von Antje Leser
Er war der erste fränkische König, der vom Papst zum Kaiser gekrönt wurde. In den ersten Jahrzehnten seiner Regierungszeit unternahm er zahlreiche Feldzüge, in denen er "mit Schwert und Kreuz" gegen Sachsen und Lombarden ins Feld zog. Sein Ziel war nicht nur die Eroberung Westeuropas, sondern auch die Bekehrung der "Barbaren" zum christlichen Glauben. Er betrachtete sich als Nachfahre der römischen Kaiser und ließ das Römische Reich wieder auferstehen, um seinen Machtanspruch als Weltherrscher zu demonstrieren. Sein Hunger nach Bildung führte zu einer wahren "kulturellen Revolution", deren Auswirkungen noch heute zu spüren sind. Wer war Karl der Große wirklich? Charlemagne, Karl oder Carolus Magnus? Franzose, Deutscher, Vater Europas - ja was denn nun?
Im Europa des 9. Jahrhunderts gab es noch keine Nationalstaaten, so wie wir sie heute kennen. Nach dem Zerfall des Römischen Reichs war das Frankenreich zum Zentrum der Macht in Europa aufgestiegen. Karl der Große stammte aus der Familie der Karolinger, die wie viele andere Familien zum Frankenreich gehörten. Regiert wurde dieses Reich vom Geschlecht der Merowinger, denen die Karolinger als "Hausmeier" (also als eine Art Verwalter) dienten. Sie waren für den königlichen Haushalt, die Verwaltung der Landgüter und manchmal auch für das Militär verantwortlich. 751 setzte Karls ehrgeiziger Vater Pippin den letzten merowingischen König ab und übernahm die Macht im Frankenland. Als König Pippin 17 Jahre später starb, teilten seine Söhne Karl und Karlmann das Frankenreich unter sich auf.
Über Karls Kindheit weiß man fast nichts, denn erst 15 Jahre nach seinem Tod hat Karls Biograf, der Geistliche Einhard, begonnen, eine Biografie über seinen König zu scheiben. Dabei hat er so manches geschönt, so dass wir heute nicht genau wissen, was Wahrheit und was Legende ist. Angeblich wurde Karl am 2. April 747 (vielleicht aber auch 742 oder 748) als ältester Sohn des Königs Pippin und seiner Frau Bertrada geboren. Der Geburtsort ist unbekannt, wird aber in einer von Pippins Residenzen am Rhein oder der Loire vermutet. Angeblich war er ein "Familienmensch", der mit seinen Frauen und verschiedenen Geliebten mindestens 18 Kinder hatte. Die meisten von ihnen lebten an seinen Höfen und erhielten eine ausgezeichnete Erziehung. Neben seiner Begeisterung für Sprache und Literatur liebte Karl das Schwimmen in heißen Quellen (unter anderen bei Paderborn und Aachen) und das Jagen. Nicht nur wegen seiner Kriegserfolge und Reformen, sondern auch wegen seiner Körpergröße - er soll fast zwei Meter groß gewesen sein -, wurde er schon zu Lebzeiten "der Große" genannt.
Die ungleichen Brüder
753 bat Papst Stephan II König Pippin um Hilfe gegen die Langobarden, ein Kriegerstamm aus Norditalien, und schloss mit ihm den "Vertrag von Ponthion", der die Franken zur Schutzmacht des Papstes ernannte. Zugleich wurde die Teilung des Langobardenreiches zwischen dem Papst und Pippin festgelegt. Zum Zeichen, dass er Pippin die politische Macht und Handlungsfreiheit in seinem Land übertrug, salbte er ihn und seine beiden Söhne am 28. Juli 754 in der Basilika von Saint-Denis. Diese Zeremonie und das Bündnis mit dem Papst haben Karl so beeindruckt, dass er sich vornahm, später selbst einmal den christlichen Glauben mit dem Schwert zu verbreiten.
Dies sollte er erstmals 769 im Feldzug gegen die aufständischen Aquitanier unter Beweis stellen. Obwohl das Gebiet, um das es in diesem Kampf ging, Karls Bruder gehörte, weigerte Karlmann sich, Karl zu unterstützen. Zu dieser Zeit waren die beiden Brüder bereits zerstritten, so dass Karl keinen Anlass sah, Karlmann nach seinem Sieg die befriedeten Ländereien zu überlassen, auf die dieser eigentlich einen Anspruch gehabt hätte. Das Verhältnis zwischen den beiden kühlte immer mehr ab, bis im Jahr 771 beinah ein Krieg zwischen den Brüdern ausgebrochen wäre. Doch Karlmann starb überraschend und so übernahm Karl die Macht im Frankenreich. Gerüchte, ob er etwas mit dem Tod seines Bruders zu tun hatte, wurden nie bestätigt.
