20.12.2011
Am 18. Dezember 2011 ist der ehemalige Präsident der Tschechischen Republik, Václav Havel, im Alter von 75 Jahren gestorben. Der Schriftsteller kam schon als junger Mann mit der Staatsmacht in Konflikt. Seine Kritik führte soweit, dass er für insgesamt fünf Jahre ins Gefängnis kam. Nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft in der Tschechoslowakei wurde der Dichter Staatspräsident des Landes.
Václav Havel wurde am 5. Oktober 1936 in Prag als ältester von drei Söhnen geboren. Sein Vater war ein reicher Bauunternehmer. Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm die Kommunistische Partei in der ehemaligen Tschechoslowakei (ČSSR) die Macht und der Besitz der Familie wurde in Volkseigentum umgewandelt. Weil Havel einer so genannten "bourgeoisen" Familie entstammte, also einer Familie, die nach Meinung der Kommunisten auf Kosten der einfachen Leute lebte, durfte er nicht aufs Gymnasium und Abitur machen. Also begann er eine Lehre als Chemielaborant.
Das Abitur holte der junge Václav 1954 an der Abendschule nach. In dieser Zeit begann er mit ersten literarischen Versuchen. Sein großes Vorbild war der deutsch-tschechische Schriftsteller Franz Kafka. Für Havel war nun klar, er wollte Künstler werden. Als er sich für ein Studium an der Kunsthochschule bewarb, wurde er abgewiesen. Er sollte ein technisches Studium abschließen. Daher begann er 1955 ein Studium der Automation des Verkehrswesens an der Technischen Hochschule Prag. In dieser Zeit schrieb er erste Theaterstücke und literarische Aufsätze, die in verschiedenen Literaturzeitschriften erscheinen.
Erste Konflikte des Schriftstellers mit der Staatsmacht
Havel bewegte sich in den Kreisen der Prager Künstler und Autoren und fiel schon damals bei einem Schriftstellertreffen wegen einer mutigen Rede auf. Havel beteiligte sich an Lesungen und Veranstaltungen der Prager Künstlerszene, die vom Staat kritisch beobachtet wurden. Außerdem wurde der junge Schriftsteller in dieser Zeit Mitglied der "Gruppe 42". Dieser Künstlergruppe gehörten verschiedene tschechische Künstler an - wie der Regisseur Milos Forman oder die Schriftsteller Vera Linhartova und Josef Topol.
Nach seinem zweijährigen Militärdienst jobbte Václav Havel ab 1960 als Hilfsarbeiter am Prager ABC-Theater. Nach einem Jahr bekam er eine Anstellung als Techniker am "Divadlo na zábradlí" (Theater am Geländer). Hier arbeitete er wenig später als Dramaturg. In dieser Funktion wählte er die Stücke aus und organisierte das Theaterprogramm. Neben dieser Tätigkeit macht er auch erste Erfahrungen als Regieassistent am Prager Stadttheater. 1963 wurde sein Drama "Das Gartenfest" aufgeführt, 1965 folgte das Stück "Die Benachrichtigung". Schon in diesen ersten Stücken beschäftigte sich der junge Autor mit den Gefahren totalitärer Machtansprüche für Mensch und Staat. Aufgrund dieser ersten Erfolg versprechenden literarischen Versuche durfte Havel nun ein Fernstudium im Fach Dramaturgie aufnehmen. Das Examen schloss er 1966 ab.
Einsatz für den "Prager Frühling"
Im Jahr 1968 kam es in Havels Heimat zu politischen Unruhen und Freiheitsbestrebungen, die als "Prager Frühling" in die Geschichte eingingen. Die Bürger forderten von der sozialistischen Regierung der Tschechoslowakei mehr politische Rechte wie Rede- und Pressefreiheit. Die Kommunistische Partei der ČSSR versprach daraufhin Reformen - also politische Neuerungen - und ein neuer Parteichef wurde gewählt. Alexander Dubček versprach einen "Sozialismus mit menschlichem Antlitz (Gesicht)". Er wollte die Partei umkrempeln und auch andere politische Kräfte im Land zulassen.
Die anderen sozialistischen Staaten sahen diese Lockerungen und das Streben nach mehr Demokratie allerdings sehr kritisch und befürchteten, dass durch die Reformen die Kommunistische Partei in der Tschechoslowakei geschwächt würde und dadurch der gesamte Ostblock ins Wanken geraten könnte. Deshalb beschlossen die Staatschefs der Sowjetunion, Polens, Ungarns und Bulgariens unter russischer Führung, mit etwa einer halbe Million Soldaten in die ČSSR einzumarschieren, um die "staatsfeindlichen" Kräfte zu stoppen. Bei diesem brutalen Einmarsch kamen späteren Angaben zufolge 98 ČSSR-Bürger ums Leben. Auf Seiten der militärischen Truppen wurden etwa 50 Soldaten getötet. Dubček wurde festgenommen und musste schließlich als Parteichef zurücktreten.
