24.07.2012
Die schwierige Debatte um Sterbehilfe ist in Deutschland kürzlich wieder in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Hintergrund war die Klage eines 69-jährigen Witwers, der sich seit Jahren für das Recht auf einen selbstbestimmten Tod einsetzt. Was geschieht, wenn ein schwerkranker Mensch nicht mehr weiterleben will? Sollte der Arzt dem Willen des Menschen und seinen Angehörigen folgen? Wie unterscheiden sich aktive und passive Sterbehilfe und welche Form ist vertretbar? Wir leben heute in einer hochtechnisierten Welt und in Deutschland steigt der Anteil der älteren Menschen in der Gesellschaft. Somit ist es wichtig, über ein "menschenwürdiges Sterben" zu diskutieren.
Bettina K., die verstorbene Frau des Witwers Ulrich K., wollte ihrem Leben aus Schmerz und Leid vor einigen Jahren ein Ende setzen. Die deutschen Behörden hatten ihr 2005 die Ausgabe eines entsprechenden Medikaments verweigert, mit dem sie sich das Leben nehmen wollte. Infolge eines Sturzes war sie gelähmt, abhängig von Maschinen und litt unter ständigen Schmerzen. Um selbst über ihr Leben und ihren Tod zu bestimmen, musste sie in die Schweiz fahren und konnte sich dort mit der Unterstützung des Sterbehilfe-Vereins Dignitas das Leben nehmen.
Ulrich K. reichte daraufhin eine Klage ein, weil er überzeugt davon war, dass man seiner Frau die tödlichen Medikamente in Deutschland nicht hätte verweigern dürfen. Da die deutschen Gerichte seine Klage mit der Begründung ablehnten, er könne nicht stellvertretend für seine Frau vor Gericht ziehen, legte er beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg Beschwerde ein. Die verantwortlichen Richter kritisierten zwar, dass die deutschen Gerichte den Fall nicht umfassend geprüft hätten. Jedoch lehnten sie es ab, über den Anspruch auf Sterbehilfe in Deutschland zu entscheiden, denn dies liege in der Verantwortung der deutschen Gerichte.
Während die Ausgabe entsprechender Medikamente zur Sterbehilfe in der Schweiz per Gesetz unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist, gibt es in Deutschland keine solche Regelung. Doch was bedeutet Sterbehilfe, manchmal auch "Euthanasie" genannt, überhaupt - und welche Arten unterscheidet man dabei? Der Begriff "Euthanasie" wird mittlerweile meist vermieden, weil damit ebenfalls die systematische Tötung von behinderten, kranken und alten Menschen im Dritten Reich bezeichnet wird. Das Wort stammt aus dem Griechischen: "eu" bedeutet "gut", "schön", "leicht" oder "richtig", "thanatos" heißt übersetzt "der Tod". Führen wir die beiden Teile zusammen, entsteht in etwa "schöner Tod" oder "leichter Tod".
Verschiedene Arten der Sterbehilfe
Allgemein versteht man unter Sterbehilfe, dass einer Person, die den Wunsch hat, ihr Leben zu beenden und in den meisten Fällen unheilbar krank ist, beim Sterben "geholfen" wird. Man unterscheidet zwischen drei Varianten der Sterbehilfe: Der aktiven, passiven und der indirekten. Bei der "aktiven" Variante wird durch Gabe von Medikamenten der Tod herbeigeführt.
In diesem Fall ist es wichtig zu unterscheiden: Wird das tödliche Mittel von außen verabreicht, handelt es sich um "aktive Sterbehilfe" im engeren Sinn. Wird das Mittel dem Patienten bereitgestellt und er nimmt es selbst ein, dann nennt sich das "Beihilfe zum Freitod oder Suizid" (Suizid bedeutet Selbsttötung oder Selbstmord). In manchen Fällen, wenn ein Mensch zum Beispiel an den Rollstuhl gefesselt ist, kann er den Schritt auch überhaupt nicht alleine gehen und ist auf Unterstützung angewiesen. Zwar ist eine solche Beihilfe zum Freitod in Deutschland nicht strafbar, jedoch dürfen die dafür notwendigen Medikamente nicht herausgegeben oder von Ärzten verschrieben werden.
Eine andere Variante ist die "passive Sterbehilfe". Damit ist das Unterlassen von lebensverlängernden Maßnahmen gemeint. Ein Beispiel wäre hier das Ausschalten der Maschinen, die den schwerkranken Menschen am Leben erhalten. Dieser Begriff wird jedoch des Öfteren kritisiert, da "passiv" missverständlich ist. Es wird deshalb vorgeschlagen, den Begriff "passive Sterbehilfe" durch "Sterbenlassen" zu ersetzen.
