von Felicia Chacón Díaz und Björn Pawlak
Der Begriff "Origami" kommt ursprünglich aus dem Japanischen und bedeutet soviel wie "gefaltetes Papier" - "Oru" bedeutet auf Japanisch "Falten", "Kami" bedeutet "Papier". Gemeint ist damit die Kunst des Papierfaltens, die sehr wahrscheinlich zuerst im alten China entstand und von dort nach Japan gelangte.
Aus einem einzigen Blatt Papier entstehen Figuren, wenn man es auf bestimmte Weise faltet. Grundfiguren wie der Kranich und der Frosch sind schon Hunderte von Jahren alt und werden noch immer hergestellt. Schere und Klebstoff sind bei den Origami-Figuren, die zwei- oder dreidimensional sein können, tabu. Meistens werden quadratische Blätter aus einem nicht zu dicken Papier verwendet.
Man nimmt heute an, dass die ersten Origami-Figuren aus dem alten China stammten und dort im ersten oder zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung erstmals entstanden - das Papier stellten die Chinesen rund 200 Jahre vorher zum ersten Mal her. Jahrhunderte später erreichte das Wissen um diese Kunst auch Japan, das sich damals in der "Heian-Zeit" (794 bis 1185) befand. Auch in Ägypten und in Mesopotamien entwickelten die Menschen unabhängig von Chinesen und Japanern aus Papier gefaltete Figuren. Erst im 19. Jahrhundert erfanden die Japaner mit "Origami" den Namen für die Kunst des Papierfaltens, der uns heute geläufig ist.
Origami als Kunst der wohlhabenden Oberschicht
Die Origami-Figuren besaßen einst vor allem eine zeremonielle und religiöse Bedeutung - Papierfiguren mit einem solchen Zweck nannten die Japaner "Noshi". Noch heute werden Noshi-Figuren gemeinsam mit anderen Geschenken verschenkt, um dem anderen dadurch "Gutes" zu wünschen. Manche Noshi-Figuren von damals zählen zu den gängigen zweidimensionalen Grundfiguren - so zum Beispiel die Figur "Orisue", ein aus Papier gefalteter Schmetterling.
Bei den Hochzeiten der "Shinto" - so heißen die Anhänger der damals wie heute dominanten Religion des "Shintoismus" - wurden mit Papierschmetterlingen verzierte Gläser herumgereicht, um aus diesen den alkoholischen "Sake" (Reiswein) zu genießen. In Japan ist der Schmetterling das Symbol für die intime Vereinigung und für andauernde Liebe.
Zunächst einmal blieb die Origami-Kunst der reichen Oberschicht vorbehalten - Papier war damals nämlich ein sehr wertvolles Gut und nur wenige konnten es sich leisten. Während des "Kamakura-Shogunats" (die Zeit von 1185 bis 1333) war die Origami-Kunst im alten Japan noch kaum verbreitet. In der nächsten geschichtlichen Epoche, der "Muromachi-Zeit" (1333 bis 1568), entstand dann jedoch zum ersten Mal eine weit verbreitete Origami-Tradition - die Kinder lernten die Kunst des Papierfaltens von ihren Eltern, und von Generation zu Generation wuchs die Anzahl derer, die mit den Origami-Techniken vertraut waren.
Verbreitung der Kunst
Voraussetzung für die Verbreitung der Origami-Kunst war die Tatsache, dass die Papierherstellung immer einfacher und preiswerter wurde. Während der "Edo-Zeit" (1603 bis 1868) entstanden viele Origami-Figuren, die man heute als "Klassiker" kennt. Die religiöse und zeremonielle Bedeutung der Papierfiguren trat immer mehr in den Hintergrund - stattdessen verstand man Origami nun eher als eine Form von Unterhaltung und Zeitvertreib. Die Menschen entwickelten einen Ehrgeiz, sich immer neue Figuren auszudenken.
Zwischen dem 17. und dem 19. Jahrhundert schottete sich Japan stärker als davor und danach von seiner Umwelt ab - in dieser Zeit ereigneten sich in der japanischen Kunst bedeutende Umbrüche. Bis dato hatte es keine schriftlich niedergeschriebenen Anleitungen der Origami-Kunst gegeben - das Wissen um die Herstellung der Origami-Figuren war Teil der mündlich überlieferten Kultur.
Erste schriftliche Anleitungen
Im Jahr 1797 wurde ein Buch fertig gestellt, welches den Namen "Sembarazu Orikata" trug - das bedeutet ins Deutsche übersetzt "Wie man tausend Kraniche faltet". Der Autor war ein japanischer religiöser Würdenträger. Man nimmt heute an, dass es sich bei diesem Werk um die erste veröffentlichte Schrift handelt, die einzelne Origami-Bauanleitungen enthält. Die Kraniche waren übrigens deswegen so bedeutend, weil sie im alten Japan als heilige Vögel galten - noch heute kennt man den Kranich neben der Taube als weltweites Symbol für den Frieden.
In Japan glaubte man, dass ein Mensch nach tausend selbst gefalteten Kranichen einen Wunsch frei hätte. Im 20. Jahrhundert wurde das Mädchen Sadako Sasaki berühmt - sie wurde beim Atombombenabwurf durch die USA verstrahlt, die dadurch ausgelöste Leukämie (eine Erkrankung des blutbildenden Systems) wurde jedoch erst zehn Jahre später festgestellt. Sadako wollte wieder gesund werden und begann damit, tausend Papierkraniche zu falten. Sie starb trotzdem, aber seitdem ist der Kranich auch ein Symbol des Widerstands gegen den Atomkrieg. Es gibt für Sadako ein Denkmal in Hiroshima - hier legen Menschen bis heute Papierkraniche zum Gedenken des Mädchens und der Atombomben-Opfer nieder.
