von Tanja Lindauer - 28.03.2012
"Gestatten, mein Name ist Dr. Karl May, genannt Old Shatterhand." So stellte sich der Schriftsteller seinen Besuchern vor und drückte ihnen eine Visitenkarte in die Hand. Doch weder hatte er einen Doktortitel noch wurde er Old Shatterhand genannt. Karl May war zwar ein großer Schriftsteller, dessen Bücher von den Lesern regelrecht verschlungen wurden. Aber er war auch ein Lügner, Dieb und Haudegen. Am 30. Mai ist der 100. Todestag des Mannes, der Winnetou erfand und dessen Biografie er ebenso fantasievoll schrieb wie seine Romane. Wir verraten dir, wer Karl May wirklich war.
Wer kennt sie nicht, die Geschichten von Winnetou und seinem Blutsbruder Old Shatterhand? "Der Schatz am Silbersee" oder "Der Sohn des Bärenjägers" gehören zu den Klassikern der Literatur. Der Apache Winnetou ist ein edler Indianer, der sich stets für das Gute einsetzt. Gemeinsam mit seiner Silberbüchse und seinem Pferd Iltschi kämpft er für die Gerechtigkeit, an seiner Seite ist oftmals auch sein weißer Freund Old Shatterhand. Old Shatterhand ist der Erzähler der Geschichten um Winnetou: Aus seiner Sicht werden dem Leser die verschiedenen Abenteuer geschildert. Verfasst wurden die Erzählungen von dem deutschen Schriftsteller Karl May, der über sich sagt, er habe all diese Geschichten selbst erlebt.
Karl May gab sich gerne als gebildeter, welterfahrener und edler Abenteurer. So behauptete er zum Beispiel, dass er mehrere Sprachen beherrschen würde. "Ich spreche und schreibe: Französisch, Englisch, Italienisch, Spanisch, Griechisch, Lateinisch, Hebräisch, Rumänisch, Arabisch 6 Dialekte, Persisch, Kurdisch 2 Dialekte, Chinesisch 2 Dialekte, Malayisch, Namaqua, einige Sunda-Idiome, Suaheli, Hindostanisch, Türkisch und die Indianersprachen der Sioux, Apachen, Komantschen, Snakes, Utahs, Kiowas nebst dem Ketschumany 3 südamerikanische Dialekte. Lappländisch will ich nicht mitzählen."
Aber weder das stimmte, noch hatte er all die Abenteuer erlebt. Sein Wissen, das er über andere Länder und Kulturen besaß, hatte er sich erlesen. Und das "Haar Winnetous", das er an seine Fans verschickte, war in Wirklichkeit Pferdehaar. Jedoch behauptete Karl May mit Überzeugung, dass er seine Geschichten selbst erlebt habe. Glaubt man seinen Schilderungen, war er beim "Schatz vom Silbersee" und ihn verband eine Freundschaft mit Winnetou und Hadschi Halef Omar. May verteilte auch Fotos von sich selbst, auf denen man ihn im Old-Shatterhand-Kostüm bestaunen konnte. Doch in Wahrheit hatte der Schriftsteller seine Heimat Sachsen selten verlassen. Vielleicht wollte May sich mit diesen Lügengeschichten nicht nur wichtig machen, sondern auch seinen wahren Lebenslauf verbergen. Denn bevor Karl May ein berühmter Schriftsteller wurde, verdiente er sich seine Brötchen mit Betrügereien - er war tatsächlich ein richtiger Krimineller.
Eine harte Kindheit
Am 25. Februar 1842 wurde Karl May als fünftes von insgesamt 14 Kindern einer armen Weberfamilie in Ernstthal geboren. Neun seiner Geschwister verstarben bereits sehr früh. Seine Familie konnte sich mit dem Weben alleine nicht mehr über Wasser halten und so nähte die ganze Familie zu Hause auch noch zusätzlich Leichenhandschuhe. Da sie sich kaum etwas leisten konnte und auch die Nahrungsmittel immer knapp waren, litten die Kinder oft Hunger. Somit ging es der Familie auch gesundheitlich nicht immer gut und der junge Karl soll sich - vermutlich aufgrund von Vitaminmangel - sogar eine schlimme Augenentzündung zugezogen haben, an der er beinahe erblindet wäre. Es ist aber auch möglich, dass May diese Kindheitsgeschichte später nur erfunden hat.
