von Björn Pawlak
"Maras" heißen bewaffnete und untereinander Krieg führende Jugendbanden in Mittelamerika. Wie viele Jugendliche tatsächlich den Maras angehören, ist schwer zu sagen. Die höchsten Schätzungen gehen davon aus, dass sich mittlerweile bis zu 500.000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene einer Bandengruppierung angeschlossen haben. Niedrigere Schätzungen sprechen von wenigstens 100.000 Bandenmitgliedern. Vor allem die Länder Guatemala, Honduras und El Salvador sind betroffen, aber auch in Mexiko und Nicaragua gibt es Maras. Warum finden die Banden so viele Anhänger?
Den Namen "Mara" (in der Mehrzahl "Maras") gaben sich die Bandenmitglieder zunächst selbst, mittlerweile jedoch gehört dieser Begriff im Spanischen zur Alltagssprache. Die Wortherkunft von "Mara" ist nicht mit Sicherheit bekannt, möglicherweise war das Wort zunächst nur eine Kurzform von "Marabuntes". Die Marabuntes sind eine Ameisenart im Amazonasgebiet. Dem Mythos nach fallen diese Ameisen in ganzen Scharen in "feindliches" Gebiet ein, um alles "gnadenlos" zu zerstören.
Die organisierten Jugendbanden sind vor allem in den großen Städten aktiv, dort in den Armenvierteln. Jungen und Männer sind bei den Maras klar in der Mehrzahl, aber auch Mädchen und Frauen sind Mitglieder. Guatemala-Stadt (die Hauptstadt von Guatemala), Tegucigalpa (die Hauptstadt von Honduras) oder San Salvador (die Hauptstadt von El Salvador) besitzen solche Viertel, in denen sich nach Einbruch der Dunkelheit kein Bewohner mehr auf die Straße traut.
Einige Gegenden sind aufgeteilt unter den miteinander verfeindeten Banden. Mutmaßlich sind Mara-Mitglieder verantwortlich für Überfälle und Morde, für jedes Gewaltverbrechen auf den Straßen sind sie die ersten Verdächtigen. Die meisten Todesopfer finden sich unter den Bandenmitgliedern selbst, denn vor allem führen die Banden einen Krieg gegeneinander.
Entstehung der Bandenstrukturen in den USA
In den 1980er- und 1990er-Jahren herrschte in vielen Ländern Mittelamerikas Bürgerkrieg. Damals gab es in Guatemala, El Salvador und Nicaragua blutige Auseinandersetzungen und viele Menschen flüchteten in die USA. Wirtschaftlich und gesellschaftlich waren die Länder, aus denen sie flohen, in einer schlimmen Krise.
In den Vereinigten Staaten von Amerika siedelten sie sich zwangsläufig auch dort in den Armenvierteln der Großstädte an. Auch hier herrschte unter den "Hispanics" (so nennt man die spanischsprachigen Einwanderer in den USA) Massenarbeitslosigkeit. Für viele Jugendliche und junge Erwachsene boten sich kaum sehr hoffnungsvolle Perspektiven.
In den USA schlossen sich mittelamerikanische junge Erwachsene in "Streetgangs" (englisch für "Straßenbanden") zusammen. Dort fanden sie ein Vorbild bei den "weißen" und afroamerikanischen ("schwarzen") Jugendbanden. Solche Jugendbanden sind verwickelt in Drogenhandel und Drogenkonsum und in andere kriminelle Handlungen. Aber natürlich geht es vor allem darum, so etwas wie ein "Zuhause" zu haben. Der erste Schritt ist wahrscheinlich immer der Wunsch, dass man "dazugehört". Die "Gang" (englisch für "Bande") wird dann so etwas wie der Ersatz für die Familie.
Zwei verfeindete Verbände: "MS" und "18"
Alle einzelnen Banden sind zwar einigermaßen selbständig, gehören jedoch zwei Großverbänden an: "MS" (für "Mara Salvatrucha") und "18" (für "Mara Dieciocho", "Dieciocho" ist ein spanisches Wort und bedeutet "Achtzehn"). Die "18" ist benannt nach der 18. Straße in Rampart, einem Stadtteil von Los Angeles. Diese Bande war am Anfang noch gemischt, später gehörten ihr fast nur noch spanischsprachige Einwanderer an, vor allem Mexikaner. Auch die "MS" entstand zuerst in den USA, ihr gehörten anfangs nur Einwanderer aus El Salvador an.
Nachdem die Bürgerkriege in den mittelamerikanischen Staaten beendet waren (1990 in Nicaragua, 1992 in El Salvador und 1996 in Guatemala) mussten viele Menschen die Vereinigten Staaten von Amerika wieder verlassen. Die USA zwangen vor allem die straffällig gewordenen Menschen zur Rückkehr. Gemeinsam mit den Heimkehrern kamen nun auch die Bandenstrukturen nach Mittelamerika, dort fand dann in den Städten eine massenhafte Rekrutierung (das bedeutet Anwerbung) unter den ansässigen Jugendlichen statt. Trotz des Endes der Bürgerkriege dominierte hier nämlich Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit bei den Jugendlichen, so boten die Jugendbanden ein Auffangbecken.
Der Ehrenkodex: bedingungslose Unterordnung unter die Gruppe
Die Banden teilen die Stadtgebiete, in denen sie ansässig sind, in "Territorien" ein. Bei der Verteidigung eines Territoriums gegen Rivalen gibt es immer wieder Todesopfer, denn die Mitglieder der Maras sind bewaffnet.
