Der russische Schriftsteller Leo Tolstoi - Teil 2

Der Autor von "Anna Karenina" und "Krieg und Frieden"

Teil 2 von 2

von Felicia Chacón Díaz und Björn Pawlak - 20.11.2010

Erfahre im zweiten Teil des Artikels über den russischen Schriftsteller Leo Tolstoi, wie sein berühmtes Werk "Anna Karenina" entstand, für welche politische Bewegung er sich einsetzte und wie er seine letzten Jahre verbrachte.

Die Entstehung von "Anna Karenina"

Zum Ende seines Lebens ließ Tolstoi seine Familie im Stich, um ein Leben in Armut zu führen. (Quelle: Wikipedia)

Nach der Veröffentlichung von "Krieg und Frieden" begann Tolstoi die Arbeit zu seinem zweiten Hauptwerk mit dem Titel "Anna Karenina", welches er bis 1877 fertig stellte. Er wurde vom Schicksal einer Frau aus seiner Nachbarschaft zu diesem Werk inspiriert. Dieses Buch beginnt mit einem heute berühmten Zitat: "Alle glücklichen Familien ähneln einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich."

Annas Geschichte ist die einer Frau, die ihren Ehemann mit einem anderen Mann betrügt und deswegen einem unerträglichen Druck seitens der Gesellschaft ausgesetzt wird. Viele auch heute noch sehr aktuelle Themen wie Ehebruch, Scheidung und Feminismus werden in diesem Buch vertieft.

Nach der Veröffentlichung von "Anna Karenina" geriet Tolstoi in eine schöpferische Krise - Zweifel an seinem eigenen Werk, an seinem Lebensstil und an seinem Glaubenssystem machten sich breit. Tolstoi wurde depressiv und dachte oft über Selbstmord nach. Im Jahr 1882 schrieb er ein Buch namens "Meine Beichte" - hier zeigten sich seine Hinwendungen zu den Themen Religion und Moral. Er selbst nannte die Zeit damals einen "Verwandlungsprozess". Es sollte nur noch ein weiterer Roman folgen, nämlich "Auferstehung" (im Jahr 1899 veröffentlicht).

Tolstoi als Kämpfer der "urchristlichen" Revolution

Der Schriftsteller in seiner Schreibstube: Hier entstanden die großen Werke "Krieg und Frieden" und "Anna Karenina". (Quelle: Wikipedia)

Bis zu seinem Tod im Jahr 1910 widmete Tolstoi den Großteil seiner Kraft "dem Dienst für die Menschheit". Seine Überzeugungen orientierten sich am Urchristentum - Tolstoi erklärte sich zum Feind der starren Regeln und Hierarchien (also Machtgefüge) von Kirche und Staat. Ausgangspunkt für seine Kritik an Gesellschaft und Kirche war die "Bergpredigt" aus dem Neuen Testament.

Sein Ideal war der gewaltlose Widerstand ("Pazifismus") - das machte ihn zu einem "Bruder im Geiste" von Mahatma Gandhi und dessen Widerstandsbewegung im von Großbritannien als Kolonie verwalteten Indien. Tolstoi und Gandhi schätzten einander später sehr und pflegten einen Briefwechsel.

1881 zog Tolstoi nach Moskau, wo er eine Reihe politischer Schriften verfasste. Er wurde zum "Staatsgegner" erklärt und von der Polizei bespitzelt. Seine Anhänger verstanden sich als "Tolstoibewegung". Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war er einer der bekanntesten Schriftsteller und Sozialkritiker weltweit.

Für kurze Zeit versuchte Tolstoi, ein einfaches Leben als Bauer zu führen - im Jahr 1884 verließ er aus diesem Grund die eigene Familie. Er kam jedoch zurück nach Jasnaja Poljana, wo er 1886 seine meisterhafte Erzählung "Der Tod des Iwan Iljitsch" verfasste. Zwischen Leo und seiner Frau wie auch zwischen ihm und den Kindern kam es zu einer Entfremdung, weil er sich nicht mehr wie zuvor um sie kümmerte. Die Familie fühlte sich nicht wohl mit dem neuen "spirituellen" Lebensstil des Vaters und Ehemanns.

