von Britta Pawlak - 17.06.2013
Der 17. Juni 1953 wurde zum Schicksalstag der DDR und ging in die Geschichte ein: Aus einem Arbeiterstreik in Ost-Berlin erwuchs ein immer größerer Protest, der sich in verschiedenen ostdeutschen Städten zu einem Volksaufstand ausweitete. Über eine halbe Million DDR-Bürger lehnten sich gegen die Zwangsherrschaft auf und forderten Freiheit, politische Mitbestimmung und die Einheit der deutschen Teilstaaten. Doch die Proteste wurden von sowjetischen Truppen mit Panzern brutal niedergeschlagen. Über 60 Menschen starben, mindestens mehrere hundert wurden festgenommen. Was waren die Hintergründe des Aufstandes vom 17. Juni?
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Deutschland mehrere Jahre von den Siegermächten besetzt und schließlich kam es zur Teilung in "West" und "Ost": Im Mai 1949 wurde die Bundesrepublik Deutschland und fünf Monate später die Deutsche Demokratische Republik (abgekürzt DDR) gegründet. In Westdeutschland, das unter dem Einfluss der USA stand, wurde nach den Schrecken der Nazi-Diktatur eine Demokratie aufgebaut. Der Osten gehörte hingegen zur Besatzungszone der mächtigen Sowjetunion (kurz UdSSR), so dass die DDR unter ihrem Einfluss mehr und mehr dem Vorbild eines "sozialistischen" Staates angeglichen wurde.
Die UdSSR war 1922 gegründet worden und stand unter der Führung Russlands. 14 asiatische und europäische Länder gehörten zum sowjetischen Reich, das "kommunistisch" geführt wurde. Doch was bedeutete es, in einem "kommunistischen" oder auch "sozialistischen" System zu leben? Sozialismus gilt genau genommen als Vorstufe des "Endziels", ein kommunistisches Gesellschaftssystem zu errichten. Der Grundgedanke dieser Gesellschaftsform ist Gemeinschaft und Gleichheit - es soll keine Unterscheidung in "Arm" und "Reich" geben, und Privateigentümer werden größtenteils dem Staat übergeben. In den sozialistisch geführten Staaten, die unter der Herrschaft der Sowjetunion standen, wurde aber sehr viel Macht und Zwang auf die Bürger ausgeübt.
Die Menschen in Ostdeutschland konnten zum Beispiel nicht politisch mitbestimmen, es gab keine freien Wahlen und nur eine Partei, die das Sagen hatte: die "Sozialistische Einheitspartei Deutschlands" (abgekürzt SED), an deren Spitze der Politiker Walter Ulbricht stand. Westdeutschland erlebte in den Jahren nach der Gründung der beiden deutschen Teilstaaten einen starken Wirtschaftsaufschwung - man spricht auch von dem "Wirtschaftswunder" der 1950er Jahre. Der DDR hingegen ging es wirtschaftlich immer schlechter, es herrschte eine große Nahrungsmittelknappheit und der Unmut in der Bevölkerung wuchs. Was waren die Hintergründe des großen Aufstandes vom 17. Juni 1953?
Die DDR in der Krise
Die SED-Regierung unter Walter Ulbricht beschloss auf ihrer 2. Parteikonferenz im Juni 1952, den Aufbau des sozialistischen Systems nach dem Vorbild der UdSSR voranzutreiben und damit den strengen Kurs in der DDR weiterzuführen. Der Beschluss zum "Aufbau des Sozialismus" war Josef Stalin, dem Führer der Sowjetunion, von der SED vorgelegt und von ihm genehmigt worden.
Es wurde darin festgelegt, die so genannte "Planwirtschaft" auszubauen - in diesem System werden alle wirtschaftlichen Vorgänge von der Regierung aus gesteuert. Das bedeutet zum Beispiel, dass Eigentum wie Landgut in den Besitz des Staates übergeht und die Betriebe "verstaatlicht" werden. Die vom Staat festgelegten Auflagen, welche Mengen von welchen Gütern zu welchen Preisen produziert werden sollen, müssen genau eingehalten werden. Die Nahrung wurde in der DDR streng "rationiert", jedem Bürger standen also nur begrenzte Mengen an Brot, Gemüse oder anderen Lebensmitteln zu.
Die Menschen im Land hatten kaum Rechte, wurden überwacht und Kritiker des Systems verfolgt und festgenommen. Bereits bei kleineren Vergehen mussten die Bürger mit harten Gefängnisstrafen rechnen. Nicht wenige Menschen wurden eingesperrt, weil sie aus der Not heraus Nahrung stahlen. Immer mehr unzufriedene und verzweifelte DDR-Bürger wollten das Land verlassen, viele flohen in den Westen. Die "Republikflucht", wie die SED-Regierung sie nannte, wurde ab 1957 hart bestraft, da der Staat in den großen Fluchtwellen zunehmend eine Bedrohung für die Wirtschaft des Landes sah. Besonders junge und oft auch gut ausgebildete Menschen wollten Ostdeutschland verlassen, um im Westen ein neues Leben zu beginnen. Im Jahr 1952 verließen 182.000 Bürger die DDR, im Jahr darauf sogar 331.000.
