verbergen.
Vielen geht diese Art von "präventiver" (also vorbeugender) Terror- und Kriminalitätsbekämpfung eindeutig zu weit. Nach Ansicht einiger Menschen ist die Politik bei einer solchen Vorgehensweise auf dem besten Weg, einen "Überwachungsstaat" aufzubauen. Dabei laufe man Gefahr, jeden Menschen erst einmal generell als "verdächtig" zu betrachten.
Vor allem Politiker der Grünen und der Linkspartei kritisieren die Pläne Schäubles massiv. Aber auch aus den Reihen der SPD steht man den Vorhaben skeptisch gegenüber. "Was Herr Schäuble auf den Tisch gelegt hat, gefährdet die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit", sagte Kurt Beck, Parteivorsitzender der SPD.
Was denkst du darüber? Kann man im Namen der Sicherheit und "Terrorbekämpfung" private Telefongespräche abhören und auf Computer zugreifen? Zählt Sicherheit mehr als persönliche Freiheit und Privatsphäre? Wo sollte die Grenze gezogen werden? Im Forum kannst du mit anderen Lesern darüber diskutieren. |
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