Sein Vater achtete streng auf Karls Erziehung und neben der Schule musste der Junge viele Bücher abschreiben sowie Orgel, Geige und Klavier lernen. Karls Vater war fest entschlossen, seinen Sohn zu einem "ordentlichen" jungen Mann zu erziehen, der gute Zukunftschancen hatte. Da die Familie aber über keine finanziellen Mittel verfügte, musste Karl selbst das Geld für seine Ausbildung aufbringen. Daher musste er verschiedene Nebenjobs annehmen - so bediente er in einer heruntergekommenen Kneipe betrunkene Männer und stellte auf einer Kegelbahn die umgefallenen Kegel auf. Auf diese Weise kam Karl schon früh mit Alkohol in Berührung und trank die Reste der Branntweine aus.
Früh übt sich ...
Trotz seiner fragwürdigen Arbeit und des Alkoholgenusses machte Karl sich in der Schule recht gut und so beschloss man, ihn zum Lehrer ausbilden zu lassen. Die Armut der Familie reichte aber so weit, dass Karl kurz vor Weihnachten 1856 aus der Schule Kerzen klaute, um so eine festlichere Atmosphäre zu schaffen. Sein Diebstahl blieb nicht unentdeckt und er flog mit 18 Jahren von der Schule. Der junge Karl zeigte sich aber reumütig und verfasste ein Gnadengesuch, das von der Schule auch angenommen wurde. Er durfte die Prüfung zum Lehrer ablegen und bekam eine Stelle als Hilfslehrer. Aber schon zwei Wochen später wurde er entlassen. Der Grund: Der Zimmerwirt gab an, dass Karl dessen Ehefrau schöne Augen gemacht habe. Doch der junge Karl May hatte Glück und bekam eine neue Stelle als Hilfslehrer an einer Fabrikschule.
Da das Gehalt als Hilfslehrer spärlich war, wohnte er zusammen mit dem Buchhalter der Fabrik in einer Kammer. Für den Unterricht lieh sich Karl von seinem Mitbewohner dessen Taschenuhr. Aber eines Abends im Jahr 1861 kam Karl nicht mehr zurück - er fuhr mit der Taschenuhr und auch noch mit der Tabakpfeife des Buchhalters einfach nach Hause zu seiner Familie. Dort wollte er damit angeben und zeigen, wie erfolgreich er nun war. Das ließ sich der Buchhalter allerdings nicht gefallen und Karl May wurde verhaftet. Er musste für sechs Wochen ins Gefängnis. Nach seiner Entlassung aus der Haft wollte ihn dann keiner mehr als Hilfslehrer anstellen.
Der Hochstapler Karl May
Um seine Vergangenheit zu vertuschen und Eindruck zu schinden, erfand der junge Mann immer wieder neue Lügengeschichten. An Fantasie fehlte es Karl May nicht - er gab sich etwa als Augenarzt aus und ließ sich neue Kleider nähen, um so auch seinem Äußeren einen seriösen Eindruck zu geben. Natürlich bezahlte er die Rechnung nicht. Um an einen teuren Pelz zu gelangen, gab er sich als Lehrer aus - als er ihn bekam, machte er sich abermals aus dem Staub. Doch ein Pelz reichte nicht und so beschloss er, sich einen zweiten zuzulegen. Doch diesmal wurde er beim Stehlen gefasst und zu vier Jahren Arbeitshaus verurteilt - hier wurden arme Menschen hingebracht, die aus der Gesellschaft entfernt werden sollten. Karl May musste nun Geld- und Zigarettentaschen nähen und die Gefängnisbücherei verwalten. Er nutzte die Gelegenheit und las in dieser Zeit viele Bücher.