Den ostdeutschen Teilstaat belasteten außerdem die hohen Ausgaben, die durch Zahlungen an die UdSSR als "Militärbeitrag" für das sowjetische Sicherheitssystem entstanden. Viele Gelder flossen in den Wiederaufbau der Schwerindustrie und die militärische Aufrüstung. Eingespart wurde dafür bei der Produktion von Lebensmitteln und Konsumgütern, worunter besonders die Menschen im Land zu leiden hatten, denn sie mussten überall "sparen" und es fehlte ihnen an fast allem - und die Arbeiter sollten künftig sogar noch mehr leisten und "produzieren".
Vom Arbeiterstreik zum Volksaufstand
Die Regierung beschloss nämlich im Mai 1953, die so genannten "Arbeitsnormen" um über zehn Prozent zu erhöhen. Das bedeutete, dass die Menschen innerhalb ihrer Arbeitszeiten zum gleichen Lohn noch mehr leisten mussten, um die Wirtschaft wieder voranzutreiben. Dies löste große Empörung bei den Arbeitern aus, die Unzufriedenheit im Land wuchs und die Partei verlor immer weiter an Zuspruch.
Um der aufgebrachten Stimmung innerhalb des Volkes entgegenzuwirken, verkündete die SED am 9. Juni einen "neuen Kurs", durch den die Versorgung der DDR-Bürger mit Nahrung und Konsumgütern verbessert werden sollte. Die Partei nahm jedoch die beschlossene Erhöhung der Arbeitsleistung nicht zurück, was zu Protesten innerhalb der Bevölkerung führte. Die Menschen erkannten die Verlogenheit des SED-Systems, das nicht im Sinne der Bürger handelte, eigentlich politisch am Ende war und um den Erhalt seiner eigenen Macht kämpfte.
So kam es am 16. Juni 1953 zu Streiks auf zwei Großbaustellen in Ost-Berlin in der damaligen Stalinallee und dem Krankenhausneubau im Stadtteil Friedrichshain. Die von der SED kurzerhand beschlossene Rücknahme der "Arbeitsnormen" kam zu spät und konnte die empörten Menschen auch nicht mehr besänftigen - ihr Unmut über die Zustände im Land reichte viel weiter. Immer mehr Bürger schlossen sich am 16. und 17. Juni den protestierenden Arbeitern an, um ihre Unzufriedenheit öffentlich zu zeigen. Am 17. Juni kam es in mehr als 250 ostdeutschen Städten zu Streiks und Demonstrationen. Über eine halbe Million Menschen waren schließlich an dem großen Volksaufstand beteiligt und forderten den Rücktritt der Regierung, Freiheit und politische Mitbestimmung sowie auch die Einheit der beiden deutschen Teilstaaten.
Brutale Niederschlagung der Proteste
Doch der Hoffnung der mutigen Menschen wurde bald ein Ende gesetzt. Schon am Mittag des 17. Juni 1953 rollten die Panzer der sowjetischen Armee in Berlin, Leipzig und vielen anderen Städten ein und bewaffnete Truppen der Volkspolizei rückten an. Der Staat erklärte den Ausnahmezustand, auf Protestierende wurde geschossen und die Aufstände wurden schließlich gewaltsam niedergeschlagen. 55 Demonstranten und bis zu 15 SED-Funktionäre sowie Sicherheitskräfte wurden getötet. Damit nicht genug: Um die ostdeutschen Bürger einzuschüchtern und weitere Proteste zu verhindern, wurden die aufständischen Menschen gnadenlos verfolgt. Hunderte Bürger wurden zu Gefängnisstrafen von bis zu 25 Jahren verurteilt oder in Zwangsarbeitslager und Gulags - so nannte man die brutalen sowjetischen Straflager - gebracht.
Westdeutschland blickte bestürzt auf das Geschehen am Tag des 17. Juni 1953, griff jedoch aus Angst vor einem militärischen Konflikt nicht ein. In der Bundesrepublik betonte man den Wunsch der DDR-Bürger nach einer Wiedervereinigung und erklärte den 17. Juni im August 1953 als "Tag der deutschen Einheit" zum gesetzlichen Feiertag. Die DDR-Regierung verdrehte die Vorgänge im Nachhinein und behauptete, dass die Aufstände von außen gelenkt worden seien und einen "faschistischen" Angriff auf das sozialistische System dargestellt hätten.
Zwar hatten die ostdeutschen Bürger deutlich gezeigt, dass sie mehrheitlich nicht hinter der geschwächten DDR-Regierung standen und ihren Rücktritt forderten, doch die mächtige Sowjetunion konnte die Freiheitsbestrebungen durch den Einsatz von Gewalt beenden. Damit bewies sie einmal mehr, dass das politische System in den "Ostblockstaaten" auf Zwang und Unterdrückung gründete. Ebenso wie in der DDR 1953 wurden auch die Volksaufstände in Ungarn 1956 und in der Tschechoslowakei 1968 ("Prager Frühling") von sowjetischen Truppen blutig niedergeschlagen. Erst Jahrzehnte später, als es Ende der 1980er erneut zu einer Welle von Demonstrationen kam und der Ruf nach Freiheit und Selbstbestimmung in den Ostblockstaaten immer lauter wurde, war der Zerfall des Sowjetreichs besiegelt. Der Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 leitete das Ende der DDR ein und am 3. Oktober 1990 wurde Deutschland wiedervereinigt.
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