Große bewaffnete Männer mit Bärten, blonden Haaren und Namen wie Thure und Björn - so stellt man sich die Wikinger vor. Sie tauchten plötzlich auf und versetzten vom 8. bis zum 11. Jahrhundert nicht nur Europa in Angst und Schrecken. Die Wikinger kamen übers Meer, überfielen und plünderten Ortschaften, versklavten die Bewohner und brannten nicht selten ganze Dörfer nieder. Doch wer waren die wilden Horden aus dem Norden? Waren sie wirklich nur räuberische Barbaren? Warum begaben sie sich auf ihre Beutefahrten und Raubzüge und wie lebten sie?
Zunächst einmal waren die Wikinger genau genommen keine Volksgruppe, sie haben sich wahrscheinlich auch selbst nicht als Wikinger bezeichnet. Sie kamen aus unterschiedlichen Gegenden Norwegens, Schwedens und Dänemarks, gehörten also zu verschiedenen Völkern. Überwiegend handelte es sich um germanische Völker des Nord- und Ostseeraumes.
Die so genannte "Wikingerzeit" bezeichnet den Zeitraum zwischen 793 und 1066: Im Jahr 793 wurde das Kloster Lindisfarne an der Nordostküste Northumberlands in England von Wikingern überfallen, mit der Schlacht bei Hastings 1066 endete die Wikingerzeit. Für die Menschen, die den kriegerischen Seefahrern zum Opfer fielen, waren die "gefährlichen Barbaren" aus dem Norden alle gleich, nämlich alles Wikinger. Woher der Ausdruck kommt, ist allerdings nicht ganz geklärt. Möglich ist, dass sich "Wikinger" von dem altnordischen Verb "vìkingr" ableitet, was so viel heißt wie "plündern" und "auf Beutezug sein". Vielleicht ist aber auch das lateinische Wort "vicus" der Ursprung, denn das bezeichnet fahrende Männer, die sich mit Schiffen von Ort zu Ort bewegen.
Jedenfalls handelte es sich eigentlich nur bei den Männern um Wikinger, die tatsächlich auf Raubzüge gingen, nicht aber bei ihren Familien und Nachbarn. Trotzdem ist oft verallgemeinernd von Wikingerdörfern oder der Wikingergesellschaft die Rede. Es gibt auch noch andere Bezeichnungen für die Wikinger. Der Ausdruck "Normannen", der genau genommen ein Oberbegriff ist und nicht nur die Wikinger bezeichnet, leitet sich von "Nordmännern" ab - genauso wie die französische Region "Normandie", die von Wikingern besiedelt wurde. In slawischen und finnischen Regionen hingegen nannte man die Völker normannischer Abstammung "Rus" - der Ursprung für den Begriff "Russland".
Verlockende Schätze
Ein Hauptgrund für die Raubzüge der Wikinger war das harte Leben in den Gebieten Skandinaviens. Die meisten Menschen lebten und arbeiteten dort anfangs als einfache Siedler und Bauern und mussten in der kargen Landschaft ständig um ihr Überleben kämpfen. Über Händler erfuhren die Menschen von schlecht gesicherten Schätzen und Reichtümern in Mitteleuropa, die es förmlich herausforderten, dass jemand kam und sie stahl. Viele Männer sahen darin ihre Chance, zu Reichtum und einem besseren Leben für sich und ihre Familien zu kommen. Also fanden sich jeweils mehrere Männer zu Fahrgemeinschaften zusammen und stachen in See.
Schon die ersten Beutezüge waren aus Sicht der Wikinger große Erfolge, so dass weitere Fahrten nicht lange auf sich warten ließen. Allerdings nahmen sich die Wikinger nicht immer mit Gewalt, was sie wollten. Manchmal legten sie auch in Küstenregionen an, um Handel zu treiben - entweder mit eigenen Gütern oder mit Gegenständen, die sie auf früheren Fahrten erbeutet hatten. Die Wikinger entschieden je nach Situation, welches Vorgehen für sie lohnenswerter war. Wenn sie keine große Beute erwarteten, blieben kriegerische Aktionen meist aus. Manche Wikinger waren auch ausschließlich unterwegs, um Handel zu treiben. Sie errichteten ein dichtes Handelsnetz zwischen den Küstenregionen und Inseln Europas. Sie tauschten Honig, Wachs, Felle, Tierhäute oder Bernstein gegen Gegenstände, die sie benötigten, wie zum Beispiel Rüstungen, Waffen, Gewürze, Edelmetalle und Stoffe. Außerdem handelten die Wikinger mit Sklaven - die meisten von ihnen waren Gefangene aus ihren Raubzügen.
Das Leben zu Hause
Die meisten Wikinger gingen nur eine gewisse Zeit ihres Lebens auf Beutefahrt. Wenn sie zu Wohlstand gekommen waren, gaben viele der Männer die Räuberei auf und ließen sich nieder, um ein normales Leben zu führen. Überhaupt ging nur ein Bruchteil der Skandinavier je auf Beutezug, denn die meisten von ihnen waren keine Krieger, sondern Fischer und Bauern in den Küstengebieten Skandinaviens.