Nach seiner Entlassung wurde May aber nicht zu einem ehrlichen Mann - im Gegenteil, seine Betrügereien steigerten sich sogar. Im März 1869 verkleidete er sich als Polizist und ließ einen Händler seine Kasse öffnen. Der Hochstapler beschlagnahmte das Geld, da es sich angeblich um Falschgeld handelte, was natürlich erlogen war. Da der Betrug so gut geklappt hatte, probierte Karl May es noch einmal - diesmal bei einem Seilermeister. Dieser war schlauer und versuchte den Betrüger zu fassen, aber er entwischte ihm. Karl May stahl alles, was nicht niet- und nagelfest war: Handtücher, Billardkugeln, Pferde und vieles mehr. Das Ende vom Lied war, dass der Hochstapler May abermals verhaftet wurde und 1870 für vier Jahre ins Gefängnis gehen musste.
Ein Schwindler wird zum Schriftsteller
Nachdem Karl May seine Strafe im Gefängnis abgesessen hatte, war er 32 Jahre alt. Er beschloss nun, seinen Ideenreichtum auf eine ehrlichere Weise einzusetzen und begann, Geschichten zu schreiben. Und tatsächlich interessierten sich die Leute für seine Erzählungen. Zunächst erschienen sie in Zeitschriften und Heften als Fortsetzungsgeschichten - die meisten von ihnen bestanden aus 100 Folgen. In nur einigen Jahren füllte er so mehr als 15.000 Heftseiten mit seinen Geschichten. Die Leser liebten seine Abenteuer und konnten kaum genug davon bekommen. In dieser Zeit heiratete May auch seine Freundin Emma Pollmer.
Aber bald hatte May genug von den Fortsetzungsgeschichten und verschrieb sich ganz dem Wilden Westen. 1892 veröffentlichte er "Carl May's gesammelte Reiseromane". Indianer, Cowboys und allgemein der Wilde Westen standen schon längere Zeit hoch im Kurs und May wollte sich nun dem Roman widmen. So wurde Old Firehand geboren, der mit dem Apachen-Indianer Winnetou einige Abenteuer bestand. May konnte erneut mit seiner Fantasie die Leser begeistern und schnell gesellten sich weitere Figuren wie Old Shatterhand beziehungsweise Kara Ben Nemsi (hierbei handelt es sich um dieselbe Figur), Old Surehand sowie die Figur mit dem langen Namen Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ben Hadschi Dawuhd al Gossara hinzu. Mit diesen Figuren spielten seine Handlungen später auch im Orient.
Karl May geht auf Reisen
Karl May verwischte immer wieder die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fantasie und ließ sich auch die legendären Gewehre "Silberbüchse" und "Bärentöter" anfertigen - sozusagen als Beweis, dass er tatsächlich diese Abenteuer erlebt habe. Ob Jung oder Alt, viele Menschen liebten seine Geschichten. Die Leser sahen dabei in May mehr als nur einen fantastischen Schriftsteller, denn sie glaubten, dass er die Abenteuer selbst erlebt habe. Und so wurde Karl May auch als großer Abenteurer gefeiert. Aber nur einmal war er tatsächlich in jenen Ländern, die er in seinen Erzählungen beschrieben hat...
Im April 1899 machte sich der Autor auf, um den Orient mit seinen eigenen Augen zu sehen. 50.000 Mark - für die damalige Zeit ein Riesenvermögen - konnte er für diese Reise aufbringen und natürlich wollte er auch angemessen reisen, so war auch ein Diener mit an Bord. Mit 57 Jahren war Karl May nun ein angesehener und vor allem reicher Mann. Die Reise verlief allerdings anders als geplant und entpuppte sich schließlich sogar als eine richtige Katastrophe: Kairo empfand May als schmutzig und laut und auch das Essen vertrug der Schriftsteller nicht. Er reiste weiter nach Ceylon und Sumatra - nun wurde er also doch noch zu einem Weltreisenden und Abenteurer, wie er es immer von sich behauptet hatte. Auf seiner Reise erlitt Karl May zwei Nervenzusammenbrüche, aber er hielt tapfer durch und kehrte nach 16 Monaten zurück in die Heimat. Nach Amerika, über das er ebenso viel schrieb, wollte er vorerst nicht mehr, vom Reisen hatte er genug.
