von Lara Nina Weber - 09.01.2006
Wie ist das Leben, wenn man blind ist und man überhaupt nichts sehen kann? Wenn die Welt um einen herum nur schwarz ist? Die Ausstellung "Dialog im Dunkeln" gibt die Antwort. Dort müssen sich sehende Besucher in der stockdunklen Welt der Blinden zurechtfinden. Helles-Köpfchen-Reporterin Lara Nina Weber hat es ausprobiert.
Vor dem Eingang ist noch alles hell erleuchtet. Doch hinter der Öffnung in der roten Wand liegt eine stockfinstere und schwarze Welt. Ich darf sieben Kinder und ihre Lehrerin der Klasse 3a der Elsa-Brändström-Schule in Frankfurt bei ihrem Rundgang durch dieses ungewöhnliche Museum begleiten. Besonders ist es schon deshalb, weil es hier absolut nichts zu sehen gibt.
Unser Führer ist der einzige aus der Gruppe, der tatsächlich blind ist. Er drückt jedem von uns einen langen, weißen Stock in die Hand. Gleich werde ich meine vertraute helle und bunte Umgebung verlassen und in die unbekannte Welt der Blinden eintreten. Mir ist mulmig zumute. Aber dann gehe ich ein paar entschlossene Schritte vorwärts und folge den Schülern durch den schwarzen Eingang.
Der Lehrerin auf die Füße getreten
Zunächst geht es einen schmalen Gang entlang. Je weiter wir uns vom Eingang entfernen, desto schwächer wird das Licht. Bald ist es stockfinster, und ich erkenne noch nicht einmal meine eigene Hand vor Augen. Ehrlich gesagt bekomme ich ein bisschen Angst. Ich halte mich an meinem Stock fest, der mir ein wenig Sicherheit gibt.
Ich schlurfe mehr durch den Gang als dass ich gehe. Ständig trete ich der armen Klassenlehrerin auf die Füße. Dann betreten wir den ersten Raum. Hier ist es kühler. Es riecht angenehm frisch, und der Boden fühlt sich seltsam an. Bei jedem Schritt knirscht es unter meinen Füßen. Ich bleibe stehen und überlege. Es dauert eine Weile bis ich begreife, dass es sich um Kiesel handelt.
Allein im Dunkeln
Die anderen aus meiner Gruppe sind bereits weiter gegangen, und plötzlich stehe ich ganz alleine da. Einsamkeit und das Gefühl, verlassen worden zu sein steigt in mir auf. Ich halte den Atem an und lausche angestrengt, bis ich endlich etwas höre. So schnell es geht folge ich den Geräuschen. Bald kann ich Stimmen unterscheiden, die immer lauter werden. Schließlich stelle ich erleichtert fest, dass ich wieder Anschluss an meine Gruppe gefunden habe.
Meine Hand schrammt an einer rauen Fläche entlang. Ich befühle das Hindernis und mein Tastsinn bestätigt mir, dass es sich um die Rinde eines Baumes handelt. Allmählich fügen sich die einzelnen Puzzle-Teile zu einem kompletten Bild zusammen. Baum plus Kiesel plus frischer Waldduft gleich Park. Der erste Raum des Museums ist eine nachgebaute Parkanlage.
Eintauchen in eine unbekannte Welt
Seit November können sehende Besucher im Frankfurter Museum "Dialog im Dunkeln" die Welt der Blinden erkunden. Dialog bedeutet soviel wie Gespräch oder Meinungsaustausch zwischen zwei Menschen. Ich frage mich, was es mit dem Namen für diese Ausstellung auf sich hat. Später wird mir die Geschäftsführerin des Museums, Klara Kletzka, erklären: „Gemeint ist der Dialog zwischen der Gruppe und ihrem blinden Führer. Indem man miteinander ins Gespräch kommt, verbessert sich das Verständnis und gleichzeitig auch das Verhältnis zwischen sehbehinderten und sehenden Menschen.“
Der Mann, der vor einigen Jahren die ungewöhnliche Ausstellung erfunden hat, heißt Andreas Heinecke. Er kann übrigens sehr gut sehen. Wer ihn fragt, wie er auf die Idee gekommen ist, bekommt zur Antwort, dass Sehende oft Berührungsängste gegenüber Blinden haben. Seiner Ansicht nach liege das daran, dass sich sehende Menschen nicht in die Lage von Sehbehinderten hineinversetzen können. Der "Dialog im Dunkeln" soll genau dies ermöglichen. Bis heute wurde die Ausstellung schon in 17 Ländern gezeigt. In Frankfurt soll sie eine feste Einrichtung bleiben.
