Das Buch "Anton oder die Zeit des unwerten Lebens" erzählt eine wahre Geschichte. Autorin Elisabeth Zöller beschreibt das Leben ihres Onkels zur Zeit des Zweiten Weltkrieges. Aufgrund seiner Behinderung war er als Junge dem Hass und der Grausamkeit vieler Menschen ausgesetzt - denn er hatte nach der menschenverachtenden Rassentheorie der Nazis "kein Recht auf Leben".
Anton, der 1932 geboren wurde, wächst mit seinen drei Geschwistern bei seinen Eltern in der Stadt Münster in Nordrhein-Westfalen auf. Sein Vater ist Lehrer, seine Mutter kümmert sich um Haushalt und die Kinder. Anton ist ein sehr begabter Junge, dessen große Leidenschaft dem Malen und Rechnen gilt.
Als kleiner Junge wurde Anton von einer Straßenbahn angefahren und erlitt dabei eine schwere Kopfverletzung. Seitdem hat er eine Behinderung. Sein rechter Arm ist leicht gelähmt, und er hat Probleme beim Schreiben und Sprechen. Im Sommer 1938 soll er eingeschult werden - und seine Eltern befürchten, dass er wegen seiner Behinderung auffällt und Probleme bekommt. Und sie haben Angst, dass man ihnen den Jungen wegnimmt.
Denn unter der Nazi-Herrschaft ist kein Platz für Kranke und Behinderte, Andersdenkende oder Menschen "fremder Abstammung". Antons Eltern ahnen, dass ihr behinderter Sohn es schwer haben wird in einer Gesellschaft, die zunehmend von Fremdenhass und Rassismus beherrscht wird. Die Nationalsozialisten unter Adolf Hitler gewinnen an Macht und Einfluss, finden in ihrer menschenfeindlichen Ideologie (Weltanschauung) mehr und mehr Anhänger - und üben einen immer größeren Zwang auf die Menschen aus.
"Sag nichts, sei unauffällig"
Antons Eltern entschließen sich, den Jungen in die Schule zu schicken, um nicht noch mehr Aufsehen zu erregen. Er muss dort sowohl von Mitschülern als auch von Lehrern viel über sich ergehen lassen. Anton wird zunehmend ausgegrenzt und angefeindet. Einige Menschen helfen dem Jungen und seiner Familie anfangs noch. Doch es werden immer weniger, denn bei den meisten Leuten siegt irgendwann doch die Angst.
Antons Eltern sind hilflos und verzweifelt. Sie wissen nicht, wie sie ihren Sohn schützen können und stehen letztendlich alleine da. In einer Zeit, in der es keine Meinungsfreiheit gibt und man aufpassen muss, was man sagt, macht der Großteil der Bevölkerung lieber mit oder hält sich aus den Problemen anderer heraus. Selbst diejenigen, die Hitler und seine grausamen Theorien ablehnen, wollen nicht ihre Existenz riskieren - bis auf sehr wenige Ausnahmen.
Der Leser erfährt in diesem Buch viel über die Zeit in Nazi-Deutschland zwischen 1938 und 1945. Man bekommt einen Einblick in die grausamen Methoden des NS-Regimes, das die Massen erreicht und immer mehr Bewunderer findet. Wir erleben die Ignoranz und Ohnmacht der Menschen, die aus Angst "mitlaufen" und die Auswegslosigkeit und Verzweiflung derer, die ihre Augen nicht vor den schlimmen Verbrechen verschließen.
Euthanasie: Ausrotten von "unwertem Leben"
Die tragische Geschichte aus der Perspektive eines behinderten Jungen zeigt auf erschütternde Art das Schicksal der Menschen, die im Dritten Reich als "unwert" und "minderwertig" angesehen wurden.
In ihrer systematischen Form von Euthanasie (bedeutet eigentlich: Sterbehilfe, aus dem Griechischen "eu" - gut, richtig und "thanatos" - Tod) hatten die Nationalsozialisten zum Ziel, all das von ihnen als "unwert" betrachtete Leben zu bekämpfen und zu vernichten. Dazu zählten die Nazis Menschen, die unter bestimmten Krankheiten litten, körperlich und geistig Behinderte oder angeblich "minderwertige Rassen" - wie Juden oder als "Zigeuner" bezeichnete Sinti und Roma. Sie wurden wie eine "Seuche" angesehen und sollten "ausgerottet" werden, um die "reine arische Rasse nicht zu infizieren".
Mit seinem "Euthanasiebefehl" ermächtigte Hitler am 1. September 1939 bestimmte Ärzte, kranke und behinderte Menschen umzubringen. Ab 1941 wurden sie in den Konzentrationslagern systematisch ermordet. Einige von ihnen wurden für grausame medizinische Menschenversuche missbraucht. Auch viele Kinder, die zum Beispiel eine Behinderung hatten, wurden umgebracht. Wenn sie in einem Heim lebten, übermittelte man ihren Eltern einfach ein Schreiben, in dem Ärzte bestätigten, dass die Kinder an irgendeiner Krankheit gestorben seien.
Uneigennützig gegen den Strom
Die Geschichte von Anton fesselt den Leser - und lässt ihn nicht mehr los. Die Ungerechtigkeit und das Leid unschuldiger Menschen werden eindringlich beschrieben - und letztendlich ist die Hoffnung das Einzige, was ihnen noch bleibt. Denn auch in den schlimmsten Zeiten gibt es Menschen, die trotz großer Gefahr uneigennützig handeln.
Das Buch regt uns zum Nachdenken an und ruft ins Gedächtnis, dass man sich nicht einfach auf einer Welle mitreißen lassen darf, nur weil es der "Weg des geringsten Widerstandes" ist. Dass wir tolerant sein sollten und niemanden verurteilen oder ausgrenzen dürfen, nur weil er oder sie "anders" ist. Und vor allem, dass die Menschen nicht die Augen verschließen dürfen, wenn Unrecht geschieht - denn es geht alle etwas an!
Elisabeth Zöllers Buch, "Anton oder die Zeit des unwerten Lebens“, ist eher für etwas ältere Leser ab ungefähr zwölf Jahren geeignet. Es wurde mit dem Gustav-Heinemann-Friedenspreis ausgezeichnet. Diese Auszeichnung wird an Jugendbücher verliehen, die sich mit der Entstehung und Auswirkung von Gewalt beschäftigen und uns aufzeigen, wie wir Konflikte bewältigen und was wir gegen Gewalt tun können.
Gebundene Ausgabe 2005. 224 Seiten. Fischer Schatzinsel, ISBN 978-3-596-85156-0. 12,90
Euro/23,50 SFR.
Taschenbuch Ausgabe 2005. 224 Seiten. Fischer Schatzinsel, ISBN 978-3-596-80516-7. 6,95 Euro/11,00 SFR.
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