Der Fall des Karl May
Immer mehr Informationen über seine Vergangenheit gelangten während seiner Reise ans Tageslicht und die Fassade des großartigen Mannes begann zu bröckeln. Karl May wurde als Lügner enttarnt - die Menschen erkannten, dass er vielmehr ein Hochstapler als ein mutiger Abenteurer war. Einige Leser waren entsetzt und fühlten sich betrogen. Viele hielten ihn nun für einen Scharlatan. Die Beliebtheit seiner Geschichten blieb zwar ungebrochen, aber May bekam daraufhin Depressionen. Die Vorwürfe gegen ihn wurden sogar vor Gericht verhandelt und zehn Jahre lang wurde über seine Vergangenheit und sein literarisches Können gestritten.
1903 ließ sich Karl May zudem scheiden, da Emma ihm in den Rücken gefallen war. Der Autor bekam eine Schreibblockade, so sehr belasteten ihn die Vorwürfe. Im Jahr seiner Scheidung heiratete er Klara Plöhn. Doch neben Kritikern hatte May immer noch viele Anhänger. Am 9. Dezember erhielt der Schriftsteller tatsächlich einen Doktortitel: Die Universitas Germana-Americana in Chicago verlieh ihm den Ehrendoktor für sein Werk "Im Reiche des Silbernen Löwen". 1911 befand der Berliner Landesgerichtsdirektor, dass May ein Dichter sei und er daher die Geschichten so auch schreiben dürfe. Doch Mays Gesundheit hatte sehr unter den Kritiken gelitten. Einige Jahre vor seinem Tod, im Jahr 1908, entschloss May sich, doch noch Amerika zu besuchen. Diese Reise sollte ihn zu "Winnetou IV" inspirieren. Zudem hatte Karl May nach seiner Orientreise begonnen, literarisch anspruchsvollere Werke zu verfassen, in denen er sich auch mit philosophischen Fragen wie "Wer sind wir?" und "Wohin gehen wir?" befasste. Eine Woche nach seinem Vortrag "Empor ins Reich der Edelmenschen" in Wien, für den er viel Zuspruch erhielt, verstarb er am 30. März 1912.
Karl Mays Erzählungen werden heute immer noch gerne gelesen. Und vor allem die Filme mit Pierre Brice haben heute beinahe Kultcharakter. Die wahre Geschichte des Schriftstellers scheint immer mehr in Vergessenheit zu geraten - viele Leser wissen nicht einmal, dass ein Krimineller die weltbekannten Geschichten über Indianer und Cowboys verfasst hat. Dass diese Wild-West-Abenteuer noch immer beliebt sind, liegt vermutlich auch an Mays Figuren, die sich stets für das Gute und für Gerechtigkeit einsetzen. Über 200 Millionen Bücher hat Karl May verkauft und schenkte so vielen Lesern aufregende Stunden im Wilden Westen mit Winnetou und Old Shatterhand.
Hinweis zum Copyright: Die private Nutzung unserer Webseite und Texte ist kostenlos. Schulen und Lehrkräfte benötigen eine Lizenz. Weitere Informationen zur SCHUL-LIZENZ finden Sie hier.
letzte Aktualisierung: 29.03.2012
Wenn dir ein Fehler im Artikel auffällt, schreib' uns eine E-Mail an redaktion@helles-koepfchen.de. Hat dir der Artikel gefallen? Unten kannst du eine Bewertung abgeben.