15.03.2009
Am 11. März 2009 ist eine neue EU-Richtlinie in Kraft getreten, die viele Tierschützer als Teilerfolg in ihrem Kampf gegen Tierversuche ansehen: Diese neue Richtlinie enthält ein Verbot für Kosmetikprodukte, deren Inhaltsstoffe an Tieren getestet wurden - aber es gibt noch viele Schlupflöcher, wie Tierschutzvereine bemängeln. Letztendlich werden 80 bis 90 Prozent der in Kosmetika enthaltenen Stoffe weiterhin an Tieren getestet. Was sind die Hintergründe und warum sehen einige die meisten Tierversuche als "unnötig" an?
Aus dem Fernsehen oder von Bildern kennt man die Horrorszenarien vieler Tierversuche: Eingepferchte Tiere, die sich oftmals nicht einmal bewegen können, müssen große Qualen erleiden - wie Kaninchen, denen man reizende Stoffe in die empfindlichen Augen tropft, Affen, denen gefährliche Mittel gespritzt werden, Meerschweinchen, auf deren abrasierter, stark verwundeter Haut man bestimmte Stoffe testet oder Mäuse, denen für die Krebsforschung Tumorgewebe eingepflanzt werden. Die meisten Tiere sterben bei den Versuchsreihen oder werden anschließend getötet.
Jährlich werden allein in Deutschland an weit über zwei Millionen Tieren solche Versuche durchgeführt. Zu den Versuchstieren gehören vor allem Mäuse und Ratten, aber auch Kaninchen, Hamster, Meerschweinchen, Katzen, Hunde, Pferde, Schweine, Rinder, Ziegen Schafe, Affen, Vögel und Fische. Schon seit Jahrzehnten kämpfen Tierschützer verschiedener Organisationen für ein Verbot von Tierversuchen allgemein, aber im Besonderen gegen Tierversuche für Kosmetikprodukte. Die Tierschützer sind der Ansicht, dass Tierversuche in den meisten Fällen unnötig sind - besonders, wenn es nur um die Schönheit des Menschen geht.
Erfolg für den Tierschutz
Erste Erfolge auf diesem Gebiet gab es bereits vor 23 Jahren, als das deutsche Tierschutzgesetz Tierversuche für Kosmetikprodukte wie Lidschatten oder Wimperntusche verbot, wobei es bei dieser Regelung noch viele Ausnahmen gab. Seit 1998 sind Tests von kosmetischen Endprodukten in Deutschland komplett verboten und seit 2004 ist das auch in allen Ländern der Europäischen Union (EU) der Fall. Trotzdem waren die meisten Kosmetika nicht tierversuchsfrei, denn viel öfter als das fertige Produkt werden einzelne Inhaltsstoffe daraus an Tieren getestet.
Die neue EU-Richtlinie geht deshalb einen Schritt weiter: Sie verbietet nicht nur das Testen der fertigen Produkte an Tieren, sondern auch den Einsatz von Inhaltsstoffen, die an Tieren getestet wurden - ganz egal, ob es schon alternative, tierversuchsfreie Testverfahren für den Stoff gibt oder nicht. Es kann sich dabei um ganz verschiedene Bestandteile der Kosmetika handeln, zum Beispiel Lichtschutzfaktoren, Konservierungsmittel oder auch Waschsubstanzen. Die neue Richtlinie verbietet außerdem auch, dass an Tieren getestete Produkte, die außerhalb der Europäischen Union hergestellt wurden, innerhalb der EU-Mitgliedsländer vermarktet werden. Dieses Vermarktungsverbot gilt zwar auch für an Tieren getestete Inhaltsstoffe, aber hier wird das Gesetz erst im Jahr 2013 vollständig greifen.
Dennoch nur ein kleiner Schritt?
Für den Tierschutz ist die neue EU-Richtlinie zwar ein Erfolg und definitiv ein Schritt in die richtige Richtung, aber ein entscheidender Punkt ist: Die Regelung bezieht sich nur auf Wirkstoffe, die ausschließlich für die Herstellung von Kosmetikprodukten bestimmt sind. Das sind leider die wenigsten, denn die meisten Inhaltsstoffe von Kosmetika sind auch in anderen Chemikalien, zum Beispiel für die Industrie, enthalten.