Ein anderes wichtiges Buch wurde 1854 veröffentlicht und hieß "Kan No Mado" - wörtlich übersetzt heißt das "Fenster in der Mitte des Winters". Der Autor dieses Buches war sehr wahrscheinlich der Origami-Künstler Adachi Katsuyuki. Es handelt sich um eine Sammlung von fast 150 Origami-Modellen - sie enthielt unter anderem das berühmte Modell für den Frosch, der sogar Hüpfen kann, wenn man sein Hinterteil mit dem Finger auf die Unterlage drückt und dann loslässt.
Origami in Europa
Durch die Ägypter und die Bewohner von Mesopotamien hatte sich eine von den Chinesen und Japanern unabhängige Kunst des Papierfaltens entwickelt, die jedoch lange nicht so gepflegt und weiterentwickelt wurde wie im alten Japan. Von den islamischen "Mauren", die im 8. Jahrhundert Spanien eroberten, nimmt man an, dass sie durch Kontakt mit den Chinesen ein Teilwissen über die asiatische Origami-Kunst mit nach Europa brachten. Möglicherweise waren es chinesische Gefangene, die den Mauren einige Grundfiguren beigebracht haben.
Im Islam war die bildliche Darstellung von Menschen und auch von Tieren zeitweise strikt verboten - stattdessen entstanden in der islamischen Kunst faszinierende geometrische Muster, Formen und Figuren. Die Mauren mit ihren strengen religiösen Vorgaben erfanden was Origami angeht auch neue und "abstrakte" Figuren - "abstrakt" bedeutet "ungegenständlich". In der islamischen Welt war man allgemein begeistert von den Mustern, die man auf dem wieder aufgefalteten Papier vorfindet. Bei den Mauren wurde die Origami-Kunst als Teil der mathematischen Geometrie verstanden.
Als im Jahr 1878 auf dem Marsfeld ("Champ de Mars") in Paris zum dritten Mal die "Weltausstellung" ("Expo") stattfand, kam es zu einer Verschmelzung von europäischer und asiatischer Origami-Kunst. Die Japaner befanden sich geschichtlich gerade in der "Meiji-Zeit" (1868 bis 1912). Die Weltausstellung entstand damals als Plattform für den internationalen Austausch und machte viele Menschen neugierig auf die Kunst und Architektur fremder Kulturen - außerdem wurden hier neue Erfindungen zur Schau gestellt.
Origami für die Kinder
Im 19. Jahrhundert kam der deutsche Pädagoge Friedrich Wilhelm August Fröbel auf die Idee, die Origami-Kunst für sein Bildungs- und Erziehungsprogramm zu benutzen. Fröbel, der zwischen 1782 und 1852 lebte, gilt als Begründer der Kindergarten-Bewegung und als bedeutender Neuerer der Erziehungswissenschaften. Er war der Ansicht, dass alle Kinder ähnliche Bedürfnisse und ähnliche Fähigkeiten mitbrächten - das Papierfalten wollte er als spielerisches Mittel der Kindererziehung einführen.
Die Kindergarten-Bewegung wurde auch im fernen Japan bekannt und einflussreich - in den japanischen Kindergärten griff man Fröbels Ideen auf und vermischte die recht einfachen Fröbelschen Falttechniken mit den komplizierten japanischen Originalen. In den japanischen Kindergärten wurde Origami nun zu einer Alltäglichkeit. Durch die Origami-Figuren sollte den Kindern früh ein Sinn für Geometrie, für Geschicklichkeit und für Genauigkeit vermittelt werden.
Von Spanien aus gelangte die Origami-Kunst im 20. Jahrhundert auch nach Lateinamerika und in die USA, wo sie sich schnell großer Beliebtheit erfreute. In Japan wurde Origami noch einmal revolutioniert, als der Origami-Künstler Akira Yoshizawa es zu Lebzeiten zustand brachte, an die 50.000 Figuren zu falten - viele davon hatte er sich selbst ausgedacht. Yoshizawa gilt in Japan als "Vater" des modernen Origami.
Im Jahr 1950 - mittlerweile befand sich Japan in der "Showa-Zeit" (1926 bis 1989) - traf Yoshizawa den US-amerikanischen Origami-Künstler Sam Randlett. Die beiden Männer arbeiteten gemeinsam ein System aus ("Yoshizawa-Randlett-System"), indem sie Origami-Grundfiguren festlegten. Der Verkauf von Handbüchern für die Erzeugung von Origami-Figuren fand mittlerweile weltweit statt und die Kunst wurde immer mehr zu einer Wissenschaft.
Origami bis heute
Heute befindet sich Japan, neben China die "Mutter" der Origami-Kunst, in der "Heisei-Zeit" (seit 1989). Die Origami-Kunst steht noch immer vor einer Weiterentwicklung und ist mittlerweile ein Beschäftigungsfeld für Intellektuelle und Wissenschaftler rund um den Globus. Man hat sogar eigens Computerprogramme entwickelt, um weitere mögliche Origami-Figuren zu entdecken. Mathematiker beschäftigen sich mit den geometrischen Prinzipien der Origami-Kunst.
Die alten Techniken sind teilweise auch verändert worden - so etwa, wenn man vor dem Falten das Papier mit etwas Wasser befeuchtet. Dadurch können noch kompliziertere und wahrheitsgetreuere Figuren gefaltet werden und die Figur als ganze wird weniger eckig, dafür harmonischer und plastischer. Die menschliche Fantasie ist beim Origami noch immer nicht an ihre Grenzen gestoßen. Zwei "goldene" Regeln gelten in der Origami-Kunst jedoch noch heute ganz genau so wie vor Hunderten von Jahren: keine Schere und kein Klebstoff!
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