Tod infolge einer Lungenentzündung

Wie Mahatma Gandhi verfolgte Tolstoi ein Konzept des gewaltlosen Widerstands - die beiden Männer pflegten einen Briefkontakt miteinander. (Quelle: Wikipedia)

1891 folgte mit "Kreutzersonate" ein weiteres wichtiges Buch Tolstois - in dieser Erzählung unterhalten sich die Fahrgäste eines Zuges über den Sinn und Unsinn der Ehe als einer gesellschaftlichen Einrichtung. Dieses Buch provozierte die Russisch-Orthodoxe Kirche, welche Tolstoi einige Jahre später - nämlich 1901 - "exkommunizierte" (also aus der kirchlichen Gemeinschaft ausschloss). Man warf Tolstoi vor, "unmoralisches Gedankengut" zu verbreiten.

1893 schrieb Tolstoi sein einflussreiches Sachbuch "Das Himmelreich in euch", in dem er sein christliches Denken zusammenfasst. Von diesem Buch sagte Gandhi später, dass es ihn stark beeinflusst habe. Tolstoi bemühte sich immer stärker darum, allen "weltlichen" Besitz aufzugeben. Er entsagte dem Fleischkonsum, dem Tabak und dem Alkohol und verpflichtete sich dem Keuschheitsideal. Vieles, was er in seinem Leben getan hatte, bezeichnete er nun als "Sünde".

Als Tolstoi starb, war er auf der "Flucht" vor der eigenen Familie, die er nun im Stich ließ - in einem Zustand der Reue und gemeinsam mit der jüngsten Tochter und seinem Arzt machte er sich auf eine letzte Reise Richtung Süden, um irgendwo dort ein Leben in Armut zu führen. Im offenen Zug fing er sich eine Lungenentzündung ein, die er nicht überlebte. Tolstoi starb am 20. November 1910 in einem Dorf namens Astapowo in der Wohnung des dortigen Bahnhofsvorstehers. Zwei Tage später wurde er im Park von Jasnaja Poljana beerdigt.

Tolstois Einfluss als Pädagoge

Leo Tolstoi und die Kinder: Er forderte mehr Respekt der Lehrer den jungen Persönlichkeiten gegenüber. (Quelle: Wikipedia)

Nicht nur Tolstois Wirken innerhalb der Literatur ist bleibend, gerade aus Sicht der Kinder ist auch sein pädagogisches Konzept von großer Bedeutung. Tolstoi war der festen Ansicht, dass die frühkindliche Erziehung hauptverantwortlich dafür ist, wie sich Menschen im späteren Leben ihren Mitmenschen gegenüber verhalten. Die Gesellschaft zum Guten zu verändern war für Tolstoi deshalb auch vor allem eine Frage der Erziehung.

Insbesondere für die ärmeren Schichten der russischen Bevölkerung forderte er den Zugang zur Bildung. Er selbst versuchte seinen Teil dazu beizutragen, indem er im Jahr 1849 auf seinem Landsitz eine Schule einrichtete, in der die Kinder der Bauern ihren Platz haben sollten. Allerdings war Tolstoi viel zu unbeständig, um diesen Plan für eine längere Zeit aufrecht zu halten. Außerdem war er mit seinen eigenen Versuchen als Lehrer nicht zufrieden, so dass er diese Tätigkeit bald wieder aufgab.

Das Thema Pädagogik ließ ihn aber zeit seines Lebens nicht mehr los. Er las zahlreiche Bücher zum Thema und beschäftigte sich ausgiebig mit den Erziehungssystemen in den westeuropäischen Staaten (Frankreich, Deutschland und Schweiz). Tolstois Hauptanliegen war, dass jede Erziehungs- und Bildungseinrichtung die Persönlichkeit eines Kindes respektieren und ernst nehmen sollte - er sprach in diesem Zusammenhang vom "freien" Lernen.

Die Lehrer sollten Tolstois Ansicht nach nur wenig in die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes eingreifen und ihren Schülern niemals die eigenen Meinungen "aufzwingen". Er glaubte an die persönlichen Qualitäten eines jeden Menschen, die ein Lehrer im ungünstigen Fall unterdrücken oder sogar zerstören könnte. Tolstoi hatte großen Respekt vor der Psychologie des Kindes - er ging davon aus, dass Kinder ein im Vergleich zu Erwachsenen viel stärker von "Bildern", "Farben" und "Tönen" geprägtes Denken besäßen. Das "logische" Denken steht nach Tolstoi im Widerspruch zum Denken des Kindes, welches aber als gleichberechtigt angesehen werden sollte.

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letzte Aktualisierung: 21.10.2011

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