Das bedeutet: Für Stoffe, die sowohl in Lippenstiften, Hautcremes und Co. als auch in Produkten anderer Bereiche enthalten sind, gelten die Regelungen nicht. Die neue EU-Richtlinie vom 11. März kann bei ihnen nicht greifen. Letztendlich dürfen sogar 80 bis 90 Prozent aller Stoffe, die in Kosmetikprodukten vorkommen, also erst einmal weiter an Tieren getestet werden, solange es keine entsprechenden Ersatzverfahren für die Tierversuche gibt. Und an denen mangelt es im Moment noch, da bisher in anderen Bereichen als der Kosmetikindustrie relativ wenig Forschung in dieser Richtung betrieben wurde. Außerdem ist die Zulassung der tierversuchsfreien Testmethoden oft ein ziemlich langwieriger Prozess. Bis zu zehn Jahren kann es dauern, bis so ein alternatives Verfahren von amtlicher Seite genehmigt ist.
Tierversuche: Ein Überblick
Tierversuche werden in ganz verschiedenen Bereichen durchgeführt. Ein Hauptbereich ist die Arzneimittelforschung, bei der neue Medikamente, Wirkstoffe oder auch medizinische Geräte erst an Tieren getestet werden, bevor sie beim Menschen zum Einsatz kommen. Dazu werden zum Beispiel Testreihen mit acht bis zehn Ratten oder Mäusen durchgeführt, denen eine unterschiedlich hohe Dosis eines bestimmten Wirkstoffs verabreicht wird. Ihnen wird Blut abgenommen, um den Abbau dieses Wirkstoffs zu erkennen und meistens werden die Versuchstiere nach Ende der Testreihe getötet, damit die Forscher eventuelle Auswirkungen auf die Organe untersuchen können.
Einen großen Anteil der Tierversuche machen toxikologische Tests, also Prüfungen auf Giftigkeit von Chemikalien, aus, die in verschiedenen Produkten wie Reinigungsmitteln enthalten sind. Um zum Beispiel zu testen, ob ein bestimmter Stoff das menschliche Auge reizt, träufelt man Tieren mit empfindlichen Augen (in der Regel Kaninchen) die betreffende Substanz ins Auge. Damit die Versuchstiere sich nicht die Augen wischen können, werden sie in Boxen gesperrt, aus denen nur ihre Köpfe herausragen. Aber nicht nur die Giftigkeit von Chemikalien wird in Tierversuchen getestet, sondern auch die Schädlichkeit vieler anderer Produktbestandteile. Insgesamt etwa ein Viertel aller Tierversuche wird in der Grundlagenforschung durchgeführt. Das bedeutet, dass man mit den Tests hauptsächlich das medizinische oder naturwissenschaftliche Wissen vermehren will, ohne dass dabei ein spezielles Produkt oder Verfahren untersucht wird.
Verboten: Zufügen von Schmerzen "ohne vernünftigen Grund"
Das deutsche Tierschutzgesetz sieht Tiere als "Mitgeschöpfe" an, denen "nicht ohne vernünftigen Grund" Schäden, Schmerzen oder Leiden zugefügt werden dürfen. Wie sich das mit Versuchen an Tieren vereinbaren lässt, regeln spezielle Paragraphen des Tierschutzgesetzes. Es werden Grundlagen benannt, zum Beispiel sollen bei den Versuchen Schmerzen und Leiden "möglichst vermieden" werden. Deshalb müssen die Versuchstiere bei Eingriffen und Tests, die Schmerzen verursachen könnten, unter Narkose oder Betäubung gesetzt werden.
Laut Tierschutzgesetz müssen die Versuche "ethisch vertretbar" und vor allem von wissenschaftlicher Seite unerlässlich sein. Tierversuche können deshalb nicht ohne Genehmigung unternommen werden, sodass Forschungseinrichtungen detailliert begründen müssen, warum es erforderlich ist, Tierversuche durchzuführen. Außerdem müssen diese Einrichtungen einen Tierschutzbeauftragten benennen, der ein Auge darauf hat, dass die Tierschutzrichtlinien eingehalten werden.
