von Antje Leser
"Du bete demütig! Du schütze! Und du arbeite!" Diese Worte beschreiben das dreigliedrige Ständesystem im Mittelalter und die Aufgaben, die die Menschen des jeweiligen Standes erfüllen mussten. Für die Menschen zur Zeit des "Feudalismus" waren die drei Stände eine von Gott gegebene Gesellschaftsform, die die himmlischen Ordnung widerspiegelte, an deren Spitze Gott stand.
Zum ersten Stand zählten Bischöfe, Äbte, Priester und Mönche, also Geistliche, die man unter dem Begriff "Klerus" zusammenfasst. Sie sollten sich um das "Seelenheil" der Menschen kümmern, beteten für sie und spornten sie zu einem gottgefälligen Leben an. Außerdem sorgten sie - notfalls mit schlimmen Prozessen - dafür, dass die Gebote Gottes und der Kirche eingehalten wurden. Als kleiner Prozentsatz der mittelalterlichen Bevölkerung konnten sie lesen und schreiben und beherrschten Latein, Griechisch und oft noch andere Sprachen. An ihrer Spitze stand der Papst als Vertreter Gottes auf Erden.
Der Klerus war mit vielen Privilegien, also Vorrechten, ausgestattet und musste sich nicht um seine Existenzsicherung sorgen. Während man sich den zweiten und dritten Stand nicht aussuchen konnte, konnte man den Priesterstand wählen. Da das Erbrecht im Mittelalter immer nur den erstgeborenen Sohn begünstigte, entschieden sich viele zweitgeborene Söhne adliger Ritter für den Eintritt in den Klerus. Theoretisch konnten selbst Handwerker oder Bauern in den Stand des Klerus wechseln und dort sogar bis zum Bischof aufsteigen - viele arme Menschen hatten allerdings nicht die Möglichkeit dazu.
In den zweiten Stand, den des Adels, wurde man hineingeboren und genoss wie der erste Stand zahlreiche Privilegien. Dabei war es egal, ob man zum Hochadel zählte oder dem meist verarmten Landadel angehörte. An der Spitze stand der Monarch - der König oder Kaiser -, den man als "von Gott auserwählt" betrachtete und der das Land regierte. Danach folgten Fürsten, Grafen und Ritter. Die Aufgaben des zweiten Standes lagen in der Verteidigung eines Landes, seiner Bevölkerung und des Klerus sowie in der Verteilung von Ländereien.
Dem dritten und größten Stand gehörte die restliche Bevölkerung an, also Bauern, Handwerker, so genannte "Leibeigene" und zum Teil auch wohlhabende Bürger. Ihre Aufgabe war es, zu arbeiten und die Existenz aller drei Stände zu sichern. Sie arbeiteten zum einen in der Landwirtschaft, für die sie Abgaben an den ersten und zweiten Stand leisten mussten. Außerdem produzierten sie Güter für das tägliche Leben, waren als Handwerker tätig oder erbrachten andere Dienstleistungen. Dabei hatten sie jedoch keine eigenen Privilegien und mussten - im Gegensatz zu den ersten beiden Ständen - hohe Steuern zahlen. Hungersnöte oder Seuchen wie die Pest machten ihnen das Leben schwer und oft fehlte es ihnen an grundlegenden Dingen wie ausreichend Nahrung. Auch hier entschied die Abstammung, wer zum dritten Stand zählte. Jeder Stand erforderte eine bestimmte Kleidung, sodass man bereits von weitem erkennen konnte, mit wem man es bei seinem Gegenüber zu tun hatte. Mit der Gründung der Städte im Hochmittelalter kamen zum dritten Stand die freien Bürger hinzu.
Zum Ende des Mittelalters und zu Beginn der frühen Neuzeit, also ab dem 14./ 15. Jahrhundert, änderte sich das Bild der Gesellschaft. Indem Adlige Angehörigen des dritten Standes spezielle Ämter übertrugen, entstand der so genannte Amtsadel. Somit konnten Bürgerliche in den Adel aufsteigen. Umgekehrt kam es vor, dass Adlige in den dritten Stand abstiegen, beispielsweise wenn sie verarmten und sich keine standesgemäße Lebensweise mehr leisten konnten. Im Zuge der Industrialisierung sprach man sogar von einem vierten Stand und meinte damit die Gruppe der verarmten Tagelöhner und Gelegenheitsarbeiter, die noch weniger Rechte hatten als die Angehörigen des dritten Standes. Obwohl die Unterscheidung in Adel, Klerus und Bürgertum bis ins 18. Jahrhundert nie wirklich infrage gestellt wurde, verloren die Stände ab dem Beginn der Neuzeit immer mehr an Bedeutung. Einen bedeutenden Umbruch stellte die Französische Revolution 1789 und die darauf folgenden Umstürze in Europa dar. Nach dem Ersten Weltkrieg und mit dem Ende der Monarchie wurden 1919 in Deutschland die letzten Privilegien der oberen Stände abgeschafft.
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