15.08.2010
Heftige Regenfälle haben eine der schlimmsten Naturkatastrophen in der Geschichte Pakistans ausgelöst: Mit zerstörerischer Kraft hat das Hochwasser des Flusses Indus eine verheerende Flutwelle bis weit ins Landesinnere hineingetrieben. Seit Ende Juli sind über 1300 Menschen ums Leben gekommen. Hilfsorganisationen und die pakistanische Regierung sprechen zudem von 13 bis 20 Millionen Menschen, die unmittelbar von der Überschwemmung betroffen sind.
Noch immer warten Millionen von Pakistani in vom Wasser abgeschnittenen Gebieten verzweifelt, dass die Fluten zurückgehen und Hilfe zu ihnen gelangt. Doch weder die pakistanische Armee noch andere Hilfskräfte sind bisher zu allen Flutopfern durchgedrungen, denn durch die Wassermassen sind viele Häuser, Brücken und Straßen zerstört. Überlebende retteten sich auf Dächer, Bäume und höher gelegene Landstriche. Millionen wurden obdachlos und verloren sämtlichen Besitz. Es fehlt an sauberem Wasser, Kleidung, Nahrung und Medizin. Zudem ist fast die komplette Ernte der Bauern überflutet und etwa achtzig Prozent aller Lebensmittelreserven des Landes zerstört.
"Das Hochwasser scheint uns überallhin zu verfolgen", klagt der 45-jährige Ali Bankhsh Bhaio, der am Rande einer Hauptstraße in der Nähe der Stadt Sukkur ein kleines Zelt aufgeschlagen hat. Wie Bhaio ist in diesen Tagen etwa jeder achte Einwohner Pakistans obdachlos geworden. Um ihn herum irren Alte und Kinder auf der Suche nach Unterschlupf vollkommen durchnässt durch die schlammige Brühe, die den Menschen teils hüfthoch steht. Noch immer regnet es beständig: Mehrere Dämme drohen zu brechen und weitere Wassermassen zu entfesseln. Bei den seit mehr als zwei Wochen andauernden Überschwemmungen ist noch immer keine Ende in Sicht.
Der Indus: "Lebensader" Pakistans, aber auch Ursprung der Flut
Die Ausläufer, die Schwemmebene und die weitläufigen Täler des Indus bedecken fast siebzig Prozent der gesamten Landesfläche Pakistans. Das Land an den Ufern des Indus ist sehr fruchtbar. Deshalb befindet sich dort ein großer Teil der landwirtschaftlichen Nutzfläche Pakistans. Die Bauern bauen hier vor allem Weizen, Reis und Mais an. Der Indus ist also eigentlich die "Lebensader" Pakistans, doch nun ist ausgerechnet der wirtschaftlich wichtigste Strom des Landes zum Ursprung der zerstörerischen Flutkatastrophe geworden. Umso schlimmer ist die Überschwemmung, weil besonders viele Menschen dicht am Indus siedeln, um dort Landwirtschaft zu betreiben.
Aufgrund des überdurchschnittlich starken Monsunregens, der Ende Juli eingesetzt hat, schwoll der Indus enorm an. An einigen Stellen ist er bereits 25 Kilometer breit – das ist 25-mal mehr als während einer normalen Monsun-Saison. Nachdem er über die Ufer getreten ist, hat der Fluss bisher 160.000 Quadratkilometer überflutet - das entspricht etwa einem Fünftel der gesamten pakistanischen Landesfläche. Zum Vergleich: Deutschland ist insgesamt nur etwa 357.000 Quadratkilometer groß. Man stelle sich vor, die drei größten deutschen Bundesländer, Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen seien überflutet: So groß ist nämlich die Fläche der Flutkatastrophe in Pakistan!