Karl der Große - ein grausamer "Sachsenschlächter"?
Wie schon sein Vater vor ihm, zog Karl der Große 772 gegen die Sachsen, einen westgermanischen Volksstamm. Die Unterwerfung und gewaltsame Bekehrung dieser "Barbaren" zum Christentum, die an heidnischen Göttern festhielten, sollte 32 Jahre dauern und gehörte zu den grausamsten und längsten Feldzügen in Karls Regierungszeit. Die Sachsen waren ein Volk von Kriegern mit einzelnen Stammesführern, die sich regelmäßig zu einem "Thing" (das ist Germanisch und bedeutet "Volks-" oder "Gerichtsversammlung") trafen, um Rat zu halten, Recht zu sprechen und Raubzüge zu planen.
Dabei versammelten sie sich bei einer "Irminsul" (das bedeutet "große Säule") - einem Heiligtum, bestehend aus einer hohen Säule oder einem besonderen Baum, der nach Auffassung der Sachsen den Himmel trug. Auf diesen hatte Karl es abgesehen, als er im Sommer 772 seinen Feldzug gegen die Sachsen startete. Nachdem er den heiligen Weltenbaum gefällt hatte, kam es zu offenen Auseinandersetzungen zwischen Sachsen und Franken, die noch andauerten, als Karl bereits gegen die Langobarden in Oberitalien zog.
Während Karl sich die Eiserne Krone des Langobardenkönigs Desiderius aufs Haupt setzte, tobte der Krieg gegen die Sachsen im Frankenland weiter. Dabei hatten sich die Sachsen auf eine Art "Guerilla-Kampf" spezialisiert - so nennt man den bewaffneten Kampf aus dem Untergrund gegen einen übermächtigen Feind. Sie griffen das fränkische Heer aus dem Hinterhalt an und trieben die fränkischen Krieger in Wälder, Sümpfe oder enge Schluchten, wo diese mit ihren Schwertern und schweren Rüstungen schlecht kämpfen konnten. Ihr Anführer war der sächsische Adlige Widukind (das bedeutet "Waldkind"). Erst mit dessen Taufe (785) konnte Karl einen vorläufigen Friedensvertrag mit den Sachsen aushandeln, die Unruhen dauerten jedoch noch bis 804 an. 782 hielt Karl in Verden, das heute zu Niedersachsen gehört, ein "Blutgericht" ab, bei dem Tausende von Sachsen hingerichtet wurden. Wer sich ergab, wurde zur Taufe gezwungen und unter Zwang ins Frankenreich umgesiedelt. Das gnadenlose Vorgehen Karls brachte ihm dabei den Namen "Sachsenschlächter" ein.
Karls Krönung zum römischen Kaiser
Am 25. April 799 verübten römische Adlige während einem religiösen Zug ("Prozession") ein Attentat auf Papst Leo III. Die Anhänger des früheren Papstes Hadrian I. warfen ihm Ehebruch und Falschaussage vor und drohten ihm mit Folter. Leo gelang die Flucht ins Frankenreich, wo er Karl um Hilfe bat.
Eigentlich hätte er sich an die byzantinische Kaiserin in Ostrom wenden müssen, denn zu dieser Zeit war Ostrom oder auch "Konstantinopel" (das heutige Istanbul) die rechtmäßige Vertretung Roms. Doch seit Karl zwei Jahre zuvor durch eine Versammlung wichtiger Kirchenvertreter, eine so genannten "Synode", das Auseinanderdriften von Ost- und Westrom bewirkt hatte, war das Verhältnis zu Konstantinopel abgekühlt. Damals ging es um die Frage, ob man Heiligenbilder anbeten dürfe.
Karl versprach dem Papst, ihm gegen die aufständischen Adligen beizustehen und darüber hinaus die Kirche Roms aus der oströmisch-byzantinischen Abhängigkeit zu befreien. Er stellt jedoch eine weitreichende Bedingung: Karl forderte von Leo III. die Krönung zum Kaiser und damit die Ernennung zum Nachfolger der römischen Herrscher der Antike (auf Lateinisch nannte man das "Renovatio Imperii Romanorum", also Erneuerung der Kaiserwürde der antiken römischen Kaiser).
Am 25. Dezember 800 wurde Karl im Petersdom von Rom zum römischen Kaiser gekrönt. Weltliche und geistliche Macht hatten sich somit vereint. Die Zeremonie war durchaus als Kampfansage an Ostrom zu verstehen, dem damit ein Großteil seines Einflusses entzogen wurde. Erst 812 erkannte Konstantinopel im "Frieden von Aachen" Karls Kaisertitel an. Schließlich einigte man sich darauf, dass es fortan ein west- und ein oströmisches Reich geben sollte. Gleichzeitig war die Krönung ein Zeichen für seine Untertanen, dass Karl von Gott persönlich bemächtigt worden war. Damit untermauerte sie für viele Karls rechtlichen Anspruch auf noch nicht eroberte Gebiete. Karls Kaisertum wurde zunächst als Heiliges Römisches Reich bezeichnet. 1512 wurde es zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, das erst 1806 mit dem "zweiten Rheinbund" aufgelöst wurde.
