von Britta Pawlak und Andreas Fischer - 10.09.2010
Nach langen Diskussionen hat die Bundesregierung nun bekanntgegeben, dass die deutschen Atomkraftwerke im Durchschnitt zwölf Jahre länger als geplant laufen sollen. Ursprünglich hatte die damalige Regierung aus SPD und Grünen im Jahr 2000 beschlossen, dass alle Kernkraftwerke bis spätestens 2022 abgeschaltet werden. Der Beschluss der jetzigen Regierung stößt auf Kritik: Statt umweltfreundliche Energien zu fördern, unterstütze man weiterhin die Atomkonzerne, die durch den Atombeschluss Gewinne in Milliardenhöhe erwarten. Welche Argumente nennen die Befürworter und was sind die Probleme und Risiken der Atomenergie?
Eigentlich ist in Deutschland der Verzicht auf Atomenergie festgelegt worden. Im Jahr 2000 entschied die damalige rot-grüne Regierung, dass das letzte deutsche Kraftwerk bis 2021 abgeschaltet werden soll. Schon seit längerer Zeit äußerte Angela Merkel (CDU), die seit 2005 Bundeskanzlerin ist, ihre Bedenken über den geplanten Atomausstieg. Am Sonntag (05.09.) gab die schwarz-gelbe Regierung aus CDU und FDP bekannt, dass die Laufzeiten der Kernkraftwerke um durchschnittlich zwölf Jahre verlängert werden sollen.
Ihr Argument ist, dass in den nächsten Jahrzehnten nicht genug Alternativen für die Energieversorgung zur Verfügung stehen würden. Im Zuge des Klimawandels soll nämlich auch die Stromproduktion durch Kohlekraftwerke weiter eingeschränkt werden. Merkel verkündete, die Regierung habe nun einen realistischen "Fahrplan" erarbeitet, um das Zeitalter der Erneuerbaren Energien so schnell wie möglich zu erreichen. Zukünftig sollen immer mehr so genannte "regenerative" Energiequellen wie Sonnen- und Windkraft die Kohle- und Kernkraftwerke ersetzen. Ab dem Jahr 2011 sollen die Atomkonzerne eine so genannte "Brennelementesteuer" zahlen - dieses Geld könne für die Lagerung von Atommüll oder alternative Energien verwendet werden, heißt es.
Tatsächlich bedeutet der neue Beschluss trotz der geplanten Steuer massive Gewinne für die Atomkonzerne - nach Schätzungen werden sie durch die längeren Laufzeiten der Atomkraftwerke mindestens 50 Milliarden Euro zusätzliche Gewinne machen. Kritiker werfen der Regierung deshalb vor, vielmehr auf den wirtschaftlichen Vorteil der Konzerne bedacht zu sein als auf die Förderung Erneuerbarer Energie. Atomstrom blockiere nun weiterhin für lange Zeit die Stromnetze und verhindere den Ausbau umweltfreundlicher Energien, da dieser wirtschaftlich nicht lohnend sei. Bisher seien noch viel zu wenig Gelder in die Forschung und Entwicklung von regenerativen Energiequellen geflossen, die einen erheblichen Teil unseres Strombedarfs decken könnten, ohne unsere Umwelt zu verpesten oder gar zu verseuchen und unsere Gesundheit zu gefährden.
Atomkraftwerke in Deutschland
Seit 1990 ist der Stromverbrauch in Deutschland um elf Prozent gestiegen und lag 2005 bei 611 Terawattstunden. Ein großer Teil des Stroms (über 26 Prozent) stammt aus Kernenergie. In Deutschland sind zurzeit 17 Kernkraftwerke in Betrieb.
Der Brennstoff für Atomkraftwerke ist das chemische Element Uran, mit dem die so genannten Brennstäbe hergestellt werden. In Kernkraftwerken werden die Atomkerne des Urans gespalten. Das erhitzte Wasser verdampft und treibt die Turbinen an, um Strom zu erzeugen. Dabei entsteht aber auch hochradioaktive Strahlung. Das gefährlichste Spaltprodukt bei der Kernenergie ist das Element Plutonium. Dieser hochgiftige Stoff wird auch bei dem Bau einer Atombombe verwendet.
Besorgnis erregend ist es deshalb, wenn es in Atomkraftwerken zu Störungen kommt. Insgesamt hat es innerhalb der letzten sechs Jahre nahezu tausend Störfälle in deutschen Atomkraftwerken gegeben. Besonders bei älteren Kraftwerken kommt es gehäuft zu Problemen und Zwischenfällen. Das Atomkraftwerk Brunsbüttel in Schleswig-Holstein soll dabei an der Spitze liegen. Seit Beginn des Betriebs im Jahr 1976 sind dort 437 Störfälle registriert worden. Aber auch Kraftwerke wie die in Krümmel (nahe Hamburg) und Biblis (Hessen) sind nicht mehr auf dem neuesten Stand und machen immer wieder negativ auf sich aufmerksam.
