Deutscher im US-Geheimgefängnis gefoltert

Der Fall Khaled El Masri

von Anne Walkembach - 13.12.2005

An Silvester 2003 war der damals 39-jährige deutsche Staatsbürger Khaled El Masri plötzlich spurlos verschwunden. Erst Monate später tauchte er wieder auf. Helles-Köpfchen-Reporterin Anne Walkembach traf Khaled El Masri bereits Anfang des Jahres. Im Gespräch sagte er, dass ihn der US-amerikanische Geheimdienst CIA in ein ausländisches Gefängnis verschleppt und gefoltert hat. Jetzt finden sich immer mehr Beweise dafür, dass seine unglaublichen Aussagen tatsächlich stimmen.

Khaled El Masri im Kreis seiner Familie. Fünf Monate lang war er unschuldig in den Händen des US-Geheimdienstes. (Quelle: ACLU)

Von einen Tag auf den anderen war Khaled El Masri, der mit seiner Familie im bayerischen Neu-Ulm wohnt, wie vom Erdboden verschluckt. Seine Frau und seine Kinder hatten keine Ahnung, wo ihr Mann und Vater geblieben war. Das einzige was sie wussten war, dass Khaled eine Busreise unternehmen wollte. Doch an der Landesgrenze zu Mazedonien begann seine unfassbare aber offenbar wahre Geschichte.

Die Grenzbeamten haben sich seien Pass sehr lange angesehen, dann haben sie den Ausweis beschlagnahmt und El Masri festgenommen. Mehr als drei Wochen sollen mazedonische Sicherheitsbeamte Khaled in einem Hotel festgehalten haben. Nach mazedonischem Recht müssen festgenommene Menschen eigentlich nach spätestens 24 Stunden einem Haftrichter vorgeführt werden. Sollte ein Tatverdacht bestehen, dann muss der Richter einen Haftbefehl erlassen. Doch das geschah im Fall El Masri nicht. Außer dem mazedonischen und dem US-amerikanischen Geheimdienst wusste wohl niemand, wo der Deutsch-Libanese abgeblieben war. Ein Geheimdienst ist eine Organisation, die Nachrichten über mögliche Gegner seines Landes sammelt. Seine Mitglieder werden Agenten oder Spione genannt und ermitteln möglichst unauffällig - also geheim.

Zusammengeschlagen und nackt fotografiert

In diesem Flugzeug wurde El Masri nach Afghanistan entführt. (Quelle: Anne Walkembach)

In seinem Versteck wurde Khaled El Masri in langen Verhören immer wieder beschuldigt, ein hohes Mitglied von Al Qaida zu sein. Diese Verbrecher-Organisation des Osama bin Laden soll unter anderem den Anschlag auf das World-Trade-Center in New York geplant und durchgeführt haben. Einer der Männer behauptete, Khaled sei in Wahrheit Ägypter und in einem Trainingslager der Al Qaida in Pakistan gewesen. El Masri konnte diese Anschuldigungen nicht verstehen. Immer wieder beteuerte er, dass er seit zehn Jahren Deutscher sei und aus dem Libanon stamme. Und mit Al Qaida hatte er schon mal gar nichts zu tun. Aber niemand glaubte ihm.

Irgendwann, so berichtet der stämmige Mann, seien ihm die Augen verbunden worden und man habe ihn zum Flughafen gefahren. Dort habe man ihn in einem kleinen Raum zusammengeschlagen. Schließlich zog man ihn nackt aus. „Ich habe mich gewehrt, so gut ich konnte, doch es waren zu viele. Ich hörte das Geräusch von einem Fotoapparat”, sagte er im Gespräch mit dem Hellen Köpfchen. Khaled hat seine Geschichte schon vielen Journalisten erzählt. An dieser Stelle stockt er jedes Mal.

In den Händen des US-Geheimdienstes

US-Präsident Bush hat dem ehemaligen CIA-Chef Tenet den höchsten Orden verliehen. Unter Tenet hat sich der US-Geheimdienst weltweit über das Recht hinweggesetzt. (Quelle: Weißes Haus)

Vermummte Männer zogen ihm eine Art blauen Trainingsanzug an, fesselten ihn und brachten ihn in ein Flugzeug. Irgendjemand spritzte ihm etwas in den Arm und er schlief ein. Heute ist sich Khaled sicher, dass er am Flughafen in die Hände des US-amerikanischen Geheimdienstes CIA übergeben worden war. Mit dem Flugzeug sollte er an einen Ort gebracht werden, an dem ihn niemand suchen und finden konnte. Und an dem es erlaubt war, Menschen zu foltern. Folter bedeutet, dass man einem Gefangenen Gewalt antut, um ihn zum Reden zu bringen. Er soll ein Geständnis ablegen und sagen, was er zum Beispiel über seine Komplizen weiß. Man tut dies zum Beispiel, indem man einem Gefangenen Schmerzen zufügt oder ihn nicht schlafen lässt. In Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie in vielen anderen Ländern Europas ist dies jedoch streng verboten.