Während dieser dramatischen Tage stellte sich Havel auf die Seite der Gegner des Staates und wurde Vorsitzender des "Klubs unabhängiger Schriftsteller". In dieser Zeit schrieb er Reden, Kommentare zu den aktuellen Vorgängen im Land und neue Stücke wie "Erschwerte Möglichkeit der Konzentration", das im selben Jahr erschien. Außerdem beteiligte er sich an einem offenen Brief an die Staatsführung mit der Forderung nach mehr Freiheit und Demokratie. Havel wurde in dieser Zeit einer der Anführer der anti-kommunistischen Intellektuellen - gemeint sind die gebildeten Kreise aus Wissenschaftlern, Autoren und Künstlern, die sich ihre eigene Meinung bildeten und eine kritische Haltung gegenüber der führenden Politik hatten. Im Gegensatz zu Dubček war Havel ein Gegner der kommunistischen Ziele. Doch auch die westliche Gesellschaft mit ihrer Jagd nach materiellen Gütern, Wohlstand und ihrem Egoismus kritisierte der Dichter.
Jahre des Widerstandes
Nach der Niederschlagung der Reformbewegung wurde dem Autor verboten, seine Stücke zu veröffentlichen. Sie durften auch nicht mehr im Theater aufgeführt werden. Spätestens ab diesem Zeitpunkt wurde Havel vom Staat misstrauisch überwacht und bespitzelt. Der Dichter zog sich mit seiner Frau Olga in ein Bauernhaus im Norden des Landes zurück und arbeitete als Hilfsarbeiter in einer Brauerei. Trotzdem schrieb er auch in dieser Zeit Stücke und Aufsätze. Viele dieser Theaterstücke beschäftigten sich mit der politischen Lage in seinem Land und der Suche des Menschen nach der Wahrheit.
Zwar durften seine Stücke in seiner Heimat nicht aufgeführt werden, doch bekam er vom Ausland umso mehr Aufmerksamkeit. Im Westen wurde Havel in dieser Zeit gerne als Beispiel eines unbeugsamen Kämpfers gegen den Kommunismus präsentiert. Bühnen in der damaligen Bundesrepublik zeigten seine satirischen Komödien wie "Die Retter" (1974), "Audienz" (1976), "Vernissage" (1976) und "Protest" (1979) - Satire ist eine kritische Art der Spottdichtung, bei welcher auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam gemacht wird. Auch das Wiener Burgtheater brachte viele seiner Stücke das erste Mal auf die Bühne.
In diesen Jahren war das Haus des Ehepaars Havel ein wichtiger Treffpunkt der tschechoslowakischen Staatskritiker. Havel schrieb weiter Stücke und brachte mit seinem Freund Ludvik Vaculik Bücher heraus, die offiziell nicht verlegt werden durften. Der Dichter bewegte sich immer mehr am Rande des von der Staatsmacht Erlaubten. 1975 schrieb der Dichter einen offenen Brief an den Staats- und Parteichef der Tschechoslowakei, Gustav Husak. Darin kritisiert Havel das politische und gesellschaftliche System in seinem Land, das die Menschen kaputt mache und zu Heuchelei, Depression, Untätigkeit und Gleichgültigkeit führe. In dem Brief warnte der Dichter: "Mich ängstigt, womit wir alle die drastische Unterdrückung der Geschichte werden bezahlen müssen."
Mitbegründer der "Charta 77"
Im Jahr 1977 gründeten mehrere Bürgerrechtler und Widerständler die "Charta 77". Diese Organisation verstand sich als Menschen- und Bürgerrechtsbewegung und wurde von 240 tschechoslowakischen Künstlern und Wissenschaftlern unterstützt. Damit schien Havel den Bogen überspannt zu haben. Als einer der Sprecher der Charta wurde er zwei Monate nach der Gründung verhaftet und wegen "umstürzlerischer" und "staatsfeindlicher" Handlungen zu drei Jahren Gefängnis auf Bewährung verurteilt. In den folgenden Jahren wurde Havel mehrfach verhaftet und eingesperrt.