Zu Beginn der Wikingerzeit gab es im Norden auch noch keine Staaten. Die Menschen lebten in den verschiedenen Regionen Skandinaviens in Dörfern und Siedlungsgemeinschaften zusammen. Ganz wichtig war ihnen die Familie oder Sippe: Sie galt als heilig und ohne sie war der Einzelne nichts. Die Familienmitglieder beschützten einander und verteidigten die Familienehre. Es gab eine feste Rangordnung, an deren Spitze der "Jarl", also ein Anführer, stand. Mächtige und tapfere Jarle wurden mitunter zu Häuptlingen ganzer Siedlungen oder Gebiete gewählt. Einen großen Teil der skandinavischen Gesellschaft der Wikingerzeit machten die vielen Sklaven aus, welche die Wikinger von ihren Raubzügen mitbrachten. Sie hatten überhaupt keine Rechte und gehörten zum Besitz der freien Skandinavier.
Die Pflichten und Aufgaben von Männern und Frauen waren in der Wikingergesellschaft ganz klar aufgeteilt: Die Frauen kümmerten sich um Familie, Haus und Hof, versorgten die Tiere und gaben den Sklaven Anweisungen. Die Männer hingegen sorgten für den Lebensunterhalt und den Schutz der Familie. Auch wenn die Männer insgesamt das Sagen hatten, wurden Frauen durchaus respektiert. Man weiß sogar von höher gestellten Frauen, die sich scheiden ließen, weil ihre Männer sie schlecht versorgten oder behandelten.
Die mächtigste Waffe
Aber wie konnte es eigentlich sein, dass die Krieger aus dem Norden, die aus einfachen Bauern- und Fischersiedlungen stammten, über so lange Zeit die Küstenregionen Europas terrorisierten? Die Antwort darauf ist das Talent der Wikinger, großartige Schiffe zu bauen. Denn die Wikingerschiffe waren ihrer Zeit weit voraus und machten die Wikinger unglaublich gefährlich für ihre Feinde. Kein europäisches Land hatte ähnlich seetüchtige Schiffe wie die Männer aus dem Norden. Sie waren besonders wendig, so dass die Wikinger blitzschnell auftauchen und wieder mit ihrer Beute verschwinden konnten, bevor auf Seiten der Feinde überhaupt eine Chance auf Gegenwehr bestand.
Die Wikingerboote, die wegen ihrer kunstvollen Schnitzereien auch als Drachenboote bezeichnet werden, waren für jede Situation gerüstet: Sie waren leicht und lagen flach im Wasser, so dass sie auf dem Meer schnell Fahrt aufnahmen und sich auch in flachen Gewässern und auf Flüssen bewegen konnten. So konnten sie nicht nur die Meere befahren, sondern bis tief ins Festland vordringen. Wenn es einmal nicht weiter ging, konnten die Wikinger die leichten Boote einfach auf ihren Schultern tragen. Wenn der Wind einmal nicht günstig stand, waren die Wikinger ebenfalls vorbereitet: Ihre Schiffe verfügten nicht nur über Segel, sondern auch über Ruderbänke und Ruder. Der Segelmast war außerdem klappbar, deshalb konnten die Boote auch unter Brücken und anderen Hindernissen hindurch fahren.
Die Wikinger als Entdecker
Natürlich wussten die Wikinger auch mit ihren Schiffen umzugehen. Sie waren hervorragende Seefahrer, die sich an Strömungen, Inselgruppen oder an Naturphänomenen wie vorbeiziehenden Walherden orientierten und so an ihr Ziel gelangten. Der schwedische Wikinger Gardar Svavarsson entdeckte auf einer seiner Seefahrten Island, was dazu führte, dass Island im späten 9. und frühen 10. Jahrhundert von skandinavischen Siedlern bevölkert wurde. Auch gelten die Wikinger als eigentliche Entdecker Amerikas.
Nachdem der berühmte Wikinger Erik der Rote Grönland entdeckt hatte, stieß Bjarne Herjolfsson auf dem Weg von Island nach Grönland auf ein unbekanntes Land im Südwesten. Angespornt durch diese Erzählungen machte sich Leif Eriksson, der Sohn Eriks des Roten, eines Tages auf den Weg, um dieses Land zu finden. Er hatte Erfolg und war wahrscheinlich der erste Europäer, der einen Fuß auf nordamerikanischen Boden setzte - ein halbes Jahrtausend vor Christoph Kolumbus, der in den meisten Geschichtsbüchern als Entdecker Amerikas genannt wird. Die Entdeckung durch die Wikinger war wahrscheinlich in Vergessenheit geraten, weil die Wikinger zwar versuchten, das neue Land zu besiedeln, aber letztlich daran scheiterten.
Ende der Wikingerzeit
Nach über 250 Jahren ging die Wikingerzeit langsam zu Ende. Die Lebensumstände in den skandinavischen Regionen hatten sich während dieser Zeit stark verändert. Die erfolgreichen Raubzüge brachten Reichtum und Wohlstand, Skandinavien bestand nun nicht mehr aus Bauern- und Fischersiedlungen. Letztlich wurden aus Norwegen, Schweden und Dänemark große Königreiche. Aber auch die Verhältnisse im übrigen Europa änderten sich.
Bald konnten die Wikinger nicht mehr auf ihre herausragenden Schiffe als großen Vorteil zählen, denn im restlichen Europa wurden nun Schiffe gebaut, die den Wikingerschiffen ebenbürtig waren. Nach und nach kam es außerdem dazu, dass die unbeugsamen Heiden, die sehr lange an ihrer eigenen Religion festgehalten hatten, zum christlichen Glauben gebracht wurden - ein weiterer Grund, warum es ruhig um die kriegerischen Wikinger wurde.
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