Vier von zehn Mädchen finden sich zu dick, und jeder achte Junge stöhnt über sein zu hohes Körpergewicht. Das gängige Schönheitsideal vom schlanken Menschen beeinflusst immer mehr Mädchen und mittlerweile auch Jungen. Die Zahl derer, die an einer Ess-Störung erkranken, steigt immer weiter an.
Ein Joghurt und ein Apfel, das ist alles, was manche Mädchen oder Jungen am Tag zu sich nehmen - und das oft über lange Zeit. Sie wiegen weit unter dem Normalgewicht, treiben übermäßig viel Sport und hungern (wie Katrin L., deren Schicksal im Buch "Engel haben keinen Hunger" beschrieben wird. Unser Buchtipp dazu wird in einigen Tagen auf Helles Köpfchen erscheinen). Magersüchtige Menschen fühlen sich dick und unattraktiv, obwohl sie schon längst alles andere als füllig sind.
Betroffene selbst können die Krankheit "Ess-Störung" oft nur schwer erkennen. Und dann ist es für viele schwierig, mit ihrer Krankheit umzugehen. Dabei ist es ganz wichtig, dass die- oder derjenige Verantwortung für sich selbst übernimmt. Sie müssen sich, wie alle "Süchtigen", erst einmal die Krankheit eingestehen. Betroffene müssen begreifen, dass sie die Kontrolle darüber immer mehr verloren haben, ob oder wie viel sie essen. Wer an einer Ess-Störung leidet, empfindet sich oft als "zu dick" oder sieht seinen eigenen Körper als "Feind" an. Die Gedanken kreisen ständig um Lebensmittel, Gewicht und die Frage: "Soll ich essen oder nicht?". Essen dient nicht mehr dazu, das körperliche Hungerbedürfnis oder den Appetit zu befriedigen. Mit dem Essen, Hungern oder Erbrechen äußern sich vielmehr seelische Konflikte, hinzu kommt die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper.
Dünn, dünner, am dünnsten
Unter Magersucht (Anorexia) versteht man eine Störung des Essverhaltens, bei der eine Person ihr Körpergewicht willentlich und ohne körperlichen Grund drastisch reduziert. Der Begriff "Anorexia" stammt aus dem Lateinischen und bedeutet "Appetitlosigkeit" - was die Krankheit eigentlich gar nicht richtig beschreibt, da die Ursache der Magersucht nicht unbedingt in mangelndem Appetit liegt. Viele Magersüchtige verspüren oft einen großen Appetit, unterdrücken ihn jedoch. Die Hungergefühle werden einfach verdrängt.
Es beginnt damit, dass die betroffenen Mädchen oder Jungen immer weniger essen. Das Auffälligste an der Magersucht ist die extreme Gewichtsabnahme. Magersüchtige verweigern die Nahrung und denken trotzdem immer ans Essen. Ihr Körpergefühl ist gestört - sie erleben sich immernoch als zu dick, auch wenn sie schon total abgemagert sind. Diese verzerrte Körperwahrnehmung ist typisch für das Krankheitsbild.
Im Laufe der Krankheit verlieren die Magersüchtigen ihr natürliches Körpergefühl und - in Bezug auf die Nahrungsaufnahme - jedes Verhältnis zur Realität. Manche denken, dass sie von einem Eis drei Kilogramm zunehmen würden. So schüren sie ihre Angst und sehen noch einen Grund mehr, keine Nahrung mehr zu sich zu nehmen.
Hungern bis zum Tod
Für Außenstehende ist die Magersucht oft schwer zu erkennen, da die jungen Menschen ihre Ess-Störung meist vor anderen verheimlichen. Sie sind oft geschickt darin, die Familie und das Umfeld zu täuschen. Zum einen kaschieren sie beispielsweise ihren abgemagerten Körper mit weiter Kleidung, zum anderen erfinden sie Ausreden, um sich vor gemeinsamen Mahlzeiten zu drücken. Sie geben zum Beispiel vor, schon bei einem Freund oder einer Freundin gegessen und keinen Hunger mehr zu haben.
Die Störung kann so extreme Formen annehmen, dass sich Betroffene zu Tode hungern. In jedem zehnten Fall endet die Erkrankung tödlich. Wer wirklich tief in der Sucht steckt, nimmt das sogar in Kauf. "Lieber tot als fett" - solche Sätze findet man in Foren der so genannten "Pro-Ana-Bewegung". Diese Bewegung verherrlicht die tödliche Krankheit. Statt Hilfe zur Heilung werden den jungen Menschen hier Rituale und Gebote an die Hand gegeben, die sie in ihrer Sucht bestätigen. Hier bestärken sich Magersüchtige gegenseitig in ihrem verzerrten Körperideal.
