von Silke Bauerfeind
Ungefähr eines von 500 Kindern wird mit einer infantilen Zerebralparese geboren. Eine deutsche Schule hat im Durchschnitt 600 Schüler - das bedeutet, dass etwa jede Schule von einem Kind besucht wird, das diese Krankheit hat. Ein Grund mehr, sich schlau zu machen, was eine infantile Zerebralparese eigentlich genau ist und was es für Betroffene bedeutet, mit der Behinderung zu leben.
Sicher habt ihr schon mal Menschen gesehen, die sich komisch bewegen - ruckhaft, mit schiefer Beinstellung oder mit seltsamen Hüftbewegungen beim Laufen. Manche haben auch Probleme, das Gleichgewicht zu halten und scheinen zu torkeln. Andere brauchen Hilfsmittel wie Gehstützen, um überhaupt laufen zu können, wieder andere sitzen im Rollstuhl, weil ihre Beine sie nicht tragen können.
Die Bewegungsschwierigkeiten, die diese Menschen haben, können verschiedene Ursachen haben, zum Beispiel auch eine infantile Zerebralparese. Wörtlich übersetzt bedeutet der lateinische Zungenbrecher eine "unvollständige Gehirnlähmung", die schon vor oder während der Geburt entstanden ist. Da unsere Bewegungen vom Gehirn gesteuert werden, können sich Entwicklungsstörungen des Gehirns auch auf unsere Fähigkeit zu laufen auswirken. Je nachdem, an welchen Stellen und wie schwer das Gehirn geschädigt wurde, kann es noch zu weiteren Behinderungen kommen, wie zum Beispiel Epilepsie (spontan auftretende Krampfanfälle), geistige Behinderung, Sprachstörungen oder Schielen.
Woher kommt diese Krankheit?
Es ist sehr wichtig, dass sich Mütter während der Schwangerschaft gesund ernähren, keinen Alkohol trinken, nicht rauchen und keine sonstigen Drogen nehmen. Der Konsum dieser Mittel kann beim Baby schwere Schäden verursachen, unter anderem auch die infantile Zerebralparese.
Es ist aber auch wichtig zu wissen, dass in den meisten Fällen die Schuld für diese Erkrankung nicht bei der Mutter liegt, sondern durch Infektionskrankheiten wie Herpes, Röteln oder Toxoplasmose, die die Mutter während er Schwangerschaft bekommen kann, hervorgerufen wird. Ebenso kann das Gehirn des Babys vor der Geburt Schaden nehmen, wenn die Mutter unglücklich stürzt oder einen Unfall hat.
Die häufigste Ursache ist jedoch eine Frühgeburt, bei der das Baby außerdem noch zu wenig Sauerstoff bekommt. Babys werden manchmal so früh geboren, dass sie noch nicht stark genug sind, um sich gegen Bakterien und Viren zu wehren. Dann kann es zu Entzündungen der Hirnhäute kommen. Auch der Kopf ist bei zu früh geborenen Säuglingen so empfindlich, dass möglicherweise Hirnblutungen auftreten.
Diese Schwierigkeiten führen dann leider häufig zu einer infantilen Zerebralparese.
Welche Formen der Zerebralparese gibt es?
Eine Möglichkeit, verschiedene Zerebralparesen auseinanderzuhalten, besteht darin, sie danach zu unterscheiden, welche Körperteile betroffen sind: Bei einer Hemiparese ist nur eine Halbseite des Körpers gelähmt. Die Kinder ziehen dann zum Beispiel ein Bein nach oder lassen einen Arm hängen. Bei der Demiparese sind die Beine am stärksten betroffen. Die Kinder lernen oft erst mit fünf, sechs oder sieben Jahren zu laufen und brauchen dafür meist Hilfsmittel wie Gehstützen oder Rollatoren ("Gehwagen"). Bei Tetraparesen bereiten Beine, Arme, Rumpf und Kopf bei Bewegungen Probleme. Die Kinder lernen meist gar nicht zu laufen, manche können auch nicht stehen und nicht sitzen.
Zerebralparesen können aber auch voneinander unterschieden werden, indem man die Art der Bewegungsstörung genauer betrachtet. So kann es zum Beispiel sein, dass Kinder mit Zerebralparese Bewegungen machen, die sie gar nicht wollen, etwa das Zucken eines Armes oder das Vorschnellen eines Beins. Außerdem haben einige Probleme mit dem Gleichgewicht oder können nicht gleichzeitig Arme und Beine kontrollieren.
Die häufigste Störung ist die Spastik, bei der zum Beispiel die Beine so steif sind, dass Bewegungen nur sehr langsam oder nur eingeschränkt möglich sind. Daraus entsteht dann ein ungewöhnliches und auffälliges Gangbild. Übrigens wird die Beleidigung "Spasti" von dieser Krankheit abgeleitet. Ihr werdet sicher verstehen, dass sich Menschen, die mit einer Spastik leben, verletzt fühlen, wenn ihre Bewegungsstörung als Schimpfwort verwendet wird.