Da Havel auch danach seine mutige Haltung öffentlich vertrat und weiter kritische Schriften veröffentlichte, wurde er 1978 unter Hausarrest gestellt. Das hieß, er wurde ständig von der Polizei überwacht, durfte seine Wohnung nicht verlassen und keinen Besuch empfangen. 1979 kam er wieder wegen "Aufruhr" vor Gericht. Ihm wurde vorgeworfen, "unter der Einwohnerschaft der Republik Feindschaft gegen die sozialistische Staatsordnung hervorzurufen". Havel wurde vor die Wahl gestellt, in den Westen auszureisen oder für viereinhalb Jahre ins Gefängnis zu gehen. Havel entschied sich für die Haft. Wegen heftiger Proteste im westlichen Ausland und seines schlechten Gesundheitszustandes wurde er im März 1983 vorzeitig entlassen.
Die "Samtene Revolution" von 1989
Nach seiner Freilassung begann der Dichter bald wieder mit dem Schreiben. Für seine Werke erhielt Havel zahlreiche Preise im Westen. Doch weiterhin geriet er politisch unter Druck und wurde vom Staat verfolgt - zeitweilig musste er erneut ins Gefängnis. Das letzte Mal, Anfang 1989, wurde Václav Havel zu neun Monaten Haft verurteilt, dann aber vorzeitig entlassen.
Wie im gesamten Ostblock stürzte auch in der ČSSR im Herbst 1989 die Staatsmacht in sich zusammen. Der sowjetische Generalsekretär Michail Gorbatschow hatte schrittweise einen Umbau des strengen Gesellschaftssystems der Sowjetunion eingeleitet, und die neuen Freiheiten führten dazu, dass sich immer mehr Menschen in den sozialistischen Ländern gegen die lange währende Zwangsherrschaft auflehnten.
Eine Demonstration mit über 50.000 Teilnehmern in Prag leitete in der Tschechoslowakei die so genannte "Samtene Revolution" und damit das Ende der Herrschaft der Kommunistischen Partei ein - der Name wurde gewählt, weil die Revolution weitgehend ohne Gewalt vonstatten ging. Havel wurde schnell eine Symbolfigur des gewaltlosen Widerstandes. Das ganze Land war in Aufruhr. Der Dichter wurde zum Vorsitzenden des neu gegründeten "Bürgerforums" (OF) gewählt. Dem OF gehörten neben Staatskritikern und Menschenrechtsgruppen auch die Mitglieder der "Charta 77" an.
Vom Dichter zum Präsidenten
Zwei Tage nach dem Rücktritt des Politbüros, der kommunistischen Machtzentrale, wurde Havel nach pausenlosen Verhandlungen und Diskussionen mit Regierungsvertretern einstimmig zum ersten nicht-kommunistischen Staatspräsidenten seit dem Zweiten Weltkrieg gewählt. Alexander Dubček wurde neuer Präsident des Parlaments. Havel war bis 1993 Präsident der Tschechoslowakei. Doch die Kräfte, die das Land spalten wollten, wurden immer stärker. Der Präsident konnte nicht verhindern, dass sich die Slowaken für unabhängig erklärten. Aus Protest dagegen trat Havel als Präsident zurück.
Wenig später wurde er erneut zum Präsidenten gewählt - diesmal zum Staatsoberhaupt der neuen Tschechischen Republik. Während seiner Amtszeit richtete der Politiker sein Land stark in Richtung Westen aus. Havel, der ursprünglich für die Auflösung von Militärpakten war, führte Tschechien in das westliche Militärbündnis der NATO sowie in die Europäische Union. Er stand hinter den Kriegen im Irak, im Kosovo und in Afghanistan, was einige Kritiker ihm auch vorwarfen.
Abschied aus der Politik
Havel war insgesamt 13 Jahre lang tschechischer Präsident. Gegen Ende seiner Amtszeit geriet er immer häufiger in die Kritik, weil Gegner ihm vorwarfen, seine ursprünglichen Ziele und Ideale verraten zu haben. Dies betraf auch seine Innenpolitik - so wollte er zum Beispiel erreichen, dass die Beleidigung des Staatspräsidenten mit bis zu zwei Jahren Gefängnis bestraft werden kann. In Deutschland wurde der tschechische Präsident kritisiert, weil er die Vertreibung von Deutschen aus der Tschechoslowakei nach dem Krieg nicht verurteilte, sondern rechtfertigte.
Nach Jahren im Amt und vielen schweren Krankheiten nahm Havel 2003 Abschied von der Politik. Er zog sich in sein Haus in Nordböhmen zurück und widmete sich wieder seiner Lieblingsbeschäftigung, der Literatur. 2011 erfüllte sich der nunmehr 75-Jährige einen lang gehegten Traum. Er schrieb das Drehbuch und führte Regie bei der Verfilmung seines letzten Theaterstücks "Abgang". Es ist zum großen Teil seine eigene Geschichte. Das Stück handelt vom Ende einer Politikerkarriere, von Wandel, Veränderung und Verlust.
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