Als dritte Variante existiert noch die "indirekte Sterbehilfe". Hiervon spricht man, wenn bei der Gabe von starken schmerzstillenden Medikamenten ein vorzeitigeres Sterben in Kauf genommen wird. Das geschieht heute aber verhältnismäßig selten. Zudem sind sich die Mediziner zum Teil uneinig darüber, ob manche der starken Schmerzmittel das Leben wirklich verkürzen oder nicht.
Ethische Fragen: Wer trägt die Verantwortung?
Die aktive Sterbehilfe, also die äußere Gabe eines tödlichen Mittels, ist fast überall auf der Welt verboten. Die Ausnahme bilden die so genannten "Benelux-Staaten", also Holland, Belgien und Luxemburg. Wenn jemand in Deutschland dennoch aktive Sterbehilfe betreibt, wird dies mindestens als "Tötung auf Verlangen" oder, wenn die Person stark depressiv war, auch mit "Totschlag" bestraft. Es droht deshalb eine Gefängnisstrafe zwischen sechs Monaten und mehreren Jahren.
Das Thema der Sterbehilfe ist sehr umstritten, denn hier stellen sich einige wichtige ethische Fragen. Es ist vor allem eine Frage der Verantwortung: Wer ist in der Lage zu entscheiden, wann und wie beim Sterben geholfen werden darf? Dazu kommt, dass der Todeswunsch des Patienten bewertet werden muss: Ist es ein "echter" und "begründeter" Todeswunsch oder eine vorübergehende Verstimmung, eine Meinung, die er vielleicht bald ändern wird? Wie ist die psychische Verfassung des Betroffenen, leidet er etwa unter Depressionen, die behandelt werden könnten? Das trifft natürlich nur zu, wenn die Person noch bei Bewusstsein ist und ihren Wunsch äußern kann. Ist das nicht der Fall, entscheiden die Angehörigen.
Ursprünglich leisteten die Ärzte den "hippokratischen Eid", bevor sie in ihrem Beruf arbeiten durften. Dieser besagt unter anderem, dass ein Arzt unter keinen Umständen einem kranken Menschen schaden darf. Wörtlich steht in dem Eid: "Ich werde niemandem, auch auf eine Bitte nicht, ein tödlich wirkendes Gift geben und auch keinen Rat dazu erteilen". Der Eid ist zwar heute nicht mehr Pflicht, spiegelt aber zu großen Teilen die ärztliche Ethik wieder. Er wurde nach dem griechischen Arzt Hippokrates von Kós benannt und entstand um 100 nach Christus, er existiert also seit bereits 1.900 Jahren.
Sterben damals und heute
"Die Würde des Menschen ist unantastbar", heißt es im Artikel 1, Absatz 1, des Grundgesetzes. Doch was ist in diesem Fall würdig und wer entscheidet das? Ist es würdig, wenn ein Mensch gegen seinen Willen mit Hilfe von Maschinen und neuester Technik am Leben erhalten wird? Wann endet und beginnt das "Leben"? Die Pflicht, Leben zu erhalten, wird bei diesen Fragen oft über ein "würdiges" Sterben und den Wunsch schwerkranker Menschen gestellt.
Zu der Zeit des Arztes Hippokrates bedeuteten Krankheit und Tod allerdings nicht das Gleiche wie heute. Das lässt sich allein daraus erklären, wann jemand als tot galt und wie lange das Sterben dauerte. Früher wurde ein Mensch für tot erklärt, wenn man dies äußerlich klar erkennen konnte: Er atmete nicht mehr, sein Herz schlug nicht mehr, seine Augen reagierten nicht mehr und der Körper war kalt und steif. Bis zum 18. Jahrhundert galt ein Mensch mit diesen Merkmalen als endgültig tot. Damals gab es noch nicht die modernen medizinischen Möglichkeiten von heute, einen schwerkranken Menschen mithilfe von speziellen Medikamenten und hochtechnisierten Maschinen am Leben zu halten oder das Sterben auf diese Weise lange Zeit hinauszuzögern.
Dank eifriger Forschung wurde es ab dem 18. Jahrhundert möglich, Ertrunkene wiederzubeleben und zu beatmen und 1774, nach der Entdeckung der Elektrizität, waren Mediziner erstmalig in der Lage, einen Menschen durch elektrische Herzstimulation wiederzubeleben. Es wurde zum einen möglich, das Herz eines Menschen nach einem Herzstillstand wieder zum Schlagen zu bringen. Zum anderen wurden im 20. Jahrhundert Techniken entwickelt, den Menschen an Maschinen künstlich zu beatmen, zu ernähren und auf diese Weise selbst im Koma am Leben zu erhalten.
Selbstbestimmung über einen "natürlichen Tod"
Auch die passive Sterbehilfe hat in Deutschland Befürworter und Gegner. Selbst Ärzte missverstehen oft die passive Sterbehilfe. Denn für sie stellt es eine aktive Handlung dar, zum Beispiel Beatmungsgeräte und die künstliche Ernährung abzuschalten. Die meisten Menschen wünschen sich für sich selbst ein erlebnisreiches Leben und einen möglichst "unspektakulären", schnellen Tod. Allerdings sterben die wenigsten Menschen auf die gewünschte Weise, nämlich friedlich im Alter einzuschlafen und nicht mehr aufzuwachen.
