Bei der so genannten "Agenda 2010" handelt es sich um ein Paket von Maßnahmen, das die Bundesregierung um Bundeskanzler Gerhard Schröder in den Jahren 2003 bis 2005 in auf den Weg brachte. Dieses Paket sollte den Krisen in der deutschen Wirtschaft und im Sozialsystem entgegenwirken. Den Begriff "Agenda 2010" spricht man "Agenda zwanzig zehn" aus.
Seit den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts befand sich Deutschland in einer Krise, die sich durch eine hohe Zahl an arbeitslosen Menschen, einen Rückgang der Wirtschaftskraft und eine problematische Situation im Gesundheits- und Sozialsystem wie zum Beispiel bei den Krankenkassen oder in der Kinderbetreuung auszeichnete. Um diesen Problemen zu begegnen, kündigte der damalige Kanzler Schröder in einer Rede am 14. März 2003 die Agenda 2010 an. Er selbst fasste sie mit folgenden Worten zusammen: "Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen."
Die Ziele der Agenda waren vielfältig. Mit diesen Reformen ("Neuerungen") sollte die Situation auf dem Arbeitsmarkt verbessert, die Arbeitslosenzahl gesenkt, die Sozialsysteme wieder bezahlbar gemacht und die steuerlichen Belastungen für Arbeitnehmer und Unternehmer verringert werden. Zudem steckte man Milliarden Euro in die Forschung, die Bildung und in Betreuungsmöglichkeiten für Kinder. Obwohl die Agenda 2010 durchgesetzt werden konnte, stieß sie auf großen Widerstand und wird bis heute sehr kritisch gesehen.
Am 01. Januar 2005 begann die praktische Umsetzung der Agenda. Es wurden Maßnahmen in den unterschiedlichsten Bereichen durchgeführt. Zunächst wurden die Steuerzahler durch eine Erhöhung des nicht zu versteuernden Jahreseinkommens entlastet - damit ist das Geld gemeint, was man pro Jahr verdienen darf, ohne Steuern dafür zu zahlen. Es wurden neue Ausbildungsangebote für Jugendliche geschaffen, genauso wie eine Reform des Bafög - so nennt man die finanzielle Unterstützung von Auszubildenden und Studierenden, damit es unabhängig vom Einkommen für jeden möglich blieb zu studieren oder einen Beruf zu erlernen. Zudem förderte man die Ganztagsschulen mit vier Milliarden Euro, so dass die Ausgaben im Bildungsbereich um 25 Prozent innerhalb von fünf Jahren steigen sollten.
Außerdem gab es Reformen im Gesundheits- und im Rentensystem, finanzielle Hilfen bei der Kinderbetreuung und eine Lockerung des Kündigungsschutzes, die es jedem Arbeitgeber einfacher machen sollte, Arbeitnehmer zu kündigen. Zuvor hatten Arbeitgeber viele Menschen nicht eingestellt, wenn sie nicht hervorragend qualifiziert waren. Sie hatten Angst, dass sie sie aufgrund des strengen Kündigungsschutzes nicht wieder entlassen konnten. Mit der Lockerung des Kündigungsschutzes sollte die Risikobereitschaft der Arbeitnehmer gestärkt werden. Allerdings müssen durch diese Regelung immer mehr Angestellte um ihre Arbeitsstelle fürchten und beklagen sich über eine unsichere Jobsituation.
Zu den wichtigsten Punkten der Agenda 2010 zählen die Reformen auf dem Arbeitsmarkt. Die bisher bestehenden finanziellen Hilfeleistungen für Arbeitslose und Arbeitssuchende - die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe - wurden komplett abgeschafft und durch das so genannte "Arbeitslosengeld II" ersetzt. Dieses wird umgangssprachlich auch "Harz IV" genannt - nach Peter Hartz, dem Leiter einer Expertenkommission, die diese Reform erarbeitet hatte. Das noch bestehende "Arbeitslosengeld I" kann seitdem nur noch für längstens zwölf Monate bezogen werden. Es errechnet sich aus dem Gehalt, was der Bedürftige bekommen hatte, bevor er arbeitslos wurde. Bezieht ein Arbeitssuchender Arbeitslosengeld II, so bekommt er eine gewisse Menge an Geld vom Job-Center, während dieses zusätzlich seine Miet- und Heizkosten sowie die Krankenversicherung bezahlt.
