19.08.2010
Russland wird seit Wochen von einer der größten Naturkatastrophen des Landes heimgesucht: Weite Landstriche stehen in Flammen und hüllen Moskau und andere Millionenstädte in dichte Rauchwolken. Die Bevölkerung ist durch den beißenden Qualm erheblichen Gesundheitsrisiken ausgesetzt. Allmählich bekommt die Feuerwehr die Brände allerdings unter Kontrolle - gerade noch rechtzeitig, denn das Feuer hatte auch russische Atomanlagen bedroht.
Seit Ende Juli vernebelt giftiger Smog - der Begriff ist eine Wortkreuzung aus den englischen Wörtern smoke (Rauch) und fog (Nebel) - große Teile West-Russlands. Über 14 Millionen Menschen leiden allein im Großraum Moskau unter dem alles durchdringenden Dunst. Ursprung des Rauchs sind 30 Wald- und Torfbrände allein in Moskaus Umgebung. Insgesamt zählten die Behörden zeitweise die unglaubliche Zahl von 26.000 Brandherden in ganz Russland.
Das Leben in Moskau ist derzeit gespenstisch - kaum jemand ist auf der Straße. Doch nicht mal in ihren eigenen Wohnungen sind die Moskauer geschützt: Nach einiger Zeit kriecht der Qualm durch jeden Spalt und jede Fensterritze. Im Freien ist es noch schlimmer: Parks, Spielplätze und Straßen sind derart vernebelt, dass man nur einige wenige Meter weit sehen kann. Fast jeder trägt auf dem Weg zu Arbeit und Schule Mundschutz, manche sogar Gasmasken. Hinzu kommt eine seit Wochen andauernde Hitze. Teilweise kletterte das Thermometer auf beinahe 40 Grad - so heiß war es seit Beginn der Wetteraufzeichnungen vor 160 Jahren noch nie in Moskau.
Hunderttausende haben die russische Hauptstadt bereits verlassen. Andere schlafen in ihren klimatisierten Büros auf dem Boden, um der unerträglichen Hitze und dem beißenden Rauch wenigstens nachts zu entkommen. Wie ein riesiger Föhn bläst der Wind den Menschen auf der Straße Hitze und Qualm ins Gesicht. Ständiges Augenbrennen und Husten sind die geringsten Folgen. Die Gesundheitsbelastung, vor allem für alte und kranke Menschen, ist in den betroffenen Gebieten besonders hoch: Kürzlich gab der Chef des Moskauer Gesundheitsamts zu, dass sich die durchschnittliche Anzahl von Sterbefällen in Moskau seit Beginn der Brände um etwa 50 Prozent erhöht hat. In der Millionenstadt sterben im Durchschnitt rund 370 Menschen pro Tag. In diesem Sommer sind es aber täglich 700.
Russische Behörden verharmlosen Folgen für Mensch und Umwelt
Obwohl die Flammen lange Zeit nicht unter Kontrolle waren, gaben sich die russischen Behörden gelassen. Es sei nur eine Frage der Zeit bis wieder Normalität einkehre, hieß es. Der russische Ministerpräsident Wladimir Putin, der sich immer wieder gern in Szene setzt, betätigte sich symbolhaft höchstpersönlich als Feuerwehrmann: Als Co-Pilot eines Löschflugzeugs ließ er sich filmen, als er südöstlich von Moskau eine Wasserladung auf einen Brandherd abwarf. Putins Auftritt wirkte auf viele so, als sei die Brandkatastrophe nichts anderes als ein "Abenteuer", das bald überstanden ist.
Unabhängige Ärzte und die Umweltschutzorganisation Greenpeace warnten allerdings schon kurz nach Ausbruch der riesigen Waldbrände davor, dass die Luftverschmutzung zwischenzeitlich sechsmal so hoch sein werde als normal. Selbst gesunden Menschen könne der beißende Rauch auf Dauer sehr schaden. Körperliche Anstrengung im Freien müsse auf jeden Fall vermieden werden. Die giftigen Gase können die Atemwege dauerhaft beeinträchtigen, warnen Ärzte.
Atomanlagen beinahe von Feuern umschlossen
Noch viel verheerender hätten die gesundheitlichen Folgen der Brände sein können, wenn russische Atomkraftwerke in Flammen aufgegangen wären. Ein Waldbrand - gefährlich nahe an der russischen Atomanlage Sarow zum Beispiel - hätte beinahe atomar belasteten Abfall aus Atomkraftwerken umschlossen. Durch die extreme Hitze wäre der Atommüll zu hochgiftigen Wolken verbrannt und hätte sich unkontrolliert, je nach Windstärke und -richtung, in ganz Russland und Europa verbreiten können. 2600 Feuerwehrleute kämpften in Sarow erfolgreich gegen die Flammen. Mittlerweile scheint jedoch keine Atomanlage mehr unmittelbar vom Feuer bedroht.