So wie jeder Mensch das Recht hat, über sein Leben selbst zu bestimmen, hat er auch das Recht, über die Art seines Sterbens zu bestimmen - vorausgesetzt, dass er im Sterben liegt und es um mögliche Maßnahmen zur Verlängerung des Lebens geht. Seinen Wunsch hält der Patient in einer "Patientenverfügung" fest. Was er in der Akte festgelegt hat, muss durchgeführt werden. Das heißt, selbst wenn es eine Methode gibt, die den Zustand des Patienten eventuell verbessern könnte, muss der Arzt darauf verzichten. In den meisten Fällen sind weitere Behandlungen nur ein Herauszögern und Verlängern des Sterbeprozesses. Wichtig ist hierbei der Begriff Verzicht. Es geht also um den Verzicht von lebensverlängernden Maßnahmen und darum, den "natürlichen" Sterbeprozess geschehen zu lassen. Ein weiterer Unterschied zur aktiven Sterbehilfe besteht darin, dass das Sterben durch die Krankheit erfolgt und nicht durch die Gabe eines tödlichen Mittels. Es wird also nicht in den natürlichen Verlauf eingegriffen, er wird vielmehr einfach nur zugelassen.
Befürworter und Gegner der Sterbehilfe
Die Gegner der (aktiven) Sterbehilfe befürchten, dass die Möglichkeit, Leben zu beenden, zu eigenen Nutzen missbraucht werden könnte. Daneben wird die Gefahr gesehen, dass sich Menschen plötzlich rechtfertigen müssten, wenn sie sich für das Weiterleben entschieden haben und somit anderen zur Last fielen. Befürworter der Sterbehilfe wenden dagegen, dass der Mensch das Recht haben müsse, über sein Leben und seinen Tod selbst zu bestimmen.
Etwas nur deshalb zu verbieten, weil es missbraucht werden könnte, lassen sie als Argument nicht gelten. Denn um Missbrauch zu verhindern, gäbe es Regelungen und Gesetze. Ein weiterer strittiger Punkt bei aktiver Sterbehilfe und der Beihilfe zum Freitod ist die Annahme, dass viele Menschen nicht wirklich sterben wollten, sondern nur einen Ausweg aus ihrer Situation suchten oder Angst hätten, eine Last für andere Menschen zu werden. Dem wird entgegengesetzt, dass es für die meisten betroffenen Menschen aber keine Möglichkeit mehr gäbe, ein für sie "würdiges" Leben zu führen und man ihren Wunsch zu sterben respektieren müsse, wenn sie ihr Leben nur noch als Leid empfinden.
Bei der passiven Sterbehilfe sind sich die meisten jedoch einig, dass ein "liebevoller Verzicht" dem Menschen ein würdiges Sterben ermöglicht, ohne dass er monate- oder jahrelang leiden muss. Denn wenn modernste Technik dazu führt, dass ein todkranker Mensch jahrelang im Wachkoma am friedlichen Sterben gehindert wird, muss die Möglichkeit der Sterbehilfe und des "Sterbenlassens" neu diskutiert werden.
Sterbehilfe im Film: "Das Meer in mir"
Die Diskussion um aktive Sterbehilfe wurde auch durch den mehrfach ausgezeichneten Film "Das Meer in mir", der die wahre Geschichte eines querschnittsgelähmten Mannes erzählt, erneut aufgenommen. Der Film aus dem Jahr 2004 handelt von dem 55-jährigen Spanier Ramón Sampedro, der seit einem Badeunfall mit 25 Jahren weder Arme noch Beine bewegen kann. Er kämpfte lange Zeit vergeblich für die Möglichkeit der aktiven Sterbehilfe. Seine ihn liebende Freundin Ramona Maneiro war es letztlich, die ihm seinen Wunsch erfüllte und ihm ein Glas Wasser mit tödlichem Zyankali zur Verfügung stellte. Ramón trank das Glas mit einem Strohhalm und starb nach 20 Minuten. Was Ramona hier tat, war keine aktive Sterbehilfe im engeren Sinn, sondern Beihilfe zum Suizid. Da auch diese in Spanien verboten ist, gestand sie ihre Tat erst nach Ablauf der "Verjährungsfrist" von sieben Jahren, weil sie nach dieser Zeit nicht mehr dafür bestraft werden konnte.
Sterben gestaltet sich letztlich ähnlich individuell wie das Leben. Gerade weil es hier um wichtige menschliche Bedürfnisse wie Freiheit, Selbstbestimmung, Würde und Befreiung von Leid geht, müssen verschiedene Möglichkeiten in Betracht gezogen und diskutiert werden.
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