"Wir fühlen uns oft ausgeschlossen"

Teil 1 von 2

Kannst du dir vorstellen in einer völlig stillen Welt zu leben, in der es keine Musik, keinen Verkehrslärm und keine Stimmen gibt? Für Sandra (15) und Jaqueline (14) ist das ganz normal. Denn sie können von Geburt an nicht hören. Das Helle Köpfchen hat sich mit den beiden Schülerinnen der Josef-Rehrl-Schule für gehörlose und schwerhörige Kinder in Salzburg über ihre Wünsche und Sorgen unterhalten.


Jaqueline geht gerne ins Kino. Deshalb will sie, dass künftig alle Filme untertitelt werden. (Quelle: Jaqueline, Josef Rehrl Schule Salzburg)

Helles Köpfchen: Worin unterscheidet sich euer Alltag von dem eines Menschen, der hören kann?
Jaqueline: Wenn ich bei meiner Mutter bin, verwenden wir zwar eine Mischform aus Gebärdensprache und Lautsprache. Aber vieles bekomme ich trotzdem nicht mit.
Sandra: Mein Leben ist schon okay. Es unterscheidet sich durch Einiges von dem der Hörenden. In meiner Familie hören alle außer mir. Deshalb gibt es oft Kommunikationsprobleme. Andere reden irgendetwas, und ich weiß nicht, worum es geht. Meine Schwester hat Geheimnisse vor mir. Deshalb bin ich lieber mit Hörbehinderten zusammen. In meinem Alltag stört mich besonders, dass es bei Filmen im Kino keine Untertitel gibt, in denen geschrieben steht, was die Personen sagen. Deshalb bekomme ich nur sehr wenig mit.

HK: Habt ihr - außer Kino - noch weitere Hobbys?
Sandra: Ich reite sehr gerne. Im Stall treffe ich oft eine gehörlose Freundin.
Jaqueline: Mein Hobby ist reisen. Bis jetzt bin ich immer mit meiner Mutter verreist.

Sandra will, dass mehr Hörende die Gebärdensprache lernen. (Quelle: Sandra, Josef Rehrl Schule)

HK: Sind die Menschen, mit denen ihr zu tun habt, auch alle gehörlos?
Sandra: In der Schule und im Internat bin ich mit Hörbehinderten zusammen, aber zu Hause können alle hören.
Jaqueline: Privat bin ich nur mit Hörenden zusammen.

HK: Fühlt ihr euch manchmal von der Gesellschaft ausgeschlossen?
Jaqueline: Ich bin oft mit meiner Mutter unterwegs und fühle mich dann oft einsam, weil ich nichts verstehe, wenn sie sich mit jemandem unterhält.
Sandra: Ausgeschlossen sein ist typisch für uns Gehörlose. Auf meine Fragen bekomme ich meistens nur sehr kurze Antworten.

HK: Sehen euch andere Menschen manchmal komisch an, weil ihr nicht hören und deshalb nicht so deutlich sprechen könnt?
Jaqueline: Natürlich passiert es immer wieder, dass wir blöd angestarrt werden – aber mir ist das egal! Im Augenblick fällt mir aber keine besondere Situation ein, in der mir das passiert ist.
Sandra: Ich habe häufig das Gefühl, dass ich komisch angesehen werde. Einmal bin ich mit meinen gehörlosen Freundinnen im Bus gefahren und wir haben gebärdet (uns mit Zeichen in der Gebärdensprache unterhalten). Neben uns saßen drei Mädchen, die uns nachgeäfft und verspottet haben. Das war schlimm! Ich habe aber auch schon Positives erlebt. Immer wieder bemühen sich Hörende, sich mit mir zu verständigen.

HK: Wie wichtig ist für euch die Gebärdensprache, um euch zu verständigen?
Sandra: Die Österreichische Gebärdensprache (ÖGS) ist für mich eine große Hilfe. Ich verwende sie in der Schule, im Internat und mit meiner gehörlosen Freundin.
Jaqueline: Im Unterricht ist die ÖGS sehr wichtig. Wir können den Stoff so viel besser verstehen und es ist auch spannender.

Gehörlose fühlen sich oft ausgegrenzt, wenn sie nicht wissen, worüber andere reden. (Quelle: Kai Hirschmann (Helles Köpfchen))

HK: Und wie versteht ihr Gesprächspartner, die keine Gebärdensprache können?
Sandra: Ich kann von den Lippen lesen. Aber der Partner muss langsam und deutlich sprechen und darf keinen Kaugummi kauen.
Jaqueline: Einfache Inhalte verstehe ich mit Lippen lesen, aber ich muss oft nachfragen.

HK: Wer hat euch die Gebärdensprache beigebracht?
Jaqueline: Ich bin schon mit fünf Jahren in einen Gehörlosen-Kindergarten gekommen und habe dort alles gelernt.
Sandra: Ich war zunächst in einer ganz normalen, hörenden Grundschule und bin erst mit zehn Jahren in die Gehörlosenschule gekommen. Erst dort habe ich ÖGS gelernt.

HK: Beherrschen auch eure Eltern und eure hörenden Freunde die Gebärdensprache?
Jaqueline: Meine Mutter kann ein bisschen gebärden, aber meistens verwenden wir die Lautsprache (ganz "normale" Sprache). Unsere Bekannten können nicht gebärden. Ich habe in meiner Freizeit keinen Kontakt zu Leuten, die die Gebärdensprache beherrschen.
Sandra: Meine Mutter hat einmal einen Gebärden-Sprachkurs gemacht, hat aber wieder alles vergessen. Meine hörenden Bekannten können alle nicht gebärden.

HK: Wo stoßt ihr im Alltag auf Probleme?
Sandra: Zum Beispiel beim Einkaufen, beim Arzt oder im Gasthaus. Aber meine Eltern sind eine große Hilfe. Beim Fernsehen bekomme ich nicht viel mit, da es viel zu wenig Sendungen mit Untertiteln gibt.
Jaqueline: Dem schließe ich mich an.

Unterhaltung in Gebärdensprache. (Quelle: Josef-Rehrl-Schule (www.josef-rehrl-schule.salzburg.at))

HK: Was sollten die Politiker für gehörlose Jugendliche tun?
Sandra: Sie sollten die Gehörlosenzentren mehr unterstützen. Die Dolmetscher sollten bezahlt werden, damit wir uns leichter mit hörenden Menschen unterhalten können. Und im Fernsehen sollten Untertitel zwingend vorgeschrieben sein.
Jaqueline: Auch im Kino sollten alle Filme untertitelt sein.

HK: Österreich wird die Gebärdensprache schon bald als offizielle Landessprache anerkennen. Was erwartet ihr davon?
Jaqueline: Ich hoffe, dass dann mehr Gebärden-Dolmetschdienste bezahlt werden!
Sandra: Durch die Anerkennung erwarte ich mir einen besseren Unterricht.

HK: Habt ihr einen besonderen Wunsch für die Zukunft?
Sandra: Ich möchte, dass künftig mehr Hörende die Gebärdensprache lernen.
Jaqueline: Mehr Dolmetschdienste im Alltag!

Im nächsten Teil "Die Sprache der Gehörlosen" schildern wir dir, was es mit der Gebärdensprache genau auf sich hat. Es gibt nicht nur eine einzige Gebärdensprache, sondern sehr viele verschiedene - und sogar Dialekte (auf "Weiter" klicken).

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letzte Aktualisierung: 30.10.2011

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