Stimmen bei Wahlen richtig auszuzählen und diese so auf die gewählten Personen und Parteien zu übertragen, dass sie so genau wie möglich dem Ergebnis der abgegebenen Stimmen entsprechen, ist keinesfalls einfach. Dies liegt unter anderem daran, dass sehr große Gruppen von Menschen - bei der deutschen Bundestagswahl sind es zum Beispiel weit über 60 Millionen - ihre Stimme abgeben, sich oft viele verschiedene Personen und Parteien zur Wahl stellen können und auch die Wahlsysteme kompliziert sind und ihre Eigenheiten haben.
Bei so vielen verschiedenen Menschen, Meinungen, Parteien und Wahlregelungen kann zum Beispiel nicht der Wille jedes Wählers umgesetzt und auch nicht im Interesse jeder kleinen Partei gehandelt werden (daher gibt es etwa die Fünf-Prozent-Hürde). Es muss gewisse Regeln und Vereinfachungen geben, um das Wahlergebnis bestmöglich zu ermitteln und - entsprechend den Grundsätzen der Wahl - auf die Parteien und Abgeordneten zu übertragen.
Somit wurden bereits viele verschiedene Verfahren entwickelt, um bei Wahlen die abgegebenen Stimmen möglichst genau zu ermitteln und im Wahlergebnis zu berücksichtigen, das wiederum über die Sitze der Politiker im Parlament entscheidet. Eines davon ist das Sainte-Laguë-Verfahren. Mit seiner Hilfe berechnet man die genaue Sitzverteilung in einem Parlament, zum Beispiel im Deutschen Bundestag. Dieses Verfahren wird seit dem Jahr 2009 bei der Bundestagswahl eingesetzt. Man nennt es auch "Schepers-" oder "Sainte-Laguë/ Schepers-Verfahren". Die Stärke des Sainte-Laguë-Verfahrens liegt vor allem darin, dass kleinere Parteien bei der Stimmauszählung möglichst wenig benachteiligt werden - anders als bei vielen anderen Verfahren zur Stimmauszählung.
Das Sainte-Laguë-Verfahren geht auf den französischen Mathematiker André Sainte-Laguë zurück, der seine Berechnung im Jahre 1912 veröffentlichte. In Deutschland kam dieses Verfahren erstmalig im Jahre 1980 für die Sitzverteilung in den Ausschüssen und Gremien des Bundestages zum Einsatz. Vorgeschlagen wurde diese Berechnungsmethode damals von dem deutschen Physiker Hans Schepers, weswegen das Verfahren auch "Schepers-Verfahren" genannt wird. Es fand nicht nur das erste Mal im Jahre 2009 bei der Bundestagswahl Verwendung, das Verfahren wurde auch erstmals bei der Europawahl im selben Jahr eingesetzt. Seitdem haben auch immer mehr Bundesländer dieses Verfahren zur Berechnung der Sitzverteilung in ihren Landesparlamenten benutzt, zum Beispiel Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg oder Schleswig-Holstein. Vor diesem Jahr fand in Deutschland das Hare-Niemeyer-Verfahren zur Berechnung der Sitzverteilung Verwendung.
Beim Sainte-Laguë-Verfahren können unterschiedliche Berechnungsweisen angewandt werden. Ein Beispiel dafür ist die so genannte "Divisormethode". Dabei werden die Zweitstimmen der einzelnen Parteien durch einen gemeinsamen Divisor geteilt. Teilt man die jeweiligen Zweitstimmen nun durch diesen Divisor, ergibt sich so die genaue Anzahl der Sitze für die jeweilige Partei. Ist der Divisor zu groß, erhält man als Ergebnis weniger Sitze als für das Parlament benötigt, bei zu kleinen Divisoren erhält man mehr Sitze als nötig. Dazu kommt, dass die Ergebnisse aus dieser Rechnung auf- und abgerundet werden.
Dies klingt sehr kompliziert und ist für Nicht-Mathematiker schwer nachvollziehbar, kann aber mit einem Beispiel ein wenig verdeutlicht werden: Bei einer Wahl kandidieren drei Parteien. 6000 Menschen wählen und es ist ein Parlament mit 20 Sitzen zu besetzen. Partei A erhält 3000 Stimmen, Partei B 1000 Stimmen und Partei C bekommt 2000 Stimmen. Nun wird nach der Divisormethode ein Divisor so bestimmt, dass die durch den Divisor festgelegten Sitzzahlen zusammengerechnet genau das gleiche Ergebnis haben wie die Gesamtzahl aller Sitze im Parlament. So kommt man durch die Zahl 20 (Anzahl aller Sitze im Parlament) bei diesem Beispiel auf einen Divisor von 300. Man rechnet also 3000 : 300, dann 1000 : 300 und schließlich 200 : 300. Die drei Ergebnisse lauten auf- oder abgerundet 10, 3 und 7. Dies bedeutet, dass Partei A 10 Sitze im Parlament, Partei B 3 und Partei C 7 Sitze erhält.
Eine andere Berechnungsvariante des Sainte-Laguë-Verfahrens ist das so genannte Höchstzahlverfahren. In dieser Methode wird die jeweilige Stimmenzahl der an einer Wahl beteiligten Partei in 0,5-Schritten durch 0,5, 1,5, 2,5 und so weiter geteilt. Den Ergebnissen werden nach absteigenden Höchstzahlen nacheinander Sitze zugeteilt. Der Vorteil dieser Methode ist, dass es keine Kommazahlen gibt. Jedoch werden beim Höchstzahlverfahren die kleineren Parteien mit weniger Stimmen stark benachteiligt, weil ihnen bei der Sitzverteilung nach diesem Verfahren erst sehr spät Sitze zugeteilt werden.
Bei der Bundestagswahl wird jedoch das so genannte "iterative Verfahren" eingesetzt. Bei dieser Methode wird zunächst die Gesamtzahl aller Stimmen bei einer Wahl durch die Gesamtzahl aller zu verteilenden Sitze in einem Parlament oder Gremium geteilt. Das Ergebnis dieser Rechnung nennt man auch "Zuteilungsdivisor". Die einzelnen Stimmen, die auf die jeweiligen Parteien fallen, werden nun durch den Divisor - ähnlich wie bei der Divisormethode - geteilt. Durch Vergrößern und Verkleinern entsprechen die einzelnen Ergebnisse dieser Rechnungen am Ende der Gesamtzahl aller Sitze im Parlament.
Das Beispiel stimmt mit dem der Divisormethode überein: Es kandidieren drei Parteien. 6000 Menschen wählen und es ist ein Parlament mit 20 Sitzen zu besetzen. Partei A erhält 3000 Stimmen, Partei B 1000 Stimmen und Partei C bekommt 2000 Stimmen. Beim iterativen Verfahren wird nun die Anzahl aller Stimmen, in diesem Fall 6000, durch die Anzahl der Sitze geteilt, also 20. Der Zuteilungsdivisor ist demnach 300. Wie bei der Divisormethode rechnet man nun 3000 : 300, dann 1000 : 300 und schließlich 200 : 300. Die Ergebnisse sind die gleichen: Partei A erhält 10 Sitze im Parlament, Partei B 3 und Partei C 7 Sitze.
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