Kulturelle Blüte im Frankenreich
Tatsächlich hat Karl der Große nie selbst schreiben gelernt. Schon als kleiner Junge war er zum Kämpfer ausgebildet worden. Schwert und Schild waren ihm vertraut, nicht aber der Kiel einer Gänsefeder. Doch ihm war durchaus bewusst, dass nur schriftlich Festgehaltenes die Jahrhunderte überdauerte. Daher versammelte er bedeutende Gelehrte und Wissenschaftler an seinen kaiserlichen Pfalzen und Höfen. Er gründete Klosterschulen, in denen er weltliches und geistliches Wissen aufschreiben ließ. Die Mönche dort mussten zunächst Lesen und Schreiben lernen, um danach Handschriften und Bücher zu kopieren.
Bei dieser Gelegenheit setzte Karl der Große eine einheitliche Schriftart durch, die "karolingische Minuskel", die das Lesen und Schreiben erleichterte. Noch heute gehen unsere Kleinbuchstaben ("Minuskel") auf diese Reform zurück. Neben der Vereinheitlichung der Schrift führte er auch ein gemeinsames Zahlungsmittel, den "Denar", ein und ging von der Gold- zur Silberwährung über. Außerdem setzte er sich für einheitliche Gewichte ein: als Längenmaß galt von nun an der königliche Fuß und als Gewichtsmaß das "Karlspfund" (das entsprach etwa 400 Gramm).
Da sein Herrschaftsgebiet so groß war, war Karl ständig unterwegs und ging deshalb auch als "Reisekönig" in die Geschichte sein. Neben seiner Lieblingspfalz Aachen gründete er noch eine Menge anderer Höfe, an denen er Recht sprach oder Gesandte empfing. Damit erlebte auch die Architektur zu dieser Zeit einen gewaltigen Aufschwung. Um das riesige Reich zu regieren, brauchte Karl zuverlässige Stellvertreter, die in seiner Abwesenheit die oberste Befehlsgewalt hatten und Karls Ländereien verwalteten. Deshalb verteilte er an die Adligen seines Landes "Lehen" - er lieh ihnen also Landstücke und verpflichtete sie im Gegenzug mit einem Treueeid, ihm zu dienen. Außerdem setzte einige seiner "Vasallen" ein, ihm im Falle eines Krieges herbeizueilen und auf seiner Seite zu kämpfen. Dafür erhielten auch sie ein Lehen oder andere Würden.
Karls Tod und der Zerfall des Frankenreichs
Nach 46 Regierungsjahren starb Karl der Große am 28. Januar 814. Er hatte sich im Herbst 813 bei einem Jagdausritt in den Ardenner Wäldern erkältet und erlag im Jahr darauf in seiner Aachener Kaiserpfalz vermutlich einer Lungenentzündung. Wie es sich für einen Nachfolger der Kaiser Roms gehörte, wurde er in einem römischen Sarkophag ("Prosperina-Sarkophag" aus Carrara-Marmor) aus dem 2. Jahrhundert in der Aachener Pfalzkapelle beigesetzt. Den Sarkophag hatte Karl von einer seiner Italienreisen übrigens selbst mitgebracht. Im 12. Jahrhundert ließ Friedrich Barbarossa Karls Gebeine in einen goldenen Schrein legen und veranlasste seine Heiligsprechung.
Bereits 806 hatte Karl Vorsorge getroffen, damit sein riesiges Reich auch nach seinem Tod gesichert war. Die so genannte "Divisio Regnorum", also der Reichsteilungsplan, sah vor, dass das Reich nach altem fränkischen Brauch unter seinen drei Söhnen aufgeteilt wurde. Allerdings überlebte nur Ludwig der Fromme, Karls jüngster Sohn, seinen Vater. Bereits 813 zum Mitkaiser erhoben, übernahm er 814 die Herrschaft über das Frankenreich. Doch bereits 20 Jahre später begann das Reich zu zerfallen. Im Vertrag von Verdun 843 wurde es unter Karls Enkeln nochmals aufgeteilt. 888 zerfiel das Frankenreich endgültig, der Grundstein für das heutige Europa war jedoch mit Karl dem Großen bereits gelegt. Den Namen "Vater Europas" trägt der machthungrige Herrscher Karl der Große demnach nicht ganz zu Unrecht.
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