Die Gefahren des Sommermonsuns
Was aber genau ist der Monsun, der in diesem Sommer 25 bis 30 Prozent mehr Regen als üblich in Pakistan verursachte? Der Monsun ist ein stetig wehender Wind, der seine Richtung regelmäßig verändert. Meist geschieht dies im Abstand von jeweils sechs Monaten. Folglich weht der Wind im Sommer und im Winter aus unterschiedlichen Richtungen. Die Veränderung der Windrichtung hat Einfluss auf die Regen- und Trockenphasen ganz Mittelasiens. Im Sommer wehen die Winde meist aus südwestlicher Richtung und befördern feuchte Luftmassen vom Meer aufs Land. Starke Regenfälle im Sommer, die die Flut in Pakistan auslösten, sind die Folge. Im Gegensatz dazu bringen die Winterwinde, die oft aus dem Nordosten heran wehen, trockene Luft ins Land. Daher regnet es von Oktober bis Januar sehr wenig.
In Pakistan und auf der indischen Halbinsel fallen während des Sommermonsuns 78 Prozent des gesamten Jahresniederschlages. Falls noch mehr Regen fällt als üblich, kann es zu Überschwemmungen kommen. Wenn der Monsun auf das hohe Himalaya-Gebirge nordöstlich von Pakistan trifft, kann es zu sturzbachartigen Regenfällen kommen, weil sich die feuchten Luftmassen abregnen. Aus dem Gebirge gelangt das Wasser schließlich in den Indus und dessen Zuläufe.
Zu wenig Hilfe kommt zu langsam
"Das Ausmaß der Zerstörung ist viel größer als wir erwartet hatten", klagt ein Sprecher der Vereinten Nationen. "Es findet sich kein vergleichbares Drama." Die pakistanische Regierung sowie die Armee sind völlig überfordert und richten dringende Hilferufe an die reichen westlichen Staaten. Zu Beginn der Flutkatastrophe war das Ausmaß der Verwüstung nicht absehbar. Experten unterschätzten Opferzahlen und Ausdehnungsgebiet der Überschwemmung beträchtlich. Deshalb wurde auch zu Beginn wenig in Zeitung und Fernsehen über das Schicksal der Millionen Pakistani berichtet.
Zwischen 13 und 20 Millionen Menschen sind laut der Vereinten Nationen in Pakistan direkt von der Flutkatastrophe betroffen - und damit sogar mehr Menschen als bei den letzten drei großen Naturkatastrophen zusammengenommen! Bei der Tsunami-Katastrophe in Ostasien 2004, dem Erdbeben in der Region Kaschmir (Indien und Pakistan) 2005 und beim Erdbeben in Haiti 2010 war die Anzahl der Todesopfer zwar jeweils weitaus höher. Doch bei der Flut in Pakistan ist die Zahl der vom Unglück durch Flucht, Hunger, Durst und Obdachlosigkeit Betroffenen wesentlich höher.
Deutsche spenden bisher zurückhaltend
Die deutsche Bundesregierung stockt ihre Nothilfe für Pakistan von 10 auf 15 Millionen Euro auf. Unter den Deutschen hält sich die Spendenbereitschaft aber bislang in Grenzen. Dafür gibt es verschiedene Gründe: "Die Spendenbereitschaft hängt entscheidend davon ab, was für Nachrichten, aber auch was für Bilder transportiert werden", sagt Burkhard Wilke vom Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen. Die Berichterstattung in den Medien sei bislang nicht so dramatisch gewesen wie bei anderen Katastrophen. Zudem gäbe es keine Fernsehsendungen, in denen zu Spenden aufgerufen werde. Auch die Urlaubszeit trage dazu bei, dass wenig gespendet wird: Viele Leute sind zurzeit verreist.
Hinzu kommt auch die Skepsis vieler Leute gegenüber der undurchsichtigen politischen Situation in Pakistan: Die pakistanische Regierung führt an der Seite der USA Krieg gegen die radikal-islamischen Taliban, eine terroristische Vereinigung, die Teile des Landes kontrolliert. Außerdem berichtet eine britische Zeitung, dass beim Erdbeben in Kaschmir vor fünf Jahren etliche Millionen Euro an Hilfsgeldern nicht bei den Bedürftigen angekommen seien, weil sich kriminelle pakistanische Verwaltungsbeamte an den Geldern bereichert hätten. Aus diesen Gründen fehlen große Summen an Spenden, was die Lage der bedürftigen Flut-Opfer noch verschärft.