Als Khaled aus seiner Betäubung erwachte, war er in einem anderen Land. Nach einer kurzen Fahrt mit dem Auto brachte man ihn in ein abgelegenes Gebäude und dort in eine kleine Zelle. „Alles war schmutzig, auf dem Boden lag eine Decke zum Schlafen, auch sie war schmutzig, und das Wasser zum Trinken stank wie aus einem Fisch-Aquarium”, sagte er später. An die Wände hatten ehemalige Gefangene ihren Namen geschrieben. Er redete arabisch mit einem Mann, der seine Zelle bewachte. Der Dialekt des Wächters verriet El Masri, wo er sich befand: Man hatte ihn nach Afghanistan verschleppt.

Erfahrungen mit der Folter

So sahen Verhöre im 17. Jahrhundert aus. Doch bis heute hat sich leider weniger geändert als man glauben mag.

Dann kamen die Verhöre. In einem anderen Raum, umringt von maskierten Männern. Endlos und immer wieder. Einer der Männer schrie Khaled an: "Weißt du, wo du hier bist? Du bist an einem Ort, wo es keine Gesetze gibt. Niemand weiß, dass du hier bist, hast du das verstanden?" Er wurde auf Englisch ausgefragt. Gutes Englisch, wie Khaled sich erinnert. Die maskierten Männer beschuldigten ihn, einen der Todespiloten auf das New Yorker Welthandelszentrum (WTC) gekannt zu haben. Immer wieder warfen sie ihm vor, ein hohes Mitglied von Al Qaida zu sein.

Zu essen gab es gammelige Reste, das Trinkwasser roch faulig. Mitgefangene erzählten ihm, dass sie schon monatelang hier waren. Ein Mann soll tagelang an den Händen aufgehängt gewesen sein. Auch auf andere Art sei gefoltert worden. Ein Häftling sei stundelang mit schmerzend lauter Musik gequält worden. Khaled verlangte, mit jemandem von der Deutschen Botschaft zu reden, einem offiziellen Vertreter seines Heimatlandes. Die CIA-Männer, die ihn verhörten, schüttelten den Kopf.

Eines Tages tauchte ein Mann im Gefängnis auf, von dem Khaled glaubte, dass es ein Deutscher war. „Er sagte mir, dass er Sam heißt, und er sprach perfekt Deutsch.” Auch er stellte ihm wieder die gleichen Fragen. Diesmal fragt Khaled zurück: „Weiß meine Frau, wo ich bin?“ – „Nein.“ – „Weiß irgendjemand in Deutschland, wo ich bin?“ – Wieder “Nein“.

Ende eines Alptraums

Im Gefängnis Guantanámo-Bay auf Kuba werden Verdächtige ohne Anklage festgehalten. (Quelle: US-Verteidigungsministerium)

Nach fünfmonatiger Gefangenschaft haben seine Entführer vom CIA dann endlich gemerkt, dass sie den falschen Mann verschleppt hatten. Khaled El Masri ist kein Al-Qaida-Verbrecher, sondern unschuldig. Eines Tages wurde der Gefangene erneut in ein Flugzeug geschafft, wieder mit verbundenen Augen. Nach der Landung fuhr ihn ein Kleinbus stundenlang ins Nirgendwo. Man nahm ihm die Augenbinde ab und sagte ihm, er solle ohne sich umzudrehen einen Pfad entlang gehen. Khaled war sich sicher, dass man ihn nun von hinten erschießen wird.

Aber nichts geschah. Nach einiger Zeit begegnetem ihm drei Männer in Uniform. „Ich fragte sie, wo wir hier sind, und einer von denen antwortete, 'in Nord-Albanien'.“ Die Männer lachten, aber sie gaben ihm seinen Pass, der fünf Monate zuvor in Mazedonien beschlagnahmt worden war. Vom nächstgelegenen Flughafen durfte El Masri nach Deutschland fliegen. Der Alptraum war zu Ende.