Des Weiteren wurden die so genannten "Regeln der Zumutbarkeit" für arbeitslose Menschen gelockert, was für besonders große Kritik gesorgt hatte. Ein Empfänger von Arbeitslosengeld II muss nun prinzipiell jede Arbeit annehmen, die ihm angeboten wird. Nur in Ausnahmefällen, wenn zum Beispiel die Gesundheit eines Menschen nicht zulässt, eine bestimmte Tätigkeit auszuüben, darf der Empfänger die Stelle ausschlagen. Es spielt also keine Rolle, ob ein Mensch eine eigentlich zu hohe berufliche Qualifikation für den Job hat, ihm die Tätigkeit keine Freude bereitet, er moralische Bedenken bei einer bestimmten Arbeit hat oder ob der Beruf im Niedriglohnbereich liegt, also sehr schlecht bezahlt wird und man somit zu wenig für eine Sicherung der eigenen Existenz verdient. So haben viele Menschen bei einer plötzlichen Arbeitslosigkeit Angst, dass sie trotz eines Studiums an der Universität beispielsweise als Straßenfeger arbeiten müssen.
Seit der Einführung der Agenda 2010 hat Deutschland mit 42 Millionen Erwerbstätigen eine so hohe Anzahl von Menschen mit Arbeit wie noch nie zuvor. Die Arbeitslosenzahl ist - seitdem sie ihre Höchstmarke von 5,3 Millionen im Februar 2005 erreicht hatte - stabil auf weit unter drei Millionen gesunken. Die deutsche Wirtschaft hat sich in den vergangenen Jahren erholt und gehört nun wieder zu den stärksten in Europa.
Doch diese Entwicklung hat einen hohen Preis: Die Kluft zwischen Arm und Reich zwischen den Menschen geht weiter auseinander und für viele Menschen in Deutschland hat sich in die Situation nicht verbessert, sondern deutlich verschlechtert. Es gibt immer mehr schlecht bezahlte Jobs und heutzutage gilt eine gute Ausbildung oder ein erfolgreiches Studium längst nicht mehr als Garantie für einen guten und sicheren Arbeitsplatz. Immer mehr gut bis hervorragend ausgebildete Menschen beklagen sich über eine schlechte Bezahlung, eine unsichere Jobsituation, haben Probleme, eine geeignete Stelle zu finden oder fühlen sich gezwungen, Jobs zu übernehmen, die sie sehr ungerne ausführen. Viele Menschen haben nun zwar eine Anstellung, zum Beispiel einen so genannten "Minijob", verdienen jedoch immer noch sehr wenig oder müssen sogar trotz eines Arbeitsplatzes weiterhin Arbeitslosengeld II beantragen.
Gerade Arbeitsplätze im sozialen Bereich - etwa in der Kranken- und Altenpflege, Kinderbetreuung oder Betreuung von behinderten Menschen - wurden ohnehin schon immer vergleichsweise schlecht bezahlt und zu wenige Mitarbeiter eingestellt. Hier werden die Gelder besonders gespart und somit mangelt es den Menschen an Unterstützung - das betrifft nicht nur Arbeitssuchende, sondern zum Beispiel Familien mit Kindern, ältere Menschen, Kranke und Hilfsbedürftige. Es beklagen sich nicht nur viele Arbeitslose und hilfsbedürftige Menschen, sondern auch Familien mit Kindern oder alleinerziehende Mütter über zu wenig Unterstützung durch den Staat. Trotz der Reformen mangelt es in Deutschland zum Beispiel weiterhin an Betreuungsplätzen für Kinder wie Krippen und Kindergärten. Mittlerweile gelten auch immer mehr andere Bereiche und Tätigkeitsfelder als schlecht bezahlt.
Wegen dieser problematischen Entwicklungen spricht man in Zusammenhang mit der Einführung der "Agenda 2010" auch von einem extremen "Sozialabbau" und einer drohenden "Massenarmut".
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