von Britta Pawlak - 27.03.2008
Die Discounter-Kette Lidl sorgt in diesen Tagen für Aufsehen. Nicht wegen der Niedrig-Preise oder ihrer Produkte, sondern vielmehr wegen eines unzumutbaren Verhaltens den Angestellten gegenüber. Es wurde bekannt, dass Lidl-Mitarbeiter auf Schritt und Tritt kontrolliert, gefilmt, abgehört und ausspioniert worden sind - auch über viele Details aus ihrem Privatleben. Die Mitarbeiter reagierten schockiert auf diese Enthüllungen, in den Nachrichten ist die Rede von "Stasi-Methoden".
Die Discounter-Kette Lidl ist bekannt für ihre niedrigen Preise. Allgemein bekannt ist auch, dass die Situation der Angestellten bei Lidl alles andere als komfortabel ist. Viele Jahre hat sich der riesige Konzern gegen Betriebsräte und dergleichen in den eigenen Unternehmen gewehrt, die die Stellung ihrer Angestellten stärken würden. Trotz aller Anstrengungen der Gewerkschaft Verdi wurden bis heute nur fünf Arbeitnehmer-Vertretungen in den insgesamt 2.850 deutschen Zweigstellen durchgesetzt.
Gewerkschaften setzen sich für die Rechte von Angestellten ein - zum Beispiel für mehr Lohn, bessere Arbeitszeiten und mehr Mitbestimmung in den Betrieben. Die Arbeitsbedingungen sind für die Angestellten von Lidl hart, das Gehalt vergleichsweise gering. Seit langem wird der Abschluss von eigenen Tarifverträgen gefordert. In einem solchen Vertrag wird zum Beispiel genau geregelt, wie hoch das Gehalt und die Anzahl an freien Tagen für die Mitarbeiter ist.
Regelrecht schockierend sind allerdings die Nachrichten, die uns in diesen Tagen erreichen: Als "potenzielle Verbrecher", "unfähige Mitarbeiter", "arglistig" und "arbeitsscheu" soll Lidl selbst viele seiner Angestellten einstufen. Zumindest die Berichte zweier von Lidl beauftragten Detekteien - also "Detektivbüros" - enthalten genaue Angaben über Mitarbeiter verschiedener Lidl-Geschäfte. Sogar Informationen wie "Das Guthaben auf ihrem Handy beträgt nur noch 85 Cent" wurden herausgefunden und notiert. Welches Interesse besteht an solchen Informationen über die Angestellten? Wieso wurden sie in Auftrag gegeben und aufgezeichnet?
Vorwurf an Lidl: "Stasi-Methoden" im Supermarkt
Beispielsweise wurde über jeden Mitarbeiter der betroffenen Filialen in den Berichten festgehalten, wann und wie lange dieser am Tag auf der Toilette zubrachte, ob er in seinem Urlaub die Filiale besuchte und was er dabei trug ("Herr S., der ja nun Urlaub hat, taucht wieder im Markt auf - natürlich in seinem Muskelshirt"). Darüber hinaus tauchen in dem Bericht charakterliche Einschätzungen über die Mitarbeiter auf (wie zum Beispiel "verschlossen", "wirkt naiv" oder "ist ungeeignet für den Job"). Ebenso wurden Telefonate belauscht, wie das einer Mitarbeiterin, die sich mit einer Freundin zum Kochen verabreden wollte, aber nicht sicher war, ob sie noch genügend Geld zum Einkaufen auf dem Konto habe. Dreister kann man als Arbeitgeber kaum vorgehen.
Ein Ausspionieren dieser Art hat natürlich nichts mehr mit Überwachen von Ladendiebstählen zu tun. Es ist ein extremer Einschnitt in die Rechte eines Einzelnen und seine Privatsphäre. Eine solche Art der Spionage ist verboten und spricht gegen jegliche demokratischen und moralischen Grundsätze. Die Mitarbeiter von Lidl waren ahnungslos und entsetzt, als bekannt wurde, dass sie über einen längeren Zeitraum auf Schritt und Tritt beobachtet, gefilmt und abgehört wurden. Als Mitarbeiter von Detekteien in den Lidl-Filialen auftauchten, wurden die Angestellten in dem Glauben gelassen, die Sicherheitsmänner und die vielen von ihnen installierten Minikameras dienten einzig der Aufdeckung von Ladendiebstählen. Dass es letztendlich sie selbst waren, auf die ihr Arbeitgeber es abgesehen hatte, hätten sie niemals geglaubt. Darüber hinaus besteht der Verdacht, dass auch Kunden bei Lidl ausspioniert wurden. So sollen an Lidl-Kassen Überwachungskameras möglicherweise auch die Eingabegeräte erfasst haben, bei denen der Käufer seine Geheimzahl eingibt.
Verhaltenskontrolle der Angestellten
Nun hat das Baden-Württembergische Innenministerium die Ermittlungen aufgenommen. Lidl hat die Grundrechte der Mitarbeiter verletzt, da die Detekteien sogar über die Arbeitsstelle hinaus und im Privatleben der Mitarbeiter ermittelten. In den Berichten wimmelt es nur so von persönlichen Informationen über die Mitarbeiter. Auch "Verbesserungsvorschläge" zu den Personen wurden von Angestellten der Detekteien gemacht: So solle doch eine an den Unterarmen tätowierte Mitarbeiterin, deren Tatoos eher "nach Marke Eigenbau aussehen", besser langärmlige Kleidung tragen.
Was genau wollte Lidl mit all den Informationen anfangen? Schon länger besteht der Vorwurf, dass Informationen dieser Art über die Mitarbeiter genutzt werden, um Druckmittel gegen sie in der Hand zu haben. So wird schnell einmal eine Beschwerde über eine nicht erfolgte Gehaltserhöhung oder gar Kürzung des Gehaltes zurückgezogen, wenn eventuelle private Dinge ans Licht treten könnten. Auch sollen Mitarbeiter entlassen werden, die sich für das Wohl der Kollegen oder für ihre Rechte einsetzen und Lidl zu unbequem werden. Der Discounter wendet damit Praktiken an, die in einem Rechtsstaat keinen Platz finden dürften. Die Bespitzelung der Angestellten erinnert gar an Maßnahmen totalitärer Überwachungsstaaten. Die Bezeichnung "Stasi-Methoden" nimmt Bezug auf die Vorgehensweise des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, durch den viele Bürger bespitzelt wurden.
Da stellt sich die berechtigte Frage, ob man als Mitarbeiter eigentlich einem Arbeitsvertrag oder eher der "Leibeigenschaft" untersteht. Bisher weist die Supermarkt-Kette Lidl den Vorwurf, sie hätte ihre Angestellten mit System bespitzelt, zurück und betont, dies sei nicht beabsichtigt gewesen. Überwachungen seien nur zur Verhinderung und Aufklärung von Diebstählen vorgesehen. Mit der Entschuldigung, die Lidl nun an seine Mitarbeiter richtete, ist die Sache jedoch noch längst nicht geklärt und aus der Welt geschaffen.
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