Zurück in Deutschland erzählte er seine unglaubliche Geschichte. Es fanden sich nach und nach immer mehr Beweise, die belegen, dass seine Aussagen stimmen. Eine Haarprobe beweist, dass er tatsächlich in Afghanistan war. Journalisten haben sogar das Flugzeug aufgespürt, mit dem El Masri verschleppt worden war. Auch das Hotel in Mazedonien, in dem er drei Wochen lang eingesperrt war, ist inzwischen bekannt. Mittlerweile hat sein Fall Aufsehen auf der ganzen Welt erregt. Sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel und die US-amerikanische Außenministerin Condoleezza Rice haben darüber gesprochen.

Auf der Suche nach Gerechtigkeit

Werden sich US-Präsident Bush und seine Außenministerin Condoleezza Rice bei El Masri entschuldigen? (Quelle: US-Verteidigungsministerium)

Khaled ist vor Gericht gegangen. Er will den US-Geheimdienst CIA verklagen. Was geschehen ist, verstößt gegen internationales Recht. Niemand darf einen Bürger einfach entführen und in ein anderes Land verschleppen. Niemand darf einen Gefangenen ohne Anklage an einem geheimen Ort monatelang festhalten, ihn foltern und zusammenschlagen. Gefangene haben das Recht auf einen Anwalt, der sie verteidigt und der ihre Interessen vertritt. Doch davon konnte El Masri nur träumen.

Khaled El Masri ist kein Einzelfall. Seit dem Angriff auf die Zwillingstürme in New York hat der US-amerikanische Geheimdienst hunderte Menschen in andere Länder verschleppt und hält sie dort ohne Anklage und ohne Rechtsbeistand gefangen. Immer wieder kommen Berichte zu Tage, dass in diesen Gefängnissen auch gefoltert wurde. Das berühmteste Spezialgefängnis dieser Art ist das Camp X-Ray in Guantanamó auf Kuba. Inzwischen hat sich der Verdacht erhärtet, dass die USA in vielen Ländern der Welt Geheimgefängnisse unterhalten.

Geheimgefängnisse überall auf der Welt

Nicht nur auf Kuba, sondern überall auf der Welt soll der CIA Menschen gefangen halten und foltern. (Quelle: US-Vereidignungsministerium)

Der US-Geheimdienst hat Verdächtige immer wieder in Länder wie Ägypten und Syrien geflogen, in denen Folter erlaubt ist. Aus dem asiatischen Land Usbekistan berichtet ein ehemaliger britischer Diplomat, dass dort im Namen der CIA Menschen in kochendes Wasser getaucht wurden, bis sie etwas sagten. Auch in Osteuropa sollen solche Gefängnisse stehen. Es ist sogar gut möglich, dass einige Gefangenentransporte über deutschem Luftraum stattgefunden haben.

Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International protestieren schon seit langem gegen die Methoden des US-Geheimdienstes. Ein demokratischer Rechtsstaat dürfe sich nicht über jegliches Recht hinwegsetzen. Aber genau das haben die USA offenbar getan und tun es immer noch. Das Menschenrecht muss sich offensichtlich dem von US-Präsident Bush ausgerufenen "Kampf gegen den Terror" unterordnen.

Beschützt die Bundesregierung deutsche Staatsbürger?

Khaled El Masri will Schadenersatz für die Schmerzen, die er erlitten hat. Und für die unendlich lange Zeit, die er mit Todesangst unschuldig in einem geheimen, schmuddeligen Gefängnis gesessen hatte. Er will eine Entschuldigung. Er will, dass sich jemand zu dem, was passiert ist, bekennt. Und Khaled El Masri aus Neu-Ulm will, dass Menschen nicht mehr einfach verschleppt und gefoltert werden können.

Der Deutsche Bundestag beschäftigt sich derzeit mit dem Fall. Es geht um die Frage, was deutsche Politiker über die Masri-Entführung wussten. Und es geht darum, wie Deutschland sich gegenüber der US-Regierung verhalten soll. Bislang ist die Kritik an der Bush-Regierung sehr leise ausgefallen. Dabei sind sogar noch zwei weitere Deutsche entführt worden und werden in Syrien sowie Guantanamo noch immer ohne Anklage festgehalten. Bei einem der Männer gibt es ebenfalls Hinweise darauf, dass er bei Verhören geschlagen worden ist.

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letzte Aktualisierung: 01.11.2009

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