Insgesamt gibt es Medienberichten zufolge momentan noch rund 600 Brandherde. Einige davon befinden sich aber in atomar verseuchten Gebieten nahe der unbewohnten Stadt Tschernobyl in der Ukraine. Dort fand im Jahr 1986 die bisher größte Atomkatastrophe aller Zeiten statt. Weite Teile rund um Tschernobyl sind noch immer mit atomarer Strahlung belastet. Seit russische Behörden zugegeben haben, dass es auch in stark verstrahlten Gebieten gebrannt hat, machen sich die dort lebenden Menschen noch größere Sorgen um ihre Gesundheit. Nicht nur dem Rauch des Feuers, sondern auch erhöhter atomarer Strahlung könnten sie ausgesetzt gewesen sein. "Ein Feuer auf diesem Gebiet führt ohne Zweifel zu einer Erhöhung der Radioaktivität", warnt Wladimir Tschuprow von einer russischen Umweltschutzorganisation. Die Gesundheitsgefahr durch aufgewirbelten radioaktiven Staub dürfe nicht unterschätzt werden. Wie hoch die Strahlenbelastung tatsächlich war, hat niemand gemessen. Auch die Windstärke und -richtung sei ausschlaggebend gewesen. Daher könne über Schäden und Verseuchung nur gemutmaßt werden.
Was sind die Ursachen der schlimmsten Waldbrände seit Jahrzehnten?
Es stellt sich die Frage, wie es zur Brandkatastrophe in Russland kam. Viele Gründe spielen dabei eine Rolle: Aufgrund der ungewöhnlichen Hitze waren Russlands Wälder und Steppen extrem ausgetrocknet. In großen Teilen Russlands hat es in diesem Sommer kaum geregnet. Beim kleinsten Funken entzündeten sich schnell große Feuer. Nicht nur in Russland, sondern auch in vielen anderen Teilen der Erde - vor allem in der Mitte Südamerikas und im Süden Afrikas - stehen zurzeit weite Landstriche in Flammen. Auch dort ist extreme Trockenheit der Hauptgrund. Während in Russland allerdings zahlreiche Siedlungen bedroht sind, lodern die Brände in anderen Kontinenten meist abseits von größeren Städten.
Die "Übernutzung" der Landschaft durch zu große Abholzung der Bäume könnte ein weiterer Grund für die rasche Ausbreitung der Feuer in Russland sein. Werden zu große Baumflächen abgeholzt, entsteht eine Steppenlandschaft ohne Bäume mit dicht nachgewachsenen Sträuchern. Innerhalb dieser Flächen mit extrem leicht entzündlichen Büschen ist ein Flächenbrand kaum aufzuhalten. Die Feuer brachen letztlich durch Blitzeinschläge oder Brandstiftung aus. Experten kritisieren, dass Wälder immer öfter zu schnell und zu großflächig abgeholzt werden, um möglichst viel Geld zu verdienen.
Folgen der Brände: Preisexplosion bei russischen Getreideprodukten
Wegen der Waldbrände und der ausgeprägten Dürre rechnet die russische Regierung mit großen Ernteausfällen. Es wird erwartet, dass die russischen Bauern in diesem Jahr statt rund 90 Millionen Tonnen nur etwa 65 Millionen Tonnen Getreide produzieren werden. Mehr als 20 Prozent der Getreide-Anbauflächen können wegen der Trockenheit und der Feuer nicht bewirtschaftet werden. Russland ist eigentlich der drittgrößte Weizen-Lieferant der Welt. Doch um erst einmal genug Getreide für die eigene Bevölkerung zu behalten, hat die russische Regierung untersagt, dass russisches Getreide weiterhin an andere Länder verkauft werden darf. Die russische Regierung hat also einen so genannten Export-Stopp für Getreide verhängt.
Weltweit stieg daraufhin der Preis für Weizen und anderes Getreide sprunghaft an, weil nun in diesem Jahr auf der ganzen Welt weniger Getreide zur Verfügung steht. Auch in Russland selbst stieg der Preis für ein Laib Brot innerhalb weniger Tage um 20 Prozent. Die Weltbank warnt bereits vor einer Ernährungskrise, falls die Preise weiter steigen. Dies hätte dann auch Auswirkungen auf die Preise für Brot und Brötchen hierzulande.
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