Während in den USA jeder Polizist die Gebärdensprache beherrscht, haben es schwerhörige und gehörlose Menschen bei uns viel schwerer, sich im Alltag zurecht zu finden. Kaum jemand spricht und versteht ihre Sprache. In Österreich ist die Gebärdensprache seit dem 1. Januar 2006 offizielle Landessprache.
Als gehörlos werden streng genommen nur die Menschen bezeichnet, die von Geburt an nicht gehört haben und deshalb nie "normal" sprechen lernen konnten. Andere Menschen mit Hörbehinderung sind im Laufe ihres Lebens taub geworden - etwa durch einen Unfall - oder hören mit der Zeit immer weniger, sind also schwerhörig.
Das Sprechen fällt den meisten schwerhörigen oder ertaubten Menschen leicht, weil sie es als Kinder erlernt haben. Auch wenn sie irgendwann nicht mehr hören, was sie selber sagen, können sie sich meist noch gut daran erinnern, wie sie die Worte aussprechen müssen. Gehörlose, die niemals hören konnten, haben dagegen viel mehr Schwierigkeiten damit, Worte richtig und verständlich auszusprechen. Denn sie haben ja noch niemals gehört, wie jemand dieses Wort ausgesprochen hat.
Sprache mit Armen, Händen und Fingern
Viele hörgeschädigte Menschen haben es mit der Zeit gelernt, ihren Gesprächspartnern so genau auf die Lippen zu sehen, dass sie alle Sätze verstehen, ohne sie zu hören. Allerdings erfordert dies sehr viel Übung. Eine sehr gute Möglichkeit für Hörgeschädigte, sich im Alltag zu verständigen, ist die so genannte Gebärdensprache. Sie funktioniert, indem man sehr deutlich seinen Mund bewegt und dazu mit einer - zumindest für den ahnungslosen Betrachter - unglaublichen Geschwindigkeit eine Vielzahl verschiedener Zeichen mit Armen, Händen und Fingern macht. Auch die Mimik (die Sprache des Gesichts) spielt eine große Rolle. Wie bei den gesprochenen Sprachen gibt es zehntausende Vokabeln und natürlich auch eine eigene Grammatik. Gehörlose Kinder und Jugendliche lernen die Gebärdensprache in speziellen Schulen.
Es gibt viele Menschen, die glauben, dass die Gebärdensprache überall auf der Welt gleich ist. Aber das stimmt nicht. Wie es bei der "normalen" Lautsprache in jedem Land ein anderes Wort für denselben Gegenstand gibt, so gelten auch bei der Gebärdensprache in jedem Land unterschiedliche Handzeichen.
Ein englischer Gehörloser versteht also einen Deutschen nur, wenn der die deutsche Gebärdensprache als Fremdsprache gelernt hat. Es gibt sogar Dialekte, deren Gebärden sich zum Teil recht stark unterscheiden können. So existiert neben der deutschen Gebärdensprache (DGS) die österreichische (ÖGS) und die Deutschschweizer Gebärdensprache (DSGS).
US-Polizisten sprechen Gebärdensprache
Es ist sicher schön und gut, wenn sich Gehörlose untereinander mit der Gebärdensprache verständigen können, doch hilft ihnen das im Alltag oft nicht weiter. Denn es gibt bei uns kaum hörende Menschen, die die Gebärdensprache erlernen. Es ist zum Beispiel in keiner "normalen" Schule möglich, als zweite oder dritte Fremdsprache "Deutsche Gebärdensprache" zu wählen.
Für Gehörlose ist es oft ein Problem, dass hörende Menschen sie nicht verstehen. Beim Einkaufen oder in einer Behörde müssen sie versuchen, ihren Gesprächspartnern von den Lippen abzulesen. Das ist oft schwierig, weil diese zu schnell oder zu undeutlich sprechen oder sich beim Reden so wegdrehen, dass man ihren Mund nicht mehr sehen kann. In wichtigen Angelegenheiten wird auch manchmal ein Gebärdendolmetscher gerufen, der aber viel Geld kostet. Das macht man zum Beispiel, wenn ein gehörloser vor Gericht als Zeuge vernommen werden muss. Wenn ein Gehörloser in Not gerät und schnell Hilfe von der Polizei, einem Arzt oder der Feuerwehr braucht, kann es schlimme Folgen haben, dass ihn niemand versteht.
Dass es auch anders geht, zeigen die Vereinigten Staaten von Amerika (USA). Dort muss jeder Beamter während seiner Ausbildung die us-amerikanische Gebärdensprache lernen. Dadurch können alle Polizisten, Feuerwehrleute und alle sonstigen Beamten zumindest jedem "englischgebärdensprachigen" Gehörlosen im Notfall weiterhelfen. Das hat schon einigen Menschen das Leben gerettet. In Deutschland halten es dagegen fast alle Polizeibeamten nicht für nötig, die Gebärdensprache zu erlernen. Bislang gibt es nur ganz wenige Ausnahmen.
Gebärdensprache wurde offizielle Landessprache
Doch es gibt Hoffnung für die Gehörlosen. Seit Januar 2006 ist die Gebärdensprache in Österreich neben dem gesprochenen Deutsch offizielle Landessprache. Das bringt den etwa 10.000 gehörlosen Österreichern, die die Gebärdensprache sprechen und verstehen können, jedoch vorerst kaum Vorteile.
Denn die Gebärdensprache wird dadurch nicht in mehr Schulen als mögliche zweite oder dritte Fremdsprache angeboten. Auch in die Ausbildung von Beamten wird die österreichische Gebärdensprache (ÖSG) nicht aufgenommen. Es gibt weiterhin kein Recht auf einen Gebärden-Dolmetscher in einer Behörde oder einer Universität. Und zusätzliches Geld für die Ausbildung und Anstellung von Gebärdensprach-Dolmetschern soll es auch nicht geben.
Dolmetscher sind in Deutschlands Ämtern Pflicht
In Deutschland wurden in den vergangenen Jahren die Rechte der etwa 600.000 schwer hörbehinderten Menschen stark ausgebaut. Das so genannte Gleichstellungsgesetz von 2002 erkennt die Gebärdensprache als eigenständige Sprache an. Alle Behörden müssen nun jedem gehörlosen Bürger auf Wunsch einen Gebärdensprach-Dolmetscher zur Verfügung stellen, wenn sie etwas in einem Amt zu erledigen haben. Auch wenn Gehörlose zum Arzt gehen oder ins Krankenhaus müssen, haben sie Anspruch auf einen Dolmetscher, der von der Krankenkasse bezahlt wird.
Das "Anti-Diskriminierungsgesetz" (Gesetz gegen Benachteiligungen) regelt außerdem, dass behinderte Menschen nicht daran gehindert werden dürfen, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Wer trotzdem benachteiligt wird, kann seine Rechte vor Gericht einklagen.
In der Schweiz ist die Schweizer Gebärdensprache DSGS seit Februar 2005 im Kanton Zürich verfassungsmäßig anerkannt. Es steht noch in den Sternen, ob und wann die anderen Kantone nachziehen werden.
Wenn du auf die "Pfeil-Zurück-Taste" klickst, kannst du lesen, wie Sandra und Jaqueline mit ihrer Gehörlosigkeit zurechtkommen (Beitrag "Wir fühlen uns oft ausgeschlossen"). Die beiden Schülerinnen besuchen die Josef-Rehrl-Schule für gehörlose und schwerhörige Kinder in Salzburg.
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