Viele Tierschützer bemängeln allerdings, dass sich die Einhaltung der gesetzlichen Richtlinien trotzdem nur schwer überwachen lässt und längst nicht immer sichergestellt werden kann, dass das Leiden der Versuchstiere wirklich so gering wie möglich gehalten wird. Abgesehen davon bedeutet "so gering wie möglich" eben in vielen Fällen, dass die Versuchstiere dennoch sehr leiden müssen. Ob Tierversuche überhaupt ethisch vertretbar sind und wenn ja inwieweit, darüber gehen die Meinungen weit auseinander.
Eine emotionale Debatte
Über das Thema Tierversuche wird schon seit langem diskutiert. Tierversuchsgegner lehnen Tierversuche grundsätzlich ab, auch unter den vom Tierschutzgesetz geregelten Bedingungen und in allen Bereichen, ebenso in Medizin und Forschung. Für sie gibt es keinen vernünftigen, moralisch vertretbaren Grund, Tieren zum Nutzen der Menschen Schaden und Leid zuzufügen. Sie sind der Ansicht, dass man fühlende Lebewesen unter keinen Umständen wie leblose Testprodukte und Messinstrumente behandeln darf. Tierversuchsbefürworter hingegen sagen zwar meist, dass man Versuchstiere "nicht unnötig" quälen sollte - aber sie stellen den Nutzen für den Menschen eindeutig in den Vordergrund.
Viele Menschen sind der Meinung, dass gerade Tierversuche in Forschung und Medizin notwendig und wichtig seien. Sehr viele Impfstoffe in Testreihen wurden mit Versuchstieren entwickelt und erprobt, und auch die Chirurgie konnte viele neue Operationsmethoden und Techniken an Tieren entwickeln und verbessern, bevor diese erfolgreich am Menschen eingesetzt wurden. Tierversuchsbefürworter befürchten deshalb, dass ein kompletter Verzicht auf Tierversuche den medizinischen Fortschritt verlangsamen würde, was auf Kosten vieler kranker Menschen ginge.
Tierversuchsgegner sehen das anders. Viele zweifeln an der Übertragbarkeit von den Ergebnissen aus Tierversuchen auf den Menschen - was in manchen Fällen auch schon bestätigt wurde. Sie argumentieren außerdem damit, dass mittlerweile für die meisten Tierversuchsreihen alternative Methoden denkbar seien - man müsse aber endlich die entsprechende Forschung vorantreiben. In dieser Hinsicht sei bisher viel zu wenig geforscht worden. Der Deutsche Tierschutzbund setzt sich deshalb aktiv dafür ein, dass solche Versuchsverfahren weiterentwickelt werden, damit sie bald im Laboralltag eingesetzt werden können. Auch längst nicht alle Ärzte und Mediziner befürworten Tierversuche. Es gibt einige Ärzte, die sich gegen Tierversuche aussprechen und sich für den Einsatz alternativer Methoden engagieren.
Die Hoffnung: neue Impulse
Trotzdem es in anderen Bereichen wohl noch ein weiter Weg bis zur Abschaffung von Tierversuchen sein wird und auch die meisten Kosmetikprodukte noch immer viele Substanzen enthalten, die an Tieren getestet werden dürfen: Die neu in Kraft getretene EU-Richtlinie ist für Tierschützer immerhin ein Teilerfolg im Kampf gegen tierversuchsfreie Kosmetik. Sie hoffen, dass die neuen Regelungen auch endlich neue Impulse setzen. Besonders in der Chemikalienforschung sollte viel mehr in die Entwicklung alternativer Testmethoden investiert werden, damit auch dort zukünftig keine Tierversuche mehr durchgeführt werden.
Wenn du wissen willst, welche Produkte tierversuchsfrei sind, findest du unten verlinkt eine Liste der Tierschutzorganisation PETA.de.
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