Die Rangordnung innerhalb der Bandengruppen ist streng: Je mehr einer für die Gruppe "geleistet" hat, desto höher ist sein Stellenwert. Die Kleingruppe zum Beispiel zählt rund 20 Mitglieder, doch die einzelnen Kleingruppen sind wiederum miteinander vernetzt. Bei Gefahr, zum Beispiel wenn die Polizei auf Patrouille ist, warnt eine Kleingruppe die andere.
Viele Bandenmitglieder konsumieren Drogen (häufig Marihuana, synthetische Drogen, Crack und Kokain). Das erzeugt den Teufelskreis der "Beschaffungskriminalität": Um die Drogen kaufen zu können, werden die Bandenmitglieder kriminell, verüben Einbrüche und Raubüberfälle. Viele Gewalttaten werden im Drogenrausch verübt.
Tätowierungen und andere Symbole der Maras
Durch Tätowierungen grenzen sich die Bandenmitglieder nach außen ab, innerhalb der Gruppe ist die Tätowierung Statussymbol. Dabei tätowieren sich die Bandenmitglieder oft gegenseitig. Auch Kleidung und restliches äußeres Erscheinungsbild zeigt ganz gewollt die Zugehörigkeit des Einzelnen zu seiner Bande. Meist sind die Haare ganz abgeschoren, weite Hosen und ärmellose T-Shirts ergänzen das äußere Erscheinungsbild.
Die Sprache der Jugendbandenmitglieder weist Besonderheiten auf, man hat ganz eigene Worte und Redewendungen erfunden (man nennt das "Slang"). Außerdem besitzen die Zugehörigen oft eine geheime Zeichensprache, so dass sie sich nur mit den Händen und Fingern Botschaften vermitteln können.
Warum aber finden die Banden so viele Anhänger? Eigentlich kann man sich nicht vorstellen, dass jemand ein solches Leben führen möchte. Oft sind es schwierige und zerrüttete Familienverhältnisse, aus denen die Bandenmitglieder hervorgehen. Zum Beispiel kann innerfamiliäre Gewalt dazu führen, dass junge Menschen woanders Orientierung suchen.
Viele Eltern opfern sich bei ihrer Arbeit und bei ihrem täglichen Überlebenskampf so auf, dass kaum noch Zeit bleibt, sich um die "älteren" Kinder zu kümmern. Viele Mütter sind allein erziehend und müssen ihre Kinder sowohl großziehen als auch für ihren Lebensunterhalt sorgen. In Ländern wie Guatemala, El Salvador oder Honduras gibt es in solchen Fällen kaum Hilfestellung von außen.
Die Politik reagiert mit Unterdrückung und Verfolgung
Viele Bürger in den betroffenen Ländern fordern eine "Null-Toleranz-Politik" gegen die Jugendbanden, doch die Wurzel des Problems wird so nicht behandelt.
Mit Verhaftungswellen und schärferen Gesetzen - Verhaftung auch bei bloßer Zugehörigkeit zu einer Bande, Anwendung des Erwachsenenstrafrechts bei Kindern - hat man zwar viele Mara-Mitglieder hinter Gitter gebracht. Dabei wurde verstärkt Polizei und Militär eingesetzt.
Doch in den unveränderten gesellschaftlichen Verhältnissen wachsen gleichzeitig viele "Nachkommen" heran, die in die Banden aufgenommen werden. Menschenrechts- und Kinderschutzorganisationen haben sich über die Art der staatlichen Gegenmaßnahmen teilweise sehr besorgt gezeigt und die neue Gesetzgebung kritisiert.
"Killer-Kommandos" und Hilfe beim "Ausstieg"
Ein besonders trauriges Kapitel war und ist die Existenz von geheimen Vereinigungen, die im Sinne der "sozialen Säuberung" Jugendbandenmitglieder willkürlich und auf offener Straße ermordet haben und ermorden.
Wer diese "Killer-Kommandos" finanziert, bleibt unbekannt, dies wird von der Politik auch kaum oder überhaupt nicht aufgeklärt. Es wird davon ausgegangen, dass auch staatliche Sicherheitskräfte in die willkürlichen Morde verwickelt waren. In Honduras zum Beispiel kam 2002 eine solche Beteiligung der Polizei ans Licht.
Die wirklichen Ursachen aus der Welt zu schaffen, scheint sehr schwierig, denn die Probleme treten zu massenhaft auf, um einfach durch Gegenmaßnahmen zum Verschwinden gebracht zu werden. Gerade in den mittelamerikanischen Staaten wurden in den letzten Jahren Arbeitsplätze stark abgebaut. Dabei werden die Chancen vieler Menschen in der "legalen" Wirtschaft zerstört. Soziale Hilfsorganisationen und die Kirchen versuchen jedenfalls - teilweise mit Erfolg - "Aussteigern" und ehemaligen Bandenmitgliedern dabei zu helfen, wieder Anschluss an die "normale" Gesellschaft zu finden.
Hinweis zum Copyright: Die private Nutzung unserer Webseite und Texte ist kostenlos. Schulen und Lehrkräfte benötigen eine Lizenz. Weitere Informationen zur SCHUL-LIZENZ finden Sie hier.
Wenn dir ein Fehler im Artikel auffällt, schreib' uns eine E-Mail an redaktion@helles-koepfchen.de. Hat dir der Artikel gefallen? Unten kannst du eine Bewertung abgeben.