Großes Problem: der strahlende Atommüll
Neben den großen Risiken der Stromproduktion gibt es bei der Atomkraft noch ein weiteres erhebliches Problem: den hochradioaktiven Atommüll, der sich immer weiter anhäuft. Ähnlich wie bei einer Batterie ist auch jeder Uran-Brennstab irgendwann einmal am Ende. Allerdings kann er danach nicht einfach weggeworfen werden, da er wegen seiner Strahlung extrem gefährlich ist.
Es gibt noch kein wirklich "geeignetes Lager" für die verbrauchten Brennstäbe. Deshalb werden diese zunächst in eine "Wiederaufbereitungsanlage" gebracht. Dort werden sie zerlegt, wodurch einige chemische Bestandteile zurück gewonnen werden. Der Atommüll wird in Glas eingeschmolzen und in Behältern aus Gusseisen verstaut. Diese "Castoren" dienen zur Lagerung und zum Transport von radioaktivem Müll.
Immer wieder kommt es zu "Castor-Transporten". Jährlich wird in Deutschland produzierter Atommüll, der in Frankreich und England wiederaufbereitet und zwischengelagert wurde, nach Deutschland zurückgebracht. Derzeit dient ein ehemaliges Salzbergwerk nahe von Gorleben (Niedersachsen) als Zwischenlager für den gefährlichen Müll. Die Transporte werden von erheblichen Protesten der Atomkraftgegner begleitet. Viele Menschen fühlen sich durch Aufbereitungsanlagen, Atommülllager und Kernkraftwerke nahe ihrer Wohngebiete bedroht.
Größte Gefahr: Super-GAU mit verheerenden Folgen
Befürworter der Atomenergie argumentieren damit, dass diese Art der Energiegewinnung kostengünstig sei. Zudem würde das äußerst umweltbelastende Austreten von Treibhausgasen verhindert werden, welche zum Beispiel durch Kohlekraftwerke entstehen. Außerdem sehen einige Länder zu wenig Alternativen zur Energieerzeugung und fürchten dann eine Energiekrise, bei der man in große Abhängigkeit zu anderen Ländern geraten würde.
Atomkraftgegner sind der Ansicht, dass diese Argumente in keinem Verhältnis zu den erheblichen Risiken der Kernenergie stehen. Bereits der "normale Betrieb" von Atomkraftwerken sei problematisch. Bei der Uranförderung werden extrem gesundheitsschädigende, radioaktive Stoffe freigesetzt. Kernkraftwerke bergen große Gefahren: Durch Mängel oder Unfälle könnten radioaktive Strahlen austreten.
Der schlimmste Fall wäre ein Super-GAU ("Größter Anzunehmender Unfall"), bei dem riesige Gebiete von den Strahlen verseucht würden. Im ukrainischen Atomkraftwerk Tschernobyl kam es 1986 zu einer solchen Katastrophe: Viele Menschen starben sofort, zahlreiche erkrankten schwer, und noch heute kennt man nicht das tatsächliche Ausmaß dieses Unfalls. Man nimmt an, dass hunderttausende Menschen an der Strahlenverseuchung erkranken und sterben werden oder bereits daran gestorben sind. Folgeschäden sind Krebserkrankungen, Missbildungen von ungeborenen Kindern, genetische Schädigungen und viele andere Krankheiten.
Schon bei kleinen Störfällen Gefahr der Strahlenbelastung
Aber auch bei kleineren Störfällen könnte Radioaktivität freigesetzt werden. Schon geringste Mengen sind extrem schädlich für die Umwelt und die Gesundheit von Mensch und Tier. In vielen Regionen nahe von Atomkraftwerken wurde eine überdurchschnittlich hohe Rate an Krebserkrankungen festgestellt. Auch in der Gegend um das Kernkraftwerk Krümmel östlich von Hamburg ist von Leukämiehäufungen die Rede.
Doch nicht nur die Atomkraftwerke selbst, sondern auch Wiederaufbereitungsanlagen, machen immer wieder negativ auf sich aufmerksam. So soll in der Anlage von Sellafield/ England über einen längeren Zeitraum unkontrolliert Radioaktivität ausgetreten sein. Es wurden in dieser Region verhältnismäßig viele Fälle von Leukämie-Erkrankungen bei Kindern und Senioren festgestellt. Die Schattenseiten der Atomenergie sind so groß und furchteinflößend, dass immer mehr Menschen für einen schnellen Atomausstieg sind.
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