Wiegen, essen, erbrechen!
Etwa dreimal so häufig wie die Magersucht ist die Bulimie, die auch Ess-Brech-Sucht genannt wird. Auch bulimische Mädchen oder Jungen haben panische Angst, zu dick zu sein. Häufig sind sie normalgewichtig, deshalb wird ihre Krankheit oft erst spät erkannt. Ständig versuchen sie, so wenig wie möglich oder gar nichts zu essen. Von Zeit zu Zeit jedoch verlieren sie die Kontrolle über ihren Appetit und verfallen in "Fress-Attacken". Dabei nehmen sie große Mengen an Nahrungsmitteln innerhalb kurzer Zeit zu sich. Nach einem solchen Anfall erbrechen sie sich, um die Kalorien wieder los zu werden. Irgendwann müssen sie nicht mal mehr nachhelfen - der Brechreflex kommt automatisch.
Häufig nehmen die Betroffenen zusätzlich Medikamente wie zum Beispiel Abführmittel ein, um an Gewicht zu verlieren. Aus dem gleichen Grund treiben manche Bulimiker dabei noch übermäßig viel Sport. Wie auch Magersüchtige sind viele Bulimiekranke "Meister der Tarnung". Sie versuchen, ihr Leid geheim zu halten oder herunterzuspielen. Einerseits sind sie verzweifelt über ihren Mangel an Selbstkontrolle. Andererseits fehlt ihnen die Kraft, den Fress-Attacken und dem Brechreiz zu entkommen. Als Folge droht ihnen durch das ständige Erbrechen starkes Karies, eine chronisch wunde Speiseröhre sowie Herz-Kreislauf-Probleme.
Die Bulimie ist eine ernst zu nehmende Suchtkrankheit, vergleichbar mit Alkoholismus oder Drogenabhängigkeit. Ohne fachkundige Hilfe und Behandlung ist eine Heilung für die Betroffenen in der Regel schwer möglich.
Ess-Sucht: Langeweile, Enttäuschung und Wut
Neben Magersucht und Bulimie gibt es noch eine weitere Ess-Störung: die Ess-Sucht. Ess-Süchtige stopfen wortwörtlich alles Essbare in sich hinein. Sie nehmen regelmäßig mehr Nahrung zu sich, als ihr Körper benötigt. Oft dient das Essen als eine Art Ersatzbefriedigung, was man auch als "Frustessen" bezeichnet. Typisch für diese Ess-Störung sind regelmäßige Ess-Attacken. Innerhalb kürzester Zeit schlingen die Betroffenen bei einem solchen Anfall übermäßig große Mengen an Lebensmitteln in sich hinein. Der gesamte Kühlschrank wird dann fast leer geräumt. Dabei verlieren sie die Kontrolle darüber, wie viel sie essen und wann sie mit dem Essen aufhören sollten. Das Sättigungsgefühl wird in der "Sucht nach Essen" völlig unterdrückt. Sie werden dick und dicker.
Erst, wenn ein unangenehmes Völlegefühl einsetzt und eine weitere Nahrungsaufnahme nicht mehr möglich ist, hören sie auf, zu essen. Wenn der Heißhungeranfall endlich gestillt ist, treten bei den Betroffenen depressive Gefühle ein. Sie fühlen sich "schuldig" für das, was sie getan haben und unwohl, weil sie wieder einmal die Kontrolle über sich selbst verloren haben. Dieses Gefühl verleitet dann zu erneuten Attacken und so kommt es zu einem Kreislauf, der nur schwer alleine durchbrochen werden kann.
Wir haben doch keine Mädchenkrankheit!
