von Mareike Potjans - 12.07.2011
Unsere Gene bestimmen, ob wir blonde oder braune Haare haben, durch grüne oder blaue Augen blicken - und auch bestimmte Krankheiten sind genetisch bedingt. Nach einer künstlichen Befruchtung können Ärzte sie in vielen Fällen bereits dann feststellen, wenn ein Baby aus noch nichts weiter als ein paar Zellen besteht. Wenn der Arzt zu diesem Zeitpunkt schon weiß, dass ein Kind sehr schwer krank sein und vielleicht nicht lange leben wird, darf er diese Zellen dann einfach zerstören? Das ist die schwierige Frage, über die die Abgeordneten im deutschen Bundestag am 7. Juli 2011 entscheiden mussten. Ihre Antwort: Ja, aber nur in wenigen Ausnahmefällen.
Das schwierige Wort für diese schwierige Frage lautet: "Präimplantationsdiagnostik", abgekürzt und viel einfacher auszusprechen PID. Wenn ein Kind auf natürlichem Weg entsteht, also dadurch, dass ein Paar miteinander Sex hat, können Ärzte diese Methode nicht anwenden. Denn das Kind wächst geschützt in der Gebärmutter der Frau heran. Will man schon sehr lange vor der Geburt etwas über die Gene des Babys herausfinden, ist das nur bei einer künstlichen Befruchtung möglich. Eine solche wird oft angewandt, wenn Paare auf natürliche Weise keine Kinder bekommen können: Der Arzt entnimmt der Frau zunächst eine Eizelle. In einer Plastikschale bringt er dann die weibliche Eizelle und den Samen des Mannes zusammen. Die Eizelle wird befruchtet.
Jetzt könnte der Arzt die befruchtete Eizelle in die Gebärmutter einsetzen und hoffen, dass der Embryo sich dort einnistet und in ihr heranwachsen kann. Will er aber herausfinden, ob das Kind gesund sein wird, muss er die Zellen untersuchen, aus der später das Kind entsteht. Was geschieht aber, wenn er eine schwere Krankheit in den Genen findet oder bereits jetzt weiß, dass das Kind schon im Mutterleib sterben würde? Hat er die Möglichkeit, der Mutter die befruchtete Eizelle erst gar nicht einzusetzen, sondern sie einfach wegzuwerfen? Ist es erlaubt, mittels dieser Methode über das Leben eines ungeborenen Kindes zu entscheiden?
PID ist nur in Ausnahmefällen erlaubt
Die Abgeordneten des Bundestages haben am 7. Juli 2011 darüber abgestimmt und entschieden: Die PID ist grundsätzlich verboten, denn so könnte man Kinder einfach aufgrund bestimmter Merkmale aussortieren - zum Beispiel auch dann, wenn deren Geschlecht oder Haarfarbe den Eltern nicht passt. Aber in ganz wenigen Ausnahmefällen ist sie erlaubt. Nämlich dann, wenn Eltern Gene in sich tragen, die ein Kind mit großer Wahrscheinlichkeit schwer krank machen oder die dazu führen, dass ein Embryo nur tot oder viel zu früh geboren werden würde.
Solche Fälle sind selten. Mediziner schätzen, dass es etwa 200 pro Jahr in Deutschland sein werden. Und selbst diese Paare können nicht einfach zu irgendeinem Arzt gehen, der ihre Zellen untersucht und eine Präimplantationsdiagnostik vornimmt. Es wird ganz bestimmte "Kinderwunschzentren" für die PID geben. Diese Idee stammt aus Frankreich, wo die Methode schon seit 1999 erlaubt ist. Außerdem muss eine Ethikkommission sich jeden Fall anschauen und entscheiden, ob eine PID bei genau diesem Paar erlaubt sein soll.
Kein Recht auf Leben?
Manche Menschen haben trotzdem Angst, dass mit dieser Entscheidung der Weg für eine Zukunft geöffnet wurde, in der nicht nur Kindern mit Behinderungen und anderen Krankheiten einfach das Recht auf Leben abgesprochen werden würde. Auch könnten Eltern sich schon vor der Geburt ihres Kindes bestimmte Eigenschaften wie die Haar- und Augenfarbe aussuchen. Ihre Horrorvorstellung ist es, dass es irgendwann nur noch "perfekte Menschen" geben wird und dass alle, die nicht ganz so schön oder intelligent sind oder bestimmte Schwächen haben, vom Arzt in der Plastikschale aussortiert werden.
Die katholische Kirche ist strikt gegen die PID: In ihrer Vorstellung beginnt das menschliche Leben bereits, wenn sich Eizelle und Samen vereinigen, also wenn das spätere Kind erst aus ganz wenigen Zellen besteht. Wenn der Mensch nun entscheide, welche Zellen überleben dürften und welche nicht, mache er sich zum Herrn über Leben und Tod. "Jedes menschliche Leben ist von Gott geschaffen und schützenswert. PID ist nicht hinnehmbar, weil Menschen bestimmen, was lebenswert ist und was nicht lebenswert ist. Damit dürfen wir gar nicht erst anfangen", sagte Erzbischof Robert Zollitsch, der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, der katholischen Nachrichtenagentur (KNA). Außer der katholischen Kirche setzt sich aber mittlerweile keine wichtige Organisation mehr dafür ein, die PID komplett zu verbieten. Die evangelische Kirche ist zu diesem Thema gespalten.
Drei Anträge im Bundestag
Hätten die Abgeordneten des Bundestages die PID verboten, hätte das bedeutet, dass ein Embryo, der erst aus ein paar Zellen besteht, besser geschützt ist als einer im Mutterleib. Denn dieser darf bis zum dritten Schwangerschaftsmonat abgetrieben werden. Wenn sich bei Untersuchungen herausstellt, dass das Kind schwer behindert zur Welt kommen würde, darf die Mutter sogar noch später abtreiben.
Die Abgeordneten konnten sich zwischen drei Vorschlägen entscheiden: ein totales Verbot der PID, ein Verbot mit Ausnahmen oder eine begrenzte Zulassung. Das Verbot mit Ausnahmen sah vor, dass die PID nur dann erlaubt ist, wenn Paare wegen eines Erbfehlers in ihren Genen bereits eine Tot- oder Fehlgeburt erlitten haben. 326 Abgeordnete stimmten am Ende für die begrenzte PID-Zulassung, 260 von 594 Abgeordneten dagegen, acht enthielten sich. Der dritte Antrag (Verbot mit Ausnahmen) war bei der Endabstimmung gar nicht mehr dabei, weil am Anfang zu wenige für ihn gestimmt hatten.
Das Besondere bei der Abstimmung war, dass die Abgeordneten allein ihrem Gewissen folgen konnten. Normalerweise legt sich die Fraktion (ein Zusammenschluss von Abgeordneten einer Partei) vorher auf einen Vorschlag fest und die Abgeordneten einer Partei wählen dann auch so. Weil die Entscheidung aber so wichtig und persönlich war, durfte jeder frei entscheiden.
In vielen Ländern Europas (unter anderem Belgien, Frankreich und Großbritannien) und auch in den USA ist die PID bereits erlaubt.
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