Generalsekretär der Vereinten Nationen schaltet sich ein
Ban Ki Moon, der koreanische Vorsitzende der Vereinten Nationen, hat mit seinem Besuch im Krisengebiet ein Zeichen gesetzt. Er habe schon viele Naturkatastrophen in der ganzen Welt gesehen, "aber nichts ist wie das hier", sagte Ban Ki Moon angesichts des riesigen Ausmaßes der Überschwemmung. Er rief alle Staaten auf, für Pakistan zu spenden. Kritiker halten ihm jedoch entgegen, dass man in Pakistan nicht sicher sein könne, ob das Geld auch in den richtigen Händen lande. Den radikal-islamischen Taliban nahe stehenden Hilfsorganisationen nutzen das Leid der pakistanischen Bevölkerung bereits aus und helfen den Menschen. Auch die USA schalten sich mit 70 Millionen US-Dollar-Soforthilfe in die Unterstützung der Flutopfer ein - natürlich auch nicht ohne eigene politische Ziele: Die US-Regierung hofft auf eine bessere öffentliche Meinung in Pakistan, um im Kampf gegen die Taliban mehr öffentliche Unterstützung zu bekommen.
Der pakistanische Präsident Asif Ali Zardari, der sich derzeit auf Europa-Reise befindet, muss sich wegen der Flut-Katastrophe kritische Fragen stellen lassen: Warum er nicht sofort nach Hause gefahren sei und wieso man einem Staat helfen solle, der sogar Geld für Atombomben hat, fragen Kritiker. Tatsächlich befindet sich Pakistan seit Jahrzehnten in einem kostspieligen militärischen Konflikt mit Indien. Beide Staaten rüsten seit Jahren immer weiter auf und besitzen sogar Nuklearwaffen. Trotz der verheerenden Flut-Katastrophe ziehe Pakistan aber keine Soldaten von der indischen Grenze ab, um den Flut-Opfern zu helfen, so sagen Kritiker. Nur 60.000 Soldaten hat Ali Zardari in die Katastrophengebiete geschickt - verglichen mit den 140.000 im Einsatz gegen die Taliban und den 100.000 Stationierten an der indischen Grenze ist dies eine sehr geringe Anzahl. Insgesamt hat Pakistan sogar etwa 550.000 Soldaten.
Große Seuchengefahr im Katastrophengebiet
Helfer der Vereinten Nationen haben vor kurzem erstmals den Ausbruch der gefährlichen ansteckenden Seuche Cholera bestätigt. Die Krankheit ist eine schwere bakterielle Durchfall-Infektion, die vorwiegend durch verunreinigtes Trinkwasser verursacht wird. Schon etwa 36.000 Menschen leiden im überfluteten Gebiet an Durchfallerkrankungen, die ein Anzeichen für Cholera sein können. Außerdem erschienen Berichte, wonach Kinder an Mangelernährung gestorben seien.
Manuel Bessler, der in Pakistan die Arbeit der Hilfsorganisationen organisiert, ruft Staaten und Privatpersonen zu mehr Spenden auf. Außerdem wünscht er sich eine wirksamere Hilfe der örtlichen Behörden: "Aus der Sicht eines humanitären Helfers kann ich nur sagen: Ich sehe überall im Land Wasser, Wasser, Wasser. Überall braune Brühe und hier und da eine kleine Insel, auf die sich Menschen gerettet haben, die sich selbst helfen. Klar ist, dass unbedingt mehr getan werden muss."
Die UNICEF hat ein Spendenkonto für die Opfer der Flutkatastrophe eingerichtet: Spendenkonto 300 000, Stichwort „Nothilfe Pakistan“,
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