In den vergangenen Jahren ließ sich auch bei Jungen und Männern eine extreme Zunahme von Ess-Störungen beobachten. Besonders gefährdet scheinen Sportler zu sein. Seit Fitness zu einem wichtigen Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens geworden ist, sind offensichtlich auch immer mehr Männer ständig um ihre Figur besorgt. Da Bulimie und Magersucht weithin als "Frauenkrankheiten" gelten, werden sie bei Jungen nur selten erkannt. Und denjenigen, die sich über ihr Problem bewusst sind, ist es oft peinlich, mit einer so genannten "Frauenkrankheit" zum Arzt zu gehen. Sie begeben sich deshalb oft erst sehr spät in Behandlung. Je später mit einer Behandlung begonnen wird, desto größer sind allerdings die körperlichen Folgeschäden.Schlankheits-Wettbewerb auf Kosten der Gesundheit
Viele Models und Schauspielerinnen stehen im Verdacht, magersüchtig zu sein. Unterdessen geht die Casting-Show "Germany’s Next Top-Model" ("Deutschlands nächstes Topmodel") in die nächste Runde. Schon während der ersten Staffel entbrannte eine Diskussion um den Schönheitswahn und die Macht der Medien. Kritiker befürchten, dass viele Mädchen sich an den superschlanken Bewerberinnen orientieren und selbst mit dem Extrem-Abnehmen anfangen. Erhöht eine Fernsehsendung die Gefahr, an einer Ess-Störung zu erkranken?
In Spaniens Hauptstadt Madrid hatten Veranstalter einer Modenschau erstmals untergewichtigen Models Laufstegverbot erteilt. Die Models mussten sich nacheinander auf die Waage stellen. Wer zu dünn war, durfte nicht teilnehmen. Zu dünne Models seien ein schlechtes Vorbild und verleiteten zur Magersucht, lautete die Begründung.
Junge Mädchen eifern gerne ihren mageren Idolen nach: langbeinig, schmale Hüften, flacher Bauch. Problematisch dabei ist, dass sich ihr eigener Körper in der Pubertät oft ganz anders entwickelt: Fett wird eingelagert, Hüften und Po runden sich. Wenn dann auch noch Klassenkameraden anfangen zu sticheln, geraten viele Jugendliche in einen Konflikt. Der verhängnisvolle Schlankheits-Wettbewerb geht aber auf Kosten der Gesundheit. So bezahlte im Sommer dieses Jahres ein Model dafür mit dem Leben: Sie starb während einer Modenschau an Herz-Kreislauf-Versagen.
Wie kann man Betroffenen helfen?
Oft wird empfohlen, seinen Body-Mass-Index (kurz "BMI") zu berechnen, um sein eigenes Gewicht einzuschätzen. Ärzte halten ihn allerdings nur für Erwachsene und Jugendliche ab 18 Jahren für wirklich geeignet, um sein Verhältnis von Körpergewicht zur Körpergröße zu bestimmen. Um ihn zu berechnen, multipliziert man seine Körpergröße in Metern mit derselben Zahl, zum Beispiel "1,64 mal 1,64“. Dann teilt man sein Gewicht in Kilogramm durch das Ergebnis, beispielsweise 60 durch 2,6896, also etwa 22,31. Wenn der BMI zwischen 19 und 25 liegt, ist das Gewicht normal. Liegt er über 25, ist man etwas übergewichtig. Liegt er unter 19, ist man untergewichtig. Für Kinder und Jugendliche ist diese Methode aber nicht empfehlenswert.
Wenn es jemanden in deinem Freundeskreis oder in deiner Familie gibt, der unter einer Ess-Störung leidet, dann solltest du ihm auf jeden Fall helfen und sein Verhalten nicht nur als "Schönheitswahn" abstempeln. Ohne sich dessen bewusst zu sein, sehnen sich die Betroffenen oft danach, dass jemand sie beachtet und ihren Zustand erkennt. Andererseits reagieren viele auf direkte Fragen wie, "sag mal, bist du magersüchtig?" fast schon aggressiv. Höre der betroffenen Person zu, wenn sie dir von ihren Problemen erzählen möchte und wende dich dann an eine Stelle, die dir und ihr hilft. Zum Beispiel solltest du mit deinen Eltern, Lehrern oder Freunden sprechen und dich an Beratungsstellen wenden (Link siehe unten).
Wenn du selbst das Gefühl hast, dass Essen für dich zum Problem wird, oder wenn du immer mehr oder immer weniger isst, weil du traurig bist, dann solltest du mit einer Person deines Vertrauens darüber sprechen. In manchen Situationen scheint Essen ein Trostspender zu sein. Manchmal lenkt Essen schlicht und ergreifend von der Langeweile ab. Darum ist es wichtig herauszufinden, wann genau du beispielsweise dazu neigst, übermäßig viel oder schlicht zu wenig zu essen.
Sucht hat fast nie eine einzige Ursache - es kommen meist mehrere Faktoren zusammen. Negative Erlebnisse und Erfahrungen belasten jeden Menschen. Wer gelernt hat, Probleme und Krisen zu bewältigen, ist weniger gefährdet, sich in eine Sucht zu flüchten.
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