Versucht mal selbst, wie das ist!
Ihr habt gelesen, dass Kinder mit Zerebralparese für die Probleme bei den Bewegungen nichts können. Probiert einmal selbst aus, wie es ist, wenn Arme und Beine nicht mehr das tun können, was sie sollen. Hier ein paar Ideen, die ihr auch hintereinander in einen Parcours einbinden könnt, um als Gruppe zu erleben, wie es ist, mit einem Handicap klarzukommen. Die eine oder andere Übung könnt ihr vielleicht auch in der Schule im Sportunterricht anregen, um auf das Thema aufmerksam zu machen.
1. Dreht eine Langbank um, so dass die schmale Seite nach oben zeigt oder nehmt einen liegenden Baumstamm. Dann zieht euch viel zu große Gummistiefel oder andere riesige Schuhe an und balanciert auf Bank oder Baum.
2. Bindet eure beiden Knie zusammen und versucht laufend von A nach B zu kommen.
3. Hängt euch an ein Bein ein schweres Gewicht - zum Beispiel um die Knöchel eine schwere Tasche - und lauft in Form einer Acht um zwei auseinander gestellte Stühle.
4. Tragt von A nach B einen Becher mit Wasser. Eine Freundin oder ein Freund geht hinter euch und schubst euren Arm immer mal wieder ein Stück nach vorne, ohne dass ihr wisst, wann das geschieht. Nicht übertreiben - es soll ja keine Verletzten geben, aber es ist eine ganz besondere Erfahrung zu sehen, wie es ist, wenn der Arm plötzlich etwas anderes tut, als man das beabsichtigt hatte.
5. Vielleicht habt ihr die Möglichkeit, einen Rollstuhl auszuleihen. Dafür kann man zum Beispiel bei einem Seniorenheim, einer Sozialstation oder einer Schule mit behinderten Kindern freundlich nachfragen. Dann ist es eine spannende Sache, mit dem Rollstuhl Wege abzufahren, die Straßenseite zu wechseln und dabei Gehsteige hoch und runter zu fahren - oder auch mal eine kleine Strecke mit dem Bus zu nehmen. Auch in ein Geschäft zum Einkaufen zu fahren, ist mit einem Rolli ein besonderes Erlebnis. Macht das aber bitte nicht alleine, weil ihr nicht geübt seid und euch leicht verletzen könntet!
Wahrscheinlich sind diese Übungen beim Ausprobieren sehr witzig für euch. Ihr solltet dabei dennoch überlegen, was es für Menschen bedeutet, die ihr Leben lang mit diesen Einschränkungen zu kämpfen haben.
Kann man die Krankheit heilen?
Heilen kann man eine Zerebralparese leider nicht, aber man kann die Symptome behandeln und damit dazu beitragen, dass die Aktivitäten im Alltag besser zu bewältigen sind und sich die Menschen wohler fühlen.
Viele Kinder gehen regelmäßig zur Krankengymnastik, um ihre Beweglichkeit zu verbessern. Manche müssen auch operiert werden, um zum Beispiel verkürzte Sehnen zu verlängern. Es gibt außerdem Medikamente, die gespritzt werden, um eine Spastik zeitweise zu lösen. Kinder, die zusätzlich Sprachprobleme haben, bekommen auch Logopädie - das ist eine Therapie für Menschen mit Sprach-, Stimm-, Schluck- oder Hörbeeinträchtigungen. Außerdem stehen Hilfsmittel wie Rollator (Foto rechts), Rollstuhl oder Gehstützen zur Verfügung.
Wie gehe ich mit betroffenen Mitmenschen um?
Erfreulicherweise können immer mehr Kinder mit körperlichen Behinderungen auch eine normale Regelschule besuchen. Sicher fallen dort gerade Schüler mit Zerebralparesen wegen ihrer unkontrollierten und seltsamen Bewegungen sofort auf. Was sie aber nicht gebrauchen können und was sie verletzt, sind hässliche Sprüche und gemeines Auslachen.
Menschen mit Behinderungen wollen aber auch nicht bemitleidet werden, sondern freuen sich, wenn sie ganz normal behandelt werden, man ihnen bei offensichtlichen Schwierigkeiten Hilfe anbietet und gern mit ihnen befreundet ist. Obwohl von Zerebralparese Betroffene oft ein Leben lang auf fremde Hilfe angewiesen sind, muss man sie dennoch als vollwertige Mitmenschen respektieren.
Viele Dinge, die für uns selbstverständlich sind, wie zum Beispiel ins Kino, Shoppen oder ins Schwimmbad gehen, Sport treiben und die Eisdiele besuchen, sind für körperlich behinderte Mitmenschen nicht ohne weiteres möglich. Daher gehört ihnen unser größter Respekt, weil sie ihr Leben dennoch meistern und sie oft sogar fröhlicher sind als manch gesunder Mitmensch.
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