Orientierungslos im Blumenbeet
Im Museum sind Besucher gezwungen, sich mit Hilfe aller ihrer Sinne außer den Augen in verschiedenen Alltagssituationen zurechtzufinden. Dafür müssen sie bereit sein, sich auf eine völlig neue, unbekannte Situation einzulassen. Denn hier sind es nicht die Sehenden, die dem Blinden freundlich anbieten, ihn zum Beispiel über eine viel befahrene Straße zu bringen. Sondern die Sehenden sind auf die Hilfe eines "erfahrenen" Blinden angewiesen, damit sie sich nicht in einer völlig unbekannten Welt verirren.
Hast du gewusst, dass der sehende Mensch etwa 90 Prozent aller Informationen über die Augen aufnimmt? Jedenfalls normalerweise. Doch hier in der völligen Dunkelheit bringen mir meine Augen überhaupt nichts. Im nachgebauten Park bin ich vom Weg abgekommen und tapse nun orientierungslos in einem Blumenbeet herum.
Dank meines Blindenstocks, den blinde Menschen übrigens Langstock nennen, finde ich schließlich auf den Weg zurück. "Ich sehe lauter helle Blitze vor meinen Augen", ruft ein verwundertes Mädchen aus der 3a. Unser Führer sagt uns, dass das völlig normal sei. Wenn kein echtes Licht da ist, suche unser Auge angestrengt nach irgendwelchen Reizen, die uns dann wie kleine Blitze vorkämen. Schlurfend und mit der freien Hand in alle Richtungen tastend, folge ich der Gruppe in den nächsten Raum.
Das hätte gefährlich werden können
Verkehrsgeräusche empfangen mich. Wir befinden uns offenbar mitten in einer namenlosen Stadt. Nachdem ich ein paar Mal seitlich vom Bürgersteig abgerutscht bin, setze ich ständig den Langstock ein. Tapp, tapp, tapp - das Geräusch vermittelt mir langsam mehr Sicherheit, so dass ich nicht mehr so viel mit meiner ausgestreckten Hand vor meinem Körper herumzufuchteln brauche. Plötzlich bekomme ich einen Schrecken. Was wäre passiert, wenn ich im richtigen Leben vom Gehsteig abgekommen wäre?, denke ich mir. Ich hätte überfahren werden können.
Ein leises Stimmengewirr holt mich wieder ein. "Das ist eine Bar“, sagt jemand. Barmusik ertönt leise aus allen Ecken und die Kinder der 3a bestellen eifrig einen der Snacks, die der Barmann ihnen zuvor aufgezählt hat. Der Führer leitet uns zielsicher zu einer gemütlichen Sofaecke, wo wir anschließend alle essen und uns unterhalten. Jemand tatstet nach mir. Eine Mädchenstimme fragt: "Wer bist du?“ Ich antworte "Lara" und erkundige mich ebenfalls danach, mit wem ich spreche. "Ich bin Francesca." Ich stelle fest, dass Francesca ein Hanuta isst. Es riecht in ihrer Nähe ganz deutlich nach Schokolade mit Haselnüssen.
"Wie hat es dir hier gefallen?", will ich von ihr wissen. Francesca überlegt kurz und antwortet dann: "Ich fand es schon beängstigend. Aber ich bin jetzt auch total stolz auf mich, dass ich es geschafft habe im Dunkeln durchzuhalten." Ich nicke, was aber niemand sehen kann, und stimme ihr dann zu: "Ja, da hast du Recht. Mir geht es genauso." Als ich endlich wieder aus der Dunkelheit trete, brennen meine Augen. Ich muss sie zusammenkneifen und versuche sie mit der Hand vor dem Tageslicht zu schützen. Auch wenn ich mich erst wieder langsam an das Licht gewöhnen muss, war ich noch nie so glücklich, wieder alles sehen zu können.
Hinweis: Die Ausstellung Dialog im Dunkeln ist nicht nur in Frankfurt, sondern auch in Hamburg (Speicherstadt) zu sehen. Außerdem hat sie im Jahr 2006 auch in der Wiener Stadthalle eröffnet. Mehr Informationen sind bei den Linktipps zu finden.
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